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Angesichts mancher Reaktionen auf das von unfassbarer Grausamkeit gekennzeichnete Massaker der islamofaschistischen Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel stellt sich vielerorts die Frage: Ist es an der Zeit, sich von jeder Art von »Wokeness« konsequent zu verabschieden? Oder gilt es nicht vielmehr, wie Jens Balzer mit kenntnisreichem Blick auf die Geschichte dieses umkämpften Begriffs darlegt, sich auf die ursprünglichen Impulse der postkolonialen und queerfeministischen Theorien zu besinnen: auf das kritische Bewusstsein für das grundsätzlich Werdende, Hybride, Mannigfaltige,…mehr

Produktbeschreibung
Angesichts mancher Reaktionen auf das von unfassbarer Grausamkeit gekennzeichnete Massaker der islamofaschistischen Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel stellt sich vielerorts die Frage: Ist es an der Zeit, sich von jeder Art von »Wokeness« konsequent zu verabschieden? Oder gilt es nicht vielmehr, wie Jens Balzer mit kenntnisreichem Blick auf die Geschichte dieses umkämpften Begriffs darlegt, sich auf die ursprünglichen Impulse der postkolonialen und queerfeministischen Theorien zu besinnen: auf das kritische Bewusstsein für das grundsätzlich Werdende, Hybride, Mannigfaltige, Ambivalente, das aller Formierung von Identität vorausgeht? Eindrücklich weist After Woke einen Weg vorbei an erstarrten, essenzialistischen Identitätskonzepten und zeigt: Nur indem Identität allzeit als fiktiv, fragil, fluide begriffen wird, kann sie zu einem dringend benötigten Gegenentwurf werden zu den reaktionären Kräften des identitären Denkens, die sich gerade anschicken, die Herrschaft über die Welt zu übernehmen.
Autorenporträt
Jens Balzer, geboren 1969, lebt in Berlin und ist Autor im Feuilleton von DIE ZEIT.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Thomas Thiel scheint Jens Balzers Buch, eine Art Kritik der Wokeness, in der Stoßrichtung nachvollziehbar, aber nicht unproblematisch zu finden. Der Autor kritisiert darin eine Doppelmoral der woken Haltung, die von ihrem anfänglich behaupteten Anti-Essenzialismus mittlerweile wieder in den kulturellen Essenzialismus gekippt sei und Judenfeindschaft inkludiere, wie Thiel erklärt. Gleichzeitig sei Balzer aber auch an einer Rettung des Wokeness-Begriffs gelegen, was der Kritiker nicht ganz versteht - natürlich dürfe das Feld nicht dem Konservatismus oder "völkischem Denken" überlassen werden, aber warum man dafür unbedingt an "geschundenen" Diskursbegriffen festhalten müsse, ist für ihn fraglich. Auch wie Balzer diese Verteidigung zum Teil aufzieht, findet der Kritiker nicht ganz sauber - so wird ihm etwa in den Passagen zu den postkolonialistischen Wurzeln der Wokeness die Grenze zwischen Aktivismus und Wissenschaft zu sehr verwischt. Und schließlich fragt sich der Kritiker abseits dieser Schwächen, wieviel Balzers Buch bei allem guten Willen gegen das "Machtkartell" Wokeness wirklich auszurichten vermag.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2024

Besondere Vorkommnisse

Western

Manchmal ist es völlig ausreichend, wenn ein Film ganz einfach nur mit Genauigkeit und Passion die Erfordernisse eines Genres erfüllt, ohne Anspruch, sie aufzumischen oder zu verschieben. Weil er dann ganz bei sich bleibt. Es kann allerdings auch passieren, dass er dabei zu genügsam ist. Oder das, was ihm Originalität oder Eigensinn verliehe, nicht richtig ausspielt. Man sieht mit Sympathie zu - und hat am Ende den Eindruck, es fehle etwas. "The Dead Don't Hurt", die zweite Regiearbeit des Schauspielers Viggo Mortensen, ist ein solcher Film. Ein Western, der die Topoi, die Rollenmodelle, die Standardsituationen des Genres enthält. Der mit einer Schießerei im Saloon beginnt. Und das Porträt einer kleinen Stadt zeichnet, das man auswendig kennt: ein korrupter Bürgermeister, ein mächtiger Grundbesitzer, dessen brutaler, skrupelloser Sohn. Sie alle handeln, wie man es in der Konstellation erwartet. Mortensen selbst spielt den Zimmermann Olsen, der sich am Rande des Ortes in einer kargen Hütte niederlässt und auf Abstand hält. Er lebt zusammen mit der selbstbewussten, unerschrockenen Vivienne. Die wunderbare Vicky Krieps lässt sie durch ihr Spiel zum Herzen des Films werden. Als Olsen als Freiwilliger aufseiten der Union in den Bürgerkrieg zieht, rückt sie ins Zentrum, aber der Film unterläuft das immer wieder durch seine nicht chronologische Erzählweise. Er springt zwischen den Zeiten, ohne dass sich der Sinn dieser Bewegung erschlösse. Er erreicht damit, schon durch eine markante Sequenz zu Beginn, nur, dass der Film nicht primär zu Viviennes Geschichte werden kann, obwohl sie die komplexeste Figur ist. Der Showdown gehört den Männern. Das ist dann doch etwas zu wenig. pek

Bessern

Man kann, schreibt der Berliner Kulturjournalist Jens Balzer, "den Umgang der 'woken', postkolonialen, queerfeministischen Linken mit dem Terrorangriff der Hamas kaum anders bezeichnen denn als moralischen Bankrott", der "die Legitimität, mit der sie zuvor - in oftmals hohem moralischen Ton - rassistische, homophobe, misogyne Diskriminierungen kritisiert hat", infrage stelle. Aber, darauf läuft sein Essay "After Woke" (Matthes & Seitz, 12 Euro) hinaus: Kein Grund, deswegen mit postkolonialistischen Theorien und Praktiken an sich zu brechen. Oder sie für gescheitert zu erklären, wie das von rechts bis links geschehe. Vielmehr sei für dieses Lager der Moment zur Selbstkritik gekommen, auf fundamentaler Skepsis gegenüber eigenen Prägungen gründe die woke Weltsicht ja. Balzer spricht von einer "Infrastruktur" des Denkens. Über die Zeit habe sich aber ein "postkoloniales Wahrheitsregime" entwickelt, "in dem Menschen strikt 'along the color line' in Schwarz und Weiß eingeteilt" und "jüdische Menschen als privilegierte weiße Menschen betrachtet und damit auf die Seite der Unterdrücker oder Kolonialisten gestellt" würden. Eigentlich sei es bereits vor dem 7. Oktober höchste Zeit zur Kurskorrektur gewesen, antisemitische Auswüchse hätten sich schon in Bewegungen wie Black Lives Matter gezeigt. Balzer versucht, Identitätspolitik und Postkolonialismus mit deren eigenen Mitteln aus der Verirrung in den Essentialismus eines "indigenen" palästinensischen Volks und weißer israelischer Kolonialherren zurückzuholen, verbirgt sein Entsetzen über die Kälte und Ignoranz nicht, mit der Judith Butler und andere auf jüdische Terroropfer reagierten - aber gibt nicht auf: weder diese verirrten Linken noch die Hoffnung auf eine bessere Welt. tob

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2024

Moralischer
Bankrott
Der Journalist Jens Balzer bilanziert ungnädig das
Versagen der achtsamen Linken nach dem 7. Oktober.
Einen ihrer Grundgedanken will er
aber bewahren. Kann das gutgehen?
VON FELIX STEPHAN
Im Juli 2011 erreicht der 32-jährige Anders Breivik die norwegische Insel Utøya in einer Polizeiuniform, die er angezogen hat, um das Vertrauen der Jugendlichen zu wecken, die auf der Insel gerade Urlaub machen. Als eine der Jugendlichen ihn fragt, ob er wirklich Polizist sei, richtet er die Waffe auf sie und schießt ihr in den Oberkörper. In weniger als einer halben Stunde erschießt Breivik insgesamt 69 Menschen. Die 18-jährige Emma Martinovic, die ihm durch einen Sprung ins Wasser entkommt, wird später aussagen, dass ihr vor allem das Lachen in Erinnerung geblieben ist, dass Breivik ausstieß, während er die hilflosen Kinder ermordete.
Der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit hat in seiner Studie „Das Lachen der Täter. Psychogramm der Tötungslust“ dieses Phänomen genauer untersucht, also dass die Mörder während ihrer Massaker zuverlässig dieses Lachen ausstoßen, das dann später übereinstimmend von jenen beschrieben wird, die davongekommen sind – in Ruanda 1995 ebenso wie in Syrien 2014, in Abu Ghraib 2003 ebenso wie in Deutschland 1943.
„Viele der von den Freikorpssoldaten gefeierten Morde an aufständischen ArbeiterInnen nach WK I, wie auch die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wurden als ‚Lustmorde‘ begangen, entsprechend gefeiert und ausgestellt“, schreibt Theweleit. Eine analytische Beschreibung dieses Lachens sei jedoch in der Täterforschung nie versucht worden, was tatsächlich erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass es offenbar eines der wenigen Merkmale ist, das all diese Massaker miteinander verbindet.
Jetzt ist mit dem so kühlen wie klugen Aufsatz „After Woke“ des Journalisten Jens Balzer wieder ein Buch erschienen, in dem dieses Lachen ebenfalls eine Rolle spielt, und zwar in all jenen Passagen, in denen Balzer das Massaker vom 7. Oktober noch einmal verhandelt, bei dem Hamas-Kämpfer im Süden Israels unter anderem einen Rave und mehrere Kibbuzim überfallen, Zivilisten abgeschlachtet, Frauen vergewaltigt, ihre Taten gefilmt und über die sozialen Netzwerke verbreitet, und eben auch wieder diesen spezifischen „Lachausstoß der Killer“ (Theweleit) filmisch festgehalten haben.
Jens Balzer eröffnet seinen Essay über den Postkolonialismus, indem er das Grauen und das Bestialische dieser Taten zunächst quälend ausführlich beschreibt und diese Eindrücke dann mit der bestürzenden Erkaltung kontrastiert, mit der diese Lustmorde umgehend von einigen queer-feministischen Vertretern der neuen Sensibilitätsschulen quittiert worden sind. Gastauftritte haben unter anderem der britische Autor Tariq Ali, der sich an der Wehrhaftigkeit der „gewählten Führung in Gaza“ zu erfreuen wusste. Der amerikanische Autor Ismail Ibrahim, der in der New Yorker Zeitschrift N+1, „den Schock und die Schönheit von etwas Unvorstellbarem“ pries. Der DJ-Superstar Juliana Huxtable, eine nicht binäre Symbolfigur des aktuellen Achtsamkeitstechnos, die sich noch am selben Tag auf Instagram mit der palästinensischen „Gegenwehr“ solidarisierte. Das Verzeichnis dieser Verluste führt Balzer auch deshalb so minutiös, weil er sich auch selbst jenen Progressiven zurechnet, die an diesem Tag ihre ideelle Heimat verloren haben – und nun eine Auflistung all dessen anfertigen muss, was da an verlorenen Illusionen so aufgelaufen ist. Ähnlich wie die Politologin Seyla Benhabib, die in einem offenen Brief an die philosophische Elite der USA festhielt, dass die Hamas sich mit diesem Massaker als dschihadistische Todessekte erwiesen hat, fragt auch er sich, wie die Leute, die er eigentlich für seine Mitstreiter hielt, jetzt Solidarität mit einer islamofaschistischen Terrorgruppe aufbringen können.
Die Sache – und der Anlass dieses Essays – ist allerdings: Trotz dieser „fundamentalen Erschütterung“ und obwohl weite Teile der achtsamen Linken jede Berechtigung verloren haben, andere wegen einer unbedachten Verwendung von Pronomen zu ermahnen, gibt es immer noch einen postkolonialen Grundgedanken, den zu bewahren sich lohnt. Es sei trotz allem, so Balzer, „immer noch richtig, sein Verhalten, seine Sprache auf rassistische Stereotype zu überprüfen“. Und es sei auch immer noch richtig, sich für eine Zukunft einzusetzen, in der „Menschen ein selbstbestimmtes und sicheres Leben führen können, einerlei, woher sie kommen, wie sie aussehen, wen sie lieben, wie sie ihre Sexualität für sich und anderen gegenüber bestimmen“. Balzer vergleicht die Situation des Postkolonialismus mit der Situation der Germanistik nach der Shoah. Das Fach, das vortrefflich die Spezifika der Freiheits- und Individualismus-Emphase bei Hölderlin, Schiller, Rilke herauszuarbeiten wusste, war unter dem nationalsozialistischen Regime auf einmal in der Lage, mit gleicher Entschlossenheit den völkischen Nationalismus zu preisen und glühenden Antisemiten in seinen Reihen Platz zu gewähren. Trotzdem habe deswegen niemals jemand „die Germanistik als ‚Monster‘ bezeichnet, dem die staatliche Unterstützung gestrichen werden müsse“, so wie es nun vielfach mit Bezug auf den Postkolonialismus geschehe.
Allerdings habe das Fach um das Jahr 1968 herum eben auch begonnen, seinen eigenen Kriterien- und Sprachapparat auf ideologische Implikationen hin zu befragen und nach Wegen zu suchen, um sich von der nationalistischen Identitätslogik zu lösen und einen neuen Ort innerhalb einer Sprach- und Kulturgeschichte zu finden. Exemplarisch nennt Balzer den 1969 erschienenen Sammelband „Ansichten einer künftigen Germanistik“, der einen Neuanfang markierte, der für den Postkolonialismus heute womöglich auch angeraten wäre: „Vielleicht wäre es also“, schreibt Balzer, „wirklich an der Zeit, sich einmal mit den möglichen ‚Ansichten eines künftigen Postkolonialismus‘ zu befassen, das heißt mit einer Revision des Fachs als diskursiver Wissensformation“.
Balzer schlägt auch gleich konkrete Schritte vor. Sie betreffen die Neigung der postkolonialen Theorie, verborgene und tradierte Rassismen nicht nur in Institutionen, sondern auch im Bewusstsein des Einzelnen entdecken und austreiben zu wollen. Und während es natürlich nicht schaden kann, sich selbst auf Rassismen hin zu befragen, die man womöglich unbewusst und unfreiwillig übernommen hat, birgt diese Technik auch den Keim dessen, was Foucault in den Siebzigerjahren einst als „Wahrheitsregime“ bezeichnet hat.
Diese Wahrheitsregime forderten von den Subjekten, die ihnen unterliegen, strengen Gehorsam, jedoch ohne äußeren Zwang, sondern „durch die Verinnerlichung des Zwangs und durch seine Verwandlung in einen moralischen Impuls, nämlich: in den Impuls, ein besserer Mensch zu werden“. Dass auch der Postkolonialismus zum Wahrheitsregime geworden sei, zeige seine quasireligiöse Praxis, von seinen Jüngern erstens permanent Selbstprüfung und Geständnisse zu erwarten und die Menschen zweitens in zwei Kategorien einzuteilen, in diesem Fall in Unterdrücker und Unterdrückte.
Auf diese Weise sei der Postkolonialismus in genau jenes Muster verfallen, das er eigentlich bekämpfen wollte: Statt den starren Identitätsfestlegungen der völkischen Ideologien einen Begriff von Identität entgegenzustellen, der ephemer und performativ ist, habe er nur neue Identitätsdogmen betoniert. Dieser Niedergang ist langsam, aber kontinuierlich vorangeschritten, bis es ansonsten hochgradig sprachsensiblen Vertretern des Postkolonialismus auf einmal möglich war, der antisemitischen Mordlust islamistischer Todesschwadronen auch etwas Positives abzugewinnen.
Wie also weiter? Balzer bringt die Diskursethik von Jürgen Habermas ins Spiel, die zwar ebenfalls die Aufforderung enthält, die eigene Position permanent einer gründlichen Prüfung zu unterziehen, allerdings nicht in erster Linie mit dem Ziel, selbst ein besserer Mensch zu werden, sondern mit dem Ziel, dem besseren Argument ohne Anschauung des Sprechenden die maximale Geltung zu verschaffen. Zu diesem Zweck müssten Regeln und Prozeduren aufgestellt werden, die es allen ermöglichen, am Diskurs teilzunehmen, unabhängig von Merkmalen wie class, race und gender, die bei Habermas zwar noch nicht so hießen, die von seinem Ideal eines herrschaftsfreien Diskurses aber ausdrücklich unter besonderen Schutz gestellt werden, weil sie eben nicht über die „Instrumente der Gewalt“ verfügen, die eine Verständigung immer wieder verhindern.
Wenn man also postkoloniales Denken im Habermas’schen Sinne als Verfahren betrachte, eine Infrastruktur für „notwendige Voraussetzungen kommunikativen Handelns“ zu schaffen – also eine respektvolle Auseinandersetzung zwischen Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Erfahrungshintergründen und gesellschaftlichen Positionen ermögliche –, dann ließe sich Jens Balzer zufolge der liberaldemokratische Kern der „Wokeness“ wieder freilegen, ohne in den Abschaffungsjubel jener Akteure zu verfallen, denen die angewandte Diskursethik ohnehin schon immer ein Dorn im Auge gewesen ist.
Balzer versteht sich als
Progressiver, der keine
ideelle Heimat mehr hat
Wahrheitsregime
fordern Gehorsam ohne
äußeren Zwang
Die postkoloniale Linke sei
in jene Muster verfallen,
die sie bekämpfen wollte
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