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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Was trägt der Teufel, wenn er uns verführen will? Barbara Vinkens neues Buch verspricht, das Geheimnis der Mode zu entschlüsseln
Wenn dieses Buch kein Buch wäre, sondern, nur zum Beispiel, ein Jackett, nachtblau, mit schmalen Revers und weichen Schultern: dann würde man es ganz bestimmt vom Bügel nehmen und anprobieren, im Spiegel betrachten, wie gut es sitzt. Und nach fünf Minuten hängte man es doch an die Stange zurück.
Denn so, wie das schönste Kleidungsstück nichts ist, wenn die Knöpfe zu groß sind und die Ärmel beim Sitzen komische Falten werfen - so fängt man an, einem Text zu misstrauen, in welchem Sätze wie diese hier stehen: "Für die vorrevolutionären Männer waren nicht nur die Beine Vorzeigeobjekte; auch das nützlichste Glied der menschlichen Gesellschaft inszenierte man herausragend. Die Herren der Schöpfung ließen es durch die Schamkapsel eindrucksvoll vergrößert und reich verziert hervorragen."
Wenn Stil ein universales Konzept ist (man hat ihn, oder eben nicht), dann möchte man jemandem, der sich solche Floskeln gestattet, auch kein halbwegs gültiges Geschmacksurteil über Schuhe oder Kleider zutrauen. Aber "Angezogen", der Essay der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, ist ja ein Sachbuch - und da geht es weniger ums Zeigen von Geschmack; es geht um die Anfertigung von Gedanken. Und weil der Untertitel "Das Geheimnis der Mode" heißt, verspricht der Leser sich Enthüllungen.
Es wird sehr viel Stoff verarbeitet in diesem Buch, es ist, weil die Autorin oft eine sympathische und sehr verständliche Lust am Beschreiben und Zitieren vergangener Sensationen und fast vergessener Spektakel hat, nicht immer einfach, die Nahtstellen der Argumentation zu erkennen. Und doch lassen sich, wenn man alles mal zusammenrafft, zwei Thesen identifizieren, von denen die eine nicht direkt aus der anderen folgt. Eher passen sie locker zueinander, wie helle Chinos zum dunkelblauen Blazer.
Der Mann, damit fängt der Essay an, und darauf kommt er immer wieder zurück, sei aus der Mode ausgetreten, als das Ancien Régime am Ende war und die bürgerliche Gesellschaft begründet wurde. Seither sei, zumindest bei jenen Herren, die ein Amt, eine Würde oder eine gesellschaftliche Position haben, der Anzug die Uniform. Und der Zweck des Anzugs sei es, den Körper, die Eigenart, ja die Männlichkeit dessen, der ihn trägt, zu verhüllen. Die Männer früher (zumindest wenn sie adelig waren oder sehr reich) hätten mit Strumpfhose und Hosenlatz, mit Perücke, Puder, Schminke ihre Männlichkeit zur Schau gestellt und ihre Zeugungsfähigkeit akzentuiert. Beim Anzugträger gehe der Körper völlig auf in der Körperschaft, welche der Mann repräsentiert. Seither, seit der Französischen Revolution, sei Mode nur noch eine Sache der Frauen.
Und diese Mode, das ist die zweite These, sei das Andere (ein fast vergessener Begriff aus dem Vintage-Laden des Poststrukturalismus) der Moderne, deren Negation und Gegenteil: der Angriff des Irrationalen, des Überflüssigen, des Sinnlichen und Ornamentalen auf eine Welt, in welcher es doch eigentlich um die Rationalisierung aller Lebensäußerungen ginge. Dieses Fremde und irritierend Sinnliche ist in den Beschreibungen Barbara Vinkens manchmal gewissermaßen ein Orient des Herzens und der Imagination; mal sind es katholische Traditionen und jüdischer Geist, die sich nicht in die protestantischen Normen der modernen Gesellschaft fügen wollen. Aber immer läuft die Argumentation, ohne dass es dauernd ausgesprochen werden müsste, auf den Befund hinaus, dass die Sinnlichkeit der Frau die stärkste Kraft sei, welche sich noch dem Absolutheitsanspruch der restlos aufgeklärten Moderne widersetze.
Das ist, einerseits, ein schöner, origineller Gedanke. Und andererseits fragt man sich, was, außer viereckig, die Moderne denn sei für Barbara Vinken: Wenn man Freud und das Kino, den Rausch, die écriture automatique, den Pop, den Sex, die Massenkultur, die amerikanische Ästhetik und das französelnde Denken herauskürzte aus der Moderne, dann bliebe wirklich nur ein Bungalow von Mies van der Rohe, mit weißen Wänden, ein paar Freischwingern und einem Mann im dunklen Anzug - ein Kontext also, in welchem eine Frau in einem gelben Prada-Kleid mit smaragdgrünen Applikationen tatsächlich die einzige Verkörperung des Widerstands wäre. Fragt sich nur, was, außer ein Büro gediegen einzurichten, man mit diesem Moderne-Begriff noch anfangen könnte.
Auch die erste These, wonach die Mode nichts für Männer sei, ist zu grob, als dass sie die Komplexität des Anziehens und Angezogenwerdens erfassen könnte. Die amerikanische Kunsthistorikerin Anne Hollander hat in ihrem wunderbaren Buch "Sex and Suits" darauf hingewiesen, dass sich die Sinnlichkeit des Herrenanzugs nicht im Look offenbare. Sondern in der Bewegung, die er ermöglicht. In den exaltierten Kostümen des Ancien Régime konnte man vielleicht sitzen, repräsentieren, sich malen lassen. In einem Anzug kann man laufen, kämpfen, tanzen, was die sinnlicheren Tätigkeiten sind.
Dass Körper und Individualität des Mannes im Anzug verborgen werden und verschwinden sollen, das ist eine Vermutung Barbara Vinkens, welche sie immer mal wieder zu belegen versucht mit dem Verweis auf Bilder von Konferenzen und Verhandlungen, wo all die Herren scheinbar gleich aussehen, in ihren anthrazitfarbenen Anzügen und weißen Hemden.
Dass Uniformen und Dresscodes auch etwas Emanzipatorisches haben, kann sie anscheinend nicht erkennen. Dabei ist doch klar, dass nur dort, wo die Regeln offensichtlich sind, sich jeder an die Regeln halten kann. Wo Anzugzwang herrscht, ist die Regel auch mit einem Billigmodell aus dem Kaufhaus erfüllt. Wo angeblich Freiheit herrscht, sind die Regeln nur weniger transparent - und umso größer wird die Gefahr, dass, wer die unausgesprochenen Gesetze nicht durchschaut, sich falsch und unangemessen anzieht. Und sich dabei tödlich blamiert.
Dass Männer im Anzug wie Anzugträger aussehen und nicht wie Denkmäler ihrer eigenen Individualität, nicht wie sorgsam und mit viel Mühe angefertigte textile Selbstporträts: das stimmt natürlich. Und weist doch nur darauf, dass die Distinktionen hier subtiler funktionieren. Wer den Unterschied zwischen C&A und Dior nicht sehen kann, sollte die modische Aussage verweigern. Und wer glaubt, dass das, was Herren tragen, keine Mode ist, kann ja mal im Zweireiher von 1947 oder den überbreiten Schultern von 1957 zur Besprechung kommen.
Aber genau dafür hat Barbara Vinken überhaupt keinen Sinn: Sie nennt es Mode, aber sie spricht dauernd nur von Kleidung. Zum Geheimnis der Mode, zur Frage also, was den ständigen Wandel der Moden in Bewegung hält, hat sie nichts zu sagen. Und noch weniger zur Frage, ob es sein kann, dass sich dieser Wandel seit den frühen Neunzigern, seit der Zeit also, da Helmut Lang, Miuccia Prada und Tom Ford die Richtlinien für eine Mode der Babyboomer formulierten, womöglich verlangsamt hat.
Die Antwort hätte allerdings etwas mit der Erkenntnis zu tun, dass Mode nicht bloß das ist, was sich Modeschöpfer ausdenken in ihrer unermesslichen Kreativität. Mode, das sind die Schulterpolster und die Bundfalten, welche das Publikum zurückweist, wann immer ein Designer sie wieder einführen will. Mode, das sind die Vorstadt-Machos, die Großstadtbohemiens, die Second-Hand-Käufer, von denen Designer wie Hedi Slimane oder Dries van Noten sich immer wieder inspirieren lassen. Mode ist Massenkommunikation - und mit ihrem Zwang zu Wandel und ständiger Erneuerung ist sie geradezu der Wesenskern der Moderne. Und zugleich der Trost all jener, die mit den bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden sind: Wenn die Welt schon nicht besser wird in der nächsten Saison, dann soll sie wenigstens anders aussehen.
Auf dem Umschlag des Buchs wird die Frage aufgeworfen: "Warum trägt der Teufel Prada?" Der Text geht nicht näher darauf ein, die Antwort steht aber (Seite 327: "über quergestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln; widrig knapp sitzende Hose") im "Doktor Faustus": damit wir ihn erkennen.
CLAUDIUS SEIDL
Barbara Vinken: "Angezogen". Klett-Cotta, 256 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihrem Buch „Angezogen“ will die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken Mode „denken“
– leider greift sie nur das aus dem Kleiderschrank heraus, was zum Look der Genderforschung passt
VON CATRIN LORCH
Das Schreiben über Mode ist in Deutschland nicht etabliert. Anders als die Erbauer von Häusern oder die Komponisten und Interpreten von Popsongs kann sich, wer mit Stoff an Silhouetten arbeitet, nicht der Aufmerksamkeit der Kultur-Exegeten sicher sein. Mode, das ist ein Bereich fürs schnelle Zitat, nicht für die langandauernde Betrachtung. Barbara Vinken ist hierzulande eine Ausnahmeerscheinung, weil sie genau das tut: der Mode einen ausdauernden Blick nachschicken. Ihr Buch „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“ greift dann einleitend das Diktum von der„tyrannischen Beliebigkeit der Mode, die aus dem Blauen heraus ihre Launen diktiert“ auf, dem Vinken souverän entgegenhält, dass sich „die Moden nicht völlig unvorhersehbar“ oder „aus blindem Zufall“ entwickeln. „Deshalb ist es durchaus möglich, die Mode zu denken.“
Doch wie weit ist Mode für Barbara Vinken ein Terrain, das sie wirklich interessiert? Diese Frage stellt man sich schon nach ein paar Kapiteln, nach denen man sich nicht mehr allzu sicher ist, ob Vinken hier nicht nur mit den Diagnosen der Gender Studies an besonders offen aufbrechenden Symptomen herumdoktert, von denen die Kleidung zugegebenermaßen einige liefert: Zugrunde liegender Befund ist, dass Mode vor allem der Abgrenzung der Geschlechter diene. Was einerseits eine ohnehin schlecht zu übersehende Tatsache ist – andererseits den Kostümierungen nicht gerecht wird, die Vinken hier nur ausbreitet, um sie mit ihrem akademischen Besteck zu zerlegen. Übrig bleibt zunächst nur die „Opposition von körperbetont (weiblich) versus körperbedeckend (männlich)“, sowie ein zweiter Gegensatz, nämlich „dass Frauen in ihren Kleidern selbstbestimmte Zeitgestaltung ausdrücken, während Männer Berufsuniform tragen“. Das muss man schon etwas genauer erklären – gerne auch historisch – da man im Straßenbild doch eher zwischen Business (Hosenanzug) und Casual (Sportswear) zu sortieren hat – und zwar gleichermaßen Männer wie Frauen.
Wo es aber am Begrifflichen nicht mangelt und an fertig vorliegenden Weltbildern und Theorien, geht man auf einen erstaunlich schmalen Vorrat an Beispielen los, es mangelt nämlich an Bildmaterial. Gut 250 Seiten Reflexion über ein durch und durch visuelles Thema treffen in dem Band auf nur 16 Seiten mit Abbildungen. Und die sind dann auch noch recht eklektisch zusammengestellt. Auf ein Gemälde, das Kaiser Karl V. in engen Hosen zeigt, folgen Damen von Renoir, Models in Chanel und Dior, das Ehepaar Obama und Martin Margielas dekonstruktivische Entwürfe – und kein Motiv ist größer als ein Heft Briefmarken. Dass der Text den Mangel an Bildinformationen in den Beschreibungen noch unterläuft, ist das zweite Versäumnis. Es kann sein, dass die Vorstellungswelten der Leser nun bei der Fallbeschreibung „Marie Antoinette“ nicht über die Eindrücke der Filmbiografie von Sofia Coppola hinausreichen. Wo man doch – mit einem offiziellen Hofporträt oder gar entlang der Rapporte und Raffungen eines originalen Kleides – einiges aus dem Material selbst hätte zuschneiden können, an Thesen.
Die Mischung aus flott geschriebener Historie, Stilkritik, Betrachtung und auch viel Anekdote liest sich allenfalls unterhaltsam, wenn man auf Details nicht allzu viel Rücksicht nimmt. Aber jeder Diskussion hätte eine Feststellung dessen, was eine Epoche, ein Stil, ein Moment hervorbringen, vorausgehen müssen. Und die Thesen – wie beispielsweise die sehr differenzierte Betrachtung des Phänomens „homoerotischer Edwardian Dandy“ – bleiben blind, wo man nichts zu sehen bekommt. Es fehlt an Bildern, fotografierten, gemalten, gezeichneten – und leider auch geschriebenen. Der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken ist die Lektüre allemal anschaulicher, man liest sich durch die Epochen, statt den Stoff, aus dem sie sind, zu fühlen. „Angezogen“ ist dabei keine Chronologie; das Generalthema „doing gender“ hat in fast jedem Zusammenhang das Sagen. Dass Mode nicht nur der Repräsentation dient, sondern vor allem die Ausformulierung und „erotische Steigerung durch dissonantes Gegeneinanderführen von Gender-Sterotypien“ ist, das war zwar ein wichtiger Aspekt, wird aber den Dimensionen der Mode nicht wirklich gerecht.
Den lose gereihten Kapiteln ist zudem allzu häufig anzumerken, dass sich als Vorträge oder Essays unabhängig voneinander konzipiert wurden. Wo es Entwicklungslinien aufzuzeigen gäbe, mäandert Barbara Vinken zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Sie schließt die flämische und italienische Renaissance oder ein Gemälde, auf dem Kaiser Karl V. seine „langen, schlanken, bestrumpften“ Beine unter kurzem Ballonrock herzeigt, über das Motiv „Tricothose“ direkt mit dem 20. Jahrhundert kurz, in dem dann zwischen 1950 und 1980 die „Nylonstrümpfe der Frauen“ herrschen. Und aristokratische Frauenbilder treffen direkt auf Michelle Obama und amerikanisches Fernsehen. Tatsächlich schleichen sich so in Vinkens eigene Begründungszusammenhänge Fehler ein. Mal konstatiert sie, dass „vor der Revolution in der Frauenmode das ganz schamlose Zeigen nämlich, die Ostentation“, verpönt gewesen sei, dann beschreibt sie aber das Gegenteil – die der weiblichen Lust unterworfenen Pariser Sitten dieser Zeit und Marie Antoinettes Fixierung auf Frisur und Putz.
Vieles bleibt nur munter ausgebreitet, aber wenig einsortiert zurück. Rund um den großen Kleiderschrank, durch den Barbara Vinken sich wühlt, liegt dann, wie vergessen, die SS-Uniform, das „kleine Schwarze der Herrenmenschen“, oder die exotischen Trends der nahen und fernen Vergangenheiten. Vom Orientalismus kann Vinken nur berichten, dass es sich um einen sinnlich konnotierten Zusammenhang handelt – und dass der Versuch von Paul Poiret scheiterte, „die Pluderhosen der Orientalen, die als ,Haremshosen‘ populär wurden, für Frauen einzuführen“. Doch ließe sich über den Exotismus nicht Interessanteres berichten? Zum Beispiel, dass die vielen Moden den Warenströmen erst ein Gesicht und einen Körper gaben, um Begehren für das Neue zu erzeugen – vom Kaffee und Kakao und Tee bis zum Papageien, Affen, Jasminstrauch und Seidenschal –, indem sie den Konsumenten ein Kostüm anpassten?
Hier wird offensichtlich, wie viele Kontexte verschenkt sind, wenn allein auf die Differenzen und Umdeutungen von Männer- und Frauenmoden fokussiert wird. Dieser Versuch kann nicht überzeugen, solange man konsequent über soziale oder ständische Zusammenhänge hinwegschaut – Vinken nimmt Tracht, Uniform, Berufskleidung, Herrscherkostüm und Talar zwar als Bezug wahr, äußert sich aber höchstens knapp zu Entstehung und Ursprung. Deshalb hängen viele ihrer Beobachtungen zu Zitaten in der Mode als abstrakte Anachronismen in der Luft. Und final ist es der Ton des Buches – aufregend wie Proseminar, präzise wie die In-Style –, der jeden analytischen Gewinn der schnellen Pointe opfert. Die Mode lässt sich eben nur denken, wo man sie auch gerne und mit Hingabe betrachtet, und nicht vorbeiziehen lässt wie einen Karneval.
Barbara Vinken: Angezogen. Das Geheimnis der Mode. Verlag Klett Cotta, Stuttgart 2013. 255 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Vieles wird da locker
ausgebreitet, doch leider nicht
in den Kontext einsortiert
Bestrumpfte Beine überall: ob in der Renaissance oder im Boom der Nylons während der Fünfziger.
Foto:mauritius images / ib
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