Wer war Alban Berg? In ihrem neuen Buch nähert sich Barbara Meier erzählend dem Leben und Werk des großen Komponisten und zeichnet dabei ein breites Panorama des kulturellen Lebens nach der Jahrhundertwende nach, einer Zeit, die für den Künstler geprägt war von Krieg, Inflation und aufkommendem Nationalsozialismus. Sie schildert Begegnungen Bergs mit Zeitgenossen, sein schwieriges Verhältnis zu Arnold Schönberg und erzählt anhand von Briefen, auch bisher unveröffentlichten, von Alban Bergs stets unglücklichen Liebesbeziehungen. Alle gedruckten Kompositionen, insbesondere die beiden Opern Wozzeck und Lulu, werden in diese bewegende Erzählung des Lebens einbezogen und eingehend analysiert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2018Sein Meister verlangte nach Opfern
Warum hat er sich nie von seinem Diktator befreit? Barbara Meier legt eine überzeugend erzählte Biographie des Komponisten Alban Berg vor.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war der Berghof am Südufer des Ossiacher Sees in Kärnten marode. Seit 1894 hatte die Familie des Import-Export-Unternehmers Conrad Berg mit Frau Johanna sowie den Kindern Karl, Alban und Smaragda hier manchen Sommer verbracht. Doch jetzt ging alles drunter und drüber, nicht nur des Krieges wegen, sondern auch weil Karl, genannt Charly, von Mutter Johanna als alleiniger Nutznießer des Berghofs eingesetzt, offenbar nicht wirtschaften konnte. Er soll Lebensmittel und Küchengeschirr gestohlen haben, schreibt Alban Berg, mitten in der Arbeit an seiner Oper "Wozzeck", an seine Frau Helene. Doch Charly schlägt zurück.
In einem zwölf Seiten langen Brief bezeichnet er seinen komponierenden Bruder Alban als rücksichtslosen Egoisten, "verbunden mit grenzenloser Willensschwäche", der immer nur andere für sich habe sorgen lassen. Statt mit seiner Arbeit - der Musik - Geld zu verdienen, habe er es vorgezogen, von der Mutter "Arbeitslosenunterstützung" zu beziehen. Dafür schwinge er, "der Monate lang auf der faulen Haut lag", sich nun zum Richter über andere auf.
Barbara Meier schildert in ihrer neuen Berg-Biographie diesen Vorfall in aller Ausführlichkeit, aber - und das ist eine Stärke ihres Buches - sie enthält sich einer Wertung. Hat Charly seinen Bruder im Zorn verunglimpft, oder hatte er recht? Das Urteil muss sich der Leser dieses Buches selbst bilden, wenn es ihn denn reizt, über den Künstler Berg hinaus auch den Menschen zu beurteilen.
Was Meier erzählt, und sie bietet ohne methodologische Umständlichkeit eine wirklich schön, uneitel, geradlinig erzählte Biographie, spricht nicht sonderlich für den Menschen Alban Berg. Schon als Schüler hält er sich für einen Dichter, der aber im Fach Deutsch eine Fünf erhält, weil er keinen Forderungen, die nicht seine eigenen sind, zu genügen vermag. Sein Ich drängt über die Grenzen des Alls hinaus, doch wenn die Welt von diesem Ich nichts wissen will, findet er sie hassenswert und fühlt großes Weh.
Mit sechzehn Jahren schwängert er Marie Scheuchl, ein Küchenmädchen auf dem Berghof; die Tochter Albine kommt am 4. Dezember 1901 zur Welt. Doch statt ein Mann zu sein und sein Leben in die Hand zu nehmen, flennt der Junge über die eigene beschmutzte Seele: "Ich hielt mich für ideal, fand aber wie unideal - wie fleischlich ich bin!" Bis an sein Lebensende verheimlicht er seiner späteren Frau Helene die Existenz des unehelichen Kindes. Im Grunde ist er dankbar, dass seine damals noch vermögende Familie die Unannehmlichkeit für ihn aus der Welt schafft. Wie soll man seinem Schwiegervater Franz Nahowski da nicht recht geben, wenn er Berg einen "Ledfeigen" nennt, einen Feigling, der sich alles gefallen lässt, jemanden, der maßlos in seinen Ansprüchen und zugleich drückebergerisch in seiner Verantwortung ist?
Beobachten kann man bei Berg eine Bereitschaft, sich intellektuellen Führern unterzuordnen: Gustav Mahler, Karl Kraus, Arnold Schönberg. Letzterem gegenüber muss man die Ergebenheit von Berg und seinem Mitschüler Anton von Webern geradezu hündisch nennen, wenn man bei Meier liest, dass beide von ihrem Lehrer immer wieder verbal erniedrigt wurden, sie ihm aber bei seiner Schwadroniererei in der Wohnung ständig den Aschenbecher hinterhertrugen. Meier zeichnet Schönberg als Inbegriff eines autoritären Charakters: Von den Freunden "verlangte er unbedingte Loyalität und Anteilnahme, bloßer Respekt genügte ihm nicht. Er forderte bedingungslose Treue."
Dazu gehörte auch, dass Schönberg es für selbstverständlich nahm, wenn sich seine Schüler finanziell für ihn aufopferten, was Berg, nachdem das Vermögen seiner Mutter geschmolzen war, keineswegs leichtfiel. Zugleich übte sich Schönberg im "Mießmachen" der Arbeiten Bergs, wie der Komponist seiner Frau schreibt. Und komme doch einmal ein Lob vor, so geschehe es "immer mit einer solchen Art von Bevormundung, ja Vergewaltigung, daß es mich mehr ärgert als freut".
Man fragt sich wirklich, warum es Alban Berg nie gelungen ist, sich durch Lachen oder gut gezielten Widerspruch von diesem Diktator zu befreien. Als er 1925 mit seiner Oper "Wozzeck", die ihm Schönberg nie zugetraut hätte, in Berlin nicht nur Anerkennung findet, sondern breitenwirksamen Erfolg, läuft er nachts schuldbewusst durch die Straßen und fragt sich, was er - durch Schönberg auf Weltverachtung getrimmt - denn nun schon wieder falsch gemacht habe. Es ist das Jammerbild einer misshandelten Seele.
Zu Bergs Entlastung kann geltend gemacht werden, dass in seiner Familie Verstellung und Unterordnung von Jugend an verinnerlicht wurden. Die Homosexualität seiner Schwester Smaragda wurde ebenso aufwendig verborgen wie sein eigenes uneheliches Kind. Über Bergs Frau Helene Nahowski kursiert bis heute das Gerücht, sie sei eine uneheliche Tochter des Kaisers Franz Josef I. Meier teilt viele Indizien mit, die dieses Gerücht erhärten. Seine eigenen Liebschaften mit Hanna Fuchs und Anny Aschkenase versucht Berg voll Angst und Schläue vor Helene zu vertuschen. Im Fall von Aschkenase kann Meier in ihrem Buch auch auf bislang unveröffentlichte Korrespondenz zurückgreifen.
Barbara Meier, wie gesagt, wertet nicht. Sie dokumentiert, indem sie - recht neutral, aber durch Quellen akribisch belegt - erzählt. Dann und wann zeigt sie durchaus Empathie mit Berg, seinem Weltschmerz, seinem Verkanntsein. Und tatsächlich ist es eine enorme Lebensleistung, dass Berg, der Geringschätzung seines Lehrers Schönberg und zunehmender eigener Not zum Trotz, sich solch eigensinnig-kreative Werke wie die "Lyrische Suite", das Kammerkonzert, "Wozzeck", das Violinkonzert und die unvollendet gebliebene Oper "Lulu" abringen konnte. Zu allen Werken, auch den frühen Liedern und der Klaviersonate, schreibt Meier angenehm zu lesende, vorbildlich informierte Werkeinführungen.
Andererseits verschweigt Meier auch nicht, dass Berg sich vom Nationalismus und Chauvinismus vor dem Ersten Weltkrieg - bei Schönberg mit besonders viel frankophobem und slawophobem Schaum vorm Mund - hat anstecken lassen. Nach 1933 hegt er plötzlich Sympathien für den Antisemitismus Alma Mahlers und hofft auf eine Berufung durch die Nazis an die Berliner Musikhochschule. Das wäre ein "kolossaler Triumph", dann hätte er "etwas zum Ausspielen gegen die Wiener Regierung". Barbara Meier veranstaltet kein Tribunal und genießt es auch nicht, anderer Leute schmutzige Wäsche zu waschen. Sie lässt Berg seinen Rang als Komponist und nähert sich ihm dennoch ehrlich. Die Anekdoten über Bergs Schüler, den neunmalklugen Theodor Wiesengrund Adorno, vor dessen Dauergerede Berg manchmal floh, sind in diesem Buch das kleine Scherzo.
JAN BRACHMANN
Barbara Meier: "Alban Berg". Biographie.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2018.
346 S., geb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum hat er sich nie von seinem Diktator befreit? Barbara Meier legt eine überzeugend erzählte Biographie des Komponisten Alban Berg vor.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war der Berghof am Südufer des Ossiacher Sees in Kärnten marode. Seit 1894 hatte die Familie des Import-Export-Unternehmers Conrad Berg mit Frau Johanna sowie den Kindern Karl, Alban und Smaragda hier manchen Sommer verbracht. Doch jetzt ging alles drunter und drüber, nicht nur des Krieges wegen, sondern auch weil Karl, genannt Charly, von Mutter Johanna als alleiniger Nutznießer des Berghofs eingesetzt, offenbar nicht wirtschaften konnte. Er soll Lebensmittel und Küchengeschirr gestohlen haben, schreibt Alban Berg, mitten in der Arbeit an seiner Oper "Wozzeck", an seine Frau Helene. Doch Charly schlägt zurück.
In einem zwölf Seiten langen Brief bezeichnet er seinen komponierenden Bruder Alban als rücksichtslosen Egoisten, "verbunden mit grenzenloser Willensschwäche", der immer nur andere für sich habe sorgen lassen. Statt mit seiner Arbeit - der Musik - Geld zu verdienen, habe er es vorgezogen, von der Mutter "Arbeitslosenunterstützung" zu beziehen. Dafür schwinge er, "der Monate lang auf der faulen Haut lag", sich nun zum Richter über andere auf.
Barbara Meier schildert in ihrer neuen Berg-Biographie diesen Vorfall in aller Ausführlichkeit, aber - und das ist eine Stärke ihres Buches - sie enthält sich einer Wertung. Hat Charly seinen Bruder im Zorn verunglimpft, oder hatte er recht? Das Urteil muss sich der Leser dieses Buches selbst bilden, wenn es ihn denn reizt, über den Künstler Berg hinaus auch den Menschen zu beurteilen.
Was Meier erzählt, und sie bietet ohne methodologische Umständlichkeit eine wirklich schön, uneitel, geradlinig erzählte Biographie, spricht nicht sonderlich für den Menschen Alban Berg. Schon als Schüler hält er sich für einen Dichter, der aber im Fach Deutsch eine Fünf erhält, weil er keinen Forderungen, die nicht seine eigenen sind, zu genügen vermag. Sein Ich drängt über die Grenzen des Alls hinaus, doch wenn die Welt von diesem Ich nichts wissen will, findet er sie hassenswert und fühlt großes Weh.
Mit sechzehn Jahren schwängert er Marie Scheuchl, ein Küchenmädchen auf dem Berghof; die Tochter Albine kommt am 4. Dezember 1901 zur Welt. Doch statt ein Mann zu sein und sein Leben in die Hand zu nehmen, flennt der Junge über die eigene beschmutzte Seele: "Ich hielt mich für ideal, fand aber wie unideal - wie fleischlich ich bin!" Bis an sein Lebensende verheimlicht er seiner späteren Frau Helene die Existenz des unehelichen Kindes. Im Grunde ist er dankbar, dass seine damals noch vermögende Familie die Unannehmlichkeit für ihn aus der Welt schafft. Wie soll man seinem Schwiegervater Franz Nahowski da nicht recht geben, wenn er Berg einen "Ledfeigen" nennt, einen Feigling, der sich alles gefallen lässt, jemanden, der maßlos in seinen Ansprüchen und zugleich drückebergerisch in seiner Verantwortung ist?
Beobachten kann man bei Berg eine Bereitschaft, sich intellektuellen Führern unterzuordnen: Gustav Mahler, Karl Kraus, Arnold Schönberg. Letzterem gegenüber muss man die Ergebenheit von Berg und seinem Mitschüler Anton von Webern geradezu hündisch nennen, wenn man bei Meier liest, dass beide von ihrem Lehrer immer wieder verbal erniedrigt wurden, sie ihm aber bei seiner Schwadroniererei in der Wohnung ständig den Aschenbecher hinterhertrugen. Meier zeichnet Schönberg als Inbegriff eines autoritären Charakters: Von den Freunden "verlangte er unbedingte Loyalität und Anteilnahme, bloßer Respekt genügte ihm nicht. Er forderte bedingungslose Treue."
Dazu gehörte auch, dass Schönberg es für selbstverständlich nahm, wenn sich seine Schüler finanziell für ihn aufopferten, was Berg, nachdem das Vermögen seiner Mutter geschmolzen war, keineswegs leichtfiel. Zugleich übte sich Schönberg im "Mießmachen" der Arbeiten Bergs, wie der Komponist seiner Frau schreibt. Und komme doch einmal ein Lob vor, so geschehe es "immer mit einer solchen Art von Bevormundung, ja Vergewaltigung, daß es mich mehr ärgert als freut".
Man fragt sich wirklich, warum es Alban Berg nie gelungen ist, sich durch Lachen oder gut gezielten Widerspruch von diesem Diktator zu befreien. Als er 1925 mit seiner Oper "Wozzeck", die ihm Schönberg nie zugetraut hätte, in Berlin nicht nur Anerkennung findet, sondern breitenwirksamen Erfolg, läuft er nachts schuldbewusst durch die Straßen und fragt sich, was er - durch Schönberg auf Weltverachtung getrimmt - denn nun schon wieder falsch gemacht habe. Es ist das Jammerbild einer misshandelten Seele.
Zu Bergs Entlastung kann geltend gemacht werden, dass in seiner Familie Verstellung und Unterordnung von Jugend an verinnerlicht wurden. Die Homosexualität seiner Schwester Smaragda wurde ebenso aufwendig verborgen wie sein eigenes uneheliches Kind. Über Bergs Frau Helene Nahowski kursiert bis heute das Gerücht, sie sei eine uneheliche Tochter des Kaisers Franz Josef I. Meier teilt viele Indizien mit, die dieses Gerücht erhärten. Seine eigenen Liebschaften mit Hanna Fuchs und Anny Aschkenase versucht Berg voll Angst und Schläue vor Helene zu vertuschen. Im Fall von Aschkenase kann Meier in ihrem Buch auch auf bislang unveröffentlichte Korrespondenz zurückgreifen.
Barbara Meier, wie gesagt, wertet nicht. Sie dokumentiert, indem sie - recht neutral, aber durch Quellen akribisch belegt - erzählt. Dann und wann zeigt sie durchaus Empathie mit Berg, seinem Weltschmerz, seinem Verkanntsein. Und tatsächlich ist es eine enorme Lebensleistung, dass Berg, der Geringschätzung seines Lehrers Schönberg und zunehmender eigener Not zum Trotz, sich solch eigensinnig-kreative Werke wie die "Lyrische Suite", das Kammerkonzert, "Wozzeck", das Violinkonzert und die unvollendet gebliebene Oper "Lulu" abringen konnte. Zu allen Werken, auch den frühen Liedern und der Klaviersonate, schreibt Meier angenehm zu lesende, vorbildlich informierte Werkeinführungen.
Andererseits verschweigt Meier auch nicht, dass Berg sich vom Nationalismus und Chauvinismus vor dem Ersten Weltkrieg - bei Schönberg mit besonders viel frankophobem und slawophobem Schaum vorm Mund - hat anstecken lassen. Nach 1933 hegt er plötzlich Sympathien für den Antisemitismus Alma Mahlers und hofft auf eine Berufung durch die Nazis an die Berliner Musikhochschule. Das wäre ein "kolossaler Triumph", dann hätte er "etwas zum Ausspielen gegen die Wiener Regierung". Barbara Meier veranstaltet kein Tribunal und genießt es auch nicht, anderer Leute schmutzige Wäsche zu waschen. Sie lässt Berg seinen Rang als Komponist und nähert sich ihm dennoch ehrlich. Die Anekdoten über Bergs Schüler, den neunmalklugen Theodor Wiesengrund Adorno, vor dessen Dauergerede Berg manchmal floh, sind in diesem Buch das kleine Scherzo.
JAN BRACHMANN
Barbara Meier: "Alban Berg". Biographie.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2018.
346 S., geb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main