Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Universität Münster, Veranstaltung: Junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Erzählung „Sonja“ von Judith Hermann, Gegenstand der folgenden Ausarbeitung, ist Teil des 1998 veröffentlichten Erzählbandes „Sommerhaus, später“, mit dem sie ihren ersten großen Erfolg verzeichnen konnte. „Sommerhaus, später“ beinhaltet neun Erzählungen, deren Handlung sich in Berlin oder in der näheren Umgebung abspielt. Die Hauptfiguren sind allesamt junge Menschen – die meisten zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt – , die trotz ihres Alters seltsam antriebslos und müde wirken. Die Erzählung „Sonja“ ist eine der umfangreicheren des Erzählbandes. Wie der Titel vermuten lässt, geht es um eine junge Frau mit dem Namen Sonja. Die männliche Hauptfigur lernt Sonja auf einer Zugfahrt im Mai kennen, als sie sich auf der Rückreise von Hamburg, dem Wohnort ihrer Freundin Verena, nach Berlin befindet. Zwischen ihnen entwickelt sich eine ganz besondere Form von platonischer Beziehung, deren Verlauf und Ende den zentralen Erzählgegenstand bilden. Bei der männlichen Hauptfigur handelt es sich zugleich der Ich-Perspektive berichtenden Erzähler, der seine Erlebnisse der vergangenen 22 Monate Revue passieren lässt. [...] Im Hinblick darauf, dass der Ich-Erzähler seine Gefühle – insbesondere Gefühle anderen gegenüber – permanent bewusst steuert bzw. zensiert, um sich zwecks gezielten Selbstschutzes nicht mehr als nötig der Außenwelt preiszugeben und sich seinem eigenen Urteilsvermögen nicht aussetzen zu müssen, beginnt und endet die Beziehung zwischen Sonja und der männlichen Hauptfigur desaströs: „Was die Begegnung mit Sonja auslöst, kann als eine Erschütterung des Referenzrahmens beschrieben werden, der den narzisstischen Selbstbezugs des Erzählers garantiert.“ [...] Die Figuren Verena und Sonja sind nicht ausschließlich als Reflexionen kontrastiver Frauenbilder oder unterschiedlicher Lebensentwürfe zu verstehen.Ein Deutungsansatz, dem die Opposition zwischen beiden Figuren als einzig entscheidendes Moment zugrunde liegt, würde deutlich zu kurz greifen und dabei die Bedeutung anderer Aspekte verkennen. Einer dieser Aspekte ist die existentielle Verlusterfahrung des Ich-Erzählers am Ende der Erzählung. Wie diese Erfahrung für ihn spürbar wird und wie er mit ihr umgeht, wird in den letzten Zeilen lediglich angedeutet. Es bleibt dem Leser überlassen, diese Leerstelle mit Sinn zu füllen: „Manchmal habe ich auf der Straße das Gefühl, jemand liefe dicht hinter mir her, ich drehe mich dann um, und da ist niemand, aber das Gefühl der Irritation bleibt."