"Der Millionär Johann von Sothen ist eine schillernde Persönlichkeit - er spendet, erhält Orden, errichtet eine Kapelle, bezieht das Schloss "Am Himmel". Bewundert wird der einstige Losverkäufer anfangs von den Armen, hofiert immer mehr von den höheren Kreisen und der Kirche. Von Betrügereien will niemand etwas wissen.Auf seinem Gut leiden die Arbeiter unter seinem Geiz. Auch der Jäger Hüttler, der mit seinen vier Kindern und deren Mutter in armseligen Verhältnissen neben dem Schloss lebt. Das uneheliche Verhältnis des Jägers wird von Sothen und dessen Frau benutzt, um Hüttler, aber ebenso die Gutsarbeiter zu drangsalieren und alle gegeneinander auszuspielen. Denn solange sie untereinander streiten, hat er nichts zu befürchten. In dieses Geflecht von Unterdrückung, Abhängigkeit und Aufbegehren trifft ein Schuss.In einer dramatischen Rekonstruktion der Ereignisse schildert Anna-Elisabeth Mayer den Aufstieg eines Mannes, der durch seine Habgier zu Fall gebracht wird, und entlarvt eine Gesellschaft, die alles dem falschen Schein von Geld und Macht unterwirft."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2017Lady Macbeth vom Wienerwald
Das böse Ende eines umstrittenen Geschäftsmanns: Anna-Elisabeth Mayer arbeitet den historischen Mordfall Sothen zum Roman "Am Himmel" um.
Das alles ist wirklich passiert. Im Jahr 1881 wurde Johann Carl Freiherr von Sothen im Wiener Vorort Sievering von seinem Förster Eduard Hüttler erschossen. Sothen, Jahrgang 1823, war nicht irgendwer, er war als Millionär und Menschenfreund ein prominenter Mann: Aus bescheidensten Verhältnissen kommend, hatte der Inhaber einer Tabaktrafik (also Verkaufsstelle für Rauchartikel und Zeitungen) in der Innenstadt einen schwunghaften Handel mit Losen aufgezogen, bald darauf selbst Lotterien veranstaltet und eine Wechselstube eröffnet. 1849 erwarb er das Gut Am Himmel, später auch die benachbarte Herrschaft Cobenzl samt Schloss. Mit wachsendem Reichtum - man munkelte von betrügerischen Praktiken - erfand Sothen sich selbst als Bankier und Großhändler neu, vor allem aber als christlicher Wohltäter. Er gründete Stiftungen für Witwen und Waisen, wurde mit päpstlichen Orden bedacht, kaufte sich um gutes Geld einen Freiherrentitel im Herzogtum Sachsen-Meiningen und überstand heil den Börsenkrach.
Als Gutsbesitzer war der Baron indes bald nicht für seine Mildtätigkeit, sondern für seinen Geiz und seine Hartherzigkeit bekannt. So hat er offenbar auch seinen Waldhüter jahrelang drangsaliert, ihm, den Vater von vier unehelichen Kindern, zuletzt gekündigt, was Hüttler zu seiner Tat bewogen haben dürfte. Am Tag des prunkvollen Begräbnisses schlug die öffentliche Stimmung ebenso endgültig wie dramatisch gegen den Leuteschinder um: Tausende waren aus der Stadt gekommen, um ihrem Zorn freien Lauf zu lassen, nur das Eingreifen der Polizei hinderte die Menge daran, sich des Sarges zu bemächtigen. Auf die Wand seiner Grabkapelle - einst von Sothen zur Vermählung von Franz Joseph und Sisi gestiftet - soll einer den Spruch gekritzelt haben: "Hier, in dieser schönen Gruft, / liegt der allergrößte Schuft. / Zeigts keine Sechserln runter, / Sonst wird er wieder munter!"
"Faction" ist eine schwierige Gattung. Was sich als historischer Fall spektakulär liest, das muss erst in einen Roman sui generis verwandelt werden, in ein ästhetisches Gebilde, das sich seine Gesetze selbst schafft und nicht vor allem zur Bebilderung von Gerichtssaalberichterstattung dient. Anna-Elisabeth Mayer, die 2011 mit dem mokanten Ärzteroman "Fliegengewicht" eindrücklich debütierte, hat offensichtlich alle einschlägigen Zeitungsartikel genau studiert und fast sämtliche Einzelheiten daraus für ihre Geschichte verwendet, zum Teil als wörtliche Zitate. Für Lokalkolorit sorgt der hintergründige Zauber der Flurnamen, mit denen auch die Kapitel überschrieben sind: Am Himmel, Wildgrube, Gspöttgraben, Agnesbründl, Bellevue. Hinzugefügt hat die Autorin zwei weibliche Hauptrollen, die den Chronisten kaum mehr als eine namentliche Erwähnung wert waren: Fanni, die der Geldvermehrung ebenfalls lüstern ergebene Gattin des Selfmademans, und Juliane, Hüttlers Lebensgefährtin. Die Erzählung beginnt am Ende, mit dem Mord, und trägt dann aus unterschiedlichen Perspektiven nach, was bisher geschah - über eine längere Strecke mittels einer fugenlosen Schnitttechnik, die genaues Lesen erfordert: Absatz für Absatz wechselt der Fokus, bald sitzen wir zu ebener Erde beim bescheidenen Mahl in der Försterhütte, bald reicht im ersten Stock die Frau Baronin dem Gemahl die Sauciere.
Das Ostentative dieser Setzung deutet bereits ein Problem des Buchs an. So sehr die Autorin sich auch um Differenzierung bemüht, so sind Gut und Böse doch zwischen Arm und Reich allzu säuberlich aufgeteilt. Immerhin gesteht die Erzählstimme dem smarten Frömmler den einen oder anderen Skrupel und wenigstens eine einnehmende Schwäche zu: seine Zuneigung zu Berta, einem armen Mädchen mit Hasenscharte, das ein Berufsgeheimnis mit Sothen teilt, ohne es zu wissen. In Mayers Version der Geschichte ist es Berta, die ihre Brieftauben aus Brünn, wo sie zeitweilig bei ihrem Vormund lebt, mit den bereits gezogenen Lottozahlen zu Sothen schickt, der sie in Wien noch vor Annahmeschluss zu Geld macht.
Die Rolle der bösen Hexe hat Fanni von Sothen. Sie treibt als Lady Macbeth vom Wienerwald ihren nicht zum Letzten entschlossenen Gatten vorwärts, bis in den Tod. Zu dieser überdeutlichen Figurenzeichnung passt der einfältig-schlichte Ton, der in der forcierten Gedrängtheit und Verknappung des Öfteren poetisch überfrachtet wirkt, mitunter aber auch schön prägnant. Etwa in der Beschreibung der Art und Weise, in der Sothens Ansehen eines Tages "zum Ausbruch" kommt: "Sothen wurde gegrüßt, bevor er es tat. Das Geld hatte die Grußrichtung umgedreht." Nach der Tat steht Eduard noch einmal in der offenen Tür seiner Hütte und schaut auf seine Familie, "als wäre er schon nicht mehr mit im Bild".
Andererseits waltet hier eine sprachliche Sorglosigkeit, die den Leser vermuten lässt, das Lektorat sei da und dort nur mit halber Aufmerksamkeit besorgt worden. Die Figuren sagen manches, was sie als Angehörige ihrer Schicht und als Genossen ihrer Zeit nicht sagen können. Insbesondere die verschwollenen Inquit-Formeln sind ärgerlich: ",Wie krieg ich den nur los', versuchte er nicht aufzublicken." Oder noch verstiegener: ",Den Juden ist wohl der silberne Löffel aus der Hand gefallen', genoss Marie den Abend." Fanni darf "vertrauensvoll" mit "vertrauenswürdig" verwechseln, und Juliane verspürt "Ärger gegen ihre Mittellosigkeit". Am Schluss sind gar aus den vier Förster-Kindern (eines ist gestorben) plötzlich wieder fünf geworden.
Mit "Am Himmel" hat Anna-Elisabeth Mayer ein klassenbewusstes Lehrstück über Habgier und Nimmersättigung geschrieben. Sie zeigt eine lokale Berühmtheit von einst als zeitlosen Typus des Hasardeurs und Finanzjongleurs, die Panik des Parvenus vor dem Alles-Wieder-Verlieren und die kollektive Bereitschaft zur Bewunderung des Tüchtigen, die ihr Ablaufdatum eingeschrieben hat, um in Hass umzuschlagen. Der "Lotteriebaron" endet als schäbiger Schmutzian, wie man in Wien den Geizkragen heißt. Beim Lesen kann man sich dennoch des Verdachts nicht erwehren, die Autorin hätte ihr famoses Thema letztlich verschenkt. Weil sie sich allzu sehr aufs Zeigen und zu wenig aufs Erzählen verlässt. Ihre Figuren, so scheint es, haben sie nicht wirklich, nicht als Charaktere interessiert, es sind Menschen aus Zeitungspapier. In den Wiener Zeitungen kann man auch den Ausgang des Prozesses nachlesen, den Mayer lapidar ans Ende ihrer Geschichte setzt und der hier nicht verraten werden soll.
DANIELA STRIGL
Anna-Elisabeth Mayer: "Am Himmel". Roman.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2017. 202 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das böse Ende eines umstrittenen Geschäftsmanns: Anna-Elisabeth Mayer arbeitet den historischen Mordfall Sothen zum Roman "Am Himmel" um.
Das alles ist wirklich passiert. Im Jahr 1881 wurde Johann Carl Freiherr von Sothen im Wiener Vorort Sievering von seinem Förster Eduard Hüttler erschossen. Sothen, Jahrgang 1823, war nicht irgendwer, er war als Millionär und Menschenfreund ein prominenter Mann: Aus bescheidensten Verhältnissen kommend, hatte der Inhaber einer Tabaktrafik (also Verkaufsstelle für Rauchartikel und Zeitungen) in der Innenstadt einen schwunghaften Handel mit Losen aufgezogen, bald darauf selbst Lotterien veranstaltet und eine Wechselstube eröffnet. 1849 erwarb er das Gut Am Himmel, später auch die benachbarte Herrschaft Cobenzl samt Schloss. Mit wachsendem Reichtum - man munkelte von betrügerischen Praktiken - erfand Sothen sich selbst als Bankier und Großhändler neu, vor allem aber als christlicher Wohltäter. Er gründete Stiftungen für Witwen und Waisen, wurde mit päpstlichen Orden bedacht, kaufte sich um gutes Geld einen Freiherrentitel im Herzogtum Sachsen-Meiningen und überstand heil den Börsenkrach.
Als Gutsbesitzer war der Baron indes bald nicht für seine Mildtätigkeit, sondern für seinen Geiz und seine Hartherzigkeit bekannt. So hat er offenbar auch seinen Waldhüter jahrelang drangsaliert, ihm, den Vater von vier unehelichen Kindern, zuletzt gekündigt, was Hüttler zu seiner Tat bewogen haben dürfte. Am Tag des prunkvollen Begräbnisses schlug die öffentliche Stimmung ebenso endgültig wie dramatisch gegen den Leuteschinder um: Tausende waren aus der Stadt gekommen, um ihrem Zorn freien Lauf zu lassen, nur das Eingreifen der Polizei hinderte die Menge daran, sich des Sarges zu bemächtigen. Auf die Wand seiner Grabkapelle - einst von Sothen zur Vermählung von Franz Joseph und Sisi gestiftet - soll einer den Spruch gekritzelt haben: "Hier, in dieser schönen Gruft, / liegt der allergrößte Schuft. / Zeigts keine Sechserln runter, / Sonst wird er wieder munter!"
"Faction" ist eine schwierige Gattung. Was sich als historischer Fall spektakulär liest, das muss erst in einen Roman sui generis verwandelt werden, in ein ästhetisches Gebilde, das sich seine Gesetze selbst schafft und nicht vor allem zur Bebilderung von Gerichtssaalberichterstattung dient. Anna-Elisabeth Mayer, die 2011 mit dem mokanten Ärzteroman "Fliegengewicht" eindrücklich debütierte, hat offensichtlich alle einschlägigen Zeitungsartikel genau studiert und fast sämtliche Einzelheiten daraus für ihre Geschichte verwendet, zum Teil als wörtliche Zitate. Für Lokalkolorit sorgt der hintergründige Zauber der Flurnamen, mit denen auch die Kapitel überschrieben sind: Am Himmel, Wildgrube, Gspöttgraben, Agnesbründl, Bellevue. Hinzugefügt hat die Autorin zwei weibliche Hauptrollen, die den Chronisten kaum mehr als eine namentliche Erwähnung wert waren: Fanni, die der Geldvermehrung ebenfalls lüstern ergebene Gattin des Selfmademans, und Juliane, Hüttlers Lebensgefährtin. Die Erzählung beginnt am Ende, mit dem Mord, und trägt dann aus unterschiedlichen Perspektiven nach, was bisher geschah - über eine längere Strecke mittels einer fugenlosen Schnitttechnik, die genaues Lesen erfordert: Absatz für Absatz wechselt der Fokus, bald sitzen wir zu ebener Erde beim bescheidenen Mahl in der Försterhütte, bald reicht im ersten Stock die Frau Baronin dem Gemahl die Sauciere.
Das Ostentative dieser Setzung deutet bereits ein Problem des Buchs an. So sehr die Autorin sich auch um Differenzierung bemüht, so sind Gut und Böse doch zwischen Arm und Reich allzu säuberlich aufgeteilt. Immerhin gesteht die Erzählstimme dem smarten Frömmler den einen oder anderen Skrupel und wenigstens eine einnehmende Schwäche zu: seine Zuneigung zu Berta, einem armen Mädchen mit Hasenscharte, das ein Berufsgeheimnis mit Sothen teilt, ohne es zu wissen. In Mayers Version der Geschichte ist es Berta, die ihre Brieftauben aus Brünn, wo sie zeitweilig bei ihrem Vormund lebt, mit den bereits gezogenen Lottozahlen zu Sothen schickt, der sie in Wien noch vor Annahmeschluss zu Geld macht.
Die Rolle der bösen Hexe hat Fanni von Sothen. Sie treibt als Lady Macbeth vom Wienerwald ihren nicht zum Letzten entschlossenen Gatten vorwärts, bis in den Tod. Zu dieser überdeutlichen Figurenzeichnung passt der einfältig-schlichte Ton, der in der forcierten Gedrängtheit und Verknappung des Öfteren poetisch überfrachtet wirkt, mitunter aber auch schön prägnant. Etwa in der Beschreibung der Art und Weise, in der Sothens Ansehen eines Tages "zum Ausbruch" kommt: "Sothen wurde gegrüßt, bevor er es tat. Das Geld hatte die Grußrichtung umgedreht." Nach der Tat steht Eduard noch einmal in der offenen Tür seiner Hütte und schaut auf seine Familie, "als wäre er schon nicht mehr mit im Bild".
Andererseits waltet hier eine sprachliche Sorglosigkeit, die den Leser vermuten lässt, das Lektorat sei da und dort nur mit halber Aufmerksamkeit besorgt worden. Die Figuren sagen manches, was sie als Angehörige ihrer Schicht und als Genossen ihrer Zeit nicht sagen können. Insbesondere die verschwollenen Inquit-Formeln sind ärgerlich: ",Wie krieg ich den nur los', versuchte er nicht aufzublicken." Oder noch verstiegener: ",Den Juden ist wohl der silberne Löffel aus der Hand gefallen', genoss Marie den Abend." Fanni darf "vertrauensvoll" mit "vertrauenswürdig" verwechseln, und Juliane verspürt "Ärger gegen ihre Mittellosigkeit". Am Schluss sind gar aus den vier Förster-Kindern (eines ist gestorben) plötzlich wieder fünf geworden.
Mit "Am Himmel" hat Anna-Elisabeth Mayer ein klassenbewusstes Lehrstück über Habgier und Nimmersättigung geschrieben. Sie zeigt eine lokale Berühmtheit von einst als zeitlosen Typus des Hasardeurs und Finanzjongleurs, die Panik des Parvenus vor dem Alles-Wieder-Verlieren und die kollektive Bereitschaft zur Bewunderung des Tüchtigen, die ihr Ablaufdatum eingeschrieben hat, um in Hass umzuschlagen. Der "Lotteriebaron" endet als schäbiger Schmutzian, wie man in Wien den Geizkragen heißt. Beim Lesen kann man sich dennoch des Verdachts nicht erwehren, die Autorin hätte ihr famoses Thema letztlich verschenkt. Weil sie sich allzu sehr aufs Zeigen und zu wenig aufs Erzählen verlässt. Ihre Figuren, so scheint es, haben sie nicht wirklich, nicht als Charaktere interessiert, es sind Menschen aus Zeitungspapier. In den Wiener Zeitungen kann man auch den Ausgang des Prozesses nachlesen, den Mayer lapidar ans Ende ihrer Geschichte setzt und der hier nicht verraten werden soll.
DANIELA STRIGL
Anna-Elisabeth Mayer: "Am Himmel". Roman.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2017. 202 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main