Mit ihrem Konzept des »Agentialen Realismus« findet Karen Barad seit einigen Jahren große Aufmerksamkeit, insbesondere unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit Diskursanalyse, Techniksoziologie und Gender Studies beschäftigten. Barads Anliegen besteht darin, das Denken über Sprache, Diskurse und Dinge auf eine radikal neue Grundlage zu stellen. In ihrem vielbeachteten Essay, mit dem nun erstmals ein Text Barads auf Deutsch vorliegt, plädiert sie ausgehend von epistemologischen Überlegungen des dänischen Physikers Niels Bohr dafür, die Grenzen zwischen den Objekten, unseren Instrumenten, der Sprache und den menschlichen Beobachtern neu zu vermessen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2012KURZKRITIK
Geronnenes Tätigsein
Karen Barad entwirft den
„agentiellen Realismus“ – wozu?
Cyborgs, Mensch-Maschinen-Zwitter, waren Anfang der neunziger Jahre Donna Haraways Beispiele dafür, warum die traditionelle Unterscheidung zwischen Natur und Kultur (beziehungsweise Technik) unzureichend sei. Was klein anfängt mit Herzschrittmachern, werde sich ausweiten, prophezeite sie nicht zu Unrecht, und erfordere grundsätzlich neue Denk-Kategorien. Karen Barad, die Nachfolgerin Haraways auf dem Lehrstuhl für Feminist Studies, Philosophie und History of Consciousness an der Universität von California, argumentiert ebenfalls ontologisch revisionistisch und setzt sich für ein kritisches Verständnis der Idee der wissenschaftlichen Objektivität ein. Letztlich, um Diskriminierungen verschiedener Art zu entlarven und bekämpfen.
Doch in einem ihrer zentralen Aufsätze, der nun erstmals auf Deutsch vorliegt, geht es weniger anschaulich zu. Die promovierte Physikerin ruft nach all den sprachlichen Wenden eine Rückkehr zur – neu verstandenen – Materie aus. Zum Kern ihrer Theorie des „Agentiellen Realismus“ gehört, dass Materie nicht als ein „ein für allemal bestimmtes Wesen“ zu verstehen sei, sondern als „aktiv“, als „geronnenes Tätigseins“, als „Substanz in ihrem intraaktiven Werden“ oder auch „stabilisierender und destabilisierender Prozess schrittweiser Intraaktivität“. Barad bezieht sich vor allem auf Schriften des Physikers Niels Bohr. Doch dessen Einsichten in die Zusammenhänge von Beobachtungsweise und Experimentergebnissen lässt sie hinter einem wuchernden Begriffsgestrüpp verschwinden.
Die „edition unseld“ hat schon fruchtbare Beiträge zum wichtigen Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften gebracht. Dieser Essay ist hingegen wenig hilfreich.
EVA WEBER-GUSKAR
KAREN BARAD: Agentieller Realismus. Aus dem Englischen von Jürgen Schröder. Edition Unseld im Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 123 S., 12,40 Euro.
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Geronnenes Tätigsein
Karen Barad entwirft den
„agentiellen Realismus“ – wozu?
Cyborgs, Mensch-Maschinen-Zwitter, waren Anfang der neunziger Jahre Donna Haraways Beispiele dafür, warum die traditionelle Unterscheidung zwischen Natur und Kultur (beziehungsweise Technik) unzureichend sei. Was klein anfängt mit Herzschrittmachern, werde sich ausweiten, prophezeite sie nicht zu Unrecht, und erfordere grundsätzlich neue Denk-Kategorien. Karen Barad, die Nachfolgerin Haraways auf dem Lehrstuhl für Feminist Studies, Philosophie und History of Consciousness an der Universität von California, argumentiert ebenfalls ontologisch revisionistisch und setzt sich für ein kritisches Verständnis der Idee der wissenschaftlichen Objektivität ein. Letztlich, um Diskriminierungen verschiedener Art zu entlarven und bekämpfen.
Doch in einem ihrer zentralen Aufsätze, der nun erstmals auf Deutsch vorliegt, geht es weniger anschaulich zu. Die promovierte Physikerin ruft nach all den sprachlichen Wenden eine Rückkehr zur – neu verstandenen – Materie aus. Zum Kern ihrer Theorie des „Agentiellen Realismus“ gehört, dass Materie nicht als ein „ein für allemal bestimmtes Wesen“ zu verstehen sei, sondern als „aktiv“, als „geronnenes Tätigseins“, als „Substanz in ihrem intraaktiven Werden“ oder auch „stabilisierender und destabilisierender Prozess schrittweiser Intraaktivität“. Barad bezieht sich vor allem auf Schriften des Physikers Niels Bohr. Doch dessen Einsichten in die Zusammenhänge von Beobachtungsweise und Experimentergebnissen lässt sie hinter einem wuchernden Begriffsgestrüpp verschwinden.
Die „edition unseld“ hat schon fruchtbare Beiträge zum wichtigen Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften gebracht. Dieser Essay ist hingegen wenig hilfreich.
EVA WEBER-GUSKAR
KAREN BARAD: Agentieller Realismus. Aus dem Englischen von Jürgen Schröder. Edition Unseld im Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 123 S., 12,40 Euro.
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