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Ein Mann auf vielen Bühnen: André Heller ist als Allroundpoet und Impresario keinem Genre ausgewichen. Morgen wird er fünfundsechzig. Christian Seiler hat ihm eine Biographie gewidmet.
Am Anfang stehen die "Wiener Zuckerln". Die gefüllten Bonbons, die Gustav und Wilhelm Heller in ihrer Wiener Fabrik herstellten. Kaiser Franz Josef, der die Heller-Brüder zu "Kammerlieferanten des Kaisers" kommerzadelte, soll sie bei öffentlichen Auftritten gern unter Kinder verteilt haben. Jedenfalls aber war mit ihnen der Grundstein für ein Vermögen gelegt, das noch den Lebenshintergrund des Enkels des Zuckerbäckers Wilhelm Heller prägte.
Was allerdings durchaus nicht bedeutet, dass dieser 1947 geborene André Heller später einfach von einem vererbten Vermögen zehrte oder mit ihm gar seine Großprojekte finanziert hätte. So groß war der Wohlstand da nicht mehr. Aber als der vierzehnjährige André Heller seine ersten Auftritte im Literatencafé Hawelka hinlegt, nicht ohne silbernen Gehstock, wird er bald als der "Zuckerlheller" rekognosziert: ein junger Herr, dem man auch einräumt, sich zu Dichterruhm berufen zu fühlen - und dem dabei ein anderer frühreifer Gymnasiast im Kaffeehauskreis vorschwebt, Hugo von Hofmannsthal.
Das war recht hoch gegriffen, unglücklich hoch. Denn vom Ziel, "ein wesentlicher Dichter" zu werden, man kann es in Christian Seilers Biographie nachlesen, kam Heller so leicht nicht los. Obwohl es darauf in späteren Jahren, als die internationale Berühmtheit sich wirklich einstellte, doch nicht hinauslief, sondern auf ein Poetisieren anderer Art: auf den Feldern des Zirkus, des Varietés, mit großen Feuerwerken, Prozessionen, vielerlei Spektakeln und auch Gartenkunst.
Was diese Projekte miteinander verknüpft, ist nicht zuletzt der Aufwand, den der Impresario Heller bei ihnen betreibt. Das poetisch Wunderbare, das ihm vorschwebt, ist ein Effekt von Superlativen: an technischer Raffinesse und illusionistischer Perfektion, an organisatorischen Herausforderungen, an nötiger Vernetzungsarbeit von Künstlern und Artisten. Kunst von Rang - in gängigen oder fremd anmutenden Registern -, zu Programmen abgemischt, die ein breites Publikum gewinnen können, so legte es sich Heller manchmal zurecht. An Kritikern hat es nicht gefehlt, die das eher schlecht vertrugen. Über die Zeit und die verschiedenen Großprojekte hinweg erntete das poetisierende Kunsthandwerk im Großformat aber nicht nur Zuspruch in Besucherzahlen, sondern manchmal auch den Segen des Feuilletons. Für einen eigenwilligen Virtuosen auf dem Parkett der Massenkultur - der sich mit seiner Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft von 2006 in Berlin tatsächlich in globalem Maßstab auf den Bildschirmen hätte präsentieren können, wäre er nicht in letzter Minute von Funktionären gestoppt worden.
Man kann bei Christian Seiler, der alle Projekte Hellers in ausführlichen Beschreibungen Revue passieren lässt - vom Roncalli-Zirkus über das Varieté "Flic-Flac" und die Feuerwerke bis zu "Luna Luna", den "Kristallwelten" für Swarowski, "Afrika! Afrika!" und den Gartenanlagen -, auch das geplante Programm dieser Eröffnungsschau nachlesen. Wobei man sich dann unwillkürlich fragt, ob nicht die Konzeptform jenseits der vereitelten Verwirklichung die attraktivere Variante ist. Denn was sind schon Fernsehbilder gegen den Reiz dieser Passage: "Alle lebenden Friedensnobelpreisträgerinnen hätten Wasser aus ihrer Heimat nach Berlin gebracht, das in einer kräftigen Fontäne eine sieben Meter große Kugel in die Luft schleudern sollte, die sich von einem Raumschiff in einen leuchtenden, gleißenden Fußball verwandelt."
Zumal solcher Wille zur allegorischen Bedeutungssteigerung, der an alte höfische Festprogramme denken lässt, doch eindrucksvoller ist als zerbrechende Herzen und Friedenstauben am Nachthimmel. Weshalb die Zuschauer des Lissaboner Feuerwerks von 1983, denen das Finale mit Taube, einer den Frieden gebärenden Phantasie und an Fallschirmen niederschwebenden Kometen vorenthalten blieb, weil ihr Massenandrang zum Zusammenbruch der Technik führte und zuletzt alle noch verbliebenen Raketen auf einmal aufstiegen, vielleicht sogar die interessantere Variante hervorbrachten.
Der Vorzug von Seilers Darstellung ist, dass sie auch an die Seiten André Hellers erinnert, die von seiner Bekanntheit als Impresario mittlerweile leicht überblendet werden. An den Sänger und Schauspieler, den Autor und den politischen Aktionisten. Und damit nicht zuletzt natürlich an den jungen Großbürgersohn, der den Bürgerschreck nicht ohne Überwindung, aber ebendeshalb so überzeugend gab.
Als Wiener Frontmann der Popkultur, nämlich Moderator der legendären Musicbox im neu eingerichteten Ö3-Kanal, dem es dann prompt gelang, mit Erika Pluhar eine - sagen wir es etwas flott - Frontfrau der hochkulturellen Zentralinstitution, nämlich des Burgtheaters, zu seiner ersten Ehefrau zu machen. Unter Einsatz seines Erbes übrigens, wie Seiler festhält, das für eine Filmproduktion mit der bewunderten Schauspielerin aufgewendet wurde. Der Film fiel durch, aber das Kunststück war gelungen.
Man muss aber gleich anfügen, dass das Burgtheater mit solchen Attacken - Heller wagte den Coup ja wirklich ein zweites Mal - auf Dauer nicht zu verunsichern war. Wenn Seiler auf die Premiere von "Sein und Schein" im Januar 1993 im Haus am Ring zu sprechen kommt, bleibt ihm nur ein schneller Übergang zur Einladung in den Club der Bühnenarbeiter, die im Gegensatz zu den meisten Kritikern von der Aufführung, welche ihnen so viel verdankte, angetan waren. Aber es musste ja für Heller auch nicht das etablierte Theater sein. Er hat immer andere Bühnen gefunden oder sie sich einzurichten gewusst. Bei Seiler kann man darüber nachlesen, auch über die politischen Aktionen: von der frühen Friedensbewegung bis zur Organisation der großen Wiener Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit. Einige der Ehrenbeleidigungsprozesse, die Heller sich einhandelte, gehören da mit ins Bild. Gegen Jörg Haider verlor er alle. Wofür man ihm das eine oder andere zerbrechende Herz am Nachthimmel einfach nachsehen muss.
HELMUT MAYER
Christian Seiler: "André Heller". Feuerkopf. Die Biografie.
C. Bertelsmann Verlag, München 2012. 448 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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