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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Michel Pastoureau über seine Passion für Farben
Dass der französische Mediävist Michel Pastoureau einen kleinen Spleen hat, zeigte sich nach seinem Bekunden schon früh. Als er dreizehn Jahre alt war, schleppte seine Mutter ihn in ein Bekleidungsgeschäft, um für ein bevorstehendes Fest ein Jackett zu kaufen. Zur Wahl standen ein Einreiher und ein Zweireiher in Marineblau, wobei der Junge vom Verkäufer für das zweireihige Modell als zu korpulent befunden wurde. Dabei hätte Pastoureau den Zweireiher viel lieber gehabt, war er doch kräftiger gefärbt. Der Unterschied lag nur in einer Nuance, aber sein Gefühl bedeutete ihm, "dass ein nicht absolut sattes Marineblau kein richtiges Marineblau" sein könne. Mitschüler trugen bereits Jacketts, und er wusste genau, dass deren Blau ein anderes war als "dunkler, dichter, nicht so nah am Violett", an seiner Hassfarbe. Doch es war nichts zu machen, er konnte sich nicht durchsetzen. Auf der Feier bemerkte dann niemand, dass sein Marineblau nicht ganz marineblau war.
Die Anekdote kann man nachlesen in seinem Buch, das schon 2010 in Frankreich erschien und nun in deutscher Übersetzung vorliegt. War seine frühe Farbsensibilität Fluch oder Segen, fragt der Autor sich darin. Wahrscheinlich beides, lautet die Antwort Pastoureaus, der heute als großer Historiker der Farben gilt. Zwar stieß er besonders zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn damit oft auf Unverständnis, aber er verdankt seinem Spleen auch den Blick auf ein Forschungsfeld, dem er sich, neben Tieren, Symbolen, Siegeln und Wappen, seit bald einem halben Jahrhundert widmet. Pastoureaus Überzeugung: Nicht nur Pigmente, Licht, Augen und das Gehirn lassen Grün, Blau oder Rot entstehen. Es ist auch und besonders eine Gesellschaft, die Farbtönen im Laufe der Zeit variierende Bedeutungen zuweist. Das Buch verbindet vor diesem Hintergrund autobiographische Skizzen mit Erkenntnissen aus der Welt der Farben.
Ein Forscher ohne echte Spürnase sei kein guter Forscher, erklärte Michel Pastoureau kürzlich in einem Interview. Sein eigener Spürsinn bringt ihn zu teils verblüffenden Antworten auf Fragen, die manch anderer wohl nie gestellt hätte. Waren Schweine schon immer schweinchenrosa? Wieso heißt Weißwein Weißwein, obwohl er doch gelblich ist? Wieso gibt man grünes Licht? Warum spielt uns unser Farbgedächtnis Streiche? Weshalb ist Rotkäppchens Kleid rot? Und warum hatten Franz Schubert, Königin Victoria und viele andere eine Grünphobie?
Pastoureaus Überlegungen zur letzten Frage zeigen, wie verschlungen die Geschichte der Farben ist. Bis heute existiere die Vorstellung, so Pastoureau, auf der Farbe Grün läge ein Fluch; sie rufe mehr Aberglauben hervor als Schwarz. Pastoureaus These zu den Ursprüngen solcher Vorstellungen: Sie rühren wahrscheinlich aus Problemen beim Färben. So wurde im siebzehnten Jahrhundert für leuchtend grüne Kostüme mancherorts Grünspan verwendet, ein giftiges Pigment. Es "starben mehrere Schauspieler an Vergiftungen, die, was niemand verstand, auf das Pigment zurückzuführen waren". Man fing an, die unheilbringende Farbe aus Theatern zu verbannen. Dass Grün sich auch im neunzehnten Jahrhundert nicht von seinem schlechten Ruf erholte, habe an anderen, ebenfalls giftigen Pigmenten gelegen, mit denen Kleidung oder Möbel gefärbt wurden.
Zugleich aber ist Grün nicht bloß negativ besetzt, die Farbe stand und steht auch für Schicksalhaftes und wandelte sich mit der Zeit zum Zeichen für die Welt des Spiels und der (Glücks-)Spieler. Bis heute sind etwa sowohl Roulette-, Bridge- oder Billardtische grün. Genau auszumachen seien die Ursachen dieser Farbsymbolik nicht, meint Pastoureau, eine mögliche Erklärung aber ist, dass Grün in Europa lange die chemisch unbeständigste Farbe war. "In der Färberei wie in der Malerei war es jahrhundertelang eine große Herausforderung, sie zu fixieren." Der fragile Ton wurde so mit allem Vergänglichen in Zusammenhang gebracht, dem Schicksal, Glück und Unglück, dem Zufall oder der Hoffnung.
Bei der nächsten Auswahl unter Farben kann man daran denken, dank dieses charmanten, humorvollen und lehrreichen Büchleins. KATHARINA RUDOLPH
Michel Pastoureau: "Alle unsere Farben". Eine schillernde Kulturgeschichte.
Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 240 S., br., 24,- Euro.
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