The New York Times-bestselling novel by the critically acclaimed author of Native Speaker and A Gesture Life. At 59, Jerry Battle is coasting through life. His favorite pastime is flying his small plane high above Long Island. Aloft, he can escape from the troubles that plague his family, neighbors, and loved ones on the ground. But he can't stay in the air forever. Only months before his 60th birthday, a culmination of family crises finally pull Jerry down from his emotionally distant course. Jerry learns that his family's stability is in jeopardy. His father, Hank, is growing increasingly unhappy in his assisted living facility. His son, Jack, has taken over the family landscaping business but is running it into bankruptcy. His daughter, Theresa, has become pregnant and has been diagnosed with cancer. His longtime girlfriend, Rita, who helped raise his children, has now moved in with another man. And Jerry still has unanswered questions that he must face regarding the circumstances surrounding the death of his late wife. Since the day his wife died, Jerry has turned avoiding conflict into an art form-the perfect expression being his solitary flights from which he can look down on a world that appears serene and unscathed. From his comfortable distance, he can't see the messy details, let alone begin to confront them. But Jerry is learning that in avoiding conflict, he is also avoiding contact with the people he loves most.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2005Kalter Fisch
Jenseits der Hautfarbe: Chang-rae Lees Roman „Turbulenzen”
Jerry Battle ist um die sechzig, seine Frau ist gestorben, sein Vater lebt im Altersheim, er hat zwei erwachsene Kinder, die er selten sieht, und seine kleine, dreisitzige Cessna mit grünen Streifen; mit der fliegt er über Long Island hinweg und freut sich, wenn er neben Kartoffeläckern und Entenfarmen auch das verblichene Kreuz auf seinem Haus entdeckt, das seiner langjährigen Lebensgefährtin Rita einen Anhaltspunkt geben sollte, als sie noch gemeinsam unterwegs waren. Jerry Battle ist, er sagt es immer wieder, ein Durchschnittstyp. Einer allerdings, dem es materiell gut geht dabei. Er hatte Glück, hat die Leitung der Gartenbaufirma Battle Brothers von seinem Vater übernommen, ein paar Jahre an seinen Sohn weitergegeben, und jetzt ist Jack erfolgreich damit. „Von hier oben”, lautet der erste Satz des Romans, „sieht eigentlich alles ganz perfekt aus.”
Doch „Turbulenzen” wäre kein amerikanischer Roman, wenn es nach dieser Einleitung nicht darum ginge, zu zeigen, wie brüchig die ganze Perfektion von Jerrys Leben ist. Vor allem seine Familie, die in seinem Denken eine nicht unmaßgebliche Rolle spielt. Jerrys Frau Daisy war psychisch labil, sehr hübsch, aber vielleicht etwas übernervös, sie hatte plötzliche Wutausbrüche, manchmal hat sie aus lauter Frust bei Bloomingdales ein Nettojahreseinkommen für Sachen wie Ledergarnituren und knöchellange Chinchilla-Mäntel ausgegeben, und dass Pop, Jerrys Vater, ihm daraufhin den Rat gegeben hat, sie einfach mal hart dranzunehmen, sie auch mal einzusperren und für eine Woche nicht rauszulassen, „du könntest ruhig ein bisschen brutaler sein”, Daisy sei einfach zu schön, das hat auch nicht geholfen, irgendwann hat sie sich im Swimming Pool ertränkt.
Eine abnorme Herzenskälte
In einem sehr gemächlichen, genau durchdacht analytischen Stil, der an der Oberfläche wirkt wie ein immerwährendes Grummeln, ein unendliches Hin- und Herwiegen im Rhythmus von Jerrys melancholischem Bewusstsein, lässt Chang-rae Lee seinen Ich-Erzähler über sein Leben und seine Nächsten räsonieren, ganz egal, ob Jerry oben am Himmel oder auf dem Long Island Expressway unterwegs ist. Doch je länger der Frührentner sein Suburbia heimsucht, desto fragwürdiger wird die ohnehin minimale Sicherheit, in der er sich wohl fühlt. Sohn Jack, muss Jerry erfahren, ist gar nicht erfolgreich. Der Buchhalter erzählt ihm von unüberlegter Expansion, Tochter Teresa hingegen, eine Literatur-Dozentin, die gerade ein Kind erwartet, hat Lymphdrüsenkrebs, und als sie mit der Chemotherapie, die für das Kind gefährlich wäre, wartet, regt sich Jerry fürchterlich auf.
Das ist selten, denn Lee hat Jerry Battle so angelegt, dass sein einziger großer, aber entscheidender Fehler die emotionale Kälte ist, „abnorme Herzensträgheit”, die man mit Jerrys Worten etwas freundlicher Wurschtigkeit nennen könnte. Jerry Battle, so glauben auch Rita und seine ehemalige Geliebte Kelly, sei ein Mann ohne Gefühle, er selber meint, es fehle ihm nur an „Glauben an die Realität”, er könne „visualisieren”, aber er schaffe es nicht, sich für eines der Bilder vor seinen Augen zu entscheiden. „Fremd im eigenen Leben” (2001) lautete der deutsche Titel von Chang-rae Lees Roman „A Gesture Life”, er passt auch nicht schlecht auf den mediokren, aber sehr reflektierten Helden von „Turbulenzen”.
Chang-rae Lee, der 1965 noch in Korea geboren wurde, im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern in die USA kam und heute in Princeton lebt und Creative Writing unterrichtet, lokalisiert seine Hauptfigur nicht in der asian community. Er versucht sich in das Leben eines amerikanischen Durchschnittsweißen einzufühlen, der natürlich selber ein Einwanderer war: Jerrys Vater hieß bei Geburt Battaglia, viele seiner Freunde, Bekannten und Konkurrenten stammen von Italienern ab. Frau Daisy aber war Asiatin, die ehemalige Lebensgefährtin Rita ist Puertoricanerin und Paul Pyun, Teresas Mann, ein Schriftsteller, wirkt wie eine Mischung aus mehreren koreanisch-amerikanischen Autoren.
Doch trotz „kultureller Unterschiede”, die Lee seinen Jerry feststellen lässt: alle wichtigeren Schwierigkeiten, die seinen Figuren begegnen, haben wenig mit den Farbtönen ihrer Haut zu tun. Der vierzig Jahre alte Universitätsdozent Chang-rae Lee, in dessen noch unübersetztem Romanerstling „Native Speaker” die community und die Schwierigkeiten ihrer Mitglieder noch im Mittelpunkt stehen, geht einige Jahre später offenbar davon aus, dass das existentielle Fremdsein, das Jerry spürt, mindestens ebenso wichtig ist, wie das lebensnah-konkrete früherer Figuren.
Das ist produktionsästhetisch und kulturgeschichtlich interessant und kann wohl als Indikator für ein gestiegenes Selbstwert- und Integrationsgefühl bei koreanischen Amerikanern gewertet werden. Und für Chang-rae Lee ist dieser Wechsel der Perspektive ein weiterer gewagter Schritt, nachdem er in „Fremd im eigenen Leben” einen Japaner über Schuld und Unschuld nachdenken ließ. Doch ob sein neuer grenzüberschreitender Versuche Lee auch in den Augen seiner Leser weiter bringen wird, daran darf man zweifeln. Chang-rae Lee schreibt fein ziseliert realistisch und genau, doch sein Text nähert sich amerikanischen Romanen, wie es sie viele gibt.
Gekonnt wirkt allerdings die kritische Halbdistanz, die Lee wählt, sowohl gegenüber seinem mittelmäßigen Helden wie gegenüber dem Schicksal seiner Familie. Er lässt Jerry nicht in die übliche Mittelstandshölle fallen. Er bemüht sich, Updike in der Durchschnittlichkeit seiner Helden noch zu überbieten. Einerseits scheint Lee der Geschichte sogar eine Art happy end zu geben: Jerry Battle, der kalte Fisch, überlebt alle Ereignisse ohne wesentliche Blessuren, und auch sein Vater ist noch nach der Flucht aus dem Altersheim nicht tot zu kriegen. Doch die nächste Generation tut sich schwerer. Tochter Teresa stirbt, und Sohn Jack muss wohl wieder von vorn beginnen.
HANS-PETER KUNISCH
CHANG-RAE LEE: Turbulenzen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 441 Seiten, 22,90 Euro.
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Jenseits der Hautfarbe: Chang-rae Lees Roman „Turbulenzen”
Jerry Battle ist um die sechzig, seine Frau ist gestorben, sein Vater lebt im Altersheim, er hat zwei erwachsene Kinder, die er selten sieht, und seine kleine, dreisitzige Cessna mit grünen Streifen; mit der fliegt er über Long Island hinweg und freut sich, wenn er neben Kartoffeläckern und Entenfarmen auch das verblichene Kreuz auf seinem Haus entdeckt, das seiner langjährigen Lebensgefährtin Rita einen Anhaltspunkt geben sollte, als sie noch gemeinsam unterwegs waren. Jerry Battle ist, er sagt es immer wieder, ein Durchschnittstyp. Einer allerdings, dem es materiell gut geht dabei. Er hatte Glück, hat die Leitung der Gartenbaufirma Battle Brothers von seinem Vater übernommen, ein paar Jahre an seinen Sohn weitergegeben, und jetzt ist Jack erfolgreich damit. „Von hier oben”, lautet der erste Satz des Romans, „sieht eigentlich alles ganz perfekt aus.”
Doch „Turbulenzen” wäre kein amerikanischer Roman, wenn es nach dieser Einleitung nicht darum ginge, zu zeigen, wie brüchig die ganze Perfektion von Jerrys Leben ist. Vor allem seine Familie, die in seinem Denken eine nicht unmaßgebliche Rolle spielt. Jerrys Frau Daisy war psychisch labil, sehr hübsch, aber vielleicht etwas übernervös, sie hatte plötzliche Wutausbrüche, manchmal hat sie aus lauter Frust bei Bloomingdales ein Nettojahreseinkommen für Sachen wie Ledergarnituren und knöchellange Chinchilla-Mäntel ausgegeben, und dass Pop, Jerrys Vater, ihm daraufhin den Rat gegeben hat, sie einfach mal hart dranzunehmen, sie auch mal einzusperren und für eine Woche nicht rauszulassen, „du könntest ruhig ein bisschen brutaler sein”, Daisy sei einfach zu schön, das hat auch nicht geholfen, irgendwann hat sie sich im Swimming Pool ertränkt.
Eine abnorme Herzenskälte
In einem sehr gemächlichen, genau durchdacht analytischen Stil, der an der Oberfläche wirkt wie ein immerwährendes Grummeln, ein unendliches Hin- und Herwiegen im Rhythmus von Jerrys melancholischem Bewusstsein, lässt Chang-rae Lee seinen Ich-Erzähler über sein Leben und seine Nächsten räsonieren, ganz egal, ob Jerry oben am Himmel oder auf dem Long Island Expressway unterwegs ist. Doch je länger der Frührentner sein Suburbia heimsucht, desto fragwürdiger wird die ohnehin minimale Sicherheit, in der er sich wohl fühlt. Sohn Jack, muss Jerry erfahren, ist gar nicht erfolgreich. Der Buchhalter erzählt ihm von unüberlegter Expansion, Tochter Teresa hingegen, eine Literatur-Dozentin, die gerade ein Kind erwartet, hat Lymphdrüsenkrebs, und als sie mit der Chemotherapie, die für das Kind gefährlich wäre, wartet, regt sich Jerry fürchterlich auf.
Das ist selten, denn Lee hat Jerry Battle so angelegt, dass sein einziger großer, aber entscheidender Fehler die emotionale Kälte ist, „abnorme Herzensträgheit”, die man mit Jerrys Worten etwas freundlicher Wurschtigkeit nennen könnte. Jerry Battle, so glauben auch Rita und seine ehemalige Geliebte Kelly, sei ein Mann ohne Gefühle, er selber meint, es fehle ihm nur an „Glauben an die Realität”, er könne „visualisieren”, aber er schaffe es nicht, sich für eines der Bilder vor seinen Augen zu entscheiden. „Fremd im eigenen Leben” (2001) lautete der deutsche Titel von Chang-rae Lees Roman „A Gesture Life”, er passt auch nicht schlecht auf den mediokren, aber sehr reflektierten Helden von „Turbulenzen”.
Chang-rae Lee, der 1965 noch in Korea geboren wurde, im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern in die USA kam und heute in Princeton lebt und Creative Writing unterrichtet, lokalisiert seine Hauptfigur nicht in der asian community. Er versucht sich in das Leben eines amerikanischen Durchschnittsweißen einzufühlen, der natürlich selber ein Einwanderer war: Jerrys Vater hieß bei Geburt Battaglia, viele seiner Freunde, Bekannten und Konkurrenten stammen von Italienern ab. Frau Daisy aber war Asiatin, die ehemalige Lebensgefährtin Rita ist Puertoricanerin und Paul Pyun, Teresas Mann, ein Schriftsteller, wirkt wie eine Mischung aus mehreren koreanisch-amerikanischen Autoren.
Doch trotz „kultureller Unterschiede”, die Lee seinen Jerry feststellen lässt: alle wichtigeren Schwierigkeiten, die seinen Figuren begegnen, haben wenig mit den Farbtönen ihrer Haut zu tun. Der vierzig Jahre alte Universitätsdozent Chang-rae Lee, in dessen noch unübersetztem Romanerstling „Native Speaker” die community und die Schwierigkeiten ihrer Mitglieder noch im Mittelpunkt stehen, geht einige Jahre später offenbar davon aus, dass das existentielle Fremdsein, das Jerry spürt, mindestens ebenso wichtig ist, wie das lebensnah-konkrete früherer Figuren.
Das ist produktionsästhetisch und kulturgeschichtlich interessant und kann wohl als Indikator für ein gestiegenes Selbstwert- und Integrationsgefühl bei koreanischen Amerikanern gewertet werden. Und für Chang-rae Lee ist dieser Wechsel der Perspektive ein weiterer gewagter Schritt, nachdem er in „Fremd im eigenen Leben” einen Japaner über Schuld und Unschuld nachdenken ließ. Doch ob sein neuer grenzüberschreitender Versuche Lee auch in den Augen seiner Leser weiter bringen wird, daran darf man zweifeln. Chang-rae Lee schreibt fein ziseliert realistisch und genau, doch sein Text nähert sich amerikanischen Romanen, wie es sie viele gibt.
Gekonnt wirkt allerdings die kritische Halbdistanz, die Lee wählt, sowohl gegenüber seinem mittelmäßigen Helden wie gegenüber dem Schicksal seiner Familie. Er lässt Jerry nicht in die übliche Mittelstandshölle fallen. Er bemüht sich, Updike in der Durchschnittlichkeit seiner Helden noch zu überbieten. Einerseits scheint Lee der Geschichte sogar eine Art happy end zu geben: Jerry Battle, der kalte Fisch, überlebt alle Ereignisse ohne wesentliche Blessuren, und auch sein Vater ist noch nach der Flucht aus dem Altersheim nicht tot zu kriegen. Doch die nächste Generation tut sich schwerer. Tochter Teresa stirbt, und Sohn Jack muss wohl wieder von vorn beginnen.
HANS-PETER KUNISCH
CHANG-RAE LEE: Turbulenzen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 441 Seiten, 22,90 Euro.
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