Kochen boomt und Essen ist Lebensstil – jedenfalls in reichen Gesellschaften. Wir sind Produktkenner und Rezeptsammler, aber über die »Hardware« in unseren Küchen wissen wir relativ wenig. Dabei muss die Kartoffel geschält, die Artischocke gekocht und der Pfeffer zerstoßen werden, bevor sie Teil einer Mahlzeit werden, die wir uns – zum Beispiel mit einer Gabel – in den Mund schieben. In einem faszinierenden Streifzug durch die Kulturen der Welt widmet sich Bee Wilson, selbst passionierte Köchin mit einer Schwäche für Messbecher, den heimlichen Stars der Küche: dem Messer, dem Topf und den anderen Koch- und Esswerkzeugen. Sie führt uns von den prähistorischen Feuerstellen in Afrika bis an den Induktionsherd in mitteleuropäischen Luxusküchen. Wir sind zu Gast bei den Kochkünstlern der Zhou-Dynastie und an den Höfen der europäischen Renaissancefürsten. Wir bewundern das Kupfergeschirr in der viktorianischen Großküche und die Rationalität der »Frankfurter Küche«. Und wir erfahren, wie der Kochtopf unseren Vorfahren die Zähne gerettet, der Schneebesen die Backkultur und der Kühlschrank das Leben der Menschen revolutioniert hat – wie die Gerätschaften nicht nur bestimmen, wie, sondern auch, was wir kochen und essen. Eine hinreißende Hommage auf die Kulturtechnik, die uns am Leben hält, und auf den menschlichen Erfindungsgeist.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Durchaus anerkennend bespricht Rezensent Jakob Strobel Y Serra Bee Wilsons unter dem Titel "Am Beispiel der Gabel" erschienene Kulturgeschichte der Koch- und Esswerkzeuge - schon allein, weil sie damit eine bis dahin existierende Leerstelle zu schließen versucht. Interessiert liest der Kritiker, wie sich der Gebrauch der Gerätschaften wandelte, dass es Kochtöpfe erst seit etwa zehntausend Jahren gibt, dass Urvölker in heißen Quellen kochten und dass die Mikrowelle durch Radarsysteme für die Marine entstand. Ebenso erstaunt lernt der Rezensent von der Gastrokritikerin auch, welche kulturgeschichtliche Bedeutung die Gabel hat. Leider muss er allerdings auch feststellen, dass Wilson sich nicht nur immer mehr im "Plauderton" verliert, sondern im Laufe der nicht immer sachbezogenen Anekdoten ihr eigentliches Ziel aus den Augen verliert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2014Beim Köcheln kommt das Lächeln
Offenes Feuer oder doch lieber Mikrowelle? Bee Wilson schürft tief in der Kulturgeschichte der Kochwerkzeuge
Seit ein anonymer Koch vor etwa viertausend Jahren die ältesten Rezepte der Menschheitsgeschichte in eine sumerische Tontafel geritzt und dabei seinen mesopotamischen Landsleuten den reichlichen Gebrauch von Koriander, Majoran und Safran empfohlen hat, füllt die Literatur über die Zubereitung von Essen ganze babylonische Bibliotheken. Bücher über die Gerätschaften, die man dafür braucht, sind hingegen bis heute Raritäten - eine Paradoxie, die der britischen Historikerin, Gastrokritikerin und Hobbyköchin Bee Wilson keine Ruhe gelassen hat.
Also ist sie zur Tat geschritten und hat eine Kulturgeschichte der Koch- und Esswerkzeuge geschrieben, die sie großzügig mit apodiktischen Thesen würzt. Der Wandel der Küchengeräte, schreibt sie, sei schon immer Hand in Hand mit weitreichenden sozialen Umwälzungen gegangen. Deswegen wolle sie in ihrem Buch den Einfluss untersuchen, "den Küchengeräte auf das haben, was wir essen, wie wir essen und was wir von unserem Essen halten". Ein großes Versprechen, das alle hobbykochenden Geistesgeschwister von Bee Wilson in gespannte Erwartung versetzt.
Diese wird anfangs nicht enttäuscht. Denn man wird mit Wissenswertem, Verblüffendem, Ungeahntem aus der Welt des Essens geradezu bombardiert. Wir lernen, dass das elaborierte Kochen in der Zivilisationsgeschichte vergleichsweise jung ist, dass es Kochtöpfe überhaupt erst seit zehntausend Jahren gibt und dass die Urvölker in Japan, Island oder Neuseeland schon viel früher heiße Quellen als Topfersatz nutzten.
Wir lesen erstaunt, welche ungeheuren Konsequenzen die Erfindung des Kochtopfes hatte - er machte zum Beispiel Maniok, eine der wichtigsten Kohlehydratquellen weltweit, erst genießbar, weil diese Wurzel im rohen Zustand Zyanid enthält, das sich allein durch das Kochen auflöst. Wir wussten auch nichts davon, dass viele Innovationen in der Küche ursprünglich für das Militär konzipiert wurden. So hat die Mikrowelle ihren Ursprung in Radarsystemen für die Marine, während rostfreier Stahl zunächst für Gewehrläufe entwickelt wurde und erst danach wesentlich sinnvoller in Kochgeschirr und Besteck zum Einsatz kam.
Wilson liefert einen Parforceritt durch die kulinarische Weltgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, gespickt mit akribisch zusammengetragenen Wissenshappen - etwa über die Küchengeräte der alten Römer, deren Einfallsreichtum und Raffinesse bis ins neunzehnte Jahrhundert unerreicht bleiben sollte. So entwickelten sie schon Pfannen mit konzentrischen Bodenringen, die eine gleichmäßige Hitzeverteilung garantierten und thermische Spannung minimierten, wodurch die Pfanne sich nicht verzog und länger hielt. Nach dem Untergang des Römischen Imperiums herrschte dann fast anderthalbtausend Jahre lang die trostlose Tyrannei des Kessels in der Küche, in den alles geworfen und meist zu Brei verkocht wurde.
Im nächsten Atemzug geht es bei Bee Wilson dann um die Wechselwirkung zwischen der Erfindung von Tafelmessern und der Gebissstellung der Menschen; um den Siegeszug der Gabel, der erst im siebzehnten Jahrhundert begann und die alberne Haltung ablöste, dass richtige Kerle mit den Fingern zu essen hätten; oder um Albert Einstein, der einen - allerdings niemals gebauten - Kühlschrank ohne giftige Kühlmittel entwarf. Und die These, dass erst die knapp zwei Millionen Jahre alte Kulturtechnik des Bratens über offenem Feuer aus dem Affen einen Menschen gemacht hat, wird mit einem schönen Zitat des französischen Gastrosophen Jean Anthelme Brillat-Savarin garniert: "Der Koch kann gebildet werden, der Bratkünstler wird geboren."
So lässt man sich durch dieses Buch treiben, staunt hier, wundert sich dort, lernt viel und findet auch den Plauderton von Bee Wilson gar nicht schlimm, die immer wieder Erlebnisse aus ihrem Hausfrauenleben zum Besten gibt, über ihr erstes Topfset, über angebranntes Risotto, über ihre Freude an der Küchenarbeit: "Es gibt nur wenige Augenblicke am Tag, die mich glücklicher machen, als wenn ich einen Topf auf den Herd stelle, in der guten Gewissheit, dass schon bald das Mittagessen vor sich hin köcheln und das Haus mit Wohlgerüchen erfüllen wird."
Aber ganz allmählich wird einem das alles suspekt. Denn je mehr Seiten ins Land eher plätschern als gehen, umso ungeduldiger wartet man auf eine klare Linie, auf den großen Bogen, auf das Verweben der einzelnen Fäden zu einem kulturgeschichtlichen Strang. Doch das Buch bleibt episodisch, anekdotisch, willkürlich, es ist luftig wie ein Soufflé, leistet sich immer wieder den Luxus überflüssiger Exkurse zu Reiskochern, Muskatreiben oder Toastern, verheddert sich in Produktgeschichten irgendwelcher Küchenapparate, widmet sich mit penetranter Ausführlichkeit Randthemen wie dem Abmessen oder Zerkleinern von Zutaten und verliert darüber das eigentliche Ziel aus den Augen.
Was bleibt, ist der Appetit auf die große Kulturgeschichte von Messer, Gabel, Topf und Herd, auf die wir seit König Hammurabi von Babylon weiter warten müssen.
JAKOB STROBEL Y SERRA.
Bee Wilson: "Am Beispiel der Gabel". Eine Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge.
Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff.
Insel Verlag, Berlin 2014. 373 S., geb., 25.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Offenes Feuer oder doch lieber Mikrowelle? Bee Wilson schürft tief in der Kulturgeschichte der Kochwerkzeuge
Seit ein anonymer Koch vor etwa viertausend Jahren die ältesten Rezepte der Menschheitsgeschichte in eine sumerische Tontafel geritzt und dabei seinen mesopotamischen Landsleuten den reichlichen Gebrauch von Koriander, Majoran und Safran empfohlen hat, füllt die Literatur über die Zubereitung von Essen ganze babylonische Bibliotheken. Bücher über die Gerätschaften, die man dafür braucht, sind hingegen bis heute Raritäten - eine Paradoxie, die der britischen Historikerin, Gastrokritikerin und Hobbyköchin Bee Wilson keine Ruhe gelassen hat.
Also ist sie zur Tat geschritten und hat eine Kulturgeschichte der Koch- und Esswerkzeuge geschrieben, die sie großzügig mit apodiktischen Thesen würzt. Der Wandel der Küchengeräte, schreibt sie, sei schon immer Hand in Hand mit weitreichenden sozialen Umwälzungen gegangen. Deswegen wolle sie in ihrem Buch den Einfluss untersuchen, "den Küchengeräte auf das haben, was wir essen, wie wir essen und was wir von unserem Essen halten". Ein großes Versprechen, das alle hobbykochenden Geistesgeschwister von Bee Wilson in gespannte Erwartung versetzt.
Diese wird anfangs nicht enttäuscht. Denn man wird mit Wissenswertem, Verblüffendem, Ungeahntem aus der Welt des Essens geradezu bombardiert. Wir lernen, dass das elaborierte Kochen in der Zivilisationsgeschichte vergleichsweise jung ist, dass es Kochtöpfe überhaupt erst seit zehntausend Jahren gibt und dass die Urvölker in Japan, Island oder Neuseeland schon viel früher heiße Quellen als Topfersatz nutzten.
Wir lesen erstaunt, welche ungeheuren Konsequenzen die Erfindung des Kochtopfes hatte - er machte zum Beispiel Maniok, eine der wichtigsten Kohlehydratquellen weltweit, erst genießbar, weil diese Wurzel im rohen Zustand Zyanid enthält, das sich allein durch das Kochen auflöst. Wir wussten auch nichts davon, dass viele Innovationen in der Küche ursprünglich für das Militär konzipiert wurden. So hat die Mikrowelle ihren Ursprung in Radarsystemen für die Marine, während rostfreier Stahl zunächst für Gewehrläufe entwickelt wurde und erst danach wesentlich sinnvoller in Kochgeschirr und Besteck zum Einsatz kam.
Wilson liefert einen Parforceritt durch die kulinarische Weltgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, gespickt mit akribisch zusammengetragenen Wissenshappen - etwa über die Küchengeräte der alten Römer, deren Einfallsreichtum und Raffinesse bis ins neunzehnte Jahrhundert unerreicht bleiben sollte. So entwickelten sie schon Pfannen mit konzentrischen Bodenringen, die eine gleichmäßige Hitzeverteilung garantierten und thermische Spannung minimierten, wodurch die Pfanne sich nicht verzog und länger hielt. Nach dem Untergang des Römischen Imperiums herrschte dann fast anderthalbtausend Jahre lang die trostlose Tyrannei des Kessels in der Küche, in den alles geworfen und meist zu Brei verkocht wurde.
Im nächsten Atemzug geht es bei Bee Wilson dann um die Wechselwirkung zwischen der Erfindung von Tafelmessern und der Gebissstellung der Menschen; um den Siegeszug der Gabel, der erst im siebzehnten Jahrhundert begann und die alberne Haltung ablöste, dass richtige Kerle mit den Fingern zu essen hätten; oder um Albert Einstein, der einen - allerdings niemals gebauten - Kühlschrank ohne giftige Kühlmittel entwarf. Und die These, dass erst die knapp zwei Millionen Jahre alte Kulturtechnik des Bratens über offenem Feuer aus dem Affen einen Menschen gemacht hat, wird mit einem schönen Zitat des französischen Gastrosophen Jean Anthelme Brillat-Savarin garniert: "Der Koch kann gebildet werden, der Bratkünstler wird geboren."
So lässt man sich durch dieses Buch treiben, staunt hier, wundert sich dort, lernt viel und findet auch den Plauderton von Bee Wilson gar nicht schlimm, die immer wieder Erlebnisse aus ihrem Hausfrauenleben zum Besten gibt, über ihr erstes Topfset, über angebranntes Risotto, über ihre Freude an der Küchenarbeit: "Es gibt nur wenige Augenblicke am Tag, die mich glücklicher machen, als wenn ich einen Topf auf den Herd stelle, in der guten Gewissheit, dass schon bald das Mittagessen vor sich hin köcheln und das Haus mit Wohlgerüchen erfüllen wird."
Aber ganz allmählich wird einem das alles suspekt. Denn je mehr Seiten ins Land eher plätschern als gehen, umso ungeduldiger wartet man auf eine klare Linie, auf den großen Bogen, auf das Verweben der einzelnen Fäden zu einem kulturgeschichtlichen Strang. Doch das Buch bleibt episodisch, anekdotisch, willkürlich, es ist luftig wie ein Soufflé, leistet sich immer wieder den Luxus überflüssiger Exkurse zu Reiskochern, Muskatreiben oder Toastern, verheddert sich in Produktgeschichten irgendwelcher Küchenapparate, widmet sich mit penetranter Ausführlichkeit Randthemen wie dem Abmessen oder Zerkleinern von Zutaten und verliert darüber das eigentliche Ziel aus den Augen.
Was bleibt, ist der Appetit auf die große Kulturgeschichte von Messer, Gabel, Topf und Herd, auf die wir seit König Hammurabi von Babylon weiter warten müssen.
JAKOB STROBEL Y SERRA.
Bee Wilson: "Am Beispiel der Gabel". Eine Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge.
Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff.
Insel Verlag, Berlin 2014. 373 S., geb., 25.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»... ein großartiges Buch ...« Jakob Schrenk Süddeutsche Zeitung 20150110