In ihrem neuen Roman erzählt Elizabeth Strout unvergessliche Geschichten über die Menschen einer Kleinstadt, die sich nach Liebe und Glück sehnen, aber oft Kummer und Schmerz erleben.
Da sind zwei Schwestern: Die eine gibt für die Ehe mit einem reichen Mann ihre Selbstachtung auf, während die andere sich von einem Buch dazu inspirieren lässt, ihr Leben zu ändern. Der Hausmeister der Schule will einem Außenseiter helfen und stürzt dabei in eine Glaubenskrise; eine erwachsene Frau sehnt sich immer noch wie ein Kind nach der Liebe ihrer Mutter. Und eine in New York erfolgreiche Schriftstellerin kehrt nach siebzehn Jahren zum ersten Mal in ihre Heimat zurück, um ihre Geschwister zu besuchen.
Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, von Hass und Neid, Einsamkeit und Wut bis zu innigster Menschenliebe entfaltet sich in diesen Familiengeschichten. Es sind Geschichten über die Natur des Menschen in all seiner Verletzlichkeit und Stärke, über die unendliche Vielfältigkeit des Lebens.
Da sind zwei Schwestern: Die eine gibt für die Ehe mit einem reichen Mann ihre Selbstachtung auf, während die andere sich von einem Buch dazu inspirieren lässt, ihr Leben zu ändern. Der Hausmeister der Schule will einem Außenseiter helfen und stürzt dabei in eine Glaubenskrise; eine erwachsene Frau sehnt sich immer noch wie ein Kind nach der Liebe ihrer Mutter. Und eine in New York erfolgreiche Schriftstellerin kehrt nach siebzehn Jahren zum ersten Mal in ihre Heimat zurück, um ihre Geschwister zu besuchen.
Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, von Hass und Neid, Einsamkeit und Wut bis zu innigster Menschenliebe entfaltet sich in diesen Familiengeschichten. Es sind Geschichten über die Natur des Menschen in all seiner Verletzlichkeit und Stärke, über die unendliche Vielfältigkeit des Lebens.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2018Irgendwo in Illinois
Jeder stirbt für sich allein: In "Alles ist möglich" verknüpft Elizabeth Strout Geschichten aus dem ländlichen Amerika meisterlich zum Roman
Elizabeth Strout kennt die Welt der amerikanischen Provinz nicht nur aus eigener Anschauung. Die Schriftstellerin, 1956 im Ostküsten-Städtchen Portland geboren, kann über die entlegenen Landstriche und ihre Bewohner auch in unvergleichlicher Weise schreiben. Ihre Meisterschaft als Beobachterin, die sich auf Augenhöhe ihres Personals begibt, um es von allen Seiten zu betrachten, hat sie spätestens mit dem Roman "Olive Kitteridge" (2007) gezeigt, tatsächlich eine Sammlung von Erzählungen, die sich über mehr als zwanzig Jahre erstreckt und bei uns unter dem kitschverdächtigen Titel "Mit Blick aufs Meer" erschienen ist.
Überhaupt erweisen sich die deutschen Titel bei Strout nicht eben als glücklich. So wurde aus "The Burgess Boys" ein schwammiges "Das Leben, natürlich", "My Name Is Lucy Barton" geriet zu "Die Unvollkommenheit der Liebe". Wie gut, dass bei "Anything is possible" nicht viel zu ändern war. "Alles ist möglich" ist aufs Neue ein als Roman ausgewiesener Erzählreigen, dessen einzelne Geschichten sich ineinander verkordeln und die auf kollektiver Erinnerung fußen, aber jede Geschichte steht zugleich für sich, denn was sie verbindet, trennt sie auch: Jede blickt aus einer anderen Perspektive auf die Kleinstadt und ihre Bewohner, die seit Jahrzehnten miteinander oder nebeneinanderher leben. Der mikroskopische Blick auf das überschaubare Tableau macht den Reiz der nuancierten Erzählungen aus, die den Ort Amgash in Illinios kaum je verlassen, dafür umso tiefer ins Innere der Menschen vordringen. So durchschnittlich sich deren Biographien auf den ersten Blick ausnehmen, so verstrickt sind sie bei näherer Betrachtung. Oftmals steht es nicht zum Guten. Da gibt es einen Mann, der alles unternommen hat, um die eigene Homosexualität zu verbergen, oder den Kriegsveteranen, der sich in eine Prostituierte verliebt und darüber sehenden Auges seine Ehe verspielt. Da gibt es eine Frau, die den Tod ihres Ehemannes abwartet, ehe sie sich nach Italien absetzt, um mit einem Jüngeren zu leben. Als ihre darüber verbitterte Tochter sie nach Jahren dort aufsucht, zeigt Strout die prekäre Muter-Tochter-Beziehung in all ihrer Ambivalenz. Wer hier mehr gezeichnet ist von Besitzanspruch und Verlassenheitsängsten, wäre erst noch auszumachen.
Vor allem die weiblichen Figuren zeichnet Elizabeth Strout mit großer Genauigkeit. Sie hadern mit ihrem Schicksal, weil sie den falschen Mann geheiratet, den falschen Beruf ergriffen haben. Manche verstecken sich hinter ihrer gesellschaftlichen Rolle, auch wenn sie darüber fast zugrunde gehen. Eine der wenigen, die es aus dem Nest im Mittleren Westen herausgeschafft haben und damit aus den verheerenden Zusammenhängen einer bitterarmen, dysfunktionalen Familie, ist die in New York lebende Erfolgsschriftstellerin Lucy Barton. Strout-Lesern schon aus ihrem letzten Buch bekannt, kehrt sie nach siebzehn Jahren das erste Mal nach Amgash zurück. Wie die scheinbar gefestigte Autorin sich zunächst dem Glück überlässt, die Geschwister wiederzusehen, die Begegnung aber zugleich die Erinnerung an frühe Demütigungen aufsteigen lässt und zum Zusammenbruch führt, gehört zu den Höhepunkten in diesem Band.
Elizabeth Strout setzt den Einzelnen seinem sozialen Kontext aus, weshalb die Figuren oft bei der Arbeit, beim Einkaufen oder im Gespräch mit Nachbarn anzutreffen sind. Sie sind Farmer oder Sozialarbeiter, Lehrer, Inhaber eines Bed-and-Breakfast oder Mäzene eines Kunstfestivals. Und alle in Amgash scheinen davon überzeugt zu sein, dass sie ihrer Biographie, wenn sie nur wollen, jederzeit einen anderen Dreh geben könnten. Um dann recht bald und eher schmerzhaft festzustellen, dass ihr Plan zum Scheitern verurteilt oder der Preis sehr hoch ist. Dass Eigenständigkeit im Gefüge der vielfältigen Beziehungen des Einzelnen in Wahrheit eine Illusion ist, auch davon handeln diese Erzählungen. Aber der Schmerz darüber wird nicht ausdiskutiert, sondern vielmehr weggeschlossen wie ein Einmachglas im Kellerschrank.
Allenfalls Verbitterung macht sich breit, selten Wut. Und dass Elizabeth Strout ihre Prosa in den Dienst des Erzählten stellt, darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, wie kunstvoll das gearbeitet ist. Die Form der ineinandergreifenden Erzählungen entspricht dabei dem Blick auf eine Welt ohne Zusammenhang. Alles hat mit allem zu tun, und doch steht zuletzt jeder für sich, stirbt jeder für sich allein. Auch in der Erzählung kann es daher nur Bruchstücke einer imaginierten Vollständigkeit geben.
Strouts Prosa wurde mit Autoren wie Thornton Wilder und William Faulkner verglichen. In ihrer Konzentration auf den Ort Amgash erinnert sie an Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio", in ihrer emotionalen Schärfe aber auch an die 1964 verstorbene Flannery O'Connor, deren Erzählband "Keiner Menschenseele kann man noch trauen" unlängst auf Deutsch erschienen ist. Wie sie hat auch Strout ein Auge für tragikomische Dialoge und kann aus Details eine ganze Weltanschauung entwickeln. Da gibt es den alten Mann, der sich als Hausmeister verdingt, seit vor Jahren seine Farm abgebrannt ist. Damals sah er es als göttliche Fügung an und fand Trost in dem Gedanken, dass es schlimmer hätte kommen können. Mehr erwartet er vom Leben nicht. Als er nun erfährt, dass damals wohl ein Brandstifter am Werk war, den er sogar kannte, kann ihn das nicht mehr erschüttern. Auch das ist bei Elizabeth Strout möglich.
SANDRA KEGEL
Elizabeth Strout:
"Alles ist möglich". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2018.
Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. 256 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeder stirbt für sich allein: In "Alles ist möglich" verknüpft Elizabeth Strout Geschichten aus dem ländlichen Amerika meisterlich zum Roman
Elizabeth Strout kennt die Welt der amerikanischen Provinz nicht nur aus eigener Anschauung. Die Schriftstellerin, 1956 im Ostküsten-Städtchen Portland geboren, kann über die entlegenen Landstriche und ihre Bewohner auch in unvergleichlicher Weise schreiben. Ihre Meisterschaft als Beobachterin, die sich auf Augenhöhe ihres Personals begibt, um es von allen Seiten zu betrachten, hat sie spätestens mit dem Roman "Olive Kitteridge" (2007) gezeigt, tatsächlich eine Sammlung von Erzählungen, die sich über mehr als zwanzig Jahre erstreckt und bei uns unter dem kitschverdächtigen Titel "Mit Blick aufs Meer" erschienen ist.
Überhaupt erweisen sich die deutschen Titel bei Strout nicht eben als glücklich. So wurde aus "The Burgess Boys" ein schwammiges "Das Leben, natürlich", "My Name Is Lucy Barton" geriet zu "Die Unvollkommenheit der Liebe". Wie gut, dass bei "Anything is possible" nicht viel zu ändern war. "Alles ist möglich" ist aufs Neue ein als Roman ausgewiesener Erzählreigen, dessen einzelne Geschichten sich ineinander verkordeln und die auf kollektiver Erinnerung fußen, aber jede Geschichte steht zugleich für sich, denn was sie verbindet, trennt sie auch: Jede blickt aus einer anderen Perspektive auf die Kleinstadt und ihre Bewohner, die seit Jahrzehnten miteinander oder nebeneinanderher leben. Der mikroskopische Blick auf das überschaubare Tableau macht den Reiz der nuancierten Erzählungen aus, die den Ort Amgash in Illinios kaum je verlassen, dafür umso tiefer ins Innere der Menschen vordringen. So durchschnittlich sich deren Biographien auf den ersten Blick ausnehmen, so verstrickt sind sie bei näherer Betrachtung. Oftmals steht es nicht zum Guten. Da gibt es einen Mann, der alles unternommen hat, um die eigene Homosexualität zu verbergen, oder den Kriegsveteranen, der sich in eine Prostituierte verliebt und darüber sehenden Auges seine Ehe verspielt. Da gibt es eine Frau, die den Tod ihres Ehemannes abwartet, ehe sie sich nach Italien absetzt, um mit einem Jüngeren zu leben. Als ihre darüber verbitterte Tochter sie nach Jahren dort aufsucht, zeigt Strout die prekäre Muter-Tochter-Beziehung in all ihrer Ambivalenz. Wer hier mehr gezeichnet ist von Besitzanspruch und Verlassenheitsängsten, wäre erst noch auszumachen.
Vor allem die weiblichen Figuren zeichnet Elizabeth Strout mit großer Genauigkeit. Sie hadern mit ihrem Schicksal, weil sie den falschen Mann geheiratet, den falschen Beruf ergriffen haben. Manche verstecken sich hinter ihrer gesellschaftlichen Rolle, auch wenn sie darüber fast zugrunde gehen. Eine der wenigen, die es aus dem Nest im Mittleren Westen herausgeschafft haben und damit aus den verheerenden Zusammenhängen einer bitterarmen, dysfunktionalen Familie, ist die in New York lebende Erfolgsschriftstellerin Lucy Barton. Strout-Lesern schon aus ihrem letzten Buch bekannt, kehrt sie nach siebzehn Jahren das erste Mal nach Amgash zurück. Wie die scheinbar gefestigte Autorin sich zunächst dem Glück überlässt, die Geschwister wiederzusehen, die Begegnung aber zugleich die Erinnerung an frühe Demütigungen aufsteigen lässt und zum Zusammenbruch führt, gehört zu den Höhepunkten in diesem Band.
Elizabeth Strout setzt den Einzelnen seinem sozialen Kontext aus, weshalb die Figuren oft bei der Arbeit, beim Einkaufen oder im Gespräch mit Nachbarn anzutreffen sind. Sie sind Farmer oder Sozialarbeiter, Lehrer, Inhaber eines Bed-and-Breakfast oder Mäzene eines Kunstfestivals. Und alle in Amgash scheinen davon überzeugt zu sein, dass sie ihrer Biographie, wenn sie nur wollen, jederzeit einen anderen Dreh geben könnten. Um dann recht bald und eher schmerzhaft festzustellen, dass ihr Plan zum Scheitern verurteilt oder der Preis sehr hoch ist. Dass Eigenständigkeit im Gefüge der vielfältigen Beziehungen des Einzelnen in Wahrheit eine Illusion ist, auch davon handeln diese Erzählungen. Aber der Schmerz darüber wird nicht ausdiskutiert, sondern vielmehr weggeschlossen wie ein Einmachglas im Kellerschrank.
Allenfalls Verbitterung macht sich breit, selten Wut. Und dass Elizabeth Strout ihre Prosa in den Dienst des Erzählten stellt, darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, wie kunstvoll das gearbeitet ist. Die Form der ineinandergreifenden Erzählungen entspricht dabei dem Blick auf eine Welt ohne Zusammenhang. Alles hat mit allem zu tun, und doch steht zuletzt jeder für sich, stirbt jeder für sich allein. Auch in der Erzählung kann es daher nur Bruchstücke einer imaginierten Vollständigkeit geben.
Strouts Prosa wurde mit Autoren wie Thornton Wilder und William Faulkner verglichen. In ihrer Konzentration auf den Ort Amgash erinnert sie an Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio", in ihrer emotionalen Schärfe aber auch an die 1964 verstorbene Flannery O'Connor, deren Erzählband "Keiner Menschenseele kann man noch trauen" unlängst auf Deutsch erschienen ist. Wie sie hat auch Strout ein Auge für tragikomische Dialoge und kann aus Details eine ganze Weltanschauung entwickeln. Da gibt es den alten Mann, der sich als Hausmeister verdingt, seit vor Jahren seine Farm abgebrannt ist. Damals sah er es als göttliche Fügung an und fand Trost in dem Gedanken, dass es schlimmer hätte kommen können. Mehr erwartet er vom Leben nicht. Als er nun erfährt, dass damals wohl ein Brandstifter am Werk war, den er sogar kannte, kann ihn das nicht mehr erschüttern. Auch das ist bei Elizabeth Strout möglich.
SANDRA KEGEL
Elizabeth Strout:
"Alles ist möglich". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2018.
Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. 256 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Roman wie dieser ist ein Grund zu lesen.« Claudia Voigt / Der Spiegel