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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Krimis in Kürze: Christine Lehmann, Olen Steinhauer und Ross Thomas
Das Dutzend ist voll, nicht dreckig, sondern blutig. Denn im zwölften Fall für Lisa Nerz geht es um Tiermord und darum, was sonst noch alles verboten ist, wenn man sein Herz den Segnungen des Veganismus öffnet. Wovor der Fernsehkoch Hinni Rappküfer noch zurückschreckte. Weswegen er entführt wurde. Das weiß man, weil er auf ein Radicchio-Blatt eine Botschaft geritzt und das Blatt in eine Plastikflasche gesteckt hat, die aus dem Neckar gefischt wurde. Gleichzeitig malt der anonyme Blog "vegancode" apokalyptische Drohungen ins Internet, denen nachzugehen Lisa Nerz als Journalistin, die gern parallel zur Polizei arbeitet, einfach nicht widerstehen kann. Als ewige Nonkonformistin tut sie das, während ihr langjähriger Geliebter, Oberstaatsanwalt Richard Berger, Ente mit Kirschen zubereitet.
Nerz beschließt, sich als Aktivistin in die radikale Tierschützer-Szene einzuschleusen, was auch auf Anhieb klappt, sieht man von dem Umstand ab, dass ihr bei ihrer ersten Aktion - Befreiung von Polizeipferden aus ihrem Stall - ein Mitkämpfer eine Falle stellt und sie nur mit Mühe ihr Leben retten kann. Christine Lehmann, grüne Stadträtin in Stuttgart und routinierte Krimiautorin, haut in "Allesfresser" (Ariadne Kriminalroman, 252 S., br., 12.- [Euro]) erst mächtig auf die Diskurspauke, dann lässt sie in mehreren Supermärkten Menschenfleisch auftauchen, abgepackte Stücke von der Leiche des Fernsehkochs. Die Medien haben ihre Horror-story; Nerz und Berger aber ahnen, dass ein Täter am Werk ist, der die Regieanweisungen des Blogs umsetzt. Womit alles auf eine Fortsetzung hindeutet.
Die Verbrecherjagd verläuft dann in ihrer ganzen Drastik im wirklichen Leben und nicht im Netz. Dazu gehören ein Bambi, das in der Dusche ausgeweidet wird, ein gleichgeschlechtlicher Quickie im Stehen und eine beinahe gescheiterte standesamtliche Trauung. Das ist clever arrangiert, zupackend und mit einer ziemlichen Schnauze geschrieben. Nach Lektüre ist man mit Argumenten für und wider alle möglichen Ernährungsformen übersättigt, beschließt aber, den "granatenmäßig" ungesunden Milchkonsum einzuschränken.
Eine akademische Versuchsanordnung hat sich Olen Steinhauer vorgenommen: Kann man eine Spionagegeschichte schreiben, die sich ausschließlich an einem Restauranttisch abspielt? Jein, ein bisschen Drumherum braucht man schon, und das ist im Fall seines Romans "Der Anruf" (Blessing Verlag, 270 S., geb., 19,99 [Euro]) der Flughafen Wien, auf dem tschetschenische Terroristen einen Airbus mit hundertzwanzig Passagieren in ihrer Gewalt haben. Der Fall spielt im Jahr 2006, Angela Merkel ist schon Bundeskanzlerin. Sie soll einem Gefangenenaustausch zustimmen. Die geplante Stürmung der Maschine verhindert ein Anruf, der die Geiselnehmer vor einem CIA-Mitarbeiter warnt, der zufällig an Bord ist. Von woher kam der Anruf? Doch nicht etwa aus der örtlichen Filiale der CIA? Am Ende sind alle Passagiere und die Terroristen tot.
Darum geht es bei dem Treffen zweier CIA-Spione, die sich sechs Jahre nach der Katastrophe in Kalifornien treffen. Zwei, die in Wien ein Verhältnis hatten: Celia Favreau, vormals Harrison, lebt jetzt im Bilderbuch-Idyll von Carmel mit einem älteren Mann, ist Mutter zweier Kinder, hat die Agency verlassen und will mit deren Paranoia nichts mehr zu tun haben. Doch dann taucht Henry Pelham auf, angeblich sei der Fall erneut aufgerollt worden. Dabei hat er nur nie verwunden, von Celia verlassen worden zu sein. Merke: Auch Spione haben Gefühle.
Steinhauer konstruiert aus wechselnder Mann-Frau-Perspektive den Verlauf eines gemeinsamen Abendessens, bei der durch geschickte Rück- und Vorblenden alle Gewissheiten ausgehebelt werden. Erst im letzten Drittel steigert er die Spannung erheblich. Wie schon in seinem Debüt "Die Kairo-Affäre" (F.A.Z. vom 14. Juli 2014) wird Steinhauer ein wenig zum Opfer seines Ablaufplans, weil er der Konstruktion Vorrang gibt. Sie unterhöhlt die Plausibilität der Story und die Psychologie der Figuren. Denn dass es im Agentenleben keine gesicherten Wahrheiten gibt, ist nicht nur ein bewährter Topos, sondern konstitutiv für das Genre. Beim Nachtisch zeigt sich: Einer der beiden Protagonisten wird das Dinner nicht überleben.
Ums Überleben geht es auch für den Trinker Donald Cubbin. Der mächtige Gewerkschaftspräsident möchte noch einmal wiedergewählt werden. Andere wollen das nicht, sie setzen einen Obstverkäufer in Bewegung, der sich ein Zubrot als Auftragsmörder verdient, weil er kein emotionales Problem damit hat, Artgenossen zu erlegen. Nach dem Auftragseingang passiert lange Zeit nicht das, was sonst in einem Kriminalroman geschieht. Stattdessen führt uns Ross Thomas in "Porkchoppers" (Alexander Verlag, 309 S., br., 14,90 [Euro]) in einen Wahlkampf voller Schmutzeleien. Nicht Thomas' bester Roman, aber zum ersten Mal ungeschändet auf Deutsch - bei der ersten Übersetzung in den frühen Siebzigern fehlte fast die Hälfte.
HANNES HINTERMEIER
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