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Der große Historiker Raul Hilberg hat mit seinem Werk >Die Vernichtung der europäischen Juden Täter, Opfer, Zuschauer Holocaust-Forschung hat einen reichhaltigen Fundus an wichtigen Texten hinterlassen, die bislang nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Im Band >Anatomie des Holocaust …mehr

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Produktbeschreibung
Der große Historiker Raul Hilberg hat mit seinem Werk >Die Vernichtung der europäischen Juden< die Erforschung des Holocaust maßgeblich geprägt. Auch sein Buch >Täter, Opfer, Zuschauer< ist in der Debatte um die Geschichte des Nationalsozialismus bis heute zentral. Der 2007 verstorbene Doyen der Holocaust-Forschung hat einen reichhaltigen Fundus an wichtigen Texten hinterlassen, die bislang nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Im Band >Anatomie des Holocaust< liegt nun erstmals eine Auswahl dieser Texte auf Deutsch vor. Es geht darin um bis heute kontroverse Fragen zur Geschichte des Holocaust, etwa die Rolle der Judenräte, die Motive der Deutschen für die Verfolgung und Ermordung der Juden und die Frage der moralischen Verantwortung. Zugleich runden sehr persönliche Texte das Bild ab: So beschreibt Raul Hilberg seine bewegende Reise nach Auschwitz als Mitglied der Holocaust-Kommission 1979 und erzählt, wie er seine Arbeit als Holocaust-Forscher empfunden hat. Ein Band, der uns den Menschen und Historiker Raul Hilberg neu entdecken lässt.

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Autorenporträt
Raul Hilberg (1926-2007) mußte 1939 mit seinen Eltern über Kuba in die USA auswandern. Er studierte u.a bei Franz Neumann (»Behemoth«) und gehörte zu den ersten Wissenschaftlern, die mit den in die USA überführten deutschen Akten aus der NS-Zeit arbeiten konnten. Hilberg lehrte bis zu seiner Emeritierung 1991 Politikwissenschaften an der University of Vermont in Burlington. Er verstarb am 4.8.2007. Literaturpreise: Auszeichnungen: 1955: Clark F. Ansley Award, Columbia University, für die beste humanistische Dr.-Arbeit 1968: Anisfield-Wolf Award, Taturday Review of Literature 1985: Jewish Book Award, für das herausragende Buch des Jahres zum Thema Holocaust 1994: Bernard Heller Prize, Hebrew Union Collage, Cincinnati 1996: Premio Acqui Storia, Stadt Aqui Terme, Preis für Geschichte 1997: Premio Viareggio, Preis der Kategorie Internationales Buch 1999: Marion Samuel Preis der "Stiftung Erinnerung" (erstmalige Vergabe) 2002: Geschwister-Scholl-Preis, Verband Bayerischer Verlage und Buchhandlungen e. V. zus. m. der Stadt München 2002: Großes Bundesverdienstkreuz Ehrendoktor der Universität Wien Walter H. Pehle, Jahrgang 1941, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Köln, Bonn und Düsseldorf; Promotion zum Dr. phil. bei Wolfgang J. Mommsen mit einer Arbeit über Nationalsozialismus in einer Provinzregion. Von 1976 bis 2011 war er verantwortlicher Lektor für Geschichtswissenschaft im S. Fischer Verlag und im Fischer Taschenbuch Verlag. Er war verantwortlicher Redakteur der Reihe »Europäische Geschichte« (Hg. von Wolfgang Benz), in der seit 1996 33 Bände erschienen sind. Seit 1988 war er Herausgeber der 1977 von ihm begründeten Buchreihe »Die Zeit des Nationalsozialismus« (sog. »Schwarze Reihe«), die mit 220 Publikationen die weltweit größte Buchreihe dieser Art wurde. Walter H. Pehle verstarb am 28. März 2021. Auszeichnungen: Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main im Jahr 1997 Bundesverdienstkreuz am Bande im Jahr 2001 Honorarprofessor für das Fach Zeitgeschichte der Universität Innsbruck 2003 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse im Jahr 2007 René Schlott studierte nach einer kaufmännischen Berufsausbildung Geschichte, Politik und Publizistik in Berlin und Genf. 2011 wurde er am Graduiertenkolleg »Transnationale Medienereignisse« an der Justus-Liebig-Universität in Gießen promoviert. Seit 2014 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er arbeitet gegenwärtig an einer Biographie zu Leben und Werk von Raul Hilberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.08.2016

Unbeirrbar
und verletzlich
Wenig bekannte Texte des Historikers Raul Hilberg
Raul Hilberg hat wie kaum ein anderer Historiker die Geschichtsschreibung des Holocaust geprägt. Sein umfassendes Buch „Die Vernichtung der europäischen Juden“, das zuerst 1961 in den USA erschien, hat er immer wieder überarbeitet und ergänzt. Es ist bis heute die maßgebliche Studie zum Holocaust. Hilbergs Familie war es noch vor Kriegsausbruch gelungen, 1939 aus Wien in die USA zu flüchten. Der Sohn ging in New York zur Schule und wurde 1944 als Achtzehnjähriger zur Armee eingezogen und noch im Frühjahr 1945 in Bayern eingesetzt.
  Nach New York zurückgekehrt, setzte Hilberg sein Studium fort und nahm an Hans Rosenbergs Seminaren zum Aufstieg des Nationalstaats und zur Entwicklung der Bürokratie in Europa vom 17. bis zum 20. Jahrhundert teil. Wie Rosenberg war auch Hilbergs zweiter Mentor Franz Neumann als verfolgter Jude vor den Nationalsozialisten in die USA geflohen und seit 1936 Dozent für Öffentliches Recht und Staatskunde an der Columbia University in New York. Neumanns Buch „Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism“, das erstmals 1942 erschien, war eine brillante, materialreiche Analyse des NS-Regimes, die Hilberg faszinierte. Bei Neumann wollte Hilberg seine Doktorarbeit über die Vernichtung der europäischen Juden schreiben. Der stimmte zwar zu, warnte ihn jedoch vor der Gefahr, dass er mit einem solchen Thema seine akademische Karriere behindern würde. „It’s your funeral“, so Neumann wörtlich.
  Auf Vermittlung Neumanns fand Hilberg eine Stelle am neu geschaffenen War Documentation Project, in dem die Millionen erbeuteten Naziakten daraufhin gesichtet werden sollten, was die Deutschen an Wissen über die Sowjetunion zusammengetragen hatten. Hilberg indessen nutzte die einmalige Archivsituation, um sein eigenes Projekt zu verwirklichen. Den theoretischen Rahmen bildeten Rosenbergs Bürokratieforschungen und Neumanns Analyse des NS-Regimes als einer totalisierenden, bürokratischen Struktur, die sich zugleich technisch-rational und zerstörerisch entwickelte. „Auf einer ersten Ebene lässt sich die Formierung der Behörden zu einer Vernichtungsmaschinerie feststellen“, resümierte Hilberg in seinem Buch. „Auf einer zweiten Ebene vollzog sich die Herausbildung der zur Durchführung der Vernichtungsaufgaben benötigten Verfahren. Eine dritte Ebene bildete die substantielle, Schritt für Schritt erfolgende Entfaltung des Vernichtungsprozesses. So unterschied sich die Vernichtungsmaschinerie nicht grundlegend vom deutschen Gesellschaftsgefüge insgesamt; der Unterschied war lediglich ein funktioneller. Die Vernichtungsmaschine war in der Tat nichts anderes als eine besondere Rolle der organisierten Gesellschaft.“
  Mit der Sammlung von Essays und Erinnerungen aus den Jahren 1965 bis 2007, herausgegeben von seinem langjährigen Lektor und Freund Walter H. Pehle und René Schlott, lernen wir Hilberg noch einmal als einen ungemein produktiven, neugierigen und innovativen Historiker kennen. In „Anatomie des Holocaust“ erläutert er die Bedeutung von Franz Neumann für sein eigenes Werk. Seine bahnbrechende Analyse der unverzichtbaren Rolle der deutschen Reichsbahn bei der Ermordung der europäischen Juden lässt sich in „Auf der Suche nach den Sonderzügen“ nachlesen. Raul Hilberg hat sich stets mehr für das „Wie“ des Holocaust interessiert als für das „Warum“. Gerade weil jedoch die Motive der Täter in ihrer Vielgestaltigkeit nur schwer zu ergründen sind, stellen die klugen Analysen Hilbergs zu den Strukturen und Prozessen des Holocaust bis heute die beste Lektüre dar, um den Vernichtungsapparat zu begreifen.
  Hilberg war auch streitbar. Seine Thesen zu den Judenräten, die als Werkzeuge der deutschen Besatzungsmacht in den Mordprozess eingebunden wurden und dennoch glaubten, das Unheil von den Ghettos abwenden zu können, löste heftige Kontroversen aus, die in zwei Aufsätzen in dieser Sammlung dokumentiert sind. Hilbergs Kritik am gemeinsamen Auftritt von Ronald Reagan und Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg 1985 ist ebenfalls in diesem Band enthalten.
  Berührend sind die Erinnerungstexte Hilbergs, denn sie zeigen ihn sowohl von seiner unbeirrbaren wie auch von seiner verletzlichen Seite. Jahrelang blieben seine Forschungen unbeachtet; er selbst musste sich mit einem Professur in der Provinz zufriedengeben, die dann später durch Hilberg großes Renommée gewann. Und trotzdem verfolgte er beharrlich und unermüdlich sein Lebensthema, auch oder gerade weil er um die Lückenhaftigkeit wusste. „Dennoch glaube ich“, sagte er drei Jahre vor seinem Tod auf einer Konferenz in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, „dass wir es uns nicht leisten können, in unseren Bemühungen nachzulassen, sondern dass wir weiterhin versuchen sollten, das Geschehen möglichst umfassend zu rekonstruieren. Und wenn ich zurückblicke, stelle ich sehr zufrieden fest, dass wir eine weit größere Anstrengung unternahmen, als ich es je für möglich gehalten hätte.“
MICHAEL WILDT
Michael Wildt lehrt Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität Berlin.
„Das ist Ihr Untergang“,
sagte der Doktorvater über
Hilbergs Promotionsthema
Raul Hilberg, (1926–2007) gehörte zu den ersten Wissenschaftlern, die mit den in die USA überführten deutschen NS-Akten arbeiten konnten. Er lehrte an der University of Vermont. Foto: S. Rumpf
  
Raul Hilberg:
Anatomie des Holocaust. Essays und Erinnerungen. Aus dem Englischen von Petra Post und Andrea von Struve. S. Fischer-Verlag, Frankfurt, 2016. 336 Seiten, 24,99 Euro.
E-Book: 22,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Matthias Arning liest Sätze wie Seziermesser in Raul Hilbergs bisher unveröffentlichten Essays und Erinnerungen. Dass der Historiker ein Pionier der Täterforschung war, steht für den Rezensenten nicht erst seit der Lektüre dieser Aufsätze aus den Jahren 1965 bis 2004 fest. Die Texte zur Reichsbahn, zur Ordnungspolizei oder zur Rolle der Judenräte scheinen Arning Teil einer großangelegten Strukturgeschichte zu sein, in der der Autor unter anderem Ansätze zu Klärung der Frage nach den Gründen für den Holocaust durchspielt. Dass er dabei nichts Banales im Bösen entdecken kann, setzt ihm der Autor in knapper, nüchterner und klarer Sprache auseinander.

© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Band großer Humanität Jan Feddersen taz 20160827