»Ich wollte ein Sachbuch schreiben, aber es ist ein Entwicklungsroman geworden. Meine ganze Sicht aufs Leben hat sich geändert« Karen Duve. Irgendwann beschloss Karen Duve, fortan anständig zu essen. Sie beschloss, ihre ganze Ernährung umzustellen. Aber wie? Grillhähnchenpfanne im Supermarkt für 2,99 Euro, weil es so schnell und lecker und praktisch ist? Damit sollte nun Schluss sein. Karen unternahm einen Selbstversuch, um herauszufinden, wie sie am besten gesund und ethisch korrekt einkaufen, kochen, essen und leben sollte. Sie verzichtete zwei Monate auf konventionell hergestellte Lebensmittel, dann zwei Monate auf Fleisch, anschließend auf alle tierisch hergestellten Produkte - und am Ende sogar auf Kartoffeln und Möhren, weil bei deren Ernte die Pflanzen zerstört werden. Sie stellt fest: Gewohnheiten zu verändern muss sich lohnen ... Schonungslos und mit der ihr eigenen knochentrockenen Komik setzt sie sich jenseits aller Ideologien mit der Frage auseinander: Wie viel gönne ich mir auf Kosten anderer?
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2011Stark sein, wenn der Duft von Bratwurst in die Nase steigt
Nicht länger auf Kosten gequälter Kreaturen leben: Nach der viel diskutierten Streitschrift von Jonathan Safran Foer gegen die Massentierhaltung schildert Karen Duve, wie ihr geschah, als sie versuchte, ein besserer Mensch zu werden.
Deutschland hat wieder einen Lebensmittelskandal: krebserregende Dioxine in Eiern. Mastbetriebe wurden geschlossen, Bauern fürchten um ihre Existenz, Verbraucher um ihre Gesundheit. Was bis gestern noch gesichert schien, hat ein einziger Futterhersteller durch Profitgier aufs Spiel gesetzt.
Dass Tausende von Hühnern, denen man das mit Abfällen aus der Biodiesel-Herstellung verseuchte Futter vorgesetzt hatte, vorsorglich geschlachtet wurden, erregt hingegen niemanden. Die deutsche Landwirtschaft, so heißt es, brauche bessere Kontrollen. Das mag stimmen. Vielleicht aber braucht sie auch noch etwas ganz anderes, nämlich ein grundsätzlich anderes System. Denn von einer Landwirtschaft, für die "artgerecht" ein Fremdwort ist, die Tiere nur als Rädchen einer Produktionsmaschine für Eier, Milch und Wurst begreift, die möglichst kostengünstig funktionieren will, damit sie vor der Konkurrenz bestehen und dem Kunden jeden Wunsch jederzeit durch Dumpingpreise im Supermarkt erfüllen kann, ist kein plötzlich gesteigertes Verantwortungsbewusstsein zu erwarten.
Die Konsumenten bestätigen ihr schließlich beim täglichen Einkauf, dass sie auch so einverstanden sind - ansonsten würden sie nicht zu den zu Schleuderpreisen verkauften Lebensmitteln greifen. Dass diese nicht immer mit sauberen Mitteln arbeitet, weiß jeder, der zu Hause einen Fernseher oder Internet hat - und zwar schon vor dem Dioxin-Skandal.
Auch Karen Duve hat es gewusst. Sie kannte die Schreckensbilder aus Legehennen- und Hühnerfarmen, sie kannte die Berichte über Gammelfleisch. Sie ahnte, dass es besser wäre, beim Einkauf auf die "Hähnchen-Grillpfanne" für 2,99 Euro zu verzichten: "Irgendwo in der Peripherie meines Bewusstseins wusste ich, dass die Bedingungen, unter denen dieses Huhn einmal gelebt hatte, wohl eher unfreundlich waren." Doch es schmeckt ihr, also greift Karen Duve zu. Bis ihre neue Mitbewohnerin, die sich nur von Bio-Produkten ernährt, sie eines Tages beim Einkaufen mit berechtigten Vorwürfen konfrontiert. Die Autorin gelobt, nicht länger Diskrepanz walten zu lassen zwischen dem, was sie weiß, und dem, was sie einkauft. Ob sich diese in dem Buch beschriebene Szene in Wahrheit so zugetragen hat oder nicht, ist dabei gar nicht entscheidend. Wichtig ist, was offenbar aus einer Bewusstwerdung folgte: Duves Entscheidung, ein besserer Mensch zu werden.
Sie startet einen Selbstversuch: Zwei Monate lang wird sie nur noch Lebensmittel essen, die das EU-Bio-Siegel tragen; zwei Monate wird sie ganz auf Fleisch verzichten; dann zwei Monate als Veganerin leben und sich danach als Frutarierin ernähren - auch wenn sie erst einmal googeln muss, was das ist: Frutarier sind Menschen, die nur solche Pflanzenteile essen, deren Ernte nicht die gesamte Pflanze zerstört - Salat, Kartoffeln oder Wurzeln sind also nicht erlaubt, Äpfel, Sonnenblumenkerne und Tomaten aber schon. Was sie dabei erlebt, hat Karen Duve in einem großartigen Buch aufgeschrieben. Nach der viel diskutierten Streitschrift "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer (F.A.Z. vom 13. August 2010) liegt mit "Anständig essen" nun ein ähnlich aufrüttelndes Plädoyer gegen die Massentierhaltung vor.
Als Bio-Neukundin stellt die Autorin zunächst erfreut fest, dass sie so gut wie jedes liebgewonnene Lebensmittel (bei Duve sind das vor allem Kekse, Schokolade, Fleisch und fetter Käse) auch mit Bio-Siegel kaufen kann. Das vergleichsweise übersichtliche Markenangebot in Bio-Läden empfindet sie sogar als psychische Erleichterung. Und schlägt trotz der hohen Preise ungehemmt zu - sie blickt schließlich entbehrungsreichen Monaten entgegen. Schnell sind vier Kilo mehr auf der Waage. Duves Fazit: "Auch mit Bio-Ernährung kann man fett werden. Man muss es sich nur leisten können." Duve belässt es jedoch nicht einfach dabei, anders einzukaufen. Sie will sich damit konfrontieren, was in deutschen Landwirtschaftsbetrieben vor sich geht, studiert Veröffentlichungen von Tierschutzorganisationen und Schriften des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie recherchiert im Internet und bricht sogar in eine Legehennenfarm ein. Da sie in ihrem Garten in Brandenburg gern den eigenen Hühnern beim Herumrennen, Aufplustern, Scharren und Picken zuschaut, gilt dem Federvieh ihr besonderes Interesse. Was sie herausfindet, lässt schaudern. Bei Käfighaltung ist in Deutschland die sogenannte Kleingruppenhaltung vorgeschrieben. Das klingt besser, als es ist: Bis zu sechzig Hühner sitzen in einem Käfig; der Platz, der jedem zusteht, ist so groß wie ein DIN-A4-Blatt plus Postkarte. Es gibt Sitzstangen in einer bestimmten Höhe, die eine Einladung zum Afterpicken ist - ein unter Hühnern in Gefangenschaft verbreitetes Aggressionsverhalten; oftmals ziehen sich die Tiere dabei gegenseitig die Eingeweide aus dem Bauch. Zum Glück gibt es die Bodenhaltung, denkt der Leser entrüstet, und wird wie Karen Duve schnell enttäuscht: Sind Hühner zu Tausenden zusammengepfercht, kann sich keine Rangordnung bilden. Jedes Huhn hackt deshalb auf jedes andere ein. Die Sterblichkeitsrate in Boden-, Freiland-, aber auch in Bio-Haltung liegt bei 11,8 Prozent - in einer Halle mit 20000 Hühnern sterben also täglich bis zu sieben Tiere. Nach einem Jahr voller Stress, Schmerzen, Turbofutter, schlechter Gesundheit und Bewegungsmangel werden die überlebenden Tiere umgebracht. Um sie zu betäuben, hängt man sie an den Füßen auf und zieht sie mit dem Kopf durch ein unter Strom gesetztes Wasserbad. Da viele Hühner aufgeregt flattern, verlassen viele nur unzureichend oder gar nicht betäubt das Wasser und erleben den maschinell durchgeführten Kehlenschnitt mit.
Angesichts der von ihr recherchierten Ungeheuerlichkeiten fällt Karen Duve der Abschied vom Fleisch nicht besonders schwer. Und auch zum veganen Leben ist es nur noch ein kleiner Schritt - für Duve ist Veganismus die einzig konsequente Daseinsform, wenn man Umweltzerstörung und Grausamkeit am Tier tatsächlich vermeiden will. Soweit die Theorie. Denn trotz des moralischen Überlegenheitsgefühls, das sich auf ihrem Weg zu einem ethisch korrekten Leben einstellt, wird die Autorin sich für ihren Selbstversuch auch verfluchen: Wenn ihr bei Freunden der Duft von Bratwurst in die Nase steigt; wenn ihre Mutter etwas ganz Besonderes gekocht hat, das die Tochter nicht einmal kosten kann; in der Bäckerei, wo sie immer fragen muss, ob das Backblech nicht mit Butter eingeschmiert wurde; beim erfolglosen Versuch, sich an ein veganes, daunenloses Kissen, und ihr Maultier Bonzo an einen veganen Sattel aus Kunststoff zu gewöhnen - weil alles andere inkonsequent wäre, lässt sie das Reiten irgendwann sein. Wie im Fieberwahn schaut sie zu Beginn ihres acht Monate dauernden Selbstversuchs im Fernsehen jeden Tierfilm und jede Dokumentation über Mastbetriebe und genießt es, beim Einkauf nach dem leckersten Fleischersatz zu jagen. Am Ende aber ist sie geradezu süchtig nach Kochshows und fühlt sich dabei, als gucke sie heimlich einen Pornofilm. Vor allem das Dasein als Frutarierin macht ihr zu schaffen. Es ist eine Lebensform, für die sie zwar Verständnis, aber nicht genügend Überzeugung und Energie aufbringt.
Karen Duves Buch stellt in Frage, ob die Besonderheit und Intelligenz des Menschen tatsächlich eine ausreichende Berechtigung dafür ist, der Tierwelt Mitgefühl und Rechte zu verweigern. Es regt an darüber nachzudenken, ob Grausamkeit gegenüber Tieren nicht zu ächten ist, auch wenn sie innerhalb einer Norm stattfindet. "Wenn der Skandal alltäglich ist, ist es verführerisch zu denken, man bräuchte ihn deshalb nicht zu beachten. In Wirklichkeit heißt das aber, dass unser Alltag ein Skandal ist und dass etwas grundsätzlich falsch ist an der Art, wie wir leben", schreibt sie.
Manchmal ist ihr Ton lax, dann aber wieder scharf und wütend, was der Sache aber durchaus angemessen ist - das Buch ist kein wissenschaftlicher Aufsatz, auch wenn zweifelsohne zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse darin eingeflossen sind. Es ist eher eine mit ebenso viel Selbstironie gespickte und deshalb auch amüsant zu lesende Langzeitreportage über den Versuch, den eigenen ethischen Ansprüchen gerecht zu werden.
Karen Duve scheitert, und sie scheitert wiederum auch nicht: Am Ende ist sie sich sicher, dass sie nicht die Radikalität der von ihr getesteten Lebensformen übernehmen wird. Sie wählt einen für ihre Person realistischen Kompromiss: Den Fleisch- und Milchkonsum auf ein Minimum reduzieren, möglichst Bio einkaufen, jedoch auf keinen Fall Produkte aus der Massentierhaltung, auch keine Daunen- und Lederwaren. Die Autorin nutzt damit eine Fähigkeit, die der Mensch den Tieren voraus hat. Sie übernimmt Verantwortung für das, was sie weiß und wählt. Es ist der erste Schritt, um ein System zu ändern.
KAREN KRÜGER.
Karen Duve: "Anständig essen". Ein Selbstversuch.
Galiani Verlag, Berlin 2010. 335 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht länger auf Kosten gequälter Kreaturen leben: Nach der viel diskutierten Streitschrift von Jonathan Safran Foer gegen die Massentierhaltung schildert Karen Duve, wie ihr geschah, als sie versuchte, ein besserer Mensch zu werden.
Deutschland hat wieder einen Lebensmittelskandal: krebserregende Dioxine in Eiern. Mastbetriebe wurden geschlossen, Bauern fürchten um ihre Existenz, Verbraucher um ihre Gesundheit. Was bis gestern noch gesichert schien, hat ein einziger Futterhersteller durch Profitgier aufs Spiel gesetzt.
Dass Tausende von Hühnern, denen man das mit Abfällen aus der Biodiesel-Herstellung verseuchte Futter vorgesetzt hatte, vorsorglich geschlachtet wurden, erregt hingegen niemanden. Die deutsche Landwirtschaft, so heißt es, brauche bessere Kontrollen. Das mag stimmen. Vielleicht aber braucht sie auch noch etwas ganz anderes, nämlich ein grundsätzlich anderes System. Denn von einer Landwirtschaft, für die "artgerecht" ein Fremdwort ist, die Tiere nur als Rädchen einer Produktionsmaschine für Eier, Milch und Wurst begreift, die möglichst kostengünstig funktionieren will, damit sie vor der Konkurrenz bestehen und dem Kunden jeden Wunsch jederzeit durch Dumpingpreise im Supermarkt erfüllen kann, ist kein plötzlich gesteigertes Verantwortungsbewusstsein zu erwarten.
Die Konsumenten bestätigen ihr schließlich beim täglichen Einkauf, dass sie auch so einverstanden sind - ansonsten würden sie nicht zu den zu Schleuderpreisen verkauften Lebensmitteln greifen. Dass diese nicht immer mit sauberen Mitteln arbeitet, weiß jeder, der zu Hause einen Fernseher oder Internet hat - und zwar schon vor dem Dioxin-Skandal.
Auch Karen Duve hat es gewusst. Sie kannte die Schreckensbilder aus Legehennen- und Hühnerfarmen, sie kannte die Berichte über Gammelfleisch. Sie ahnte, dass es besser wäre, beim Einkauf auf die "Hähnchen-Grillpfanne" für 2,99 Euro zu verzichten: "Irgendwo in der Peripherie meines Bewusstseins wusste ich, dass die Bedingungen, unter denen dieses Huhn einmal gelebt hatte, wohl eher unfreundlich waren." Doch es schmeckt ihr, also greift Karen Duve zu. Bis ihre neue Mitbewohnerin, die sich nur von Bio-Produkten ernährt, sie eines Tages beim Einkaufen mit berechtigten Vorwürfen konfrontiert. Die Autorin gelobt, nicht länger Diskrepanz walten zu lassen zwischen dem, was sie weiß, und dem, was sie einkauft. Ob sich diese in dem Buch beschriebene Szene in Wahrheit so zugetragen hat oder nicht, ist dabei gar nicht entscheidend. Wichtig ist, was offenbar aus einer Bewusstwerdung folgte: Duves Entscheidung, ein besserer Mensch zu werden.
Sie startet einen Selbstversuch: Zwei Monate lang wird sie nur noch Lebensmittel essen, die das EU-Bio-Siegel tragen; zwei Monate wird sie ganz auf Fleisch verzichten; dann zwei Monate als Veganerin leben und sich danach als Frutarierin ernähren - auch wenn sie erst einmal googeln muss, was das ist: Frutarier sind Menschen, die nur solche Pflanzenteile essen, deren Ernte nicht die gesamte Pflanze zerstört - Salat, Kartoffeln oder Wurzeln sind also nicht erlaubt, Äpfel, Sonnenblumenkerne und Tomaten aber schon. Was sie dabei erlebt, hat Karen Duve in einem großartigen Buch aufgeschrieben. Nach der viel diskutierten Streitschrift "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer (F.A.Z. vom 13. August 2010) liegt mit "Anständig essen" nun ein ähnlich aufrüttelndes Plädoyer gegen die Massentierhaltung vor.
Als Bio-Neukundin stellt die Autorin zunächst erfreut fest, dass sie so gut wie jedes liebgewonnene Lebensmittel (bei Duve sind das vor allem Kekse, Schokolade, Fleisch und fetter Käse) auch mit Bio-Siegel kaufen kann. Das vergleichsweise übersichtliche Markenangebot in Bio-Läden empfindet sie sogar als psychische Erleichterung. Und schlägt trotz der hohen Preise ungehemmt zu - sie blickt schließlich entbehrungsreichen Monaten entgegen. Schnell sind vier Kilo mehr auf der Waage. Duves Fazit: "Auch mit Bio-Ernährung kann man fett werden. Man muss es sich nur leisten können." Duve belässt es jedoch nicht einfach dabei, anders einzukaufen. Sie will sich damit konfrontieren, was in deutschen Landwirtschaftsbetrieben vor sich geht, studiert Veröffentlichungen von Tierschutzorganisationen und Schriften des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie recherchiert im Internet und bricht sogar in eine Legehennenfarm ein. Da sie in ihrem Garten in Brandenburg gern den eigenen Hühnern beim Herumrennen, Aufplustern, Scharren und Picken zuschaut, gilt dem Federvieh ihr besonderes Interesse. Was sie herausfindet, lässt schaudern. Bei Käfighaltung ist in Deutschland die sogenannte Kleingruppenhaltung vorgeschrieben. Das klingt besser, als es ist: Bis zu sechzig Hühner sitzen in einem Käfig; der Platz, der jedem zusteht, ist so groß wie ein DIN-A4-Blatt plus Postkarte. Es gibt Sitzstangen in einer bestimmten Höhe, die eine Einladung zum Afterpicken ist - ein unter Hühnern in Gefangenschaft verbreitetes Aggressionsverhalten; oftmals ziehen sich die Tiere dabei gegenseitig die Eingeweide aus dem Bauch. Zum Glück gibt es die Bodenhaltung, denkt der Leser entrüstet, und wird wie Karen Duve schnell enttäuscht: Sind Hühner zu Tausenden zusammengepfercht, kann sich keine Rangordnung bilden. Jedes Huhn hackt deshalb auf jedes andere ein. Die Sterblichkeitsrate in Boden-, Freiland-, aber auch in Bio-Haltung liegt bei 11,8 Prozent - in einer Halle mit 20000 Hühnern sterben also täglich bis zu sieben Tiere. Nach einem Jahr voller Stress, Schmerzen, Turbofutter, schlechter Gesundheit und Bewegungsmangel werden die überlebenden Tiere umgebracht. Um sie zu betäuben, hängt man sie an den Füßen auf und zieht sie mit dem Kopf durch ein unter Strom gesetztes Wasserbad. Da viele Hühner aufgeregt flattern, verlassen viele nur unzureichend oder gar nicht betäubt das Wasser und erleben den maschinell durchgeführten Kehlenschnitt mit.
Angesichts der von ihr recherchierten Ungeheuerlichkeiten fällt Karen Duve der Abschied vom Fleisch nicht besonders schwer. Und auch zum veganen Leben ist es nur noch ein kleiner Schritt - für Duve ist Veganismus die einzig konsequente Daseinsform, wenn man Umweltzerstörung und Grausamkeit am Tier tatsächlich vermeiden will. Soweit die Theorie. Denn trotz des moralischen Überlegenheitsgefühls, das sich auf ihrem Weg zu einem ethisch korrekten Leben einstellt, wird die Autorin sich für ihren Selbstversuch auch verfluchen: Wenn ihr bei Freunden der Duft von Bratwurst in die Nase steigt; wenn ihre Mutter etwas ganz Besonderes gekocht hat, das die Tochter nicht einmal kosten kann; in der Bäckerei, wo sie immer fragen muss, ob das Backblech nicht mit Butter eingeschmiert wurde; beim erfolglosen Versuch, sich an ein veganes, daunenloses Kissen, und ihr Maultier Bonzo an einen veganen Sattel aus Kunststoff zu gewöhnen - weil alles andere inkonsequent wäre, lässt sie das Reiten irgendwann sein. Wie im Fieberwahn schaut sie zu Beginn ihres acht Monate dauernden Selbstversuchs im Fernsehen jeden Tierfilm und jede Dokumentation über Mastbetriebe und genießt es, beim Einkauf nach dem leckersten Fleischersatz zu jagen. Am Ende aber ist sie geradezu süchtig nach Kochshows und fühlt sich dabei, als gucke sie heimlich einen Pornofilm. Vor allem das Dasein als Frutarierin macht ihr zu schaffen. Es ist eine Lebensform, für die sie zwar Verständnis, aber nicht genügend Überzeugung und Energie aufbringt.
Karen Duves Buch stellt in Frage, ob die Besonderheit und Intelligenz des Menschen tatsächlich eine ausreichende Berechtigung dafür ist, der Tierwelt Mitgefühl und Rechte zu verweigern. Es regt an darüber nachzudenken, ob Grausamkeit gegenüber Tieren nicht zu ächten ist, auch wenn sie innerhalb einer Norm stattfindet. "Wenn der Skandal alltäglich ist, ist es verführerisch zu denken, man bräuchte ihn deshalb nicht zu beachten. In Wirklichkeit heißt das aber, dass unser Alltag ein Skandal ist und dass etwas grundsätzlich falsch ist an der Art, wie wir leben", schreibt sie.
Manchmal ist ihr Ton lax, dann aber wieder scharf und wütend, was der Sache aber durchaus angemessen ist - das Buch ist kein wissenschaftlicher Aufsatz, auch wenn zweifelsohne zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse darin eingeflossen sind. Es ist eher eine mit ebenso viel Selbstironie gespickte und deshalb auch amüsant zu lesende Langzeitreportage über den Versuch, den eigenen ethischen Ansprüchen gerecht zu werden.
Karen Duve scheitert, und sie scheitert wiederum auch nicht: Am Ende ist sie sich sicher, dass sie nicht die Radikalität der von ihr getesteten Lebensformen übernehmen wird. Sie wählt einen für ihre Person realistischen Kompromiss: Den Fleisch- und Milchkonsum auf ein Minimum reduzieren, möglichst Bio einkaufen, jedoch auf keinen Fall Produkte aus der Massentierhaltung, auch keine Daunen- und Lederwaren. Die Autorin nutzt damit eine Fähigkeit, die der Mensch den Tieren voraus hat. Sie übernimmt Verantwortung für das, was sie weiß und wählt. Es ist der erste Schritt, um ein System zu ändern.
KAREN KRÜGER.
Karen Duve: "Anständig essen". Ein Selbstversuch.
Galiani Verlag, Berlin 2010. 335 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Respekt hat Karen Krüger vor diesem Selbstversuch, Respekt auch vor dem realistischen Kompromiss, den Karen Duve nach den hier mal zornig, mal gelassen aufgeschriebenen Erfahrungen als Bio-Esserin, Vegetarierin, Veganerin und Frutarierin schließlich wählt: Wissen und Handeln so gut es geht zur Übereinstimmung zu bringen und Verantwortung zu übernehmen dem Tier gegenüber. Für Krüger ein großartiges Buch, auch weil Duve es zu einem immer wieder auch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen bereichertem Plädoyer veredelt, das die Rezensentin aufrüttelt mit gut recherchierten Szenen aus der Welt der Massentierhaltung. Und weil es sie zu einer grundsätzlichen Frage führt: Ob nämlich wirklich nur der Fehler im System das Problem ist, wenn wieder mal ein Lebensmittelskandal die Runde macht, oder nicht doch das System selbst.
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Rezensentin Kathrin Hartmann scheint der Welle von Büchern, in denen Autoren ihre Selbstversuche in dieser oder jener Hinsicht beschreiben, fast ein wenig überdrüssig. Karen Duves Selbstversuch, sich je zwei Monate biologisch, vegetarisch, vegan und frutarisch zu ernähren, ist für sie gleichwohl eine positive Ausnahme. Die mal wütende, mal witzige Entlarvung der Ausreden, Irrationalität und Gewohnheiten, die unseren gedankenlosen Fleischkonsum kennzeichnen, findet sie sehr überzeugend. Sie sieht in dem Buch auch keine weitere "Weltrettungsanleitung", sondern eher einen Spiegel, den Duve dem Leser vorhält. Deutlich wird für Hartmann aber auch, dass eine Reihe individueller Konsumentscheidungen das System nicht ändern werden.
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