Schluss mit Ängsten und Blockaden: Lernen kann und muss Spaß machen! Schlechte Noten, Frust bei den Hausaufgaben, hoher Leistungsdruck: Für viele Familien sind Schule und Lernen ein rotes Tuch. Wie bekommen Kinder wieder Freude am Lernen, Neugierde auf Neues? Wie überwindet man Stagnation und Resignation? Caroline von St. Ange hat die Lösung und kombiniert dafür verschiedene Ansätze und Lernmethoden. Sie gibt zahlreiche fantasievolle und praxisnahe Tipps und entfernt dabei eine Menge Staub von festgefahrenen Lernstrategien und altmodischen Annahmen. So erklärt sie z. B., warum zu viel Lob kontraproduktiv sein kann, gute Noten schlecht für die Frustrationstoleranz sind und man Erfolge anhand des Fortschritts, nicht im Hinblick auf das Ergebnis bewerten sollte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2024Die Mary Poppins des Lernens
Im Kampf mit den Hausaufgaben finden Eltern geniale Hilfe auf Instagram - bei Caroline von St. Ange. Ihr Leben hat sie für diese Rolle geradezu prädestiniert.
Von Julia Schaaf
Das deutsche Schulsystem produziert viele Geschichten wie diese aus Berlin: Ein achtjähriger Sohn und ein Problem mit Mathe. Das Kind will partout seine Aufgaben nicht machen, und der Mutter ist klar: Der Stoff muss zu Hause nachgearbeitet werden. Sonst kommt der Sohn eines Tages überhaupt nicht mehr mit. "Es waren bittere Wochenenden", sagt die Mutter. Kämpfe. Tränen. Schreierei.
Dann jedoch nimmt die Geschichte eine Wendung, als wäre eine gute Fee aufgetaucht oder Zauberei passiert. Die Mutter stellt plötzlich eine Eieruhr neben die Matheaufgaben und sagt: Nur zehn Minuten, dann ist Pause. Als Nächstes verteilt sie die Aufgaben in kleinen Portionen auf Extrazettel, und wenn einer davon abgearbeitet ist, darf der Sohn ihn verbrennen: einfach abfackeln, in der Küche, weil es da keinen Rauchmelder gibt. Inzwischen schreibt die Mutter die Matheaufgaben mit einem sogenannten Kreidestift an die Fensterscheiben, und der Sohn läuft durch die Wohnung, von einem Zimmer ins nächste - und rechnet, bereitwillig und schneller als je zuvor. "Das war für mich wie so eine Revolution", sagt die Mutter.
Die gute Fee, die das ermöglicht hat, stammt aus dem Internet. Ein Jahr lang hat sie jeden Tag auf Instagram gepostet bei nicht mal 1000 Followern. Als dann im zweiten Corona-Lockdown eine Elternbloggerin sie als Mary Poppins des Homeschoolings rühmte, waren es über Nacht 15.000. Inzwischen hat Caroline von St. Ange 259.000 Follower, und ihr erstes Buch, das im August erschienen ist und den vielversprechenden Untertitel trägt "Wie Lernen gelingt", ist im Dezember in die siebte Auflage gegangen.
Für die F.A.S. setzt sich die 35-Jährige auf die Treppe in ihrem Hausflur, wo sie viele ihrer Insta-Filme dreht. Um vorzuführen, wie sie arbeitet, schreibt sie Bundesländer und Hauptstädte auf gelbe Post-it-Zettel und verteilt sie an Wand, Treppenstufen und Geländer. Mit neongrünem Tape klebt sie ein Dreieck auf den Fliesenboden, markiert den rechten Winkel und beschriftet die Seiten. Dann nimmt sie einen dieser abwaschbaren Kreidestifte und schreibt den Satz des Pythagoras auf die Scheibe neben der Eingangstür und ein paar Rechenaufgaben gleich dazu. Ein ungeschminktes Gesicht und diese angenehme Mischung aus Klarheit, Freundlichkeit und Ruhe, die Zuversicht verbreitet: So, wie Caroline von St. Ange auf Instagram auftritt, wirkt sie auch in echt.
Fragt man sie nach ihrem Beruf, zögert sie bei der Antwort. Lerncoach? Bildungsaktivistin? Sinnfluencerin? Oder vielleicht einfach nur Bildungsinfluencerin? "Eigentlich dürfte es mich nicht geben", sagt sie. In einer idealen Welt würden Lehrer über ihre Herangehensweise sagen, das wüssten sie alles schon, kein Interesse. Und Eltern würden abwinken, sie brauchten keine Tricks und Tipps zum Lernen, darum kümmere sich ja die Schule.
Stattdessen aber ist ausgerechnet eine junge Frau, die ihr Philosophiestudium erst im zweiten Anlauf geschafft hat und sonst kaum formale Qualifikationen mitbringt, zur Lichtgestalt verzweifelter Eltern und Lehrer geworden, und weil diese Geschichte kein Märchen ist, gibt es dafür mindestens vier Gründe. Wer es darauf anlegt, kann das Fundament der Arbeit von Caroline von St. Ange sogar aus ihrer Biographie herauslesen.
1. "Ich mach die Aufgaben schön", sagt Caroline von St. Ange gern: Voraussetzungen, um Schülern mit viel Phantasie Spaß am Lernen zur vermitteln, hat sie schon als Kind mitbekommen. Das Verhältnis zur Mutter, einer alleinerziehenden Bankangestellten im Frankfurter Umland, war damals eher schwierig. Als die Tochter einmal einen Vokabeltest verhaute, fuhr die Mutter sie zur örtlichen Gesamtschule und drohte: Da könne sie ja den Hauptschulabschluss machen und einen Metzger heiraten. Aber zu ihrem "großen Glück", wie von St. Ange es ausdrückt, gab es ja noch die Tagesmutter, zu der das Mädchen schon mit neun Monaten gekommen war. Dort ging es zu wie bei Pippi Langstrumpf, "es war wirklich eine Kindheit voll Kreativität und Fröhlichkeit": gemeinsames Singen und reichlich Quatsch, etwa einen Topf Gummibärchen als Mittagessen. Kein Wunder, wenn man da später auf die Idee kommt, Hausaufgabenzettel zu verbrennen.
2. Üben, schreibt Caroline von St. Ange in ihrem Buch, sei wichtiger als Wissensvermittlung, und sie selbst sagt über das, was sie tut: "Ich habe einfach viel Erfahrung." Mit etwa 15 Jahren hatte sie sich in einem Jesuiten-Internat im Schwarzwald angemeldet, gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Mutter. Verwandte übernahmen den Teil des Schulgelds, der nicht durch ein Stipendium abgedeckt war. Aber nun musste das Mädchen vier Jahre Latein nachlernen, und der Deal war: Es würde dann nichts für die Latein-Nachhilfe zahlen müssen, wenn es im Gegenzug anderen Schülern in anderen Fächern half. "So bin ich praktisch da reingeschubst worden", sagt die Influencerin heute. Denn nachdem ihre erste Nachhilfeschülerin eine Eins in Mathe geschrieben hatte, war die Nachfrage groß. Caroline von St. Ange fing an, kleine Gruppen zu betreuen, und spannte weitere Schüler als Helfer ein. "Ich habe einfach eine kleine Schule gegründet."
Und dann ging es so weiter. Als ihre Mitschüler nach dem Studium Karrieren starteten, war von St. Ange noch immer - Nachhilfelehrerin. Aus einem Studentenjob war eine Hauptbeschäftigung geworden. Wie hatte der Schulleiter kurz vor dem Abitur noch zu ihr gesagt? "Wenn Sie später nichts mit Kindern machen, das wäre ein großer Verlust." Seinerzeit empfand sie den Satz als Beleidigung. Heute muss sie lachen. Sie könne eben gut erklären und Kinder begeistern. "Deutlicher können sich ein Talent und eine Neigung gar nicht zeigen."
3. Obwohl Caroline von St. Ange immer eine gute Schülerin war, sagt sie: "Lernen ist einfach nicht so leicht." Denn gerade deshalb tat sie sich in München im Philosophiestudium so schwer. Als der Stoff zu umfangreich und komplex wurde, um ihn nur mithilfe ihrer guten Auffassungsgabe zu bewältigen, habe sie lernen müssen, wie man echte Herausforderungen meistert. Denn nicht das Talent, sondern das Verhalten entscheide über den Erfolg, predigt von St. Ange. Kindern, die sich selbst nichts zutrauen, macht sie das mit einem einfachen 40-Teile-Puzzle klar. Puzzeln, sie stoppt die Zeit, lässt wieder puzzeln, stoppt wieder die Zeit. Die Tatsache, dass es - natürlich - beim zweiten Mal schneller geht (und beim dritten Mal noch schneller), ist ihr Beweis für die Lernfähigkeit des Gehirns und die Botschaft: "Es ist alles schaffbar."
Wer etwas schlecht kann, sagt Caroline von St. Ange, sei meistens nur früh gescheitert und habe dann aufgegeben. Kinder hingegen, die scheinbar mühelos durch die Schulzeit glitten und gute Noten schrieben so wie sie, hätten nie die Erfahrung gemacht, dass man sich etwas hart erarbeiten muss. Deshalb bloß nicht loben, das Kind sei schlau: "Dann ist doch klar, dass ein Kind es vermeidet, Dinge zu tun, bei denen herauskommen könnte, dass es gar nicht schlau ist." Aus diesem Grund würden viele erfolgreiche Menschen Herausforderungen meiden.
4. Die Theorie zu diesen Überlegungen, die Unterscheidung zwischen einem "Fixed Mindset" und einem "Growth Mindset" nach der Psychologin Carol Dweck, hat die ewige Nachhilfelehrerin sich erschlossen, als sie mit Ende 20 bei der Bildungsinitiative "Teach First" in Berlin anheuerte und sich in einer Sommerakademie für die Arbeit an Brennpunktschulen ausbilden ließ. Ihren Unterricht startete sie daraufhin mit der Filmmusik aus "Fluch der Karibik", auf dem Schulhof klebte sie überdimensionierte Koordinatensysteme und ließ die ganze Klasse Parabeln stellen, um die aus Schülern gebildete Kurve dann auf der x-Achse zu verschieben. Aktivierung, Bewegung, Emotion, Gemeinschaft: "Da kann ich versprechen, dass alle dabei sind und das nie wieder vergessen", sagt Caroline von St. Ange.
Dann allerdings sagten Schüler von ihr in einer Radioreportage über "Teach First", Frau von St. Ange sei zwar "megastreng", aber auch "megagut", und bei ihr lerne man mehr als bei allen anderen. Daraufhin kippte die Stimmung im Kollegium. "Ich möchte nicht noch mal erleben, so allein gegen den Strom zu schwimmen und gemobbt zu werden", sagt die Bildungsinfluencerin rückblickend. Trotzdem ist sie überzeugt, dass viele Brennpunktschüler in Deutschland das Abitur schaffen könnten - mit dem richtigen Mindset und der richtigen Unterstützung.
Ihren Instagram-Account learnlearning.withcaroline startete Caroline von St. Ange, als ihr erstes Baby geboren war. Heute gibt es neben dem vierjährigen Sohn eine zehn Monate alte Tochter. Ein heller Gartenbungalow im Süden Berlins mit bodentiefen Fenstern und einem großen Wohn-Ess-Küchenraum, im Zentrum ein Gitterbettchen. Eine Zeit lang spielt das Baby während des Interviews auf dem Teppich. Die Mutter sagt, sie achte darauf, das Kind möglichst wenig dabei zu stören und sich schon jetzt damit anzufreunden, dass manche Dinge schwierig seien. Ihre Follower haben ihre Schwangerschaft miterlebt, mit allen Komplikationen: "Ich habe leider eine sehr angeschlagene Gesundheit", sagt die Influencerin und erzählt von Arthrose, Bandscheibenvorfällen und einem Beckenbruch. Zwischenzeitlich war auf Instagram ihr Rollator im Bild, viele Videos dreht sie einfach im Liegen. Sie wischt sich eine Träne aus dem Auge. Dann sagt sie, wie dankbar sie sei: "Andere Jobs könnte ich gar nicht machen."
Finanziell einträglich sind ihre Insta-Aktivitäten allerdings nicht. Dabei hat sie gerade mal zwei Wochen nach der Geburt der Tochter schon wieder gepostet. Ein erfolgreiches Profil braucht regelmäßig Content, und weil jeder Post, jede Story viel Arbeit sei, sagt von St. Ange, habe sie eine Hilfe für Baby und Haushalt. Eine Grafikerin und jemanden für den Orgakram beschäftige sie auch. Anders als andere Influencer jedoch hat sie sich bewusst gegen Werbekooperationen entschieden. Nicht einmal von Lernapps und Stifteherstellern, die sie tatsächlich empfiehlt, lässt sie sich sponsern - um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Ihr Grundgehalt zahlten "begeisterte Follower", und dann verdiene ja auch noch ihr Mann.
Ihr ist klar, dass das nicht langfristig so bleiben kann. Deshalb hat sie kürzlich ein Eltern-Webinar zum Thema "Growth Mindset" entwickelt und dafür Stativ und Handykamera gegen ein Filmteam getauscht. Hätte sie nicht ihre eigene Einstellung zum Fehlermachen und Weiterlernen geändert, sagt Caroline von St. Ange: Sie hätte sich nie an diesen Schritt gewagt.
"Alles ist schwer, bevor es leicht ist. Wie Lernen gelingt" von Caroline von St. Ange ist im Rowohlt Taschenbuch-Verlag erschienen, 256 Seiten, 14 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Kampf mit den Hausaufgaben finden Eltern geniale Hilfe auf Instagram - bei Caroline von St. Ange. Ihr Leben hat sie für diese Rolle geradezu prädestiniert.
Von Julia Schaaf
Das deutsche Schulsystem produziert viele Geschichten wie diese aus Berlin: Ein achtjähriger Sohn und ein Problem mit Mathe. Das Kind will partout seine Aufgaben nicht machen, und der Mutter ist klar: Der Stoff muss zu Hause nachgearbeitet werden. Sonst kommt der Sohn eines Tages überhaupt nicht mehr mit. "Es waren bittere Wochenenden", sagt die Mutter. Kämpfe. Tränen. Schreierei.
Dann jedoch nimmt die Geschichte eine Wendung, als wäre eine gute Fee aufgetaucht oder Zauberei passiert. Die Mutter stellt plötzlich eine Eieruhr neben die Matheaufgaben und sagt: Nur zehn Minuten, dann ist Pause. Als Nächstes verteilt sie die Aufgaben in kleinen Portionen auf Extrazettel, und wenn einer davon abgearbeitet ist, darf der Sohn ihn verbrennen: einfach abfackeln, in der Küche, weil es da keinen Rauchmelder gibt. Inzwischen schreibt die Mutter die Matheaufgaben mit einem sogenannten Kreidestift an die Fensterscheiben, und der Sohn läuft durch die Wohnung, von einem Zimmer ins nächste - und rechnet, bereitwillig und schneller als je zuvor. "Das war für mich wie so eine Revolution", sagt die Mutter.
Die gute Fee, die das ermöglicht hat, stammt aus dem Internet. Ein Jahr lang hat sie jeden Tag auf Instagram gepostet bei nicht mal 1000 Followern. Als dann im zweiten Corona-Lockdown eine Elternbloggerin sie als Mary Poppins des Homeschoolings rühmte, waren es über Nacht 15.000. Inzwischen hat Caroline von St. Ange 259.000 Follower, und ihr erstes Buch, das im August erschienen ist und den vielversprechenden Untertitel trägt "Wie Lernen gelingt", ist im Dezember in die siebte Auflage gegangen.
Für die F.A.S. setzt sich die 35-Jährige auf die Treppe in ihrem Hausflur, wo sie viele ihrer Insta-Filme dreht. Um vorzuführen, wie sie arbeitet, schreibt sie Bundesländer und Hauptstädte auf gelbe Post-it-Zettel und verteilt sie an Wand, Treppenstufen und Geländer. Mit neongrünem Tape klebt sie ein Dreieck auf den Fliesenboden, markiert den rechten Winkel und beschriftet die Seiten. Dann nimmt sie einen dieser abwaschbaren Kreidestifte und schreibt den Satz des Pythagoras auf die Scheibe neben der Eingangstür und ein paar Rechenaufgaben gleich dazu. Ein ungeschminktes Gesicht und diese angenehme Mischung aus Klarheit, Freundlichkeit und Ruhe, die Zuversicht verbreitet: So, wie Caroline von St. Ange auf Instagram auftritt, wirkt sie auch in echt.
Fragt man sie nach ihrem Beruf, zögert sie bei der Antwort. Lerncoach? Bildungsaktivistin? Sinnfluencerin? Oder vielleicht einfach nur Bildungsinfluencerin? "Eigentlich dürfte es mich nicht geben", sagt sie. In einer idealen Welt würden Lehrer über ihre Herangehensweise sagen, das wüssten sie alles schon, kein Interesse. Und Eltern würden abwinken, sie brauchten keine Tricks und Tipps zum Lernen, darum kümmere sich ja die Schule.
Stattdessen aber ist ausgerechnet eine junge Frau, die ihr Philosophiestudium erst im zweiten Anlauf geschafft hat und sonst kaum formale Qualifikationen mitbringt, zur Lichtgestalt verzweifelter Eltern und Lehrer geworden, und weil diese Geschichte kein Märchen ist, gibt es dafür mindestens vier Gründe. Wer es darauf anlegt, kann das Fundament der Arbeit von Caroline von St. Ange sogar aus ihrer Biographie herauslesen.
1. "Ich mach die Aufgaben schön", sagt Caroline von St. Ange gern: Voraussetzungen, um Schülern mit viel Phantasie Spaß am Lernen zur vermitteln, hat sie schon als Kind mitbekommen. Das Verhältnis zur Mutter, einer alleinerziehenden Bankangestellten im Frankfurter Umland, war damals eher schwierig. Als die Tochter einmal einen Vokabeltest verhaute, fuhr die Mutter sie zur örtlichen Gesamtschule und drohte: Da könne sie ja den Hauptschulabschluss machen und einen Metzger heiraten. Aber zu ihrem "großen Glück", wie von St. Ange es ausdrückt, gab es ja noch die Tagesmutter, zu der das Mädchen schon mit neun Monaten gekommen war. Dort ging es zu wie bei Pippi Langstrumpf, "es war wirklich eine Kindheit voll Kreativität und Fröhlichkeit": gemeinsames Singen und reichlich Quatsch, etwa einen Topf Gummibärchen als Mittagessen. Kein Wunder, wenn man da später auf die Idee kommt, Hausaufgabenzettel zu verbrennen.
2. Üben, schreibt Caroline von St. Ange in ihrem Buch, sei wichtiger als Wissensvermittlung, und sie selbst sagt über das, was sie tut: "Ich habe einfach viel Erfahrung." Mit etwa 15 Jahren hatte sie sich in einem Jesuiten-Internat im Schwarzwald angemeldet, gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Mutter. Verwandte übernahmen den Teil des Schulgelds, der nicht durch ein Stipendium abgedeckt war. Aber nun musste das Mädchen vier Jahre Latein nachlernen, und der Deal war: Es würde dann nichts für die Latein-Nachhilfe zahlen müssen, wenn es im Gegenzug anderen Schülern in anderen Fächern half. "So bin ich praktisch da reingeschubst worden", sagt die Influencerin heute. Denn nachdem ihre erste Nachhilfeschülerin eine Eins in Mathe geschrieben hatte, war die Nachfrage groß. Caroline von St. Ange fing an, kleine Gruppen zu betreuen, und spannte weitere Schüler als Helfer ein. "Ich habe einfach eine kleine Schule gegründet."
Und dann ging es so weiter. Als ihre Mitschüler nach dem Studium Karrieren starteten, war von St. Ange noch immer - Nachhilfelehrerin. Aus einem Studentenjob war eine Hauptbeschäftigung geworden. Wie hatte der Schulleiter kurz vor dem Abitur noch zu ihr gesagt? "Wenn Sie später nichts mit Kindern machen, das wäre ein großer Verlust." Seinerzeit empfand sie den Satz als Beleidigung. Heute muss sie lachen. Sie könne eben gut erklären und Kinder begeistern. "Deutlicher können sich ein Talent und eine Neigung gar nicht zeigen."
3. Obwohl Caroline von St. Ange immer eine gute Schülerin war, sagt sie: "Lernen ist einfach nicht so leicht." Denn gerade deshalb tat sie sich in München im Philosophiestudium so schwer. Als der Stoff zu umfangreich und komplex wurde, um ihn nur mithilfe ihrer guten Auffassungsgabe zu bewältigen, habe sie lernen müssen, wie man echte Herausforderungen meistert. Denn nicht das Talent, sondern das Verhalten entscheide über den Erfolg, predigt von St. Ange. Kindern, die sich selbst nichts zutrauen, macht sie das mit einem einfachen 40-Teile-Puzzle klar. Puzzeln, sie stoppt die Zeit, lässt wieder puzzeln, stoppt wieder die Zeit. Die Tatsache, dass es - natürlich - beim zweiten Mal schneller geht (und beim dritten Mal noch schneller), ist ihr Beweis für die Lernfähigkeit des Gehirns und die Botschaft: "Es ist alles schaffbar."
Wer etwas schlecht kann, sagt Caroline von St. Ange, sei meistens nur früh gescheitert und habe dann aufgegeben. Kinder hingegen, die scheinbar mühelos durch die Schulzeit glitten und gute Noten schrieben so wie sie, hätten nie die Erfahrung gemacht, dass man sich etwas hart erarbeiten muss. Deshalb bloß nicht loben, das Kind sei schlau: "Dann ist doch klar, dass ein Kind es vermeidet, Dinge zu tun, bei denen herauskommen könnte, dass es gar nicht schlau ist." Aus diesem Grund würden viele erfolgreiche Menschen Herausforderungen meiden.
4. Die Theorie zu diesen Überlegungen, die Unterscheidung zwischen einem "Fixed Mindset" und einem "Growth Mindset" nach der Psychologin Carol Dweck, hat die ewige Nachhilfelehrerin sich erschlossen, als sie mit Ende 20 bei der Bildungsinitiative "Teach First" in Berlin anheuerte und sich in einer Sommerakademie für die Arbeit an Brennpunktschulen ausbilden ließ. Ihren Unterricht startete sie daraufhin mit der Filmmusik aus "Fluch der Karibik", auf dem Schulhof klebte sie überdimensionierte Koordinatensysteme und ließ die ganze Klasse Parabeln stellen, um die aus Schülern gebildete Kurve dann auf der x-Achse zu verschieben. Aktivierung, Bewegung, Emotion, Gemeinschaft: "Da kann ich versprechen, dass alle dabei sind und das nie wieder vergessen", sagt Caroline von St. Ange.
Dann allerdings sagten Schüler von ihr in einer Radioreportage über "Teach First", Frau von St. Ange sei zwar "megastreng", aber auch "megagut", und bei ihr lerne man mehr als bei allen anderen. Daraufhin kippte die Stimmung im Kollegium. "Ich möchte nicht noch mal erleben, so allein gegen den Strom zu schwimmen und gemobbt zu werden", sagt die Bildungsinfluencerin rückblickend. Trotzdem ist sie überzeugt, dass viele Brennpunktschüler in Deutschland das Abitur schaffen könnten - mit dem richtigen Mindset und der richtigen Unterstützung.
Ihren Instagram-Account learnlearning.withcaroline startete Caroline von St. Ange, als ihr erstes Baby geboren war. Heute gibt es neben dem vierjährigen Sohn eine zehn Monate alte Tochter. Ein heller Gartenbungalow im Süden Berlins mit bodentiefen Fenstern und einem großen Wohn-Ess-Küchenraum, im Zentrum ein Gitterbettchen. Eine Zeit lang spielt das Baby während des Interviews auf dem Teppich. Die Mutter sagt, sie achte darauf, das Kind möglichst wenig dabei zu stören und sich schon jetzt damit anzufreunden, dass manche Dinge schwierig seien. Ihre Follower haben ihre Schwangerschaft miterlebt, mit allen Komplikationen: "Ich habe leider eine sehr angeschlagene Gesundheit", sagt die Influencerin und erzählt von Arthrose, Bandscheibenvorfällen und einem Beckenbruch. Zwischenzeitlich war auf Instagram ihr Rollator im Bild, viele Videos dreht sie einfach im Liegen. Sie wischt sich eine Träne aus dem Auge. Dann sagt sie, wie dankbar sie sei: "Andere Jobs könnte ich gar nicht machen."
Finanziell einträglich sind ihre Insta-Aktivitäten allerdings nicht. Dabei hat sie gerade mal zwei Wochen nach der Geburt der Tochter schon wieder gepostet. Ein erfolgreiches Profil braucht regelmäßig Content, und weil jeder Post, jede Story viel Arbeit sei, sagt von St. Ange, habe sie eine Hilfe für Baby und Haushalt. Eine Grafikerin und jemanden für den Orgakram beschäftige sie auch. Anders als andere Influencer jedoch hat sie sich bewusst gegen Werbekooperationen entschieden. Nicht einmal von Lernapps und Stifteherstellern, die sie tatsächlich empfiehlt, lässt sie sich sponsern - um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Ihr Grundgehalt zahlten "begeisterte Follower", und dann verdiene ja auch noch ihr Mann.
Ihr ist klar, dass das nicht langfristig so bleiben kann. Deshalb hat sie kürzlich ein Eltern-Webinar zum Thema "Growth Mindset" entwickelt und dafür Stativ und Handykamera gegen ein Filmteam getauscht. Hätte sie nicht ihre eigene Einstellung zum Fehlermachen und Weiterlernen geändert, sagt Caroline von St. Ange: Sie hätte sich nie an diesen Schritt gewagt.
"Alles ist schwer, bevor es leicht ist. Wie Lernen gelingt" von Caroline von St. Ange ist im Rowohlt Taschenbuch-Verlag erschienen, 256 Seiten, 14 Euro.
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