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Yishai Sarid erzählt in seinem Roman "Alles andere als ein Kinderspiel", wie sich eine Erzieherin in Tel Aviv gegen Hass und Gewinnsucht stellt.
Von Nils Minkmar
Jeder Erwachsene hat eine Meinung zu Israel. Es scheint, als würde bei allen der Blutdruck steigen, wenn man nur den Namen dieses Landes sagt. So mächtig ist dieser Effekt, dass er beinahe alles sonstige Wissen über Leben und Leute in der israelischen Gegenwart in den Hintergrund drängt. Als müsste sich das Nahostproblem erst lösen lassen, bevor es gestattet ist, sich dem Alltag und den Geschichten dort zuzuwenden.
Genau dieses Missverständnis adressiert "Alles andere als ein Kinderspiel", der neue Roman des israelischen Schriftstellers Yishai Sarid. Die Protagonistin Naomi muss einmal ein kompliziertes Telefonat mit ihrer seit vielen Jahren in den Vereinigten Staaten lebenden Schwester führen. Die will zu Beginn etwas über die Lage im Lande wissen. Da fühlt sich Naomi wie eine Pressesprecherin des ganzen Staates und klaubt mehr schlecht als recht die Zeitungsschlagzeilen der vergangenen Wochen zusammen, die sie im Vorbeigehen am Kiosk gelesen hat. Die große Politik ist das unvermeidliche Portal, das in jedem Gespräch über Israel zu passieren ist, bevor man zu kleineren, schmerzhafteren Fragen kommt wie der, ob die Schwester mal eben zweitausend Dollar überweisen könne.
Dieser Roman ist ein ziemliches Wagnis: Sarid schildert die Komplexität der israelischen Gegenwart am Beispiel der Geschehnisse eines freien, von Eltern getragenen reformpädagogischen Kindergartens in Tel Aviv. Das Grundstück selbst ist einer der Protagonisten der Handlung. Wie in allen angesagten Städten ist auch in der israelischen Küstenstadt der Wert der Grundstücke immens gestiegen. Das Geld der Welt, von dem es seit der letzten Krise immer mehr gibt, sucht sich verzweifelt Anlagemöglichkeiten, und da liegt es nahe, aus der Kita und ihrem Hof etwas Besseres, Teureres, Lukrativeres zu machen.
Sarid gelingt es auf beklemmende Art und Weise zu beschreiben, wie sich das Geld der Investoren, eine lahme und dysfunktionale Justiz sowie die Brutalität der immer dreister operierenden Kriminellen zu den drei Zeichen einer schlechten neuen Zeit arrangieren, in der seine Heldin Naomi hart um ihren Platz kämpfen muss. Von den Idealen einer geschwisterlichen Gesellschaft mit nahezu sozialistischer Ordnung, in der Liebe und Jugend den Ton angeben, ist im heutigen Tel Aviv kaum mehr etwas geblieben.
Naomi ist eine interessante, ungewöhnliche Figur: Die Pädagogin hat einen erwachsenen Sohn und setzt ihre beträchtliche Anziehungskraft auf Männer gezielt ein, um dem Erhalt des Kindergartens zu sichern, insbesondere bei einem reichen greisen Amerikaner, dessen ganze Familie der Schoa zum Opfer fiel und dem das Grundstück gehört, auf dem der Kindergarten steht. Er nimmt nur symbolische Miete, denn er erfreut sich, wenn er einmal im Jahr nach Tel Aviv kommt, an den munteren jüdischen Kindern und am Anblick von Naomi, die dann immer mit ihm essen gehen muss. Doch die ganze Wahrheit sagt er ihr nicht.
Naomi hat große Ähnlichkeit mit einer Figur in Sarids vorigem Buch, dem Kriminalroman "Limassol" (2010). Da gab es eine ehedem angesagte Schriftstellerin, die nun Schreiben lehrt, deren Ideale sich genauso wie Männer und Karriere verflüchtigt haben und die ebenfalls als Frau von großer Schönheit beschrieben wird. Doch Schönheit - der Körper oder der Gedanken - vermag in der gegenwärtigen Gesellschaft immer weniger.
Das Problem sind die Männer. Schwere Fälle sind in beiden Büchern die gerade erwachsenen Söhne. Sie werden als abweisend, verloren und nahezu zynisch beschrieben, als Männer, deren habitueller Autismus jederzeit in Aggression umschlagen kann. Von der kämpfenden Schönheit führt der Faden der Erzählung über die verlorenen Söhne zu den Vätern. Eigentlich gehören zu der Geschichte, zumal einer, die in einem Kindergarten spielt, auch die Männer, als Stützen von Staat, Wirtschaft, Militär und Familie. Doch das Bild, das sie hier abgeben, ist bestürzend. Naomis Exmann, der Vater ihres Sohnes, hat in einem schicksalhaften, nur Sekunden währenden Moment versagt. Es ging um Leben und Tod, und es ist ein Geheimnis, von dem nur seine Frau als einzige Zeugin des dramatischen Geschehens weiß. Und darüber zerbricht ihre Beziehung.
Die moralischen und menschlichen Implikationen der so prekären israelischen Sicherheitslage sind ein Grundthema der Bücher Yishai Sarids, und sie vermitteln das Teuflische der Lage besser als jeder Kommentar. Kann eine Zivilgesellschaft noch aufblühen, wenn sie dem Terror trotzen und - um das effektiv zu tun - auch so denken und funktionieren muss wie ihre Gegner? In "Limassol" konnte der Leser verfolgen, wie die Dialektik von Terror und geheimdienstlichen Operationen die israelischen Protagonisten fertigmacht; die Palästinenser sind es längst.
Dass dies so eingängig gelingt, liegt an der großen literarischen Qualität der Bücher: Sarid ist bei Personenbeschreibung und seiner Fähigkeit, einschlägige Szenen zu schildern, ein Meister der Intimität. Dem Leser liegt etwas an diesen Figuren und ihren Schicksalen. "Alles andere als ein Kinderspiel" ist aufrichtige, mutige und gekonnte Literatur, kongenial von Helene Seidler aus dem Hebräischen in ein präzises, zeitgemäßes und doch angenehm zurückhaltendes Deutsch übersetzt. Es findet sich hier kein Klischee, kein billiger Effekt und kein schiefes Bild, es ist eine ganz originäre Kunst, von der wir lernen, ohne es zu merken.
Wie mit der Meeresbrise kommt manchmal die Hoffnung in die Straßen und Höfe der Küstenstadt Tel Aviv. Einen guten Grund dafür gibt es selbstverständlich nicht, Sarid ist kein Autor mit Botschaft, er empfiehlt keine Haltungen und schreibt keine Gefühle vor. Aber plötzlich erlauben sich Figuren den Luxus, davon zu träumen, dass auch in dieser Region die Mauern fallen und die Waffen im Meer versinken. Und warum auch nicht?
Yishai Sarid: "Alles andere als ein Kinderspiel". Roman.
Aus dem Hebräischen von Helene Seidler. Verlag Kein & Aber, Zürich 2014. 335 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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