The bestselling novel from the award-winning author of We Should All Be Feminists and Dear Ijeawele. The story of two Nigerians making their way in the U.S. and the UK, raising universal questions of race and belonging, the overseas experience for the African diaspora, and the search for identity and a home. Ifemelu and Obinze are young and in love when they depart military-ruled Nigeria for the West. Beautiful, self-assured Ifemelu heads for America, where despite her academic success, she is forced to grapple with what it means to be black for the first time. Quiet, thoughtful Obinze had hoped to join her, but with post-9/11 America closed to him, he instead plunges into a dangerous, undocumented life in London. Fifteen years later, they reunite in a newly democratic Nigeria, and reignite their passion-for each other and for their homeland.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2014Die Freiheit hat Locken und spricht mit Akzent
Chimamanda Ngozi Adichie ist womöglich das größte neue Talent der englischsprachigen Literatur. Ihr grandioser Roman "Americanah" stellt auch uns die Frage, wer wir sind
Haare. Es geht ständig um Haare. Und um Namen. Wie man sie trägt und ausspricht. Darum, was die Namen in sich tragen von denen, die sie tragen. Und was die dann wiederum über sich preisgeben, wenn sie ihre Haare auf bestimmte Weise flechten lassen. Wie ihre Stimmen klingen. Wenn sie Worte aussprechen, auf bestimmte Weise. Oder Namen.
Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hat einen umwerfenden Roman geschrieben - über Haare und Namen. Über Stimmen und Wortwahl. Über lauter Dinge, deren Brisanz und Bedeutsamkeit und Prägekraft einem nicht unbedingt auffallen, wenn man zu jener Mehrheit gehört, die vorgibt, wie was auszusprechen ist und auszusehen hat.
Dinge sind das aber, die für die anderen, für all jene also, die nicht zu dieser Mehrheit gehören, lebensentscheidend werden, ob sie es wollen oder nicht. Eine Frisur kann zum Beispiel sagen: Dieser Person darf man nicht trauen. Ein Name kann sagen: Aufgepasst, was diese Person in Wirklichkeit will. Ein Akzent kann plötzlich signalisieren: Achtung, diese Person ist keine von uns. Und wer die Mehrheit ist und wer die Minderheit, das liegt oft nur ein paar Flugstunden auseinander.
"Americanah" heißt der Roman von Chimamanda Ngozi Adichie, 600 Seiten lang ist er, durch die man mehr oder weniger jagt, und auch der Puls jagt dabei, man will anderen ständig davon erzählen, was man gerade gelesen hat: weil das Buch nicht nur wunderschön geschrieben ist, sondern in fast jedem Kapitel etwas erklärt über die Welt von heute, das man so noch nicht gesehen hat. Weil man manche Dinge eben nur schwer erkennt, wenn man die Perspektive nicht endlich mal wechselt.
Diese Woche erscheint "Americanah" endlich auch auf Deutsch. In den Vereinigten Staaten und Großbritannien wurde das Buch gefeiert und mit Preisen ausgezeichnet. "Americanah" spielt einerseits in Nigeria, andererseits an der Ostküste der Vereinigten Staaten und in London. Es spielt im Auswanderermilieu von Lagos und im Einwanderermilieu von London und Brooklyn und Philadelphia. Und es spielt heute, in den letzten 35 Jahren, Barack Obama zum Beispiel tritt auf.
"Americanah" - das ist übrigens der Ausdruck für Nigerianer, die nach einem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten in ihre Heimat zurückkehren - ist dabei vieles auf einmal: eine ziemlich romantische Liebesgeschichte. Ein Porträt Nigerias, das ja gerade zur wichtigsten Wirtschaftsnation Afrikas aufgestiegen ist. Ein Campusroman. Eine lustig-böse Beschreibung der englischen und amerikanischen Elite. Aber vor allem ist es ein Plädoyer, immer wieder einen Schritt zurück- und beiseitezutreten, um den Ort genauer zu betrachten, von dem aus man die Welt betrachtet, und zu erkennen, dass dieser Ort immer auch nur im Verhältnis zu den anderen Orten steht, von denen aus der Rest dieser Welt auf die Welt schaut.
Chimamanda Ngozi Adichie, geboren 1977, erzählt die Geschichte eines jungen Paares aus der Oberschicht von Lagos, das hält das Buch zusammen: Ifemelu und Obinze lernen sich in der Schule kennen, sie gehen gemeinsam aufs College, aber die ständigen Streiks ihrer unterbezahlten bis gar nicht bezahlten Professoren zermürben sie. Dann bietet sich Ifemelu die Chance, in Amerika zu studieren, ihr Freund Obinze - der Amerika aus der Ferne über alles liebt - muss erst noch bleiben, wo er ist. Er freut sich aber für Ifemelu, er reist in Gedanken mit, in der Hoffnung, irgendwann nachzukommen (er wird es zumindest bis nach London schaffen, als Illegaler, und schließlich wieder ausgewiesen).
Doch in dem Augenblick, als Ifemelu ihren Fuß auf amerikanischen Boden setzt, wird sie jemand anderes. Eben noch spielte ihre Haut keine Rolle. Ihre Haare. Ihre Stimme. Eben noch gehörte sie zu den Privilegierten ihres Landes. Jetzt ist Ifemelu schwarz, und das ist in Amerika etwas anderes als in Nigeria. Eben war die Klasse noch entscheidend, der jemand angehört, jetzt ist es die Rasse.
Das verändert Ifemelus Leben, ihre Liebe zu Obinze, es verändert alles. Plötzlich sind ihre Haare, ihre Stimme, ihre Wortwahl politisch geworden. Sie spricht zwar Englisch, erlesenes Englisch sogar, aber im falschen Sound. Wenn sie vorankommen will in Amerika, wird ihr bedeutet, sollte sie sich besser schnellstens ihren Afro glätten lassen. Ifemelu taumelt, ihre Selbstsicherheit schwindet, und als sie auf der verzweifelten Suche nach einem Nebenjob schließlich einem Mann dabei hilft, sich zu entspannen - wie der Mann das nennt, wofür er ihr hundert Dollar bezahlt -, stürzt ihre Welt komplett ein. Sie zieht sich zurück. Bricht den Kontakt zu Obinze ab. Ihr Leben kommt zum Stillstand.
Aber nur kurz. Dann rettet sie, Deus-ex-Machina-artig, ein Babysitterjob bei einer sehr reichen, weißen Familie aus der Depression. Und ein Blog: Ifemelu beginnt zu schreiben. Eine Art Ratgeber, in dem sie die tausend Demütigungen eines durchschnittlichen Tages in der freien Welt verarbeitet. In dem sie die Wucht der Zurückweisung zum Gegenangriff nutzt.
"Amerika für nicht-amerikanische Schwarze", so sind ihre Texte meistens betitelt, und dann folgt, zum Beispiel: "Lieber nicht-amerikanischer Schwarzer, wenn du dich dafür entscheidest, nach Amerika zu kommen, wirst du schwarz. Hör auf zu sagen, ich bin Jamaikaner und ich bin Ghanaer. Amerika ist das egal." Oder: "Wenn du an einem Elitecollege studierst und dir ein junger Republikaner erklärt, dass du deinen Studienplatz nur aufgrund positiver Diskriminierung erhalten hast, sag kein Wort zu den perfekten Noten aus der Highschool. Weise ihn stattdessen vorsichtig darauf hin, dass die größten Nutznießer positiver Diskriminierung weiße Frauen sind."
Der Blog macht Ifemelu finanziell unabhängig ("Americanah" ist also auch ein bisschen ein Märchen). Seine Einträge tauchen immer wieder im Text auf. Ansonsten hat Chimamanda Ngozi Adichie einen nahezu klassisch erzählten Roman geschrieben, in sieben Teilen und fünfundfünfzig Kapiteln. Er beginnt in Nigeria und endet dort wieder: Dreizehn Jahre hat Ifemelu in Amerika verbracht, sie hat sich nach ihrem Bruch mit Obinze in einen weißen höheren Sohn namens Curt verliebt und ihn irgendwann betrogen, danach lebt sie mit Blaine zusammen, einem Afroamerikaner, dem sie aber auch irgendwann das Herz bricht.
Die letzte Leidenschaft, die die beiden zusammen erleben, ist der Wahlsieg von Barack Obama 2008. Etwas später verlässt Ifemelu auch Blaine und entschließt sich, nach Lagos zurückzukehren. Als "Americanah". Dort angekommen, fremdelt sie wieder mit den anderen, die auch zurückgekehrt sind, und genauso mit den alten Freunden, die nie weg waren, und spätestens hier wird klar, dass Ifemelu zwar ein Gespür für die Distinktionsgewinne und Distinktionsverluste zwischen den Rassen hat, für die Gemeinheiten gutgemeinter Worte und den versteckten Hass: Was sie aber wirklich umtreibt und rastlos macht, ungerecht und anfällig, ist ihre unerfüllte Liebe zu Obinze. Der ist ein erfolgreicher Geschäftsmann in Lagos, verheiratet mit Kind, als Ifemelu sich endlich bei ihm meldet.
Chimamanda Ngozi Adichie wechselt selbst zwischen Amerika und Nigeria hin und her. Sie war etwa so alt wie ihre Figur Ifemelu, als sie zum Studium nach Amerika ging, sie hat an Ivy-League-Universitäten studiert wie die Figuren im Buch und früh zu schreiben begonnen, Theaterstücke, Gedichte. "Americanah" ist ihr dritter Roman, ihr zweiter, "Die Hälfte der Sonne", ist gerade verfilmt worden.
In Interviews hat Adichie von den Problemen erzählt, die ihr nigerianischer Pass mit sich bringt: In diesem Frühjahr wollte sie zum Beispiel nach Kopenhagen einreisen, der Grenzbeamte am Flughafen ließ sie beiseitetreten und hat sie dann ausgiebig befragt, obwohl Adichie beteuerte und ja auch nachweisen konnte, dass sie Schriftstellerin ist. Später habe sich ihr Gastgeber entschuldigt und erklärt, der Beamte müsse geglaubt haben, sie sei eine Prostituierte. Sie überlege also jetzt, sagt Chimamanda Ngozi Adichie und lacht dabei, man kann das Interview im Internet anschauen, sich doch um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu bewerben, es reiche dann auch mal, Material zum Schreiben habe sie ja inzwischen genug recherchiert.
Und aus diesem Material hat sie "Americanah" geformt. Der zentrale Konflikt ihres Buchs ist der zwischen schwarzen Afrikanern und amerikanischen Schwarzen, einmal beschreibt Adichie ein Seminar an Ifemelus College, wo die Studenten, darunter schwarze Amerikaner und Afrikaner, gemeinsam das Sklavendrama "Roots" anschauen und dann ein Streit ausbricht, warum im Video das Wort "Nigger" überpiepst wurde, ein Streit, den die weiße Professorin kaum steuern kann, weil er an Verabredungen rührt, die zu treffen schon schwer genug war. Aber für die Afrikaner im Raum ist die amerikanische Bürgerrechtsbewegung eben nicht die eigene Geschichte. Ihr Kapitel ist ein anderes, nicht weniger schmerzhaftes in der Geschichte der Verteilung der Welt.
"Americanah" erzählt auch daraus, von der "bedrückenden Lethargie der Chancenlosigkeit", die junge Afrikaner in den Westen treibt, eine Chancenlosigkeit, die genauso weh tun kann wie Hunger, genauso gefährlich sein kann wie Krieg. Vor allem aber beschreibt Chimamanda Ngozi Adichie - und es grenzt an ein Wunder, mit wie viel Humor ihr das gelingt - den Schwebezustand, die Haltlosigkeit, das Nirgendwo der Auswanderer und Einwanderer, den Wunsch, dazuzugehören, dafür aber nicht alles aufzugeben, was man mitgebracht hat. Sie erzählt also von dem ständig neu zu versöhnenden Konflikt zwischen Mehrheit und Minderheit, vom Ringen um Selbstbestimmung und Identität. Irgendwann entscheidet sich Ifemelu, ihre Haare nicht mehr chemisch zu glätten und wieder so zu reden, wie sie es gelernt hat. Die Freiheit, die sie an dem Tag spürt, macht sie schwindlig.
TOBIAS RÜTHER
Chimamanda Ngozi Adichie: "Americanah". Übersetzt von Anette Grube. S. Fischer, 608 Seiten, 24,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Chimamanda Ngozi Adichie ist womöglich das größte neue Talent der englischsprachigen Literatur. Ihr grandioser Roman "Americanah" stellt auch uns die Frage, wer wir sind
Haare. Es geht ständig um Haare. Und um Namen. Wie man sie trägt und ausspricht. Darum, was die Namen in sich tragen von denen, die sie tragen. Und was die dann wiederum über sich preisgeben, wenn sie ihre Haare auf bestimmte Weise flechten lassen. Wie ihre Stimmen klingen. Wenn sie Worte aussprechen, auf bestimmte Weise. Oder Namen.
Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hat einen umwerfenden Roman geschrieben - über Haare und Namen. Über Stimmen und Wortwahl. Über lauter Dinge, deren Brisanz und Bedeutsamkeit und Prägekraft einem nicht unbedingt auffallen, wenn man zu jener Mehrheit gehört, die vorgibt, wie was auszusprechen ist und auszusehen hat.
Dinge sind das aber, die für die anderen, für all jene also, die nicht zu dieser Mehrheit gehören, lebensentscheidend werden, ob sie es wollen oder nicht. Eine Frisur kann zum Beispiel sagen: Dieser Person darf man nicht trauen. Ein Name kann sagen: Aufgepasst, was diese Person in Wirklichkeit will. Ein Akzent kann plötzlich signalisieren: Achtung, diese Person ist keine von uns. Und wer die Mehrheit ist und wer die Minderheit, das liegt oft nur ein paar Flugstunden auseinander.
"Americanah" heißt der Roman von Chimamanda Ngozi Adichie, 600 Seiten lang ist er, durch die man mehr oder weniger jagt, und auch der Puls jagt dabei, man will anderen ständig davon erzählen, was man gerade gelesen hat: weil das Buch nicht nur wunderschön geschrieben ist, sondern in fast jedem Kapitel etwas erklärt über die Welt von heute, das man so noch nicht gesehen hat. Weil man manche Dinge eben nur schwer erkennt, wenn man die Perspektive nicht endlich mal wechselt.
Diese Woche erscheint "Americanah" endlich auch auf Deutsch. In den Vereinigten Staaten und Großbritannien wurde das Buch gefeiert und mit Preisen ausgezeichnet. "Americanah" spielt einerseits in Nigeria, andererseits an der Ostküste der Vereinigten Staaten und in London. Es spielt im Auswanderermilieu von Lagos und im Einwanderermilieu von London und Brooklyn und Philadelphia. Und es spielt heute, in den letzten 35 Jahren, Barack Obama zum Beispiel tritt auf.
"Americanah" - das ist übrigens der Ausdruck für Nigerianer, die nach einem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten in ihre Heimat zurückkehren - ist dabei vieles auf einmal: eine ziemlich romantische Liebesgeschichte. Ein Porträt Nigerias, das ja gerade zur wichtigsten Wirtschaftsnation Afrikas aufgestiegen ist. Ein Campusroman. Eine lustig-böse Beschreibung der englischen und amerikanischen Elite. Aber vor allem ist es ein Plädoyer, immer wieder einen Schritt zurück- und beiseitezutreten, um den Ort genauer zu betrachten, von dem aus man die Welt betrachtet, und zu erkennen, dass dieser Ort immer auch nur im Verhältnis zu den anderen Orten steht, von denen aus der Rest dieser Welt auf die Welt schaut.
Chimamanda Ngozi Adichie, geboren 1977, erzählt die Geschichte eines jungen Paares aus der Oberschicht von Lagos, das hält das Buch zusammen: Ifemelu und Obinze lernen sich in der Schule kennen, sie gehen gemeinsam aufs College, aber die ständigen Streiks ihrer unterbezahlten bis gar nicht bezahlten Professoren zermürben sie. Dann bietet sich Ifemelu die Chance, in Amerika zu studieren, ihr Freund Obinze - der Amerika aus der Ferne über alles liebt - muss erst noch bleiben, wo er ist. Er freut sich aber für Ifemelu, er reist in Gedanken mit, in der Hoffnung, irgendwann nachzukommen (er wird es zumindest bis nach London schaffen, als Illegaler, und schließlich wieder ausgewiesen).
Doch in dem Augenblick, als Ifemelu ihren Fuß auf amerikanischen Boden setzt, wird sie jemand anderes. Eben noch spielte ihre Haut keine Rolle. Ihre Haare. Ihre Stimme. Eben noch gehörte sie zu den Privilegierten ihres Landes. Jetzt ist Ifemelu schwarz, und das ist in Amerika etwas anderes als in Nigeria. Eben war die Klasse noch entscheidend, der jemand angehört, jetzt ist es die Rasse.
Das verändert Ifemelus Leben, ihre Liebe zu Obinze, es verändert alles. Plötzlich sind ihre Haare, ihre Stimme, ihre Wortwahl politisch geworden. Sie spricht zwar Englisch, erlesenes Englisch sogar, aber im falschen Sound. Wenn sie vorankommen will in Amerika, wird ihr bedeutet, sollte sie sich besser schnellstens ihren Afro glätten lassen. Ifemelu taumelt, ihre Selbstsicherheit schwindet, und als sie auf der verzweifelten Suche nach einem Nebenjob schließlich einem Mann dabei hilft, sich zu entspannen - wie der Mann das nennt, wofür er ihr hundert Dollar bezahlt -, stürzt ihre Welt komplett ein. Sie zieht sich zurück. Bricht den Kontakt zu Obinze ab. Ihr Leben kommt zum Stillstand.
Aber nur kurz. Dann rettet sie, Deus-ex-Machina-artig, ein Babysitterjob bei einer sehr reichen, weißen Familie aus der Depression. Und ein Blog: Ifemelu beginnt zu schreiben. Eine Art Ratgeber, in dem sie die tausend Demütigungen eines durchschnittlichen Tages in der freien Welt verarbeitet. In dem sie die Wucht der Zurückweisung zum Gegenangriff nutzt.
"Amerika für nicht-amerikanische Schwarze", so sind ihre Texte meistens betitelt, und dann folgt, zum Beispiel: "Lieber nicht-amerikanischer Schwarzer, wenn du dich dafür entscheidest, nach Amerika zu kommen, wirst du schwarz. Hör auf zu sagen, ich bin Jamaikaner und ich bin Ghanaer. Amerika ist das egal." Oder: "Wenn du an einem Elitecollege studierst und dir ein junger Republikaner erklärt, dass du deinen Studienplatz nur aufgrund positiver Diskriminierung erhalten hast, sag kein Wort zu den perfekten Noten aus der Highschool. Weise ihn stattdessen vorsichtig darauf hin, dass die größten Nutznießer positiver Diskriminierung weiße Frauen sind."
Der Blog macht Ifemelu finanziell unabhängig ("Americanah" ist also auch ein bisschen ein Märchen). Seine Einträge tauchen immer wieder im Text auf. Ansonsten hat Chimamanda Ngozi Adichie einen nahezu klassisch erzählten Roman geschrieben, in sieben Teilen und fünfundfünfzig Kapiteln. Er beginnt in Nigeria und endet dort wieder: Dreizehn Jahre hat Ifemelu in Amerika verbracht, sie hat sich nach ihrem Bruch mit Obinze in einen weißen höheren Sohn namens Curt verliebt und ihn irgendwann betrogen, danach lebt sie mit Blaine zusammen, einem Afroamerikaner, dem sie aber auch irgendwann das Herz bricht.
Die letzte Leidenschaft, die die beiden zusammen erleben, ist der Wahlsieg von Barack Obama 2008. Etwas später verlässt Ifemelu auch Blaine und entschließt sich, nach Lagos zurückzukehren. Als "Americanah". Dort angekommen, fremdelt sie wieder mit den anderen, die auch zurückgekehrt sind, und genauso mit den alten Freunden, die nie weg waren, und spätestens hier wird klar, dass Ifemelu zwar ein Gespür für die Distinktionsgewinne und Distinktionsverluste zwischen den Rassen hat, für die Gemeinheiten gutgemeinter Worte und den versteckten Hass: Was sie aber wirklich umtreibt und rastlos macht, ungerecht und anfällig, ist ihre unerfüllte Liebe zu Obinze. Der ist ein erfolgreicher Geschäftsmann in Lagos, verheiratet mit Kind, als Ifemelu sich endlich bei ihm meldet.
Chimamanda Ngozi Adichie wechselt selbst zwischen Amerika und Nigeria hin und her. Sie war etwa so alt wie ihre Figur Ifemelu, als sie zum Studium nach Amerika ging, sie hat an Ivy-League-Universitäten studiert wie die Figuren im Buch und früh zu schreiben begonnen, Theaterstücke, Gedichte. "Americanah" ist ihr dritter Roman, ihr zweiter, "Die Hälfte der Sonne", ist gerade verfilmt worden.
In Interviews hat Adichie von den Problemen erzählt, die ihr nigerianischer Pass mit sich bringt: In diesem Frühjahr wollte sie zum Beispiel nach Kopenhagen einreisen, der Grenzbeamte am Flughafen ließ sie beiseitetreten und hat sie dann ausgiebig befragt, obwohl Adichie beteuerte und ja auch nachweisen konnte, dass sie Schriftstellerin ist. Später habe sich ihr Gastgeber entschuldigt und erklärt, der Beamte müsse geglaubt haben, sie sei eine Prostituierte. Sie überlege also jetzt, sagt Chimamanda Ngozi Adichie und lacht dabei, man kann das Interview im Internet anschauen, sich doch um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu bewerben, es reiche dann auch mal, Material zum Schreiben habe sie ja inzwischen genug recherchiert.
Und aus diesem Material hat sie "Americanah" geformt. Der zentrale Konflikt ihres Buchs ist der zwischen schwarzen Afrikanern und amerikanischen Schwarzen, einmal beschreibt Adichie ein Seminar an Ifemelus College, wo die Studenten, darunter schwarze Amerikaner und Afrikaner, gemeinsam das Sklavendrama "Roots" anschauen und dann ein Streit ausbricht, warum im Video das Wort "Nigger" überpiepst wurde, ein Streit, den die weiße Professorin kaum steuern kann, weil er an Verabredungen rührt, die zu treffen schon schwer genug war. Aber für die Afrikaner im Raum ist die amerikanische Bürgerrechtsbewegung eben nicht die eigene Geschichte. Ihr Kapitel ist ein anderes, nicht weniger schmerzhaftes in der Geschichte der Verteilung der Welt.
"Americanah" erzählt auch daraus, von der "bedrückenden Lethargie der Chancenlosigkeit", die junge Afrikaner in den Westen treibt, eine Chancenlosigkeit, die genauso weh tun kann wie Hunger, genauso gefährlich sein kann wie Krieg. Vor allem aber beschreibt Chimamanda Ngozi Adichie - und es grenzt an ein Wunder, mit wie viel Humor ihr das gelingt - den Schwebezustand, die Haltlosigkeit, das Nirgendwo der Auswanderer und Einwanderer, den Wunsch, dazuzugehören, dafür aber nicht alles aufzugeben, was man mitgebracht hat. Sie erzählt also von dem ständig neu zu versöhnenden Konflikt zwischen Mehrheit und Minderheit, vom Ringen um Selbstbestimmung und Identität. Irgendwann entscheidet sich Ifemelu, ihre Haare nicht mehr chemisch zu glätten und wieder so zu reden, wie sie es gelernt hat. Die Freiheit, die sie an dem Tag spürt, macht sie schwindlig.
TOBIAS RÜTHER
Chimamanda Ngozi Adichie: "Americanah". Übersetzt von Anette Grube. S. Fischer, 608 Seiten, 24,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2014Welche Farbe hat eigentlich Hautfarbe?
Chimamanda Ngozi Adichies neuer Roman handelt von einer Grenzgängerin zwischen den Welten der USA und Nigerias.
Leichtfüßig balanciert „Americanah“ auf dem schmalen Grat zwischen süffigem Erzählen und politischem Diskurs
VON DANA BUCHZIK
If your hair is relaxed, white people are relaxed“, hat der afroamerikanische Comedian Paul Mooney einmal gesagt. Tragen People of Color ihre Haare lang und kraus, wird das in Amerika nicht selten als Provokation gedeutet; wer gesellschaftlich akzeptiert und beruflich erfolgreich sein will, glättet sein Haar, auch wenn chemische Entkrausungsmittel im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen, und Glätteisen eitrigen Schorf und Haarausfall verursachen können.
Es hat also durchaus eine politische Dimension, wenn Ifemelu für einen Friseurbesuch die Stadt verlassen muss. Princeton, wo die junge Studentin ein Aufenthaltsstipendium hat, ist von Wohlstand durchwabert; man verhält sich im Straßenverkehr ausgesprochen rücksichtsvoll, kauft im Biosupermarkt ein und vor allem ist man, wie Ifemelu flapsig zusammenfasst, „weiß und schlank und dünn bekleidet“. Entkrausungsmittel mag es im Drugstore geben, wer sich die Haare hingegen traditionell afrikanisch flechten lassen will, muss dafür schon in einen Trentoner Stadtteil fahren, wo keine Weißen leben. Im heruntergekommenen Salon Mariama African Hair Braiding spricht Ifemelu das Unglaubliche aus: „Ich gehe nach Nigeria zurück.“ Von ihrer verdatterten Haarflechterin erntet Ifemelu das gleiche Unverständnis, das ihr auch engste Freundinnen entgegenbringen.
Bereits in ihrem vorangegangen Erzählband „Heimsuchungen“ (2012) waren Chimamanda Ngozi Adichies Protagonistinnen Grenzgänger zwischen den disparaten Welten Nigerias und Amerikas. Ihr aktueller Roman „Americanah“ ist aus der Sicht von Ifemelu und Obinze erzählt, zweier Liebender im Lagos der Neunzigerjahre. Ifemelu lässt Obinze in Nigeria zurück, um in Amerika Kommunikationswissenschaft zu studieren. Der Neuanfang gerät zur Odyssee: In den wenigen bezahlbaren Wohnungen hausen Mäuse oder nicht stubenreine Hunde, auf dem Boden liegen Schimmelteppiche aus, und auch die Suche nach Arbeit oder neuen Freunden gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ihre weißen Mitmenschen nehmen Ifemelus Hautfarbe zum Anlass, ihr mit gekünstelter Höflichkeit oder offener Verachtung zu begegnen; weil sie keinen amerikanischen Akzent hat, spricht man zudem mit ihr, als sei sie geistig zurückgeblieben. Alles an ihr scheint plötzlich defizitär zu sein: ihre Herkunft, ihr Aussehen und alles, was sie zu sagen hat. Ifemelu vereinsamt mehr und mehr; als ihre Geldnot überhand nimmt, erklärt sie sich bereit, einem Mann für hundert Dollar dabei zu helfen, „sich zu entspannen“, und bricht schamgeschüttelt den Kontakt zu Obinze ab.
Obinzes Sicht wird in Adichies Roman nur wenig Platz zugestanden, obwohl er in seiner Verletzlichkeit, seinem trotzigen Optimismus und seiner tiefen Loyalität zu Ifemelu sehr plastisch und unmittelbar sympathisch gezeichnet ist. Auch Obinze versucht sein Glück im Ausland und geht nach England, findet dort jedoch weder Anschluss noch Hilfe und nutzt die Sozialversicherungskarte eines afroamerikanischen Bekannten („Für Weiße sehen wir alle gleich aus“), um unter falschem Namen Toiletten und Lagerhäuser zu putzen. Er will sich mithilfe einer Scheinehe sein Bleiberecht sichern, wird jedoch vor dem Standesamt festgenommen und ausgewiesen. Obinzes Verzweiflung in der Abschiebehaft und seine niederschmetternde Ankunft in Nigeria gehören zu den stärksten Stellen des Romans. Nachdem er wie ein Verbrecher abgeführt und als Mensch zweiter Klasse in Lagos abgeliefert worden ist, trifft er auf einen Einwanderungsbeamten, der sich um sein weiteres Schicksal kümmern soll: „,Willkommen zu Hause!‘ sagte er gutgelaunt. . . ,Und hast du was für die Jungs?‘ Obinze sah ihn einen Augenblick lang an, sein offenes Gesicht, seine schlichte Weltsicht; Deportationen erfolgten jeden Tag, und die Lebenden lebten weiter. Obinze zog einen Zehn-Pfund-Schein aus der Tasche. Der Mann nahm ihn lächelnd.“
Nach dem Verlust Ifemelus und dem Trauma der Abschiebung muss Obinze feststellen, dass sich für ihn alles, in Nigeria jedoch nichts geändert hat. Er zieht seine eigene Konsequenz und nutzt den Wirtschaftsboom in Lagos als Immobilienbetrüger, um märchenhaft schnell reich zu werden. Ifemelu lernt unterdessen ihren ersten weißen Partner und Gönner kennen: Curt, gut aussehend und grundvergnügt, hilft Ifemelu über ihren finanziellen Engpass hinweg, verschafft ihr Arbeit und eine Green Card – was das Thema „Rasse“ für sie bedeutet, begreift er hingegen nicht: Für Curt war seine ethnische Zugehörigkeit nie ein Hindernis. Aus Ifemelus Gefühl des Unverstandenseins wird ihr Blog geboren: „Raceteenth oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen“. Hier stellt Ifemelu Fragen, die sich festsetzen: „Wenn ihr das Mainstream-Fernsehen anschaltet oder eine Mainstream-Zeitung aufschlagt, erwartet ihr dann überwiegend Bilder von Menschen einer anderen Rasse? Macht ihr euch Sorgen, dass eure Kinder keine Bücher und Lernmaterialien haben, die von Menschen eurer Rasse handeln? Wenn ihr hautfarbene Unterwäsche tragt oder hautfarbene Pflaster benutzt, wisst ihr dann schon im Voraus, dass sie nicht zu eurer Hautfarbe passen werden? . . . Wenn ihr überwiegend mit Nein antwortet, dann herzlichen Glückwunsch, ihr seid weiß und privilegiert.“
Chimamanda Ngozi Adichie verknüpft die verschiedenen Zeitebenen ihres Romans mithilfe der Blogeinträge, die Ifemelus Erlebnisse in Nigeria und Amerika unterfüttern. Auf Dauer ermüdet diese Erzählstrategie, da Ifemelu ohnehin mit Ethnologenaugen durch die Welt marschiert und ihre Gedanken permanent von einer Metaebene zur nächsten springen. Zudem arbeitet die Autorin häufig mit Dialogen, deren Ende scharf gestochene, raumgreifende Beobachtungen Ifemelus markieren, die ihrerseits wie Blogeinträge daherkommen. Viele Nebenfiguren scheinen von Adichie nur eingeführt zu werden, um ihrer Protagonistin neue Stichwortgeber zu liefern, die, von Ifemelus Brillanz mundtot gemacht, bald wieder im Dunkel verschwinden. Sie entstammen meist der Mittel- bis Oberschicht und ihre unreflektierten Wohlstandsdebatten werden gnadenlos ausgestellt: Seien es reiche Weiße, neureiche Nigerianer, zeitgenössische amerikanische Autoren, schwarze Autoren, die „Ghettomist mit reißerischen Umschlägen verzapfen“, oder Akademiker – in „Americanah“ kriegen alle ihr Fett weg.
Hinter Ifemelus soziologischen Exkursen verschwimmen jedoch ihre eigenen Gefühle und Motive. Wiederholt lässt Adichie ihre Protagonistin betonen, dass ihrer inneren Taubheit tiefes Heimweh nach Nigeria und nach Obinze zugrunde liege – eine Gefühlsthese, die sich in Ifemelus Handlungen und Gedanken nicht einlösen lässt: Nigeria war für sie immer mit Frustration verknüpft, und schon nach der ersten, wilden Verliebtheit versuchte sie die Beziehung zu Obinze zu sabotieren, so wie sie es in Amerika bei Curt und ihrem späteren Freund Blaine tut, aus einem Gefühl der Leere heraus, das vielleicht einfach Misstrauen gegenüber allem Guten ist, das ihr im Leben zustößt. So hat das Happy End, auf das Adichie ihre Protagonistin zusteuern lässt, etwas Holzschnittartiges: Ifemelu lässt sich vor ihrer Rückkehr die Haare traditionell flechten, schließt ihr Blog und interessiert sich in Nigeria vor allem für Obinze, nicht mehr für das Thema Rassismus. In Lagos ist sie eine „Americanah“, eine Rückkehrerin aus den USA, deren Nimbus der Weitgereisten alle Kaprizen rechtfertigt. Fast achselzuckend klingt es, wenn sie ihrem Exfreund Curt am Telefon erzählt: „Mir kommt es vor, als wäre ich in Lagos aus dem Flugzeug gestiegen und hätte aufgehört, schwarz zu sein.“
Chimamanda Ngozi Adichies dritter Roman, der mit dem renommierten National Book Critics Circle Award for Fiction ausgezeichnet wurde, strotzt vor scharfsinnigen Analysen, krankt jedoch an seinen thematischen Ambitionen. Die 36-jährige Autorin greift so viele Inhalte auf, dass sie nur wenigen gerecht werden kann: Postkoloniale Diskurse, die Macht des christlichen Glaubens in Nigeria, Depression, Lagos Girls, bestechliche Journalisten, Feminismus, Militärdiktatur und Wirtschaftsbetrug, Schwächen des Bildungssystems, Suizidversuch eines Familienmitglieds, alltäglicher Rassismus, Liebe und Verrat, und nicht zuletzt die Scheinheiligkeit zeitgenössischer Literatur.
Am besten gelingen Adichie die Passagen, in denen sie sich Zeit lässt, Alltagsrassismus in seinen vielfältigen Facetten zu enttarnen. In ihrer Deutlichkeit geht die Autorin weit über die meditativ-assoziative Beobachterperspektive hinaus, die etwa der nigerianische Autor Teju Cole seinen Protagonisten einnehmen lässt. Inhaltlich fühlt man sich an Sefia Atta („Nur ein Teil von dir“) und Taiye Selasi („Diese Dinge geschehen nicht einfach so“) erinnert, deren aus Afrika stammende Protagonisten in England und Amerika leben und arbeiten und, oft vergeblich, nach ihrer Identität suchen. Die 34-jährige Selasi hat den Begriff „Afropolitan“ für Weltbürger mit afrikanischen Wurzeln erfunden, ein Wort, mit dem Adichie, wie sie in Interviews betont, nichts anfangen kann. Vielleicht erscheinen ihr Einordnungsversuche wie „globaler Roman“ oder „globale Diaspora“, mit denen ihr Buch in Kritiken überhäuft wird, ähnlich künstlich. Vielleicht erinnern sie Rezensionen, in denen sie dafür gelobt wird, dass sie ohne Zorn, ohne mahnend erhobenen Zeigefinger über Rassismus schreibe, an einen von Ifemelus Blogeinträgen: Die einzig sozial anerkannte Rolle für People of Color sei die des „magischen Negers“, konstatiert Ifemelu. „Er vergibt stets alle mögliche rassistische Scheiße. Er lehrt die Weißen, wie sie das betrübliche, aber verständliche Vorurteil aus ihrem Herzen reißen.“
In Princeton erscheint
der Stipendiatin aus Afrika
alles defizitär an ihr
Für das Feuerwerk an Themen,
das Adichie abbrennt, sind
600 Seiten fast zu wenig Platz
Chimamanda Ngozi Adichie, die 1977 in Nigeria geboren wurde und heute in Lagos und den Vereinigten Staaten lebt, gilt bereits als eine der großen Stimmen der zeitgenössischen Weltliteratur.
Foto: Fischer Verlage
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah. Roman.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2014. 608 Seiten, 24,99 Euro, E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Chimamanda Ngozi Adichies neuer Roman handelt von einer Grenzgängerin zwischen den Welten der USA und Nigerias.
Leichtfüßig balanciert „Americanah“ auf dem schmalen Grat zwischen süffigem Erzählen und politischem Diskurs
VON DANA BUCHZIK
If your hair is relaxed, white people are relaxed“, hat der afroamerikanische Comedian Paul Mooney einmal gesagt. Tragen People of Color ihre Haare lang und kraus, wird das in Amerika nicht selten als Provokation gedeutet; wer gesellschaftlich akzeptiert und beruflich erfolgreich sein will, glättet sein Haar, auch wenn chemische Entkrausungsmittel im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen, und Glätteisen eitrigen Schorf und Haarausfall verursachen können.
Es hat also durchaus eine politische Dimension, wenn Ifemelu für einen Friseurbesuch die Stadt verlassen muss. Princeton, wo die junge Studentin ein Aufenthaltsstipendium hat, ist von Wohlstand durchwabert; man verhält sich im Straßenverkehr ausgesprochen rücksichtsvoll, kauft im Biosupermarkt ein und vor allem ist man, wie Ifemelu flapsig zusammenfasst, „weiß und schlank und dünn bekleidet“. Entkrausungsmittel mag es im Drugstore geben, wer sich die Haare hingegen traditionell afrikanisch flechten lassen will, muss dafür schon in einen Trentoner Stadtteil fahren, wo keine Weißen leben. Im heruntergekommenen Salon Mariama African Hair Braiding spricht Ifemelu das Unglaubliche aus: „Ich gehe nach Nigeria zurück.“ Von ihrer verdatterten Haarflechterin erntet Ifemelu das gleiche Unverständnis, das ihr auch engste Freundinnen entgegenbringen.
Bereits in ihrem vorangegangen Erzählband „Heimsuchungen“ (2012) waren Chimamanda Ngozi Adichies Protagonistinnen Grenzgänger zwischen den disparaten Welten Nigerias und Amerikas. Ihr aktueller Roman „Americanah“ ist aus der Sicht von Ifemelu und Obinze erzählt, zweier Liebender im Lagos der Neunzigerjahre. Ifemelu lässt Obinze in Nigeria zurück, um in Amerika Kommunikationswissenschaft zu studieren. Der Neuanfang gerät zur Odyssee: In den wenigen bezahlbaren Wohnungen hausen Mäuse oder nicht stubenreine Hunde, auf dem Boden liegen Schimmelteppiche aus, und auch die Suche nach Arbeit oder neuen Freunden gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ihre weißen Mitmenschen nehmen Ifemelus Hautfarbe zum Anlass, ihr mit gekünstelter Höflichkeit oder offener Verachtung zu begegnen; weil sie keinen amerikanischen Akzent hat, spricht man zudem mit ihr, als sei sie geistig zurückgeblieben. Alles an ihr scheint plötzlich defizitär zu sein: ihre Herkunft, ihr Aussehen und alles, was sie zu sagen hat. Ifemelu vereinsamt mehr und mehr; als ihre Geldnot überhand nimmt, erklärt sie sich bereit, einem Mann für hundert Dollar dabei zu helfen, „sich zu entspannen“, und bricht schamgeschüttelt den Kontakt zu Obinze ab.
Obinzes Sicht wird in Adichies Roman nur wenig Platz zugestanden, obwohl er in seiner Verletzlichkeit, seinem trotzigen Optimismus und seiner tiefen Loyalität zu Ifemelu sehr plastisch und unmittelbar sympathisch gezeichnet ist. Auch Obinze versucht sein Glück im Ausland und geht nach England, findet dort jedoch weder Anschluss noch Hilfe und nutzt die Sozialversicherungskarte eines afroamerikanischen Bekannten („Für Weiße sehen wir alle gleich aus“), um unter falschem Namen Toiletten und Lagerhäuser zu putzen. Er will sich mithilfe einer Scheinehe sein Bleiberecht sichern, wird jedoch vor dem Standesamt festgenommen und ausgewiesen. Obinzes Verzweiflung in der Abschiebehaft und seine niederschmetternde Ankunft in Nigeria gehören zu den stärksten Stellen des Romans. Nachdem er wie ein Verbrecher abgeführt und als Mensch zweiter Klasse in Lagos abgeliefert worden ist, trifft er auf einen Einwanderungsbeamten, der sich um sein weiteres Schicksal kümmern soll: „,Willkommen zu Hause!‘ sagte er gutgelaunt. . . ,Und hast du was für die Jungs?‘ Obinze sah ihn einen Augenblick lang an, sein offenes Gesicht, seine schlichte Weltsicht; Deportationen erfolgten jeden Tag, und die Lebenden lebten weiter. Obinze zog einen Zehn-Pfund-Schein aus der Tasche. Der Mann nahm ihn lächelnd.“
Nach dem Verlust Ifemelus und dem Trauma der Abschiebung muss Obinze feststellen, dass sich für ihn alles, in Nigeria jedoch nichts geändert hat. Er zieht seine eigene Konsequenz und nutzt den Wirtschaftsboom in Lagos als Immobilienbetrüger, um märchenhaft schnell reich zu werden. Ifemelu lernt unterdessen ihren ersten weißen Partner und Gönner kennen: Curt, gut aussehend und grundvergnügt, hilft Ifemelu über ihren finanziellen Engpass hinweg, verschafft ihr Arbeit und eine Green Card – was das Thema „Rasse“ für sie bedeutet, begreift er hingegen nicht: Für Curt war seine ethnische Zugehörigkeit nie ein Hindernis. Aus Ifemelus Gefühl des Unverstandenseins wird ihr Blog geboren: „Raceteenth oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen“. Hier stellt Ifemelu Fragen, die sich festsetzen: „Wenn ihr das Mainstream-Fernsehen anschaltet oder eine Mainstream-Zeitung aufschlagt, erwartet ihr dann überwiegend Bilder von Menschen einer anderen Rasse? Macht ihr euch Sorgen, dass eure Kinder keine Bücher und Lernmaterialien haben, die von Menschen eurer Rasse handeln? Wenn ihr hautfarbene Unterwäsche tragt oder hautfarbene Pflaster benutzt, wisst ihr dann schon im Voraus, dass sie nicht zu eurer Hautfarbe passen werden? . . . Wenn ihr überwiegend mit Nein antwortet, dann herzlichen Glückwunsch, ihr seid weiß und privilegiert.“
Chimamanda Ngozi Adichie verknüpft die verschiedenen Zeitebenen ihres Romans mithilfe der Blogeinträge, die Ifemelus Erlebnisse in Nigeria und Amerika unterfüttern. Auf Dauer ermüdet diese Erzählstrategie, da Ifemelu ohnehin mit Ethnologenaugen durch die Welt marschiert und ihre Gedanken permanent von einer Metaebene zur nächsten springen. Zudem arbeitet die Autorin häufig mit Dialogen, deren Ende scharf gestochene, raumgreifende Beobachtungen Ifemelus markieren, die ihrerseits wie Blogeinträge daherkommen. Viele Nebenfiguren scheinen von Adichie nur eingeführt zu werden, um ihrer Protagonistin neue Stichwortgeber zu liefern, die, von Ifemelus Brillanz mundtot gemacht, bald wieder im Dunkel verschwinden. Sie entstammen meist der Mittel- bis Oberschicht und ihre unreflektierten Wohlstandsdebatten werden gnadenlos ausgestellt: Seien es reiche Weiße, neureiche Nigerianer, zeitgenössische amerikanische Autoren, schwarze Autoren, die „Ghettomist mit reißerischen Umschlägen verzapfen“, oder Akademiker – in „Americanah“ kriegen alle ihr Fett weg.
Hinter Ifemelus soziologischen Exkursen verschwimmen jedoch ihre eigenen Gefühle und Motive. Wiederholt lässt Adichie ihre Protagonistin betonen, dass ihrer inneren Taubheit tiefes Heimweh nach Nigeria und nach Obinze zugrunde liege – eine Gefühlsthese, die sich in Ifemelus Handlungen und Gedanken nicht einlösen lässt: Nigeria war für sie immer mit Frustration verknüpft, und schon nach der ersten, wilden Verliebtheit versuchte sie die Beziehung zu Obinze zu sabotieren, so wie sie es in Amerika bei Curt und ihrem späteren Freund Blaine tut, aus einem Gefühl der Leere heraus, das vielleicht einfach Misstrauen gegenüber allem Guten ist, das ihr im Leben zustößt. So hat das Happy End, auf das Adichie ihre Protagonistin zusteuern lässt, etwas Holzschnittartiges: Ifemelu lässt sich vor ihrer Rückkehr die Haare traditionell flechten, schließt ihr Blog und interessiert sich in Nigeria vor allem für Obinze, nicht mehr für das Thema Rassismus. In Lagos ist sie eine „Americanah“, eine Rückkehrerin aus den USA, deren Nimbus der Weitgereisten alle Kaprizen rechtfertigt. Fast achselzuckend klingt es, wenn sie ihrem Exfreund Curt am Telefon erzählt: „Mir kommt es vor, als wäre ich in Lagos aus dem Flugzeug gestiegen und hätte aufgehört, schwarz zu sein.“
Chimamanda Ngozi Adichies dritter Roman, der mit dem renommierten National Book Critics Circle Award for Fiction ausgezeichnet wurde, strotzt vor scharfsinnigen Analysen, krankt jedoch an seinen thematischen Ambitionen. Die 36-jährige Autorin greift so viele Inhalte auf, dass sie nur wenigen gerecht werden kann: Postkoloniale Diskurse, die Macht des christlichen Glaubens in Nigeria, Depression, Lagos Girls, bestechliche Journalisten, Feminismus, Militärdiktatur und Wirtschaftsbetrug, Schwächen des Bildungssystems, Suizidversuch eines Familienmitglieds, alltäglicher Rassismus, Liebe und Verrat, und nicht zuletzt die Scheinheiligkeit zeitgenössischer Literatur.
Am besten gelingen Adichie die Passagen, in denen sie sich Zeit lässt, Alltagsrassismus in seinen vielfältigen Facetten zu enttarnen. In ihrer Deutlichkeit geht die Autorin weit über die meditativ-assoziative Beobachterperspektive hinaus, die etwa der nigerianische Autor Teju Cole seinen Protagonisten einnehmen lässt. Inhaltlich fühlt man sich an Sefia Atta („Nur ein Teil von dir“) und Taiye Selasi („Diese Dinge geschehen nicht einfach so“) erinnert, deren aus Afrika stammende Protagonisten in England und Amerika leben und arbeiten und, oft vergeblich, nach ihrer Identität suchen. Die 34-jährige Selasi hat den Begriff „Afropolitan“ für Weltbürger mit afrikanischen Wurzeln erfunden, ein Wort, mit dem Adichie, wie sie in Interviews betont, nichts anfangen kann. Vielleicht erscheinen ihr Einordnungsversuche wie „globaler Roman“ oder „globale Diaspora“, mit denen ihr Buch in Kritiken überhäuft wird, ähnlich künstlich. Vielleicht erinnern sie Rezensionen, in denen sie dafür gelobt wird, dass sie ohne Zorn, ohne mahnend erhobenen Zeigefinger über Rassismus schreibe, an einen von Ifemelus Blogeinträgen: Die einzig sozial anerkannte Rolle für People of Color sei die des „magischen Negers“, konstatiert Ifemelu. „Er vergibt stets alle mögliche rassistische Scheiße. Er lehrt die Weißen, wie sie das betrübliche, aber verständliche Vorurteil aus ihrem Herzen reißen.“
In Princeton erscheint
der Stipendiatin aus Afrika
alles defizitär an ihr
Für das Feuerwerk an Themen,
das Adichie abbrennt, sind
600 Seiten fast zu wenig Platz
Chimamanda Ngozi Adichie, die 1977 in Nigeria geboren wurde und heute in Lagos und den Vereinigten Staaten lebt, gilt bereits als eine der großen Stimmen der zeitgenössischen Weltliteratur.
Foto: Fischer Verlage
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah. Roman.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2014. 608 Seiten, 24,99 Euro, E-Book 21,99 Euro.
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National Book Critics Circle Award Winner One of the New York Times Book Review's Best Books of the Year
Dazzling. . . . Funny and defiant, and simultaneously so wise. . . . Brilliant. San Francisco Chronicle
A very funny, very warm and moving intergenerational epic that confirms Adichie s virtuosity, boundless empathy and searing social acuity. Dave Eggers, author of A Hologram for the King
Masterful. . . . An expansive, epic love story. . . . Pulls no punches with regard to race, class and the high-risk, heart-tearing struggle for belonging in a fractured world. O, The Oprah Magazine
[A] knockout of a novel about immigration, American dreams, the power of first love, and the shifting meanings of skin color. . . . A marvel. NPR
A cerebral and utterly transfixing epic. . . . Americanah is superlative at making clear just how isolating it can be to live far away from home. . . . Unforgettable. The Boston Globe
Witheringly trenchant and hugely empathetic . . . a novel that holds the discomfiting realities of our times fearlessly before us. . . . A steady-handed dissection of the universal human experience. The New York Times Book Review
Adichie is uniquely positioned to compare racial hierarchies in the United States to social striving in her native Nigeria. She does so in this new work with a ruthless honesty about the ugly and beautiful sides of both nations. The Washington Post
Gorgeous. . . . A bright, bold book with unforgettable swagger that proves it sometimes takes a newcomer to show Americans to ourselves. The Dallas Morning News
Americanah tackles the U.S. race complex with a directness and brio no U.S. writer of any color would risk. The Philadelphia Inquirer
So smart about so many subjects that to call it a novel about being black in the 21st century doesn t even begin to convey its luxurious heft and scope. . . . Capacious, absorbing and original. Jennifer Reese, NPR
Superb . . . Americanah is that rare thing in contemporary literary fiction: a lush, big-hearted love story that also happens to be a piercingly funny social critique. Vogue
A near-flawless novel. The Seattle Times
One of the Best Books of the Year
The New York Times NPR Chicago Tribune The Washington Post The Seattle Times Entertainment Weekly Newsday Goodreads
One of Time's 10 Best Fiction Books of the 2010s
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