Rita fürchtet sich vor Hunden. Ela fürchtet ihre Alpträume. Marisa fürchtet alles Mögliche, aber am meisten ein Leben ohne Liebe. Und Tom fürchtet sich davor, erneut am Pranger zu landen. Vier Menschen, die nicht ganz ins Räderwerk passen, getrieben von Sehnsucht, ertasten sich ihren Weg - bis sie die Bugwelle skrupelloser Akteure erfasst. In Anne Goldmanns neuem Thriller ist die Kälte unserer Welt zu spüren, doch ihre Figuren glühen vor Leben. »Goldmann verdichtet Gedanken und Gefühle zu einem spannenden Plot, einem Gewebe wie Spinnenseide, zart, aber stark.« BücherMagazin
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2021Die Bären sind los
Krimis in Kürze: Martin Cruz Smith, Anne Goldmann, Gert Ueding
Das Tröstliche an Jahrzehnte überspannenden Krimireihen ist, dass ihre Helden fast immer deutlich langsamer zu altern scheinen als ihre Leser und Autoren. Vor vierzig Jahren erschien "Gorki Park" von Martin Cruz Smith, es folgten 1983 die sehr erfolgreiche Verfilmung und dann noch sieben weitere Geschichten von Arkadi Renko, dem Moskauer Ermittler. Vom Kalten Krieg und Sowjetmacht führte ihn der Weg in Putins Demokratur. Renko hat das alles überstanden, ohne zu vergreisen.
Sein amerikanischer Erfinder ist inzwischen fast achtzig Jahre alt, aber er hat noch Biss, wie das neue Buch "Die Spur des Bären" (C. Bertelsmann, 272 S., br., 16,- [Euro]) zeigt. Renko muss tief nach Sibirien reisen, er hat es mit zwei undurchschaubaren Oligarchen zu tun, mit dem einen scheint Renkos Geliebte Tatjana, die Journalistin, sich mehr angefreundet zu haben, als es guttut. Smith setzt auf den starken Kontrast von Blut und Schnee, er führt auch ein paar herrlich schräge Nebenfiguren in die Handlung ein; und ganze Heerscharen jüngerer Autoren können bei ihm lernen, wie wichtig Ellipsen sind für die Erzählökonomie.
Der unverwüstliche Renko erinnert manchmal an Jerome Charyns legendären Cop Isaac Sidel, der auch mit Chuzpe und Glück immer wieder den unwahrscheinlichsten Situationen entkommt - um nach zwölf Romanen sogar im Weißen Haus zu landen. Renko als Putin-Nachfolger, das wäre mal eine Pointe - zudem plausibler als der große Bär im Buch, der von der Schnauze bis zum Schwanz neun Meter messen soll.
Dass der Schrecken nicht nur in den Weiten Sibiriens, sondern auch am Wiener Stadtrand zu Hause ist, das lässt einen Anne Goldmann mit großer Subtilität und feiner Beobachtungsgabe spüren. "Alle kleinen Tiere" (Ariadne im Argument Verlag, 304 S., geb., 18,- [Euro]) erzählt von vier Menschen, die alle ein wenig neben der Spur sind, auch wenn das nicht sofort auffällt. Sie wissen das selbst, und deshalb kämpfen sie mit einer Tapferkeit dagegen an, auch gegen ihre Traumata, für die nirgendwo Medaillen verliehen werden.
Anne Goldmann zeigt das Geschehen aus diesen vier Perspektiven, daraus ergeben sich aufschlussreiche Überschneidungen und Wahrnehmungsverschiebungen. Und wie ihre Figuren miteinander in Kontakt kommen, das ist so smart und beiläufig arrangiert, dass es zwingend wirkt: Tom, der mal wegen angeblichen Missbrauchs im Gefängnis war und das Haus der Großmutter bewohnt, Marisa, die für eine zwielichtige Immobilienfirma arbeitet, die ein Großprojekt plant, Ela, die in der Siedlung auch ein Haus geerbt hat, das man ihr neidet, und Rita, die Ela im Krankenhaus kennengelernt hat.
Die Siedlung kommt einer suburbanen Vorhölle sehr nah, aber Goldmann vermeidet es, überall und sofort den bösen, gemeingefährlichen österreichischen Spießer zu entlarven wie in den filmischen Bestiarien von Ulrich Seidl. Ihr Blick kann ungnädig sein, aber sie hat ein großes Herz für ihre vier Protagonisten und ein waches Auge für deren Schwächen. Auch deshalb ist "Alle kleinen Tiere" ein ungewöhnlicher, sehr filigraner Kriminalroman.
Als ehemaliger F.A.Z.-Autor und ehemaliger Inhaber des Tübinger Lehrstuhls für Allgemeine Rhetorik ist Gert Ueding bekannt. Nun, im Alter von achtundsiebzig Jahren, will er es auch als Krimiautor werden. "Herbarium, giftgrün" (Kröner, 336 S., geb., 24,- [Euro]) hat viel Tübinger Lokalkolorit. Ein Maler, der auch Philosophie studiert hat, entdeckt seine detektivische Ader, als der geheimnisvolle Zettel einer Studentin auftaucht, die man tot im Seminarraum fand. Es geht hinein in die akademische Welt, aber auch in Studenten-WGs und in ein Edelbordell in Konstanz, die Anspielungen sind bildungsgesättigt, es fliegen sogar Kugeln, und Ueding weiß natürlich, wie ein funktionstüchtiger Roman gebaut ist.
Nur leider wirkt der Maler mit Mitte dreißig schon sehr onkelhaft und keinem langatmigen Räsonnement abgeneigt, was die schöne Studentin von Mitte zwanzig nicht stört, da sie ähnlich ältlich und behäbig klingt wie auch sonst fast alle Figurenreden.
Ueding ist geschickt genug, auf verschiedene Charaktere zu verteilen, was er kulturkritisch über #MeToo, Drittmitteleinwerbung, Exzellenzinitiativen oder den allgemeinen Sittenverfall unter Geisteswissenschaftlern mitzuteilen hat. Nur Spannung ist nicht sein Metier, was auch daran liegt, dass der auktoriale Erzähler zu oft durchblicken lässt, was er alles schon weiß.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Martin Cruz Smith, Anne Goldmann, Gert Ueding
Das Tröstliche an Jahrzehnte überspannenden Krimireihen ist, dass ihre Helden fast immer deutlich langsamer zu altern scheinen als ihre Leser und Autoren. Vor vierzig Jahren erschien "Gorki Park" von Martin Cruz Smith, es folgten 1983 die sehr erfolgreiche Verfilmung und dann noch sieben weitere Geschichten von Arkadi Renko, dem Moskauer Ermittler. Vom Kalten Krieg und Sowjetmacht führte ihn der Weg in Putins Demokratur. Renko hat das alles überstanden, ohne zu vergreisen.
Sein amerikanischer Erfinder ist inzwischen fast achtzig Jahre alt, aber er hat noch Biss, wie das neue Buch "Die Spur des Bären" (C. Bertelsmann, 272 S., br., 16,- [Euro]) zeigt. Renko muss tief nach Sibirien reisen, er hat es mit zwei undurchschaubaren Oligarchen zu tun, mit dem einen scheint Renkos Geliebte Tatjana, die Journalistin, sich mehr angefreundet zu haben, als es guttut. Smith setzt auf den starken Kontrast von Blut und Schnee, er führt auch ein paar herrlich schräge Nebenfiguren in die Handlung ein; und ganze Heerscharen jüngerer Autoren können bei ihm lernen, wie wichtig Ellipsen sind für die Erzählökonomie.
Der unverwüstliche Renko erinnert manchmal an Jerome Charyns legendären Cop Isaac Sidel, der auch mit Chuzpe und Glück immer wieder den unwahrscheinlichsten Situationen entkommt - um nach zwölf Romanen sogar im Weißen Haus zu landen. Renko als Putin-Nachfolger, das wäre mal eine Pointe - zudem plausibler als der große Bär im Buch, der von der Schnauze bis zum Schwanz neun Meter messen soll.
Dass der Schrecken nicht nur in den Weiten Sibiriens, sondern auch am Wiener Stadtrand zu Hause ist, das lässt einen Anne Goldmann mit großer Subtilität und feiner Beobachtungsgabe spüren. "Alle kleinen Tiere" (Ariadne im Argument Verlag, 304 S., geb., 18,- [Euro]) erzählt von vier Menschen, die alle ein wenig neben der Spur sind, auch wenn das nicht sofort auffällt. Sie wissen das selbst, und deshalb kämpfen sie mit einer Tapferkeit dagegen an, auch gegen ihre Traumata, für die nirgendwo Medaillen verliehen werden.
Anne Goldmann zeigt das Geschehen aus diesen vier Perspektiven, daraus ergeben sich aufschlussreiche Überschneidungen und Wahrnehmungsverschiebungen. Und wie ihre Figuren miteinander in Kontakt kommen, das ist so smart und beiläufig arrangiert, dass es zwingend wirkt: Tom, der mal wegen angeblichen Missbrauchs im Gefängnis war und das Haus der Großmutter bewohnt, Marisa, die für eine zwielichtige Immobilienfirma arbeitet, die ein Großprojekt plant, Ela, die in der Siedlung auch ein Haus geerbt hat, das man ihr neidet, und Rita, die Ela im Krankenhaus kennengelernt hat.
Die Siedlung kommt einer suburbanen Vorhölle sehr nah, aber Goldmann vermeidet es, überall und sofort den bösen, gemeingefährlichen österreichischen Spießer zu entlarven wie in den filmischen Bestiarien von Ulrich Seidl. Ihr Blick kann ungnädig sein, aber sie hat ein großes Herz für ihre vier Protagonisten und ein waches Auge für deren Schwächen. Auch deshalb ist "Alle kleinen Tiere" ein ungewöhnlicher, sehr filigraner Kriminalroman.
Als ehemaliger F.A.Z.-Autor und ehemaliger Inhaber des Tübinger Lehrstuhls für Allgemeine Rhetorik ist Gert Ueding bekannt. Nun, im Alter von achtundsiebzig Jahren, will er es auch als Krimiautor werden. "Herbarium, giftgrün" (Kröner, 336 S., geb., 24,- [Euro]) hat viel Tübinger Lokalkolorit. Ein Maler, der auch Philosophie studiert hat, entdeckt seine detektivische Ader, als der geheimnisvolle Zettel einer Studentin auftaucht, die man tot im Seminarraum fand. Es geht hinein in die akademische Welt, aber auch in Studenten-WGs und in ein Edelbordell in Konstanz, die Anspielungen sind bildungsgesättigt, es fliegen sogar Kugeln, und Ueding weiß natürlich, wie ein funktionstüchtiger Roman gebaut ist.
Nur leider wirkt der Maler mit Mitte dreißig schon sehr onkelhaft und keinem langatmigen Räsonnement abgeneigt, was die schöne Studentin von Mitte zwanzig nicht stört, da sie ähnlich ältlich und behäbig klingt wie auch sonst fast alle Figurenreden.
Ueding ist geschickt genug, auf verschiedene Charaktere zu verteilen, was er kulturkritisch über #MeToo, Drittmitteleinwerbung, Exzellenzinitiativen oder den allgemeinen Sittenverfall unter Geisteswissenschaftlern mitzuteilen hat. Nur Spannung ist nicht sein Metier, was auch daran liegt, dass der auktoriale Erzähler zu oft durchblicken lässt, was er alles schon weiß.
PETER KÖRTE
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