- Ein Blick durch die Hintertür auf den wahren Zustand der beiden Großmächte
- Vom Baikalsee bis Wladiwostok: Eine Reise entlang den unruhigen Bruchzonen zweier Imperien
- Meisterhaft erzählt
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Fremde Welten mit einer gemeinsamen bewegten Vergangenheit: Sören Urbansky erzählt vom Grenzgebiet zwischen Russland und China.
Wladiwostok" bedeutet wörtlich: "Beherrsche den Osten". Der Name der östlichsten Stadt Russlands erzählt etwas über die Geopolitik des Zarenreichs. Als Teil eines historischen Grenzgebiets hat die Metropole am Japanischen Meer auch einen chinesischen Namen: "Haishenwai" - Seegurkenbucht. Wladiwostok ist die Endstation einer ausgedehnten Reise, die Sören Urbansky "an den Ufern des Amur" unternommen hat. Der deutsche Historiker mit dem Forschungsschwerpunkt zur russisch-chinesischen Grenze hat den Strom, der China und Russland trennt, wiederholt überquert und die wechselnde Perspektive der Bewohner eingenommen. Er ist in Irkutsk am Baikalsee aufgebrochen und den Spuren der kolonialen Vergangenheit Russlands gefolgt, sein Weg hat ihn durch die Mongolei zurück nach Transbaikalien geführt, an Argun und Schilka entlang, die zum Amur zusammenfließen. Er hat die chinesische Mandschurei nach Süden bis Lüshunkou am Gelben Meer durchquert, ehemals Port Arthur, das Pearl Harbour des Zarenreichs im russisch-japanischen Krieg, als Japan 1904 den russischen Machtanspruch und Geltungsdrang bremste. Er hat Nordkorea in einem Tagesausflug erkundet und ist zurückgekehrt ins einst durch Kosaken erschlossene Siedlergebiet am Amur in Russisch-Fernost. Über Birobidschan, Hauptstadt eines einst von Stalin durch jüdische Zwangsansiedlung im Sumpfland geschaffenen sowjetischen Palästinas, hat er schließlich die Pazifikküste erreicht.
Sören Urbanskys Reisebericht ist lebendig erzählte Kulturgeschichte über eine Begegnungszone von Europa und Asien, in der kommunistische Bruderstaaten einander mitunter ziemlich feindselig gegenüberstanden und in der sich die Auswirkungen der bewegten Vergangenheit wechselnder Machthaber und kultureller Einflüsse auf eine ethnisch heterogene Bevölkerung hervorragend studieren lassen. Zurückgekehrt ist der Autor mit bemerkenswerten Einsichten: "Je höher die Dichte an Freundschaftsbrücken, desto fremder sind sich die Nachbarn", so eine Impression aus dem Dreiländereck China-Nordkorea-Russland.
Heute leitet der 1980 geborene Urbansky das Pacific Regional Office des Deutschen Historischen Instituts in Washington. Vorbereitet hat er sich auf diese sozialanthropologische Expedition über viele Jahre hindurch in Studien- und Forschungsaufenthalten in der Region. Erinnerungen daran fließen in den Text ein, er berichtet zum Beispiel von der Teilnahme an einer Expertenrunde 2017, die während einer Fahrt in der Transsibirischen Eisenbahn über das Projekt der "Neuen Seidenstraße" konferierte. Zahlreiche Orte aus seiner persönlichen Vergangenheit hat Urbansky nun Jahre später wieder besucht, etwa die chinesische Stadt Harbin, ehemals Exil für russische Emigranten im Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution, an deren Universität er Mandarin erlernt hat. Er begegnet alten Bekannten, Chinesen wie Russen, so etwa dem Bibliothekar Sascha aus Tschita, der ehemaligen Kosakenstation im Schatten des bedeutsameren Nertschinsk. Indem er Saschas Lebens- und Berufsweg vom ehemaligen Oppositionellen zum ins System integrierten Karrieristen zu begreifen versucht, erschließt sich dem Reisenden aus Westeuropa das Verständnis für das Überleben in einer wirtschaftlich rückständigen Region, in der die Wahl zwischen drohender Armut und dem Ergreifen opportunistischer Chancen dazu verführt, eine moralisch fragwürdige Figur abzugeben.
Auch skurrile Zufallsbekanntschaften schenken unverhoffte Einsichten: In einem Hotel im gut gebuchten Sabaikals gib es nur mehr in einem bereits belegten Zimmer ein Bett. Der Zimmergenosse Alexej vergewissert sich erst, dass der Besucher aus Deutschland kein Spion ist, dann eröffnet er ihm Einblick in die Schieberszene des kleinen Grenzverkehrs mit China. Urbanskys Mehrsprachigkeit ermöglicht Zugang zu Informationen, die in einem Interview so ungeschönt wohl kaum offenbar würden. So hört er in einem Eisenbahnwaggon Gespräche über Vorurteile mit, die Russen und Chinesen in der Gewissheit äußern, vom jeweils anderen nicht verstanden zu werden. Das Verhältnis ist kompliziert: Auf der russischen Seite fühlt man sich hinter dem Ural von Moskau vergessen und der jungen Wirtschaftsmacht China unterlegen. Anders als Russland investiert China auch in die Infrastruktur seiner nordöstlichen Grenzregion. Im Norden Chinas hat der Binnentourismus die Exotik seiner zur Sesshaftigkeit gezwungenen nomadischen Minderheiten entdeckt, wobei diese das Interesse an dieser Folklore mit gemischten Gefühlen zu Geld machen. Im Fernen Osten Russlands wiederum, einem ehemaligen Tributgebiet, so die Sicht mancher Chinesen, wirtschaften chinesische Netzwerke die Ausgaben für den Besuch beim russischen Nachbarn auf kreative Weise in die eigene Tasche.
Die Welten, die hier aufeinanderprallen, waren historisch betrachtet immer schon durchlässig. Allerdings haben die Eroberungszüge von Dschingis Khan einst in Russland die Urangst vor der "Gelben Gefahr" heraufbeschworen, die seither immer wieder neu geschürt wurde. Nutzen und Nachteil des kleinen und größeren Grenzverkehrs werden sorgfältig gegeneinander abgewogen, auch gegen Ängste, die wechselnde Machthaber instrumentalisieren.
Diese Reise in "die vergessene Welt zwischen Russland und China" lässt sich nicht buchen. Genau darin liegt die Besonderheit dieses Berichts mit seinen profunden Exkursen über Politik, Geschichte und Kultur in Verbindung mit der Schilderung von Begegnungen mit Menschen. Gerade in Zeiten eingeschränkter Mobilität ist es ein Gewinn, diesen Blick in die Ferne mit dem Autor zu teilen und vielleicht einige überkommene Deutungen zu korrigieren.
GUDRUN BRAUNSPERGER
Sören Urbansky: "An den Ufern des Amur". Die vergessene Welt zwischen China und Russland.
C. H. Beck Verlag, München 2021. 375 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Gudrun Braunsperger
"Urbanskys Buch mit seinen vielschichtigen Einblicken in eine sehr fremde und weit entfernte Welt macht sofort Lust, Derartiges sobald wie möglich auch wieder selbst zu erleben."
Süddeutsche Zeitung, Hans Gasser
"Urbansky gelingt es, die großen historischen und politischen Linien mit den Lebenswelten der Menschen zu verbinden." Deutschlandfunk, Frederik Rother
"Zwischen Backpacker-Abenteuer und historischer Unterrichtsstunde, anekdotischem und panoramatischem Zugriff, Menschenporträts, Stadtansichten und Landschaftsbeschreibungen, gelingt es Urbansky, in der Vergangenheit der Glücksritter, Schmuggler und Spione die Gegenwart aufzuspüren - und in der Gegenwart die Vergangenheit."
Tagesspiegel/Potsdamer Neueste Nachrichten, Gregor Dotzauer
"Urbansky gelingt es, diese Region fast so groß wie Europa plastisch darzustellen und mehr Interesse an ihr zu wecken." Geographische Rundschau, Stephan Schütz
"Eine Reise an einen lange vergessenen Schauplatz der Weltgeschichte - genau beobachtet, historisch kenntnisreich, elegant geschrieben."
Karl Schlögel
"Wer Sören Urbanskys Reportagen aus dem chinesisch-russischen Grenzgebiet an den Ufern des Amur liest, kann sich dem Abenteuer nicht entziehen."
Neue Zürcher Zeitung Victor Mauer
"Ein Stück erlebte Seidenstraße!"
Theo Sommer
"Die Reise eines jungen Historikers durch die wechselvolle Geschichte einer Grenzregion (...) so lebendig erzählt, dass einem Manzhouli, Harbin oder Wladiwostok direkt vor Augen stehen."
Tagesspiegel, Gregor Dotzauer
"Schließt mit diesem großartigen Buch eine Wissenslücke."
MDR Kultur, Matthias Schmidt
"Sören Urbansky ist in der Region, über die er schreibt, zuhause. Das ist bei der Lektüre spürbar und das macht sein Buch so besonders lesenswert. Herausragend ist auch die Vielfalt an Stimmen, die in dieser Reportage zu Wort kommen."
OE1, Sophie Menasse
"Kann man das Heilige Land beschreiben, ohne buchstäblich bei Adam und Eva zu beginnen und jahrtausendealte Ansprüche auf Jerusalem und andere biblische Orte auf einem dünnen Streifen am Mittelmeer auszuklammern? Man kann. Noam Zadoff (...) hat ein Kompendium verfasst, das die Unbegreiflichkeit des komplexen Staatsgebildes verdichtet."
Kleine Zeitung, Ingo Hasewend
"Sprachlich eleganter und kurzweiliger kann die Geschichte einer der brisantesten Grenzen der Welt, an der sich zwei Rivalen Rücken an Rücken gegenüberstehen, nicht sein."
Landeszeitung für die Lüneburger Heide