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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ab Größe 44 wird zurückgeschossen: Hannelore Schlaffer ist wegen eines zu kurzen Rockes einst von der Schule geflogen, heute nimmt sie Anstoß an zu engen Jeans.
Hannelore Schlaffer, die nicht vergisst, wer mal gesehen hat, wie sie in ihren schwarzen Mantel gehüllt mit schwarzen, langen Haaren und schwarz umrandeten Augen durch ihr heimatliches Stuttgart mehr fegt als schreitet, Hannelore Schlaffer hat also ein kleines Buch über Mode geschrieben. Nicht zum ersten Mal: Schon 2005 und 2007 hat die ehemalige Professorin für Neue Deutsche Literatur an den Universitäten in Freiburg und München diesem sie offensichtlich schon lange beschäftigenden Thema schmale Schriften gewidmet. Und wie man nun liest, hat sich ihre Einstellung seither nicht wesentlich verändert.
Denn das nun erschienene "Alle meine Kleider - Arbeit am Auftritt" ist der neuerliche Abgesang auf ein Modeverständnis, das der 1939 geborenen Schlaffer wichtig war, aber heutzutage kaum mehr zu existieren scheint. Denn das Einkleiden ist für Schlaffer keine reine Privatangelegenheit, was für jemanden, der in den sechziger Jahren studiert hat, eine nachvollziehbare Einstellung ist. Mode, und zwar die getragene, nicht die auf den Laufstegen zu sehende, war und ist für Schlaffer nicht ohne politische Botschaft zu denken - "weil der neueste ,Look' sich immer sogleich mit dem verband, was der Geist an revolutionären Neuigkeiten vertrat".
Kleider bedeuten in diesem Sinn vor allem Abgrenzung vom Establishment, Aufmerksamkeit, Überraschung und Provokation. Entsprechend ist Schlaffer, wie sie in dem neuen Essay schreibt, im Laufe ihrer frühen Jahre als Lehrerin in Süddeutschland dreimal von der Schule geflogen: einmal, weil sie linke Theorien verbreitete, ein zweites Mal, weil sie beim Morgengebet die Hände nicht faltete - und schließlich auch wegen eines sehr kurzen Rocks.
Diese Brisanz, den Gedanken hinter der Garderobe vermisst die Publizistin. Und es ist durchaus so, dass sie sich dabei nicht nur an diese Epoche wehmütig erinnert, sondern auch an die eigene Jugend. Gleich mehrere Kapitel widmet Schlaffer einzelnen Kleidungsstücken - Hüten, Falten-, Rad- und Tulpenröcken beispielsweise -, die sie noch geprägt haben, die aber mittlerweile aus dem Straßenbild verschwunden sind. Sie klagt zum Ende auch völlig zu Recht den Jugendwahn der Modeindustrie an und bedauert, dass vor allem ältere Frauen es immer schwerer hätten, sich einzukleiden - weil der Welt beispielsweise das Bewusstsein für fülligere Formen, für Eleganz und edle Stoffe verlorengegangen sei.
Der Reiz ihres Essays, seine Polemik, die sich aus der zuweilen selbstironischen Klage über persönliche Liebhabereien speist, begründet indes zugleich seine Schwächen. Denn Schlaffer betrachtet die Mode, deren einzige Konstante seit jeher die Wandelbarkeit ist, von dem festen Standpunkt der Altachtundsechzigerin aus: Sie beweint Dinge, die später Geborene gar nicht mehr kennen (etwa den Gang zur "Laufmaschenreparatur"), und sie stößt sich an anderen, die in den Augen jüngerer Leser eigentlich nur Vorteile bieten.
Ein gutes Beispiel sind die Jeans: Was muss sich diese praktische Hose nicht alles anhören! Die Jeans seien "so reizvoll wie Sichtbeton", ein "Instrument der masochistischen Selbstdarstellung", das (nach dem Korsett) eine "neue Epoche der Einschnürung" eingeläutet habe: Hatte Hannelore Schlaffer früher noch viel Sympathie gerade für das Tragen von aufreizender Kleidung gezeigt, ja, mehr noch, hatte sie die kurzen Röcke und die Maßregelungen durch die jeweiligen Schuldirektionen in den Sechzigern noch als eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins erfahren, beklagt sie nun, dass sich der weibliche Unterleib in hautengen Jeans "provozierender denn je" darstelle. "Etwas Hermaphroditisches zog in die Mode ein - sollte das die Päderastie nicht gar befördert haben? Kleine und große Mädchen laufen seither als Knaben herum."
Abgesehen davon, dass eine solch kühne These sicher bedeutet, der Mode Mächte anzudichten, die sie nicht hat, die Kleider zu über-, ihre Träger und Betrachter aber zu unterschätzen, steht Schlaffer hier auch im Widerspruch zu ihren eigenen Vorbildern. Zu denen gehört neben Kaiserin Elisabeth (weil sie zwar Kaiserin war, "aber auf der Flucht") nämlich auch Schiller. Warum? Weil Schillers Frauenfiguren, so schreibt Schlaffer, wie Männer seien (allen voran Jeanne d'Arc), weil es in seinen Dramen keinen "Unterschied des Geschlechts" gebe und er so "gerade in der Vernichtung des Körpers" zum Vorbild für Schlaffers eigene Körpergestaltung wurde. Und ausgerechnet diese (angebliche) Vernichtung wirft sie den Frauen nun vor? Sie unterstellt den Jeans mit der Förderung der Päderastie außerdem sittliche Folgen, die der Ablehnung ihrer früheren Vorgesetzten gegenüber kurzen Röcken strukturell ähnlich sind - das Problem liegt also weder in Jeans noch in Röcken, sondern im Auge des Betrachters.
Und hier fällt auf, dass Hannelore Schlaffer im Laufe ihres Essays eben einen Rollenwechsel vollzieht: von einer Frau, die einst gerne Anstoß erregte, zu einer, die Anstoß nimmt. Sie scheint das selbst zu spüren. Am Ende beschreibt sie das Befremden, das sie in einem dieser Billigmodeläden überfällt, als gemeine Hilflosigkeit einer älteren Frau angesichts einer Mode, die ihre nicht mehr ist. Schlaffers Buch ist deswegen nicht nur eines über Kleider, sondern auch über die Zeit und das Alter. Und als solches ist es gerade in seiner Empörung und seiner Widersprüchlichkeit angenehm ehrlich, traurig und gut.
LENA BOPP
Hannelore Schlaffer:
"Alle meine Kleider". Arbeit am Auftritt.
Verlag zu Klampen,
Springe 2015. 166 S., geb., 18,- [Euro].
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