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Felix Schmidts "Amelie" erzählt vom Ende einer Ehe
Den achtzigsten Geburtstag hat der Erzähler von Felix Schmidts Debütroman schon hinter sich, als er beim besten Willen nicht mehr übersehen kann, dass seine Frau, die dem Roman den Titel gibt, ihn mit seinem besten Freund betrügt. Amelies lange Spaziergänge mit Paul, aber nicht mit ihrem Mann, ihre Vertrautheit, die kleinen Gesten und die nun jäh beobachtete Umarmung - ist das, wie Amelie später behauptet, nur eine Sommerliebe (was quälend genug wäre)? Ist es mehr? Und hat er, der Erzähler, irgendetwas in der Hand, um den Schaden zu begrenzen und die Ehe fortführen zu können?
Amelie ist ein Vierteljahrhundert jünger als ihr Mann, und Paul, den der Erzähler als entsetzlichen Windbeutel und Dampfplauderer zeichnet, bringt ihrer Ansicht nach frischen Wind in ihr Dasein: "Mir sind in den Monaten, in denen ich dich betrogen habe, Flügel gewachsen", sagt sie einmal in einem Gespräch, das die Situation klären soll und nichts dergleichen tut. Entlarvend ist dieser Satz, den der Erzähler registriert, ohne ihn in seiner Tragweite zu begreifen, weil er allen sonstigen Beteuerungen Amelies zum Trotz deutlich macht, dass es kein Zurück mehr geben kann - wer, der einmal Flügel getragen hat, würde sie schon freiwillig wieder abgeben?
Für den Erzähler aber ist das nach quälendem Hin und Her eingestandene Ergebnis, die Trennung, ein Verlust, nicht zuletzt an Sicherheit im Gewohnten. Und es ist eine enorme Kränkung, zu der die Erkenntnis, vom Freund und der Ehefrau belogen zu werden, ebenso beiträgt wie die Scham über die Strategien als Privatdetektiv in eigener Sache, die der Erzähler nun entwickelt und die im heimlichen Mitlesen des E-Mail-Verkehrs des betrügerischen Paares gipfeln - entschuldigt immerhin durch den seltsamen Umstand, dass Amelie beim Auszug den Kleiderschrank räumt, aber einen dicken Packen ausgedruckter Mails dalässt, wie um den Ehemann zum Lesen des intimen Briefwechsels zu animieren, was das Schuldgefühl, heimlich online damit weiterzumachen, vermutlich relativiert.
Er versammelt um sich, was ihm bleibt, und lässt schweren Herzens ziehen, was er nicht mehr halten kann: den Freund und die Ehefrau sowie das vor Jahrzehnten erworbene, geliebte und irgendwann Amelie überschriebene Ferienhaus in Frankreich. Auf der anderen Seite stehen die beiden gemeinsamen Kinder, die zum Vater halten und sich dafür vom womöglich angetrunkenen Freund der Mutter am Telefon anherrschen lassen müssen, steht ein hilfreicher Psychotherapeut und steht vor allem das Bewusstsein eigener Stärken wie ein offenbar beträchtliches Vermögen als Hobbykoch, und es rührt durchaus an, wie sich der verunsicherte Erzähler an solche Dinge klammert, während er weiß, dass sie ihm am Ende nicht helfen, die Verlorene zurückzugewinnen.
Schmidt, Jahrgang 1934 und in seiner langen journalistischen Laufbahn unter anderem ehedem Chefredakteur des "Sterns", teilt sich mit seinem Erzähler nicht nur das ungefähre Alter, sondern auch die Verwurzelung in einer bestimmten Schicht von Kulturschaffenden. Der gutsituierte Rentner, der in Schmidts Roman erzählt, stellt seine Freiheit von materiellen Sorgen weder aus, noch redet er sie klein, aber er macht auch deutlich, dass Wohlstand Liebeskummer ebenso wenig mindert wie ein vorgerücktes Alter. Am schönsten aber ist, dass sich kein resignierter Blick einschleicht, kein unterschwelliges "Das musste ja so kommen" bei diesem Altersunterschied. Der Erzähler beharrt darauf, dass etwas Großes vor der Zeit zu Ende gegangen ist. Und kann es genau deshalb akzeptieren.
TILMAN SPRECKELSEN
Felix Schmidt: "Amelie". Roman.
Osburg Verlag, Hamburg 2020. 150 S., geb., 18,- [Euro].
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