Die Alten Geschichten - Vom ostdeutschen Realsozialismus, das sind literarische Miniaturen, in denen das Lebensgefühl vom Anfang der achtziger Jahre "im Osten" jeweils wie in einem Diorama eingefangen ist. Ja, es ließ sich dort leben und durchaus auch Spaß haben, aber meist nicht aufgrund des herrschenden Systems, sondern eher trotz des Systems - und das ist der rote Faden dieser Geschichten. In Tour de Franz beliefert der namenlose Held Verkaufsstellen und Gaststätten in einer Kleinstadt an der Ostsee und agiert dabei zuweilen wie ein proletarischer Eulenspiegel, der mit seiner intelligenten Narrenfreiheit den systemtreuen Schichtleiter regelrecht vorführt. Auch am geologischen Erkundungsbohrturm in der Schorfheide sucht der Protagonist seine Nische, seinen Freiraum in einer unfreien Gesellschaft: da wird erzählt von einem entwurzelten Jugendlichen, der sich unter Proleten verirrt hat und seine Freizeit lieber mit Kindern am Badesee anstatt mit seinen Arbeitskollegen in der Dorfkneipe verbringt, so dass man sich beim Lesen zuweilen an Salingers Fänger im Roggen erinnert fühlt. Eine andere Episode schildert den absurden Alltag eines jungen Wehrpflichtigen in einer Grenzkompanie, der dort einfach bloß versucht, seine achtzehn Monate als Soldat unbeschadet hinter sich zu bringen, ohne schwere Schuld auf sich zu laden. Diese Alten Geschichten sind keine unkritische, nostalgische Rückschau auf das Leben in einem inzwischen längst untergegangenen Staat, auch wenn vieles aus der heutigen Distanz von vierzig Jahren beschaulich und anheimelnd anmuten mag und so manches aus dieser Ära es ja auch tatsächlich wert wäre, in unsere von Urbanisierung, Globalisierung, Klimawandel und Industrie 4.0 gekennzeichnete Gegenwart und Zukunft hinüber gerettet zu werden. In welcher zeitgemäßen Form auch immer.
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