'The book that changed my life... a constant companion' Bill Bailey
'Extraordinary and beautiful...the most exciting and ambitious work of non-fiction I have read in more than a decade' The Daily Telegraph
This extraordinarily wide-ranging study looks at the dilemmas of life today and shows how they need not have arisen. Portraits of living people and historical figures are placed alongside each other as Zeldin discusses how men and women have lost and regained hope; how they have learnt to have interesting conversations; how some have acquired an immunity to loneliness; how new forms of love and desire have been invented; how respect has become more valued than power; how the art of escaping from one's troubles has developed; why even the privileged are often gloomy; and why parents and children are changing their minds about what they want from each other.
'Extraordinary and beautiful...the most exciting and ambitious work of non-fiction I have read in more than a decade' The Daily Telegraph
This extraordinarily wide-ranging study looks at the dilemmas of life today and shows how they need not have arisen. Portraits of living people and historical figures are placed alongside each other as Zeldin discusses how men and women have lost and regained hope; how they have learnt to have interesting conversations; how some have acquired an immunity to loneliness; how new forms of love and desire have been invented; how respect has become more valued than power; how the art of escaping from one's troubles has developed; why even the privileged are often gloomy; and why parents and children are changing their minds about what they want from each other.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997Da werden Weiber zu Orakeln
Theodore Zeldin entlockt den Französinnen die Weisheiten der Menschheitsgeschichte / Von Klaus Harpprecht
Was hat Catherine Trautmann, die gescheite und attraktive Kulturministerin Frankreichs, mit den Prachtkühen zu schaffen, die fünfzehntausend Liter Milch pro Jahr aus dem Euter strunzen? Und was mit den Schafen, die sich jährlich vierundvierzig Pfund Wolle abscheren lassen?
Ja was? Theodore Zeldin, Frankreich-Experte und einer der bedeutenden britischen Historiker der älteren Generation, brauchte sieben Druckseiten, um die Distanz zwischen der einstigen Bürgermeisterin von Straßburg und der tüchtigen Milchkuh hüpfend zu bewältigen. Dies die Stationen seiner graziösen Sprünge: Madame Trautmann promovierte über die Gnostiker, die unter anderem bemüht waren, "die Unterschiede zwischen männlich und weiblich zu transzendieren". Das habe eine "verwandte Saite" in ihr berührt, doch die elsässische Pastorentochter schloß sich dennoch nicht den Feministen, sondern lieber den Sozialisten an. Ein irrationaler Wunsch, den ihre Töchter rascher durchschaut hätten als sie selber, habe sie dem heimlichen Ziel entgegengetrieben, eines Tages Oberhaupt der parlamentarischen Hauptstadt Europas zu werden.
Madame le Maire selbst gab indes zu bedenken, daß Streben nach Macht nicht das Ziel sein könne. Frauen verstünden dies vielleicht besser, da für sie "die Welt öffentlich und privat" sei, was sich auch darin erweise, daß Madame Trautmann schon als Studentin die "Marmeladen-Oma" genannt worden sei und noch immer nach eigenen Rezepten Konfitüren fertige, auch nähe sie gern Kleider, liebe die Surrealisten und halte zu Hause keine Reden: "Wenn sie mit ihrem Mann zusammen ist, ist sie nicht Bürgermeisterin." Das gilt, wie wir inständig hoffen, auch für die Ministerin, die sie unter dem Zepter des Co-Protestanten Jospin inzwischen geworden ist.
König zu sein, schreibt Zeldin, sei einst ein "Jedermanntraum" gewesen - "nicht nur von Politikern, sondern auch von Vätern, die über ihre Kinder herrschten, von Männern, die ihre Frauen als Dienstmägde behandelten, von Chefs, die fast sagen konnten: Runter mit dem Kopf, von Beamten, die ihre Hämorrhoiden vergaßen, wenn sie sich einbildeten, ihre schäbigen Stühle seien Throne". Heutzutage aber reiche "die Macht, Befehle erteilen zu können", nicht mehr aus. Politiker, die sich "in den Palästen der Könige eingemietet" hätten, stünden in ihrem Ansehen weit hinter Ärzten, Wissenschaftlern, Schauspielern, Krankenschwestern und Lehrern". Es zähle nicht mehr allein die Macht, sondern ebenso der Respekt, den Mutter Teresa eher genossen habe als der Präsident der Vereinigten Staaten. Die Phantasie arbeite auf neue Weise. "Man bewundert es nicht mehr, wenn Menschen wie Tiere behandelt werden, deren Zähmung einst die stolzeste Errungenschaft der Menschheit war."
Damit sind wir bei der Meisterkuh, deren Ahnfrau es nur auf die Produktion eines armseligen Liters pro Tag gebracht habe. Behende eilt der Unermüdliche weiter zur Sklaverei, zum Tributwesen, zur Hackordnung der Hühner, deren die Menschheit zeitgleich mit dem Aufstieg Benito Mussolinis gewahr wurde. Anschließend werden wir über die Streit- und Kußgewohnheiten der Schimpansen informiert und lernen manches über die "Verbindung zwischen Liebe und Aggression", gelangen ohne Umstand zu Heinrich von Treitschke, dem russifizierten Sachsen, der so fatal auf die Macht fixiert war, und von ihm zu Hitler samt seiner Verachtung des Gewissens, das der Führer für eine "jüdische Erfindung" hielt, während Stalin "seine Autorität fest auf den Terror gründete". Nach dieser Heimsuchung wenden wir uns aufatmend der Demokratie zu, die jedem Bürger Respekt verspricht, und danach den Religionen. Etwas verblüfft sehen wir uns der Prophezeiung gegenüber, das einundzwanzigste Jahrhundert werde ein "religiöses Jahrhundert" sein, was der Prophet Zeldin für keine Prophezeiung hält, sondern für "die Anerkennung dessen, was mit ziemlicher Regelmäßigkeit in der Vergangenheit passiert ist" (worüber wir, ihm an Bildung und Phantasie nie und nimmer gewachsen, gern Genaueres erfahren hätten).
Madame Trautmann, die Theologin, kann nun nicht mehr fern sein - und siehe: Im achten Kapitel tritt sie uns mit dem Seufzer entgegen, es sei ihre größte Enttäuschung gewesen, daß es "der Demokratie nicht gelungen ist, einen wirklich neuen Weg des Umgangs mit der Macht zu finden" - eine schmerzliche Einsicht, die sie mit vielen Frauen teilt, die feststellen mußten, daß "auch fromme Christen und buddhistische Mönche und konfuzianische Gelehrte" aufhören, "heilig oder selbstlos" zu sein, wenn sie erst einmal mitten im Machtkampf stehen. So ist das, leider.
Ehe wir auf Zeldins Zauberwegen mit der Ingenieurin Catherine Delcroix auf eine Bohrinsel im Nordmeer, dann flugs zu Hermes, dem Gott des Handels, und weiter zur Frau des Propheten Mohammed, voran zu Cornelius Vanderbilt, hinüber zum Opium-Krieg, zurück zu Maecenas und schließlich zu Archimedes schwirren: Ehe wir solchermaßen auf der nächsten Jet-Reise durch die Menschheitsgeschichte erneut davonwirbeln, sollten wir für einen Augenblick innehalten, um einige aufklärende Bemerkungen über den Magier zu riskieren, der uns in seinem neuen Werk solch wundersame Abenteuer beschert. Seinen Ruhm begründete Zeldin, der lange Jahre als Dekan am St. Anthony College in Oxford wirkte, mit einer zweibändigen Studie über Frankreich zwischen 1848 und 1945, einer Sozial- und Seelengeschichte großen Stils nicht fern von Ariès und Braudel. Ein Jahrzehnt später entwarf er ein kolossales Gemälde der Franzosen: "The French". 1984 folgte der Band "Happiness", ein gutgelaunter Protest gegen die düsteren Visionen von Aldous Huxley und George Orwell und ein Vorgriff auf die "Intime Geschichte der Menschheit".
In ihr stellt der Gelehrte, sozusagen auf journalistischen Pfaden wandelnd, zu Anfang jedes der fünfundzwanzig Kapitel über die Grundgefühle und Erfahrungen des Menschengeschlechtes ein zeitgenössisches Wesen vor: Immer ist es eine Frau und fast immer eine Französin. Die liebenswürdigen Personen, die uns auf den jeweils ersten Seiten der Abschnitte begegnen, haben die Aufgabe, einige Stichworte und Schlüsselbegriffe zu liefern, von denen der Autor federnd abspringt, um mit uns durch die "Gedanken aus vielen Jahrhunderten" zu eilen, die sich im menschlichen Geiste zusammenfinden. Schon in der Einleitung weist uns Zeldin darauf hin, daß wir unter den Azteken und Babyloniern, den Yoruba und Zoroastriern mehr Seelenverwandte besitzen, als uns bewußt ist.
Dies darf man einen originellen Ansatz nennen. Juliette, eine melancholische Putzfrau, befördert uns in die Welt der antiken Sklaverei, doch rasch geraten wir in den Aufbruch der Menschheit, die mit der Renaissance begann, für die der Maler El Greco als Zeuge hervortritt. Tocqueville transportiert uns in die Neue Welt, Sigmund Freud ins Innenwesen der Menschheit. Was dem Patriarchen der Seelengeschichte sein Österreich, ist Zeldin sein Frankreich, das ihm ein Leben lang "wie ein Laboratorium" gewesen sei, zumal ihm die Tradition stets gebot, "über seine eigenen Probleme unter universalem Aspekt" nachzudenken.
Das gilt vor allem für die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die amourösen und gesellschaftlichen. Im zweiten Kapitel erfahren wir dank der jungen Polizistin Lydie Rosier und eines weiblichen Konversationszirkels in Cognac, "wie Männer und Frauen allmählich gelernt haben, interessante Gespräche miteinander zu führen": eine Übung, die nach der Einsicht des Verfassers "noch kaum begonnen hat", obwohl er nicht versäumt, auf die Salons des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts hinzuweisen. "Trotz der sexuellen Befreiung" sei "Freundschaft zwischen Männern und Frauen immer noch schwierig", gesteht er seufzend, da "es immer eine arrière pensée" gebe - einen Hintergedanken, wie die Übersetzer auf deutsch hätten hinzufügen können, ohne die Authentizität des Bandes zu beeinträchtigen.
Maya, eine Pariserin amerikanisch-japanischer Abstammung, läßt uns an ihrer "Suche nach den Wurzeln" teilnehmen, wobei wir schnell zu Ko Shou gelangen, der Schwester des Kaisers Shun, der zweitausend Jahre vor Christus regierte. Eher beiläufig erfahren wir, daß die Bauern des Weilers Bigouden in der Bretagne anno 1920 angeblich nichts von der Existenz des Meeres wußten, das nur zehn Kilometer von ihnen entfernt war, da "die Welt außerhalb ihrer Dörfer schwarz, voller Teufel und Gefahren" gewesen sei.
Zehn Kilometer? Damals waren die Leute, sollte man denken, noch gut zu Fuß, Pferde gab es, auch schon Fahrräder, ein Weltkrieg hatte stattgefunden, und mancher der Bürger des Fleckens mag Soldat gewesen sein. Welcher Mär saß unser Mann der Wissenschaft auf, der stets danach trachtete, aus dem Leben zu schreiben? Nach dem eindrucksvollen Porträt einer Finanzbeamtin, das seinen Traktat über die Einsamkeit eröffnet, konfrontiert er uns mit der lapidaren Feststellung, daß alle Freiheitsbewegungen "an der Mauer der Einsamkeit zum Stehen" kommen. Vielleicht verhält es sich so, aber wie geht das und warum ist es so. Leider läßt Zeldin uns mit so manchem Geheimnis allein.
Auch können wir uns dem Eindruck nicht verschließen, daß die Themen dieses Breviers der Lebenskunst nicht notwendig von den jeweils beschriebenen Zeitgenossinnen serviert werden müßten: Manche wären austauschbar. Ist das Filmstarlet die einzige denkbare Sprecherin für den Exkurs über die Neugier? Muß die Abhandlung über die Angst und ihre Überwindung mit der kleinen Näherin von Givenchy beginnen, von der uns Zeldin zu den angeblich furchtlosen Wikingern, zu Naturkatastrophen, ins Fegefeuer und schließlich zu jener Amerikanerin führt, die mit ihren Leiden 226 Ärzte heimsuchte, mit 164 verschiedene Diagnosen abgefertigt wurde und trotzdem niemals verzweifelte?
Und wir? Den Leser überkam bei der Lektüre manchmal eine gewisse Verzagtheit, obwohl der Grundton des Buches so schäumend optimistisch ist, denn immer geht's vom Hölzchen aufs Stöckchen und vom Hundertsten zum Tausendsten. Auf wenigen Zeilen reiht der Polyhistor Zitate des Predigers Salomo, von Erasmus, Descartes, Montaigne und Thomas Hobbes aneinander (während er von Goethe nur zu berichten weiß, daß er 2,70 Gulden für ein Kilogramm Zucker bezahlt habe). So geraten wir des öfteren außer Atem.
Die Kapitel breiten sich vor uns aus wie ein riesenhaftes Buffet, das in fünfundzwanzig Etagen Berge von Hors d'OEuvres anbietet. Manches schmeckt köstlich, doch man ist rasch gesättigt und vermißt dennoch, um es so deutsch wie möglich zu sagen, das Eigentliche. Es muß ein gigantischer Zettelkasten sein, der Zeldin dazu befähigt, uns mit den Bildungsschätzen der Welt häppchenweise zu stopfen. Die pädagogische Absicht des Unternehmens, die Menschheit als eine große Familie in die Arme zu schließen, leidet unter der Überfülle der Beispiele, die - jedes für sich - informativ und unterhaltsam sind. Doch das fortgesetzte Lächeln bedroht den Leser mit einer Art Kieferkrampf. Nur durch eine kleine Mogelei drangen wir zum Finale vor, aus dem uns Abbé Pierre mit grimmiger Güte zuwinkt. Wir winken zurück.
Theodore Zeldin: "Eine intime Geschichte der Menschheit". Über die Kunst des Lebens. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Anna Maria Brock. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 544 S., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Theodore Zeldin entlockt den Französinnen die Weisheiten der Menschheitsgeschichte / Von Klaus Harpprecht
Was hat Catherine Trautmann, die gescheite und attraktive Kulturministerin Frankreichs, mit den Prachtkühen zu schaffen, die fünfzehntausend Liter Milch pro Jahr aus dem Euter strunzen? Und was mit den Schafen, die sich jährlich vierundvierzig Pfund Wolle abscheren lassen?
Ja was? Theodore Zeldin, Frankreich-Experte und einer der bedeutenden britischen Historiker der älteren Generation, brauchte sieben Druckseiten, um die Distanz zwischen der einstigen Bürgermeisterin von Straßburg und der tüchtigen Milchkuh hüpfend zu bewältigen. Dies die Stationen seiner graziösen Sprünge: Madame Trautmann promovierte über die Gnostiker, die unter anderem bemüht waren, "die Unterschiede zwischen männlich und weiblich zu transzendieren". Das habe eine "verwandte Saite" in ihr berührt, doch die elsässische Pastorentochter schloß sich dennoch nicht den Feministen, sondern lieber den Sozialisten an. Ein irrationaler Wunsch, den ihre Töchter rascher durchschaut hätten als sie selber, habe sie dem heimlichen Ziel entgegengetrieben, eines Tages Oberhaupt der parlamentarischen Hauptstadt Europas zu werden.
Madame le Maire selbst gab indes zu bedenken, daß Streben nach Macht nicht das Ziel sein könne. Frauen verstünden dies vielleicht besser, da für sie "die Welt öffentlich und privat" sei, was sich auch darin erweise, daß Madame Trautmann schon als Studentin die "Marmeladen-Oma" genannt worden sei und noch immer nach eigenen Rezepten Konfitüren fertige, auch nähe sie gern Kleider, liebe die Surrealisten und halte zu Hause keine Reden: "Wenn sie mit ihrem Mann zusammen ist, ist sie nicht Bürgermeisterin." Das gilt, wie wir inständig hoffen, auch für die Ministerin, die sie unter dem Zepter des Co-Protestanten Jospin inzwischen geworden ist.
König zu sein, schreibt Zeldin, sei einst ein "Jedermanntraum" gewesen - "nicht nur von Politikern, sondern auch von Vätern, die über ihre Kinder herrschten, von Männern, die ihre Frauen als Dienstmägde behandelten, von Chefs, die fast sagen konnten: Runter mit dem Kopf, von Beamten, die ihre Hämorrhoiden vergaßen, wenn sie sich einbildeten, ihre schäbigen Stühle seien Throne". Heutzutage aber reiche "die Macht, Befehle erteilen zu können", nicht mehr aus. Politiker, die sich "in den Palästen der Könige eingemietet" hätten, stünden in ihrem Ansehen weit hinter Ärzten, Wissenschaftlern, Schauspielern, Krankenschwestern und Lehrern". Es zähle nicht mehr allein die Macht, sondern ebenso der Respekt, den Mutter Teresa eher genossen habe als der Präsident der Vereinigten Staaten. Die Phantasie arbeite auf neue Weise. "Man bewundert es nicht mehr, wenn Menschen wie Tiere behandelt werden, deren Zähmung einst die stolzeste Errungenschaft der Menschheit war."
Damit sind wir bei der Meisterkuh, deren Ahnfrau es nur auf die Produktion eines armseligen Liters pro Tag gebracht habe. Behende eilt der Unermüdliche weiter zur Sklaverei, zum Tributwesen, zur Hackordnung der Hühner, deren die Menschheit zeitgleich mit dem Aufstieg Benito Mussolinis gewahr wurde. Anschließend werden wir über die Streit- und Kußgewohnheiten der Schimpansen informiert und lernen manches über die "Verbindung zwischen Liebe und Aggression", gelangen ohne Umstand zu Heinrich von Treitschke, dem russifizierten Sachsen, der so fatal auf die Macht fixiert war, und von ihm zu Hitler samt seiner Verachtung des Gewissens, das der Führer für eine "jüdische Erfindung" hielt, während Stalin "seine Autorität fest auf den Terror gründete". Nach dieser Heimsuchung wenden wir uns aufatmend der Demokratie zu, die jedem Bürger Respekt verspricht, und danach den Religionen. Etwas verblüfft sehen wir uns der Prophezeiung gegenüber, das einundzwanzigste Jahrhundert werde ein "religiöses Jahrhundert" sein, was der Prophet Zeldin für keine Prophezeiung hält, sondern für "die Anerkennung dessen, was mit ziemlicher Regelmäßigkeit in der Vergangenheit passiert ist" (worüber wir, ihm an Bildung und Phantasie nie und nimmer gewachsen, gern Genaueres erfahren hätten).
Madame Trautmann, die Theologin, kann nun nicht mehr fern sein - und siehe: Im achten Kapitel tritt sie uns mit dem Seufzer entgegen, es sei ihre größte Enttäuschung gewesen, daß es "der Demokratie nicht gelungen ist, einen wirklich neuen Weg des Umgangs mit der Macht zu finden" - eine schmerzliche Einsicht, die sie mit vielen Frauen teilt, die feststellen mußten, daß "auch fromme Christen und buddhistische Mönche und konfuzianische Gelehrte" aufhören, "heilig oder selbstlos" zu sein, wenn sie erst einmal mitten im Machtkampf stehen. So ist das, leider.
Ehe wir auf Zeldins Zauberwegen mit der Ingenieurin Catherine Delcroix auf eine Bohrinsel im Nordmeer, dann flugs zu Hermes, dem Gott des Handels, und weiter zur Frau des Propheten Mohammed, voran zu Cornelius Vanderbilt, hinüber zum Opium-Krieg, zurück zu Maecenas und schließlich zu Archimedes schwirren: Ehe wir solchermaßen auf der nächsten Jet-Reise durch die Menschheitsgeschichte erneut davonwirbeln, sollten wir für einen Augenblick innehalten, um einige aufklärende Bemerkungen über den Magier zu riskieren, der uns in seinem neuen Werk solch wundersame Abenteuer beschert. Seinen Ruhm begründete Zeldin, der lange Jahre als Dekan am St. Anthony College in Oxford wirkte, mit einer zweibändigen Studie über Frankreich zwischen 1848 und 1945, einer Sozial- und Seelengeschichte großen Stils nicht fern von Ariès und Braudel. Ein Jahrzehnt später entwarf er ein kolossales Gemälde der Franzosen: "The French". 1984 folgte der Band "Happiness", ein gutgelaunter Protest gegen die düsteren Visionen von Aldous Huxley und George Orwell und ein Vorgriff auf die "Intime Geschichte der Menschheit".
In ihr stellt der Gelehrte, sozusagen auf journalistischen Pfaden wandelnd, zu Anfang jedes der fünfundzwanzig Kapitel über die Grundgefühle und Erfahrungen des Menschengeschlechtes ein zeitgenössisches Wesen vor: Immer ist es eine Frau und fast immer eine Französin. Die liebenswürdigen Personen, die uns auf den jeweils ersten Seiten der Abschnitte begegnen, haben die Aufgabe, einige Stichworte und Schlüsselbegriffe zu liefern, von denen der Autor federnd abspringt, um mit uns durch die "Gedanken aus vielen Jahrhunderten" zu eilen, die sich im menschlichen Geiste zusammenfinden. Schon in der Einleitung weist uns Zeldin darauf hin, daß wir unter den Azteken und Babyloniern, den Yoruba und Zoroastriern mehr Seelenverwandte besitzen, als uns bewußt ist.
Dies darf man einen originellen Ansatz nennen. Juliette, eine melancholische Putzfrau, befördert uns in die Welt der antiken Sklaverei, doch rasch geraten wir in den Aufbruch der Menschheit, die mit der Renaissance begann, für die der Maler El Greco als Zeuge hervortritt. Tocqueville transportiert uns in die Neue Welt, Sigmund Freud ins Innenwesen der Menschheit. Was dem Patriarchen der Seelengeschichte sein Österreich, ist Zeldin sein Frankreich, das ihm ein Leben lang "wie ein Laboratorium" gewesen sei, zumal ihm die Tradition stets gebot, "über seine eigenen Probleme unter universalem Aspekt" nachzudenken.
Das gilt vor allem für die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die amourösen und gesellschaftlichen. Im zweiten Kapitel erfahren wir dank der jungen Polizistin Lydie Rosier und eines weiblichen Konversationszirkels in Cognac, "wie Männer und Frauen allmählich gelernt haben, interessante Gespräche miteinander zu führen": eine Übung, die nach der Einsicht des Verfassers "noch kaum begonnen hat", obwohl er nicht versäumt, auf die Salons des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts hinzuweisen. "Trotz der sexuellen Befreiung" sei "Freundschaft zwischen Männern und Frauen immer noch schwierig", gesteht er seufzend, da "es immer eine arrière pensée" gebe - einen Hintergedanken, wie die Übersetzer auf deutsch hätten hinzufügen können, ohne die Authentizität des Bandes zu beeinträchtigen.
Maya, eine Pariserin amerikanisch-japanischer Abstammung, läßt uns an ihrer "Suche nach den Wurzeln" teilnehmen, wobei wir schnell zu Ko Shou gelangen, der Schwester des Kaisers Shun, der zweitausend Jahre vor Christus regierte. Eher beiläufig erfahren wir, daß die Bauern des Weilers Bigouden in der Bretagne anno 1920 angeblich nichts von der Existenz des Meeres wußten, das nur zehn Kilometer von ihnen entfernt war, da "die Welt außerhalb ihrer Dörfer schwarz, voller Teufel und Gefahren" gewesen sei.
Zehn Kilometer? Damals waren die Leute, sollte man denken, noch gut zu Fuß, Pferde gab es, auch schon Fahrräder, ein Weltkrieg hatte stattgefunden, und mancher der Bürger des Fleckens mag Soldat gewesen sein. Welcher Mär saß unser Mann der Wissenschaft auf, der stets danach trachtete, aus dem Leben zu schreiben? Nach dem eindrucksvollen Porträt einer Finanzbeamtin, das seinen Traktat über die Einsamkeit eröffnet, konfrontiert er uns mit der lapidaren Feststellung, daß alle Freiheitsbewegungen "an der Mauer der Einsamkeit zum Stehen" kommen. Vielleicht verhält es sich so, aber wie geht das und warum ist es so. Leider läßt Zeldin uns mit so manchem Geheimnis allein.
Auch können wir uns dem Eindruck nicht verschließen, daß die Themen dieses Breviers der Lebenskunst nicht notwendig von den jeweils beschriebenen Zeitgenossinnen serviert werden müßten: Manche wären austauschbar. Ist das Filmstarlet die einzige denkbare Sprecherin für den Exkurs über die Neugier? Muß die Abhandlung über die Angst und ihre Überwindung mit der kleinen Näherin von Givenchy beginnen, von der uns Zeldin zu den angeblich furchtlosen Wikingern, zu Naturkatastrophen, ins Fegefeuer und schließlich zu jener Amerikanerin führt, die mit ihren Leiden 226 Ärzte heimsuchte, mit 164 verschiedene Diagnosen abgefertigt wurde und trotzdem niemals verzweifelte?
Und wir? Den Leser überkam bei der Lektüre manchmal eine gewisse Verzagtheit, obwohl der Grundton des Buches so schäumend optimistisch ist, denn immer geht's vom Hölzchen aufs Stöckchen und vom Hundertsten zum Tausendsten. Auf wenigen Zeilen reiht der Polyhistor Zitate des Predigers Salomo, von Erasmus, Descartes, Montaigne und Thomas Hobbes aneinander (während er von Goethe nur zu berichten weiß, daß er 2,70 Gulden für ein Kilogramm Zucker bezahlt habe). So geraten wir des öfteren außer Atem.
Die Kapitel breiten sich vor uns aus wie ein riesenhaftes Buffet, das in fünfundzwanzig Etagen Berge von Hors d'OEuvres anbietet. Manches schmeckt köstlich, doch man ist rasch gesättigt und vermißt dennoch, um es so deutsch wie möglich zu sagen, das Eigentliche. Es muß ein gigantischer Zettelkasten sein, der Zeldin dazu befähigt, uns mit den Bildungsschätzen der Welt häppchenweise zu stopfen. Die pädagogische Absicht des Unternehmens, die Menschheit als eine große Familie in die Arme zu schließen, leidet unter der Überfülle der Beispiele, die - jedes für sich - informativ und unterhaltsam sind. Doch das fortgesetzte Lächeln bedroht den Leser mit einer Art Kieferkrampf. Nur durch eine kleine Mogelei drangen wir zum Finale vor, aus dem uns Abbé Pierre mit grimmiger Güte zuwinkt. Wir winken zurück.
Theodore Zeldin: "Eine intime Geschichte der Menschheit". Über die Kunst des Lebens. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Anna Maria Brock. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 544 S., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Extraordinary and beautiful...the most exciting and ambitious work of non-fiction I have read in more than a decade Maggie Gee Daily Telegraph-Eines der ganz wenigen Bücher, dessen Ruhm noch weit über unseren Tod hinaus strahlen wird... Wenn ein Werk das abgegriffene Prädikat. -Dieses Buch kann dein Leben verändern- zu Recht erhält, dann ist es -Eine intime Geschichte der Menschheit-. (Oxford Today)
-Eines der ganz wenigen Bücher, dessen Ruhm noch weit über unseren Tod hinaus strahlen wird... Wenn ein Werk das abgegriffene Prädikat. -Dieses Buch kann dein Leben verändern- zu Recht erhält, dann ist es -Eine intime Geschichte der Menschheit-. (Oxford Today)Extraordinary and beautiful...the most exciting and ambitious work of non-fiction I have read in more than a decade Maggie Gee Daily Telegraph