Als Linas geliebte Oma stirbt, weiß sie dies nicht recht einzuordnen, schläft Oma nun besonders lange, weil sie besonders müde geworden ist? Wer bestimmt, wie lange sie schläft und weckt sie nach einer angemessenen Zeit wieder auf? Der liebe Gott?, so wie es die Eltern jeden Morgen bei ihr tun? Nach der Beerdigung geht Lina oft in Omas Haus, dort kann sie ihren Erinnerungen an Oma nachhängen, dort fühlt sie sich ihr nah. Sie betrachtet gerne das Hochzeitsbild, das die junge Oma als glückliche Braut zeigt, daneben den Bräutigam, Linas Opa, der leider schon früh verstorben ist. Oma aber findet keine Ruhe, sie hat auf ihrer letzten Reise zu schweres Gepäck mitgenommen. Über das Hochzeitsbild sucht sie den Kontakt mit ihrer kleinen Enkelin Lina, die, wie alle Kinder und auch die Tiere, empfänglich für übersinnliche Wahrnehmungen ist. Lina spürt die besondere Aura, die von dem Hochzeitsbild ausgeht, die Braut darauf erscheint ihr seltsam verändert, ihr sonst so glückliches Lächeln wirkt jetzt sonderbar schmerzlich, ihr Blick flehend. Unerklärliche Dinge passieren in Omas nun still gewordenem Haus, die Rollläden sind am helllichten Tag zugeschoben, ein unbekanntes, verschlissenes Sakko hängt im Flur neben Omas Strickjacke und in der Küche riecht es nach Lindenblütentee, Omas Lieblingstee. Dann trifft Lina zu ihrem großen Schrecken einen Geist in Omas Wohnstube an, er sitzt im Sessel und hält anscheinend Zwiesprache mit der Braut auf dem Hochzeitsbild. Lina überwindet ihre Angst, sie geht nun, obwohl es die Eltern nicht gerne sehen, täglich in Omas Haus, um dort den Geist, Opas Geist, zu treffen und von ihm von jener Zeit zu erfahren, als er mit Oma hier gelebt hat und vor allem, warum er hatte so früh sterben müssen. Opas Geist, von Gewissensnöten geplagt, scheint froh zu sein, dass ihm endlich einer zuhört und ihm glaubt. Er erzählt, wie leichtfertig er damals sein Glück aufs Spiel gesetzt hatte, als sich ihm die Gelegenheit bot, über Nacht reich zu werden. Lange hatte er nicht verstehen können, warum ihn seine Frau im Stich gelassen hatte und vor Gericht sein Alibi, ein falsches Alibi, nicht bestätigen wollte, sie hatte ihm so wenig geglaubt, wie alle anderen auch. Viel später erst, in den langen Jahren seiner Haft hatte er begriffen, dass ein Meineid die Sache nur verschlimmert hätte. Nun sei er heimgekommen, um Frieden mit ihr, seiner Frau zu machen und mit seinen Töchtern, zu deren Gedeihen er hatte nicht beitragen können. Er hoffe nur, dass es nicht zu spät dazu ist. Das Hochzeitsbild in Omas Wohnstube zeigt bald wieder eine lächelnde Braut, und in Omas Garten kehrt sie selbst zurück, wenn auch vorläufig nur in Gestalt einer gusseisernen Plastik. Es ist nie zu spät zur Vergebung, denn im ewigen Ratschluss ergibt alles einen Sinn, auch wenn wir den nicht immer gleich begreifen.
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