Erica Jongs neuer Roman >Angst vorm Sterben< über die aufregendsten Themen des Lebens: Sex und Tod Ein Buch über das richtige Leben, die eigene Endlichkeit, Liebe und sexuelle Erfüllung: für alle Frauen zwischen 30 und 80 Jahren. >Angst vorm Sterben< ist die große Sensation nach >Angst vorm Fliegen<. Die coole New Yorkerin Vanessa Wonderman trennen rund zwanzig Jahre von ihrem älteren Ehemann und ihrer vergangenen Schauspielkarriere. Das Alter macht sie zunehmend unsichtbar und irgendwie ist ihr die Leidenschaft ihrer Jugend abhandengekommen. Der Tod ihrer Eltern klopft schon leise an, ihr Ehemann Asher bricht zusammen und ihr Pudel Belinda stirbt. Während Vanessa sich um ihre Familie kümmert und von Krankenhaus zu Krankenhaus hetzt, wird ihr Hunger nach Leben größer. Sie sehnt sich nach Körperlichkeit und ist bereit, für ihre Phantasien einiges auszuprobieren. Um dem Alter und dem nahenden Tod, der sie umgibt, zu entfliehen, macht sie sich mutig auf die Suche nach einer Affäre. Ihre Sehnsucht nach Leben, Glück und Leidenschaft treibt sie in die skurrile Welt des New Yorker Datingjungles und eröffnet ihr tiefe Einsichten in die großen Fragen des Lebens. Die Ikone der sexuellen Befreiung der Frau, Erica Jong, die mit ihrem Roman >Angst vorm Fliegen< weltberühmt wurde, packt schonungslos und unverblümt die großen Themen des Lebens an. Komisch, heiter, mutig - bei Erica Jong geht es um alles: das richtige Leben, Liebe, den Frieden mit der eigenen Endlichkeit - und wie sie davon erzählt, ist einzigartig.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2016Sehen Sie nicht aus!
Die schreibende Frau: Eine Provokation. Über Erica Jong und ihren neuen Roman "Angst vorm Sterben"
Erica Jong (Schriftstellerin, 74 Jahre alt) sitzt lächelnd mit geradem Rücken und tipptopp geföhnten Haaren auf einem Stuhl in Berlin und sieht: phantastisch aus. Muss das Aussehen einer Schriftstellerin erwähnt werden? Nein, könnte man entgegnen, es geht beim Schreiben um Texte, nicht um Frisuren. Und das ist natürlich völlig richtig, ebenso wie die Feststellung, dass es bei Schriftstellerinnen eben immer auch um ihre Frisuren geht, da können sie machen, was sie wollen. Absichtlich scheiße aussehen, gut aussehen, gar nicht aussehen, wobei sie eigentlich erst dann, also wenn sie sich, ihr Äußeres und ihren Sex neutralisiert haben, möglicherweise dafür in Betracht kommen, dass man sie irgendwann, wenn sie alt und noch neutraler sind, eine "ernstzunehmende Schriftstellerin" nennt. Bis dahin bleibt alles, was Oberfläche ist und sich damit beschäftigt (Haare, Make-up, Schuhe), verdächtig, denn Schriftsteller, diese heiligen, sexlosen Menschen, sind von Berufs wegen dazu verpflichtet, deepes Zeug zu verfassen, und haben also ein Oberflächenverbot, selbst wenn das, Oberfläche und Tiefe, überhaupt kein Widerspruch ist und sich das Feuilleton das Nichtvorhandensein dieses Widerspruchs schon seit zwanzig Jahren gegenseitig erklärt, nachdem zuvor das Gegenteil behauptet wurde.
Und weil all das so ist, ist es gut (und unglaublich, doch dazu gleich), Erica Jong gegenüberzusitzen, die in Berlin ist, um ihr Buch "Angst vorm Sterben" vorzustellen. 1973 erschien ihr erster Roman "Angst vorm Fliegen" in Amerika, der sich über achtzehn Millionen Mal verkaufte und "als Klassiker der weiblichen erotischen Literatur" gilt. Henry Miller fand das Buch damals sofort wichtig, "weil die Frauen in ihm ihre eigene Stimme finden werden", aber wohl vor allem, weil er in Jong sein "weibliches Gegenstück" sah. John Updike lobte den Roman ebenfalls ("köstliches Soufflé", ja, hat er im Ernst so gesagt). Er schrieb darüber im "New Yorker", und das Buch wurde, wegen seiner eigentlich mittel-expliziten und gar nicht so häufigen Sexbeschreibungen, eine Sensation.
Dabei geht es darin um viel mehr als um Sex. Es geht um weibliche Identität, Abhängigkeit und die Frage, wie man im Jahr 1970 Schriftstellerin werden soll, wenn man doch in dem Augenblick, in dem man als Frau schreibt, nicht mehr als Frau akzeptiert wird. Wie das wiederum zusammenpassen soll mit der Ehe- und-Kinder-Erwartung, die ein gelungenes Frauenleben erfüllen sollte. Und warum viele Frauen eigentlich glauben, sie brauchten zur Vervollständigung ihrer selbst einen Mann. Mit all diesen Fragen beschäftigt sich die Protagonistin Isadora Wing, und es spricht für das Buch, aber nicht besonders für unsere Zeit, dass sie immer noch so aktuell sind (und das ist unglaublich, aber eben auch: viel zu normal). Den meisten Rezensenten war die - upps - Tiefe dieses Textes aber eher egal. Wichtig war stattdessen: schöne, junge Frau schreibt über Sex, wahrscheinlich, nein, sicher, ziemlich autobiographisch. Und autobiographisch plus jung plus schön führte bereits 1973 zu folgenden Vorwürfen: Ich-Kunst, Ich-Mythologie, also kurz: narzisstisch, substanzlos, bescheuert, nichts. Außerdem wurde Jong damals vorgeworfen, keine richtige Feministin, wenn nicht gar eine Feminismus-Zerstörerin zu sein. Weil: sie sich dazu bekannte, Männer gut zu finden, ihre Protagonistin (again: nicht sie, ihre Protagonistin) es am Ende des Romans nicht schaffe, sich aus ihren Männer-Abhängigkeiten zu befreien, und schließlich weil sie (diesmal Jong) einfach zu konsumistisch drauf sei.
Aus heutiger Perspektive ist daran vor allem bemerkenswert, wie wenig sich an den Text-Vorwürfen (die ja in Wahrheit Autorinnen-Vorwürfe sind) geändert hat und wie sehr es Rezensenten offenbar reizt, junge Frauen mit sichtbarer Oberfläche, die sich überdies auch noch einbilden, etwas zu sagen zu haben, mal richtig zusammenzufalten. Entweder du bist eine Frau nach unseren Vorstellungen und schreibst nicht. Oder du bist ein Schriftsteller nach unseren Vorstellungen und keine Frau. In jedem Fall bist du ein Schlachtfeld und Allgemeingut.
Erica Jong lächelt etwas müde, wenn sie auf die Veröffentlichung ihres ersten Romans und die Reaktionen angesprochen wird, denn eigentlich möchte sie natürlich über "Angst vorm Sterben", also das neue Buch, reden. Nur kommt eben kein Journalist ohne eine Frage zu dem berühmten "Angst vorm Fliegen" aus. Zwischen den beiden Büchern liegen über vierzig Jahre und neun Romane, und obwohl die beiden Texte durch ihre Titel aufeinander bezogen sind, haben sie eigentlich wenig miteinander zu tun, wenn man davon absieht, dass Isadora Wing aus "Angst vorm Fliegen" in "Angst vorm Sterben" als beste Freundin von Vanessa Wonderman auftaucht. Und dass es in beiden Romanen angeblich entscheidend um Sex gehen soll.
Was für den aktuellen Roman wieder nur so halb stimmt: Eine New Yorkerin über sechzig ist von Zerfall und Tod umgeben und hasst es, älter zu werden. Ihre Eltern sind fast tot, sie begleitet sie beim Sterben, und das ist komisch und traurig zugleich. So wird die offenbar oft verheiratete Protagonistin Vanessa Wonderman etwa von ihrer bettlägerigen, halbtoten Mutter mit den Worten "Und, wen heiratest du als Nächstes?" empfangen, während der ebenfalls halbtote Vater komische Gedichte über seine Familie verfasst ("Ich fühle mich wie König Lear. / Drei Töchter hab ich / Und lieb sind sie mir, / Schön und schlau - ich bin entzückt. / Nur streiten tun sie wie verrückt. / Wer kriegt mehr? / Wer kriegt zu wenig? / Schwer ist das für einen König, / Den das Alter niederpresst. / Echter Senioren-Stress!")
Außerdem hat Vanessa Wonderman Probleme mit ihrem Mann Asher, der, noch mal wesentlich älter als sie, kein Interesse mehr an Sex hat. "Mein Mann und ich lesen deutlich öfter zusammen die Todesanzeigen, als wir Sex haben." Dann wird Asher lebensgefährlich krank, der Pudel ebenfalls, und Vanessa Wonderman verbringt die meiste Zeit in Krankenhäusern, während sie den eigenen körperlichen Verfall beobachten muss. Je kränker und toter ihr Alltag wird, desto mehr will sie leben, und das heißt für Vanessa Wonderman: Sex haben. Weswegen sie online eine Kontaktanzeige postet. Es klappt aber nicht so richtig, denn die Männer wollen komische Sachen von ihr (Latexanzüge tragen), und so muss sie akzeptieren, dass Sex keine Lösung ist, beziehungsweise nur, wenn man damit zurechtkommt, dass man älter wird - auch und gerade, wenn das verboten ist. Der Roman ist weniger ein erzählender Text als ein Reflexionsbuch über jenen Abschnitt im Leben einer Frau, in dem diese, wie Vanessa Wonderman es beschreibt, unsichtbar wird.
Für Erica Jong als Schriftstellerin bedeutet diese Verfallszeit aber genau das Gegenteil, denn "Angst vorm Sterben" wurde zumindest in Amerika von den Kritikern eher wohlwollend bis positiv aufgenommen. Trotz Sex, trotz Frau, trotz autobiographischer Bezüge. Gefragt, wie sie sich das erkläre, sagt Erica Jong, mit diesem ruhigen, wissenden Lächeln, das während des Gespräches häufiger auf ihrem Gesicht liegt: "Ich bin jetzt alt. Ich bin keine Bedrohung mehr. Deswegen sind die Kritiker freundlich." Das Schreiben jeglicher Inhalte ist ihr nun, da weder Aussehen noch Jugend ein Problem sind, gestattet, könnte man meinen, was insofern interessant ist, als Vanessa Wonderman, die ebenfalls alternde Frau, ja genau das Gegenteil will. Sie will sichtbar sein, sie will, dass ihr Aussehen eine Rolle spielt. Und so ist in beiden Figuren, der öffentlichen Person Erica Jong und Vanessa Wonderman, ein wirklich unangenehmes Frauenproblem enthalten, das sich wechselseitig vervollständigt: Weibliche Schönheit, Jugend und ein lebendiger Körper lassen Geist und Tiefe als eher unwahrscheinlich gelten. Erlaubt ist nur eins von beidem.
Und aus genau diesem Grund ist es gut, dass es Erica Jong gibt. Weil sie all das gleichzeitig wollte und weiterhin will. Weil sie der Entwicklung, der eine Frau, die älter wird, ob sie will oder nicht, zu entsprechen hat, sich selbst entgegensetzt und sagt: "Klar habe ich mich liften lassen, gucken Sie, hier." Dieser Satz sagt eine Menge. Liften ist, zumindest unter Schriftstellern und ihren Lesern, eher verpönt (wenngleich das für das Altern ebenso gilt), weil der intellektuelle Mensch doch bitte nicht so sehr auf Oberflächlichkeiten Wert legt, dafür ist er beziehungsweise sie zu klug, da steht man drüber.
Wenn überhaupt, so lässt man sich liften und schweigt darüber. Erica Jong hingegen steht dazu, womit nicht gesagt werden soll, dass Liften super ist. Vielmehr macht jener Satz die Kleinheit des Menschen sichtbar, der sich gegen das Alter wehrt, ohne dass sich die Frau, die ihn gesagt hat, dafür schämen würde. Der Satz ist ein Bekenntnis zur menschlichen Kleinheit. Außerdem erzählt er davon, dass eine Schriftstellerin sich dagegen wehrt, nur ernst genommen zu werden, wenn sie alt und unsichtbar ist, wobei daraus wahrscheinlich eher nichts als die tatsächliche Anerkennung dieses Wunsches folgt. Und dennoch bleibt der Satz wichtig für diesen alten und offenbar immer gleichen Streit zwischen Oberfläche und Geist.
Antonia Baum
Erica Jong: "Angst vorm Sterben". Übersetzt von Tanja Handels. S. Fischer, 368 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die schreibende Frau: Eine Provokation. Über Erica Jong und ihren neuen Roman "Angst vorm Sterben"
Erica Jong (Schriftstellerin, 74 Jahre alt) sitzt lächelnd mit geradem Rücken und tipptopp geföhnten Haaren auf einem Stuhl in Berlin und sieht: phantastisch aus. Muss das Aussehen einer Schriftstellerin erwähnt werden? Nein, könnte man entgegnen, es geht beim Schreiben um Texte, nicht um Frisuren. Und das ist natürlich völlig richtig, ebenso wie die Feststellung, dass es bei Schriftstellerinnen eben immer auch um ihre Frisuren geht, da können sie machen, was sie wollen. Absichtlich scheiße aussehen, gut aussehen, gar nicht aussehen, wobei sie eigentlich erst dann, also wenn sie sich, ihr Äußeres und ihren Sex neutralisiert haben, möglicherweise dafür in Betracht kommen, dass man sie irgendwann, wenn sie alt und noch neutraler sind, eine "ernstzunehmende Schriftstellerin" nennt. Bis dahin bleibt alles, was Oberfläche ist und sich damit beschäftigt (Haare, Make-up, Schuhe), verdächtig, denn Schriftsteller, diese heiligen, sexlosen Menschen, sind von Berufs wegen dazu verpflichtet, deepes Zeug zu verfassen, und haben also ein Oberflächenverbot, selbst wenn das, Oberfläche und Tiefe, überhaupt kein Widerspruch ist und sich das Feuilleton das Nichtvorhandensein dieses Widerspruchs schon seit zwanzig Jahren gegenseitig erklärt, nachdem zuvor das Gegenteil behauptet wurde.
Und weil all das so ist, ist es gut (und unglaublich, doch dazu gleich), Erica Jong gegenüberzusitzen, die in Berlin ist, um ihr Buch "Angst vorm Sterben" vorzustellen. 1973 erschien ihr erster Roman "Angst vorm Fliegen" in Amerika, der sich über achtzehn Millionen Mal verkaufte und "als Klassiker der weiblichen erotischen Literatur" gilt. Henry Miller fand das Buch damals sofort wichtig, "weil die Frauen in ihm ihre eigene Stimme finden werden", aber wohl vor allem, weil er in Jong sein "weibliches Gegenstück" sah. John Updike lobte den Roman ebenfalls ("köstliches Soufflé", ja, hat er im Ernst so gesagt). Er schrieb darüber im "New Yorker", und das Buch wurde, wegen seiner eigentlich mittel-expliziten und gar nicht so häufigen Sexbeschreibungen, eine Sensation.
Dabei geht es darin um viel mehr als um Sex. Es geht um weibliche Identität, Abhängigkeit und die Frage, wie man im Jahr 1970 Schriftstellerin werden soll, wenn man doch in dem Augenblick, in dem man als Frau schreibt, nicht mehr als Frau akzeptiert wird. Wie das wiederum zusammenpassen soll mit der Ehe- und-Kinder-Erwartung, die ein gelungenes Frauenleben erfüllen sollte. Und warum viele Frauen eigentlich glauben, sie brauchten zur Vervollständigung ihrer selbst einen Mann. Mit all diesen Fragen beschäftigt sich die Protagonistin Isadora Wing, und es spricht für das Buch, aber nicht besonders für unsere Zeit, dass sie immer noch so aktuell sind (und das ist unglaublich, aber eben auch: viel zu normal). Den meisten Rezensenten war die - upps - Tiefe dieses Textes aber eher egal. Wichtig war stattdessen: schöne, junge Frau schreibt über Sex, wahrscheinlich, nein, sicher, ziemlich autobiographisch. Und autobiographisch plus jung plus schön führte bereits 1973 zu folgenden Vorwürfen: Ich-Kunst, Ich-Mythologie, also kurz: narzisstisch, substanzlos, bescheuert, nichts. Außerdem wurde Jong damals vorgeworfen, keine richtige Feministin, wenn nicht gar eine Feminismus-Zerstörerin zu sein. Weil: sie sich dazu bekannte, Männer gut zu finden, ihre Protagonistin (again: nicht sie, ihre Protagonistin) es am Ende des Romans nicht schaffe, sich aus ihren Männer-Abhängigkeiten zu befreien, und schließlich weil sie (diesmal Jong) einfach zu konsumistisch drauf sei.
Aus heutiger Perspektive ist daran vor allem bemerkenswert, wie wenig sich an den Text-Vorwürfen (die ja in Wahrheit Autorinnen-Vorwürfe sind) geändert hat und wie sehr es Rezensenten offenbar reizt, junge Frauen mit sichtbarer Oberfläche, die sich überdies auch noch einbilden, etwas zu sagen zu haben, mal richtig zusammenzufalten. Entweder du bist eine Frau nach unseren Vorstellungen und schreibst nicht. Oder du bist ein Schriftsteller nach unseren Vorstellungen und keine Frau. In jedem Fall bist du ein Schlachtfeld und Allgemeingut.
Erica Jong lächelt etwas müde, wenn sie auf die Veröffentlichung ihres ersten Romans und die Reaktionen angesprochen wird, denn eigentlich möchte sie natürlich über "Angst vorm Sterben", also das neue Buch, reden. Nur kommt eben kein Journalist ohne eine Frage zu dem berühmten "Angst vorm Fliegen" aus. Zwischen den beiden Büchern liegen über vierzig Jahre und neun Romane, und obwohl die beiden Texte durch ihre Titel aufeinander bezogen sind, haben sie eigentlich wenig miteinander zu tun, wenn man davon absieht, dass Isadora Wing aus "Angst vorm Fliegen" in "Angst vorm Sterben" als beste Freundin von Vanessa Wonderman auftaucht. Und dass es in beiden Romanen angeblich entscheidend um Sex gehen soll.
Was für den aktuellen Roman wieder nur so halb stimmt: Eine New Yorkerin über sechzig ist von Zerfall und Tod umgeben und hasst es, älter zu werden. Ihre Eltern sind fast tot, sie begleitet sie beim Sterben, und das ist komisch und traurig zugleich. So wird die offenbar oft verheiratete Protagonistin Vanessa Wonderman etwa von ihrer bettlägerigen, halbtoten Mutter mit den Worten "Und, wen heiratest du als Nächstes?" empfangen, während der ebenfalls halbtote Vater komische Gedichte über seine Familie verfasst ("Ich fühle mich wie König Lear. / Drei Töchter hab ich / Und lieb sind sie mir, / Schön und schlau - ich bin entzückt. / Nur streiten tun sie wie verrückt. / Wer kriegt mehr? / Wer kriegt zu wenig? / Schwer ist das für einen König, / Den das Alter niederpresst. / Echter Senioren-Stress!")
Außerdem hat Vanessa Wonderman Probleme mit ihrem Mann Asher, der, noch mal wesentlich älter als sie, kein Interesse mehr an Sex hat. "Mein Mann und ich lesen deutlich öfter zusammen die Todesanzeigen, als wir Sex haben." Dann wird Asher lebensgefährlich krank, der Pudel ebenfalls, und Vanessa Wonderman verbringt die meiste Zeit in Krankenhäusern, während sie den eigenen körperlichen Verfall beobachten muss. Je kränker und toter ihr Alltag wird, desto mehr will sie leben, und das heißt für Vanessa Wonderman: Sex haben. Weswegen sie online eine Kontaktanzeige postet. Es klappt aber nicht so richtig, denn die Männer wollen komische Sachen von ihr (Latexanzüge tragen), und so muss sie akzeptieren, dass Sex keine Lösung ist, beziehungsweise nur, wenn man damit zurechtkommt, dass man älter wird - auch und gerade, wenn das verboten ist. Der Roman ist weniger ein erzählender Text als ein Reflexionsbuch über jenen Abschnitt im Leben einer Frau, in dem diese, wie Vanessa Wonderman es beschreibt, unsichtbar wird.
Für Erica Jong als Schriftstellerin bedeutet diese Verfallszeit aber genau das Gegenteil, denn "Angst vorm Sterben" wurde zumindest in Amerika von den Kritikern eher wohlwollend bis positiv aufgenommen. Trotz Sex, trotz Frau, trotz autobiographischer Bezüge. Gefragt, wie sie sich das erkläre, sagt Erica Jong, mit diesem ruhigen, wissenden Lächeln, das während des Gespräches häufiger auf ihrem Gesicht liegt: "Ich bin jetzt alt. Ich bin keine Bedrohung mehr. Deswegen sind die Kritiker freundlich." Das Schreiben jeglicher Inhalte ist ihr nun, da weder Aussehen noch Jugend ein Problem sind, gestattet, könnte man meinen, was insofern interessant ist, als Vanessa Wonderman, die ebenfalls alternde Frau, ja genau das Gegenteil will. Sie will sichtbar sein, sie will, dass ihr Aussehen eine Rolle spielt. Und so ist in beiden Figuren, der öffentlichen Person Erica Jong und Vanessa Wonderman, ein wirklich unangenehmes Frauenproblem enthalten, das sich wechselseitig vervollständigt: Weibliche Schönheit, Jugend und ein lebendiger Körper lassen Geist und Tiefe als eher unwahrscheinlich gelten. Erlaubt ist nur eins von beidem.
Und aus genau diesem Grund ist es gut, dass es Erica Jong gibt. Weil sie all das gleichzeitig wollte und weiterhin will. Weil sie der Entwicklung, der eine Frau, die älter wird, ob sie will oder nicht, zu entsprechen hat, sich selbst entgegensetzt und sagt: "Klar habe ich mich liften lassen, gucken Sie, hier." Dieser Satz sagt eine Menge. Liften ist, zumindest unter Schriftstellern und ihren Lesern, eher verpönt (wenngleich das für das Altern ebenso gilt), weil der intellektuelle Mensch doch bitte nicht so sehr auf Oberflächlichkeiten Wert legt, dafür ist er beziehungsweise sie zu klug, da steht man drüber.
Wenn überhaupt, so lässt man sich liften und schweigt darüber. Erica Jong hingegen steht dazu, womit nicht gesagt werden soll, dass Liften super ist. Vielmehr macht jener Satz die Kleinheit des Menschen sichtbar, der sich gegen das Alter wehrt, ohne dass sich die Frau, die ihn gesagt hat, dafür schämen würde. Der Satz ist ein Bekenntnis zur menschlichen Kleinheit. Außerdem erzählt er davon, dass eine Schriftstellerin sich dagegen wehrt, nur ernst genommen zu werden, wenn sie alt und unsichtbar ist, wobei daraus wahrscheinlich eher nichts als die tatsächliche Anerkennung dieses Wunsches folgt. Und dennoch bleibt der Satz wichtig für diesen alten und offenbar immer gleichen Streit zwischen Oberfläche und Geist.
Antonia Baum
Erica Jong: "Angst vorm Sterben". Übersetzt von Tanja Handels. S. Fischer, 368 Seiten, 19,99 Euro
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Klingt nicht komisch, ist es aber, denn Jong verfügt über einen typisch New Yorker Witz, gepaart mit Einfühlsamkeit und Gespür für leise Töne. Meike Schnitzler Brigitte 20160217