Sie waren Jugendfreunde, ehe sie sich aus den Augen verloren. In Madrid treffen sie sich wieder: sie, eine angehende Richterin, die das Leben gelehrt hat, stark und vernünftig zu sein; er, Weltenbummler und sehr undogmatischer Seminarist, der vor seiner Ordination Pilar noch einmal wiedersehen will. Beide verbindet ihr Drang, aus ihrem sicheren Leben auszubrechen und ihre Träume zu wagen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1998Überschwemmung mit Fallstrick
Die freie Liebe wird ungern katholisch: Paulo Cuelho schwärmt
Frömmigkeit ist eine persönliche Einstellung, über die sich mit keinem rechten läßt. Liebesfrömmigkeit ist ein literarischer Atavismus, mit dem sich ein Autor in der Welt der erotischen Schnödigkeiten interessant machen kann - und also ein fragwürdiges Verfahren. Mit der lyrischen Intensität des Hohenliedes setzt Paulo Cuelhos Roman "Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte" ein, um in einen schwülstigen Text zu münden, der die Bekehrung einer Frau zur himmlischen Liebe (mit allerdings irdischen Folgen) darstellt.
Eine Erzählerin berichtet von ihrer Begegnung mit ihrem Jugendfreund, der zum Seminaristen geworden und vom Charisma des Wunderheilers umgeben ist: "Ich liebte also einen Mann, der heilen konnte." Die Frauen, die die Vorträge des Auserwählten hören, bezeichnen ihn als "einsamen Rufer", der ihnen ihre Religion wiedergibt. Seine Freundin führt er zur Marienverehrung zurück, denn die Mutter Jesu Christi "ist das weibliche Antlitz Gottes". Auch das Wunder der Bernadette wird zum Kapitel im Lehrbuch der überirdischen Liebe, zu der die junge Frau von ihrem Freund bekehrt wird.
Um die Männerphantasie von der Jungfräulichkeit nicht zu brüskieren, erfindet der Autor einen witzigen Ausweg aus der Promiskuität, zu der moderne Frauen neigen und die ihm als lateinamerikanischem Mann in der Tat unliebsamer sein muß als seinen europäischen Lesern. Die Verführung seiner Freundin ist das Gegenteil von dem, was sie in Europa wäre; sie ist eine Reinigung, in der die Geliebte ihre Unschuld wiedergewinnt, um sie dem Purifikator aufs neue opfern zu können: "Ich strich über seinen Kopf, hörte sein Stöhnen und dankte Gott dafür, daß er da war, in mir und mir das Gefühl gab, es wäre das erste Mal."
Allerdings bleibt die fiktive Erzählerin der Erinnerungen ganz moderne Frau, denn der Liebeszauber, der sie umwebt, führt zu höchst praktischen Tugenden, die auch im Berufsleben nützlich sein könnten, wenn sie etwa durch die Liebe "ihre Grenzen" kennenlernt und die Fähigkeit übt, sich "im Griff" zu behalten. Für die Leserin hält ihr Erinnerungsbuch einen ganzen Katalog von erbaulichen Sprüchen über die Liebe bereit. Sie kann das Büchlein als Vademecum benutzen, wenn ihr die Liebe allzusehr zusetzt, denn fast auf jeder Seite sind der Weisheiten viele zu finden: "Wer liebt, muß sich verlieren und sich wiederfinden können." "Wenn die Wände einstürzen, überschwemmt die Liebe alles." "Die Liebe hat viele Fallstricke. Wenn sie sich uns zeigt, sehen wir nur ihr Licht und nicht ihre Schattenseiten." "Warten. Das war die erste Lektion über die Liebe, die ich gelernt hatte."
Die Verbindung von Trostbuch und Liebesroman genießt der Europäer seit dem "Werther", aber es bleibt zu fragen, ob die Epoche eines solchen poetischen Entwurfs nicht doch vorüber ist. Liebesdichtung kann das Erbe religiöser Inbrunst antreten, aber nur dann, wenn diese im Prozeß seiner Säkularisierung zunächst verdeckt und schließlich vergessen wird. Peinlich jedoch muß die planmäßige Vermischung und bewußte Gleichzeitigkeit von Spiritualität und Fleischeslust wirken. Cuelho hat selbst gespürt, daß die freie Liebe es schwer hat, katholisch zu werden. Er versucht daher der Heiligung dieses körperlichen Ereignisses einen modischen Anstrich zu geben, indem er gelegentlich das Christentum wie ein ethnologisches Studienobjekt vorstellt, Maria und Kybele in eins setzt und kirchliche Feste und Krankenheilungen zu "Ritualen" umdeutet. In seinem jüngsten Buch hat Cuelho den falschen Mythos gewählt. Alle Riten und Mythen der Welt können einem Autor zum Mittel der Poetisierung eines Sujets dienen, allein der christliche nicht.
Als Mythos kann er nicht verstanden werden. Jeder, auch der, der nicht gläubig ist, hat das Christentum als Lebensentwurf kennengelernt, den er akzeptieren oder ablehnen muß. Christlichen Motiven haftet immer die Herausforderung an, die sie an den abendländischen Menschen stellen, zur Verklärung taugen sie nicht. HANNELORE SCHLAFFER
Paulo Cuelho: "Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte". Roman. Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 233 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die freie Liebe wird ungern katholisch: Paulo Cuelho schwärmt
Frömmigkeit ist eine persönliche Einstellung, über die sich mit keinem rechten läßt. Liebesfrömmigkeit ist ein literarischer Atavismus, mit dem sich ein Autor in der Welt der erotischen Schnödigkeiten interessant machen kann - und also ein fragwürdiges Verfahren. Mit der lyrischen Intensität des Hohenliedes setzt Paulo Cuelhos Roman "Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte" ein, um in einen schwülstigen Text zu münden, der die Bekehrung einer Frau zur himmlischen Liebe (mit allerdings irdischen Folgen) darstellt.
Eine Erzählerin berichtet von ihrer Begegnung mit ihrem Jugendfreund, der zum Seminaristen geworden und vom Charisma des Wunderheilers umgeben ist: "Ich liebte also einen Mann, der heilen konnte." Die Frauen, die die Vorträge des Auserwählten hören, bezeichnen ihn als "einsamen Rufer", der ihnen ihre Religion wiedergibt. Seine Freundin führt er zur Marienverehrung zurück, denn die Mutter Jesu Christi "ist das weibliche Antlitz Gottes". Auch das Wunder der Bernadette wird zum Kapitel im Lehrbuch der überirdischen Liebe, zu der die junge Frau von ihrem Freund bekehrt wird.
Um die Männerphantasie von der Jungfräulichkeit nicht zu brüskieren, erfindet der Autor einen witzigen Ausweg aus der Promiskuität, zu der moderne Frauen neigen und die ihm als lateinamerikanischem Mann in der Tat unliebsamer sein muß als seinen europäischen Lesern. Die Verführung seiner Freundin ist das Gegenteil von dem, was sie in Europa wäre; sie ist eine Reinigung, in der die Geliebte ihre Unschuld wiedergewinnt, um sie dem Purifikator aufs neue opfern zu können: "Ich strich über seinen Kopf, hörte sein Stöhnen und dankte Gott dafür, daß er da war, in mir und mir das Gefühl gab, es wäre das erste Mal."
Allerdings bleibt die fiktive Erzählerin der Erinnerungen ganz moderne Frau, denn der Liebeszauber, der sie umwebt, führt zu höchst praktischen Tugenden, die auch im Berufsleben nützlich sein könnten, wenn sie etwa durch die Liebe "ihre Grenzen" kennenlernt und die Fähigkeit übt, sich "im Griff" zu behalten. Für die Leserin hält ihr Erinnerungsbuch einen ganzen Katalog von erbaulichen Sprüchen über die Liebe bereit. Sie kann das Büchlein als Vademecum benutzen, wenn ihr die Liebe allzusehr zusetzt, denn fast auf jeder Seite sind der Weisheiten viele zu finden: "Wer liebt, muß sich verlieren und sich wiederfinden können." "Wenn die Wände einstürzen, überschwemmt die Liebe alles." "Die Liebe hat viele Fallstricke. Wenn sie sich uns zeigt, sehen wir nur ihr Licht und nicht ihre Schattenseiten." "Warten. Das war die erste Lektion über die Liebe, die ich gelernt hatte."
Die Verbindung von Trostbuch und Liebesroman genießt der Europäer seit dem "Werther", aber es bleibt zu fragen, ob die Epoche eines solchen poetischen Entwurfs nicht doch vorüber ist. Liebesdichtung kann das Erbe religiöser Inbrunst antreten, aber nur dann, wenn diese im Prozeß seiner Säkularisierung zunächst verdeckt und schließlich vergessen wird. Peinlich jedoch muß die planmäßige Vermischung und bewußte Gleichzeitigkeit von Spiritualität und Fleischeslust wirken. Cuelho hat selbst gespürt, daß die freie Liebe es schwer hat, katholisch zu werden. Er versucht daher der Heiligung dieses körperlichen Ereignisses einen modischen Anstrich zu geben, indem er gelegentlich das Christentum wie ein ethnologisches Studienobjekt vorstellt, Maria und Kybele in eins setzt und kirchliche Feste und Krankenheilungen zu "Ritualen" umdeutet. In seinem jüngsten Buch hat Cuelho den falschen Mythos gewählt. Alle Riten und Mythen der Welt können einem Autor zum Mittel der Poetisierung eines Sujets dienen, allein der christliche nicht.
Als Mythos kann er nicht verstanden werden. Jeder, auch der, der nicht gläubig ist, hat das Christentum als Lebensentwurf kennengelernt, den er akzeptieren oder ablehnen muß. Christlichen Motiven haftet immer die Herausforderung an, die sie an den abendländischen Menschen stellen, zur Verklärung taugen sie nicht. HANNELORE SCHLAFFER
Paulo Cuelho: "Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte". Roman. Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 233 S., geb., 34,- DM.
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»Coelho berührt mit seiner einfachen, schnörkellosen Sprache, die ungeheuer fesseln und begeistern kann, Menschen in ihrem Innersten.« Britta Bingmann / Westdeutsche Allgemeine Zeitung Westdeutsche Allgemeine Zeitung