- Zur Geschichte einer politischen Bewegung, die bis in die 1920er Jahre zurückreicht
- Die Antifa polarisiert: Gefährdung der Demokratie oder notwendige zivilgesellschaftliche Bewegung?
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Stets im Visier des Verfassungsschutzes: Richard Rohrmoser zeichnet die Geschichte der Antifa nach
Als nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 ein breites Bündnis bürgerlicher und linker Gruppen unter dem Motto "Wir sind mehr" ein kostenloses Konzert in Sachsens drittgrößter Stadt organisierte, gab sich die Landesregierung beeindruckt. Ministerpräsident Michael Kretschmer und Innenminister Roland Wöller (CDU) zollten den Initiatoren Respekt für dieses "klare Zeichen gegen Rechtsextremismus". Der Verfassungsschutz des Freistaats war da jedoch anderer Auffassung und erwähnte die Veranstaltung in seinem Jahresbericht in der Rubrik Linksextremismus, weil die Musiker von Feine Sahne Fischfilet Besucher zu "Alerta, Alerta, Antifascista!"-Rufen animiert und die Band K.I.Z der lokalen Antifa für ihr Engagement gedankt hätten.
Das Beispiel veranschauliche eindrucksvoll, in welch breitem Spannungsfeld "sich antifaschistisches Engagement aufgrund von unreflektierten Assoziationen, unterkomplexen Fremdzuschreibungen und unzureichender Kenntnis befindet", schreibt der Historiker Richard Rohrmoser, der nun professionell Abhilfe schafft. Mit seinem Buch über die Geschichte der Antifa schlägt er einen kurzen, gut begehbaren Pfad ins Dickicht der Mutmaßungen und Zuschreibungen über diese linksradikale Bewegung. Ein Missverständnis beginnt ja häufig schon mit der Annahme, die Antifa sei ein Verein oder eine Art Institution, die man kontrollieren oder gar verbieten könne. Doch Rohrmoser, zeigt dass es "die Antifa" in diesem Sinne eben gar nicht gibt. Vielmehr ist Antifaschismus ein politisches Aktionsfeld, auf dem sich seit hundert Jahren Vereine, Parteien und Organisationen tummeln, die sich wiederum mit verschiedensten Theorien und Mitteln gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen.
Rohrmoser entwirrt dieses Geflecht, zeigt dessen ganze Vielfalt genauso wie die Ambivalenz des Engagements im Wandel der Zeit und der Gesellschaftssysteme. Er führt den Leser in die Zeit der Entstehung des Faschismus in Italien und seiner Ausbreitung in Europa, in dessen Folge sich Antifaschismus als Begriff etablierte. In Deutschland etwa beschlossen im Juli 1932 verschiedene antifaschistische Komitees als "Antifaschistische Aktion" zusammenzuarbeiten, zu der Bauhaus-Grafiker das kreisrunde Logo mit zwei roten Flaggen im Zentrum entwarfen. Sie standen für KPD und SPD, ein Logo, das autonome Antifa-Gruppen heute leicht abgewandelt wieder verwenden.
Anschaulich arbeitet Rohrmoser heraus, wie sehr nach dem Zweiten Weltkrieg die Neuordnung in beiden deutschen Staaten von einem antifaschistischen Konsens geprägt war, der jedoch nicht lange hielt. Trotz der antifaschistischen Prägung des Grundgesetzes sei der Begriff Antifaschismus schon zu Beginn der Fünfzigerjahre in der Bundesrepublik eher negativ konnotiert gewesen, weil er sich in der Systemkonkurrenz zwischen beiden deutschen Staaten "zu einer Vokabel des antikommunistischen Jargons entwickelte".
Kontroversen um die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
In der DDR wiederum habe Antifaschismus als Staatsdoktrin gegolten, was in den Augen der SED antifaschistische Aktivitäten und Gruppierungen erübrigte. "Wenn die Partei eine richtige Politik betreibt, dann bleibt für antifaschistische Sekten kein Platz mehr", dekretierte Walter Ulbricht. So löste sich etwa die klar antifaschistisch ausgerichtete Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in der DDR aufgrund politischen Drucks 1953 auf, während die SED den VVN-West weiter finanzierte. In der Bundesrepublik galt der Verein, den Konrad Adenauer mitgegründet hatte, gar als "kommunistisch unterwandert" und war in einigen Ländern verboten.
Die SPD hatte bereits Ende der Vierzigerjahre per Unvereinbarkeitsbeschluss die gleichzeitige Mitgliedschaft im VVN untersagt, was bis 2010 galt. Welche Emotionen das Thema bis heute auslöst, zeigte die Aufregung um einen Gastbeitrag, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor ihrer Amtszeit im Magazin des VVN veröffentlicht hatte. Bereits in den Siebzigerjahren erweiterte sich der VVN um das Kürzel BdA, was für "Bund der Antifaschisten" steht, um auch jüngere Menschen zu beteiligen. Gleichwohl sei der Verein heute marginalisiert, konstatiert Rohrmoser. Ein Befund, der auch für die DKP und den Kommunistischen Bund gelte, die der Autor als traditionelle Antifa-Organisationen näher betrachtet.
Wissenschaftler warnten vor"Überfremdung" in Deutschland
Eine Renaissance erfuhr die Antifa Ende der Siebzigerjahre, als in Westeuropa neue, junge Akteure aus der linksradikalen, anarchistischen und neomarxistischen Szene auf den Plan traten, die - und das war neu - ihre Ziele zum Teil auch mit Gewalt durchzusetzen bereit waren. Die autonome Antifa entstand. In Westdeutschland fokussierte sich deren Kampf wieder auf Antifaschismus, als in den Achtzigerjahren rechtsextreme Gewalttaten zunahmen. Eindringlich beschreibt der Autor, wie etwa der Anschlag auf dem Münchner Oktoberfest mit dreizehn Toten und mehr als zweihundert Verletzten, die Ermordung eines jüdischen Verlegerpaares in Erlangen oder von drei ausländischen Besuchern einer Nürnberger Diskothek auch Folgen eines ins Rechtsextreme kippenden gesellschaftlichen Klimas waren oder wie bundesweit Zusammenkünfte einstiger SS-Angehöriger geduldet wurden. Eine von der Bundesregierung beauftragte Studie ergab 1980, dass 37 Prozent der Wahlberechtigten rechtsextremen Statements zustimmten, während Wissenschaftler im "Heidelberger Manifest" vor einer "Unterwanderung" und "Überfremdung" des deutschen Volkes warnten.
Als die Parole "Gegen Nazis"zur Staatsräson wurde
Doch erst als Anfang der Neunzigerjahre rechtsextreme Gewalttaten abermals deutlich zunahmen, sei Antifaschismus zu einem breiten gesellschaftlichen Thema in der Bundesrepublik geworden, schreibt Rohrmoser. Er attestiert der Antifa hier eine Vorreiterrolle. Sie habe lange um Aufmerksamkeit für das Thema gekämpft und sich auch durch akribische Aufklärungsarbeit über die rechtsextreme Szene und deren Taten Anerkennung sogar beim Bayerischen Verfassungsschutz erworben.
Gleichwohl habe sich die Antifa auch ihrer Domäne beraubt gesehen, nachdem der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den "Aufstand der Anständigen" ausgerufen hatte und die Parole "Gegen Nazis" quasi Staatsräson geworden sei. Eine Folge sei die Spaltung der Antifa-Bewegung nach der Jahrtausendwende in Anti-Deutsche und Anti-Imperialisten. Während Erstere für Solidarität mit Israel plädierten und auch NATO-Einsätze im Kosovo, in Afghanistan und selbst im Irak befürworteten, lehnten Letztere all das kategorisch ab, agierten propalästinensisch und kämpften gegen den Imperialismus als - nach Karl Marx - letztes Stadium des Kapitalismus.
Aktuell sieht Rohrmoser fehlende gemeinsame Ziele als die größte Herausforderung für die antifaschistische Bewegung und eine große Gefahr: Die Gewaltbereitschaft habe sich zu einem "strukturellen Problem in autonomen Antifa-Gruppen entwickelt", was durch eine "fatale Symbiose zwischen Szene und Medien" noch verstärkt werde, weil Ausschreitungen wie bei den G-20-Gipfeln in Genua oder Hamburg zwangsläufig eine enorme öffentliche Resonanz erzielen. Rohrmosers Buch ist in kritischer Sympathie gehalten, jedoch ohne die Schattenseiten der Antifa zu verschweigen oder gar zu verklären. Sie ist weder ein Haufen militanter Systemoppositioneller und Linksterroristen noch die noble, ausschließlich hehre Ziele verfolgende Bewegung. STEFAN LOCKE
Richard Rohrmoser: "Antifa". Porträt einer linksradikalen Bewegung von den 1920er Jahren bis heute.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 208 S., br., 16,- Euro.
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FAZ Bücher-Podcast, Kai Spanke
"Ist klar strukturiert, gut zu lesen und bietet ... dem interessierten Publikum einen guten Einstieg."
h-soz-kult, Jens Späth
"Das Buch ist in kritischer Sympathie gehalten, jedoch ohne die Schattenseiten der Antifa zu verschweigen oder gar zu verklären."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Stefan Locke
"Eine fundierte Geschichte der linksradikalen Bewegung"
NZZ, Eckhard Jesse
" Vorzüglich ... in einem Geist kritischer Sympathie geschrieben."
Sächsische Zeitung