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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein exzellent edierter Band
präsentiert den Briefwechsel
zwischen Alma Mahler und ihrem
Geliebten und späteren zweiten Ehemann Walter Gropius. Gabriele Reiterer
folgt Lebensweg und künstlerischer
Karriere von Anna Mahler,
Almas Tochter aus ihrer ersten Ehe
mit Gustav Mahler.
Über Walter Gropius, von 1915 bis 1920 mit Gustav Mahlers Witwe Alma verheiratet, meinte Alban Bergs Frau Helene in einem Brief an ihren Mann, er tue ihr leid: "Ein guter Kerl, durch und durch nobel, ungenial" - "Almschi richtet sich's, wie's ihr passt", Gropius werde als "einer ihrer Trabanten u. Schleppträger ein elendes Dasein haben - gehörnt und verachtet!" Das lesen wir in einer neuen Biographie der Bildhauerin Anna Mahler (1904-1988). Mit ihrem Stiefvater Gropius verstand die Tochter Almas und Gustavs sich gut, er förderte ihre künstlerische Begabung, zeigte ihr nach dem Krieg die von ihm geleitete Bauhaus-Schule in Weimar und holte sie schließlich nach Berlin.
Während der Kriegsjahre war die Situation im Hause Mahler in Wien und in der neu gebauten Villa am Semmering jedoch nicht nur für den "ungenialen", noch wenig bekannten Architekten kaum erträglich, sondern auch für die halbwüchsige Anna. Im Mittelpunkt stand die hassgeliebte "Tigermami" mit ihren Beziehungsknäueln und Capricen; da waren Gropius auf Urlaub von der Westfront, seine und Almas Tochter Manon im Babyalter und Almas Liebhaber Franz Werfel, von dem der Ehemann lange nichts wusste. (Zum Zeitpunkt ihrer Heirat war die stürmische Liaison mit Oskar Kokoschka gerade erst im Abklingen gewesen.)
Die Vorgeschichte dieser kaum noch überblickbaren und entwirrbaren Ereignisse und Lebensfäden zeichnet nun ein exzellent edierter voluminöser Briefband nach, der vier Jahre der Korrespondenz umfasst. Alma Mahler (1879- 1964) und Walter Gropius (1883-1969) lernten einander im Sommer 1910 auf einer Kur im steirischen Tobelbad kennen und stürzten sich in eine rasende Liebesaffäre, die, glaubt man den brieflichen Beteuerungen, von beiden Seiten als Lebensprojekt angelegt war. Das Paar mühte sich allen Ernstes, wenn auch ohne Erfolg, gleich in den ersten Wochen des Verliebtseins ein Kind zu zeugen. Allein Almas Mann Gustav, so schien es, stand ihrem Glück im Wege. Doch nach dessen Tod im Jahr darauf zog Alma sich von Gropius nach und nach zurück und wandte sich Kokoschka und dem Biologen Paul Kammerer zu; die Wiederannäherung 1914 belebte ein schon erkaltetes Verhältnis nur kurz, die Hochzeit war offenbar nicht mehr der ersehnte Gipfelpunkt, sondern ein Befreiungsschlag inmitten der Weltkriegserschütterung, der sich, zumindest für Alma, bald als Fesselung herausstellte.
Welchen Reiz, abgesehen vom voyeuristischen, kann man den rund vierhundert hier versammelten Briefen zubilligen? Einen literarischen wohl kaum. Alma Mahler liebt die Emphase und den Nachdruck des doppelt und dreifach Unterstrichenen. Ihr erster Brief beginnt: "Walter - Es ist plötzlich so viel Schönheit in mein Leben gekommen - denn Du bist der Inbegriff des Schönen für mich! - Bleib es! Ich erwarte alles von Dir - ". Walter Gropius, von dem nur Briefentwürfe und Notizen erhalten sind, zweifelt an seiner schriftlichen Ausdruckskraft, er sammelt Einfälle: "nur im Fühlen bin ich Dichter und Deiner würdig und kann Verschwender sein mit vollen Händen". Gerade auch aus den Mängeln und blinden Flecken der Briefe erstehen freilich prägnante Charakterbilder der Schreibenden, in der Rollenverteilung zwischen der anspruchsvollen Lehrmeisterin und dem vier Jahre jüngeren Newcomer manifestiert sich die Kunstreligion der Jahrhundertwende. Gropius: "Ich weiß jetzt, Du verkörperst mir das, was ich meinen Stil nennen will, an Dir werde ich mir darüber klar werden. Kunst läßt sich nicht trennen vom Leben, Du bist mir Kunst."
So ist dieser Briefwechsel, mit profunden Informationen herausgegeben von der Kunsthistorikerin Annemarie Jaeggi und dem Musikwissenschaftler Jörg Rothkamm, vor allem eine kulturgeschichtliche Fundgrube. Wohl und Wehe der Liebenden sind eingebettet in ein pulsierendes kulturelles Leben in Wien, Weimar, München und Berlin. Wir erfahren nicht nur einiges über die tastenden Anfänge eines wegweisenden Architekten der Moderne, sondern auch über die beachtliche musikalische Begabung der berüchtigten Salonniere und Lebedame und nicht zuletzt über Gustav Mahlers dramatisches letztes Lebensjahr: Die Entdeckung des Betrugs - Gropius hatte einen Brief irrtümlich an den Gatten adressiert - stürzte Mahler in eine tiefe Krise, die ihren Ausdruck in seiner 10. Symphonie fand. Alma, sonst von grandioser Rücksichtslosigkeit, fürchtete um sein Leben und versprach, bei ihm zu bleiben. Ihr Liebhaber nahm an einer Aussprache im Südtiroler Toblach teil (er beschrieb seine Gefühle für Mahler als ein "Gemisch von Achtung, tiefem Mitleid und - Scham") und gab ihr schweren Herzens recht, ohne dass die beiden ihre Beziehung beendet hätten. In seiner Verzweiflung widmete Mahler sich nun zum ersten Mal den Liedern seiner Frau, der er bei ihrer Heirat den Verzicht auf jegliche Kompositionstätigkeit abverlangt hatte. Mahlers letzte große Konzertreise in die USA, auf der Alma ihn für ein halbes Jahr begleitete, erlegte vor allem Gropius eine schwere Prüfung auf. "In Tobelbad lebten wir ein Kunstwerk, - ohne es zu wissen", stellt Alma nach ihrer Rückkehr ernüchtert fest.
Das Leben als Kunstwerk, das war ein Anspruch, den Anna Mahler wohl unbewusst von ihrer Mutter übernahm. Auf jeden Fall glich sie ihr in ihrer Männersammelleidenschaft: Fünfmal war Anna verheiratet, Ernst Krenek war ihr zweiter, der Verleger Paul Zsolnay ihr dritter Mann. Die Zahl ihrer (prominenten) Liebhaber ist Legion, Elias Canetti und Hermann Broch waren darunter, aber auch der austrofaschistische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der im außerehelichen Verhältnis mit der Vielbegehrten ebenso gegen sein erzkatholisches Gewissen handelte wie diese gegen ihre linke Überzeugung. "Sie bestand aus Augen", erinnert sich Canetti. "Was immer man sonst in ihr sah, war Illusion." Dem erotisch-frivolen Who's who des Wiener Fin de Siècle und der Zwischenkriegszeit sind düstere Farben beigemischt: Anna Mahlers ältere Schwester Maria (Putzi) starb mit fünf an Diphtherie, es folgte der Herztod des Vaters, ihre Halbschwester Manon Gropius starb mit achtzehn an Kinderlähmung, Franz Werfels Sohn mit Alma starb als Säugling.
Gabriele Reiterer erzählt Anna Mahlers bewegte Lebensgeschichte, trotz gründlicher Recherche, wohltuend konzentriert. Jedem Kapitel ist ein markantes Zitat der Porträtierten vorangestellt: "Ich kann nicht kämpfen, aber ich bin sehr widerspenstig", das charakterisiert auch die innig-kratzbürstige Beziehung zur übermächtigen Mutter. Und obwohl die Biographin Annas äußerer Erscheinung viel Aufmerksamkeit widmet, zeichnet sie diese nicht nur als Freundin bedeutender Männer, sondern nimmt sie als Künstlerin gebührend ernst. Die Musik war ihr Lebensmittel; am Klavier protestierte sie mit ihrem geliebten Bach auch gegen den Wagnerkult ihrer Mutter.
Doch ihre Berufung war die Steinbildhauerei, die sie in Wien bei Fritz Wotruba studierte. 1937 wurde ihre Skulptur "Die Stehende" vor dem österreichischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung gezeigt und machte sie, über ihre Rolle als "Mahler-Tochter" hinaus, bekannt. Im Londoner Exil hielt Anna Mahler an der menschlichen Gestalt fest und profilierte sich mit ihren Porträtbüsten. Der "Riss" der Emigration war letztlich nicht heilbar: "Im Leben in Enklaven fehlte der Raum der Zugehörigkeit."
Nach dem Krieg litt sie unter dem mangelnden Interesse an ihrer Arbeit, vor allem in den USA, wohin sie 1950 übersiedelt war. Nicht zuletzt deshalb verbrachte sie ihre letzten Jahre wieder in Europa, in London und in Spoleto. Die Biographie zeichnet sie als eine extrem unabhängige und beunruhigend selbstgenügsame Frau, die kaum Kompromisse machte (nach über dreißig Jahren trennte sie sich mit achtzig noch von ihrem letzten Ehemann Joseph Albrecht): als die geplagte Tochter, die ihren eigenen Töchtern eine problematische Mutter war und dennoch von ihnen bewundert wurde; die ihr Lebtag fast immer reich war, bisweilen aber auch richtig arm, und die sich weder vom einen noch vom andern beeindrucken ließ; die Wien und Österreich hasste und der Welt ihrer Kindheit und Jugend doch bis zu ihrem Tod verbunden blieb.
Mit ihrem Buch hat Gabriele Reiterer auf pragmatische Weise den Plan verwirklicht, von dessen Scheitern Marlene Streeruwitz' Roman "Nachwelt" (1999) handelt. Dort gibt die Protagonistin ihr Vorhaben, die Lebensgeschichte der Anna Mahler zu erzählen, auf. Streeruwitz' Befund behält gleichwohl seine Gültigkeit: "Eine Biographie zu schreiben ist immer eine Anmaßung." DANIELA STRIGL
"Du bist mir Kunst". Der Briefwechsel Alma Mahler - Walter Gropius 1910 bis 1914.
Hrsg. von Annemarie Jaeggi und Jörg Rothkamm. Residenz Verlag, Wien 2023.
784 S., Abb., geb., 49,- Euro.
Gabriele Reiterer: "Anna Mahler". Bildhauerin - Musikerin - Kosmopolitin.
Molden Verlag, Wien 2023. 253 S., Abb., geb., 30,- Euro.
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