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Der Mönch als Ungeziefer, der Priester als Triebtäter – das sind nur zwei Bilder, mit denen im 19. Jahrhundert Liberale und Demokraten gegen den Katholizismus zu Feld zogen. Der moderne Antikatholizismus war bereits in der Aufklärung entstanden und entwickelte sich in der Folge zu einem europäischen Konflikt um den Ort und die Bedeutung von Religion und Kirche. Manuel Borutta erhellt in einem historischen Vergleich zwischen Italien und Deutschland den Zusammenhang zwischen Antikatholizismus, Kulturkampf und Säkularisierungstheorie. Er zeigt, wie sich der Antikatholizismus zunächst mit…mehr

Produktbeschreibung
Der Mönch als Ungeziefer, der Priester als Triebtäter – das sind nur zwei Bilder, mit denen im 19. Jahrhundert Liberale und Demokraten gegen den Katholizismus zu Feld zogen. Der moderne Antikatholizismus war bereits in der Aufklärung entstanden und entwickelte sich in der Folge zu einem europäischen Konflikt um den Ort und die Bedeutung von Religion und Kirche. Manuel Borutta erhellt in einem historischen Vergleich zwischen Italien und Deutschland den Zusammenhang zwischen Antikatholizismus, Kulturkampf und Säkularisierungstheorie. Er zeigt, wie sich der Antikatholizismus zunächst mit Projekten der Moderne und der bürgerlichen Gesellschaft verband, dann medial ausbreitete und Kulturkämpfe auslöste, bis er schließlich in die Selbstbeschreibung der westlichen Moderne einging.
Autorenporträt
Dr. Manuel Borutta ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2010

Fundamentalismus der Aufklärung

Missbrauchsdebatten in der Gründerzeit des liberalen Staates: Manuel Borutta enthüllt das Gewaltpotential eines Antiklerikalismus, der die katholische Kirche als inneren Orient beschreibt.

Nach der Eroberung Roms durch die Truppen des Königreichs Italien im September 1870 hatte Papst Pius IX. den Vatikan nicht mehr verlassen. In der Nacht des 13. Juli 1881, drei Jahre nach seinem Tod, wurde sein Leichnam zur Beisetzung in die Basilika San Paolo fuori le mura überführt. Auf der Engelsbrücke wurde die Prozession von Demonstranten angegriffen, die sich des Leichnams zu bemächtigen versuchten, um ihn in den Tiber zu werfen. Die Tumulte leiteten eine neue Eskalation der kirchenfeindlichen Agitation ein. Am 7. August traten etwa dreitausend Freimaurer zu einer Kundgebung in einem Theater zusammen. Giuseppe Petroni, ein Kampfgenosse Mazzinis und späterer Großmeister des Groß-Orients von Italien, forderte die Aufhebung der Garantiegesetze, in denen der italienische Staat nach der Annexion des Kirchenstaates die Anerkennung der völkerrechtlichen Privilegien des Heiligen Stuhls ausgesprochen hatte. Eine Begründung lautete, der nach den Garantiegesetzen exterritoriale Vatikan sei ein "Asyl von Missetätern".

Die Zeitung "La Capitale" hatte berichtet, in der Straßenschlacht vom 13. Juli habe sich auf päpstlicher Seite ein wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen verurteilter päpstlicher Gendarm als Provokateur betätigt. In den folgenden Monaten versorgte das Blatt seine Leser unablässig mit Sensationsmeldungen über klerikale Sittlichkeitsverbrecher: Ein pädophiler Schulgeistlicher sei verhaftet worden, ein promiskuitiver Priester aus Rom habe in Paris Selbstmord begangen, irische Geistliche seien als Konsumenten von Pornographie aufgeflogen, ein als Mörder verurteilter sizilianischer Priester habe sich der Strafe entzogen und sei vom Vatikan mit einer neuen Identität ausgestattet worden.

Acht Jahre vorher hatte eine Missbrauchsdebatte im Preußischen Abgeordnetenhaus stattgefunden. Zur Verteidigung des "Kulturexamens", das die Erlangung geistlicher Ämter an eine staatliche Prüfung in Philosophie, Geschichte und deutscher Literatur knüpfte, verwies der Pathologe Rudolf Virchow auf die "Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre", die an den Tag gebracht hätten, welche Sittlichkeit in den Priesterseminaren und Knabenkonvikten herrsche. "Das kann doch unmöglich eine sittliche Form sein, wenn immer wieder Lehrer aus diesen Schulen genötigt sind, sich bei Nacht und Nebel aufzumachen und aus dem Lande zu wandern, um sich den Verfolgungen zu entziehen." Die Abgeordneten der katholischen Zentrumspartei müssten zugeben: "Diese Knaben-Seminare dienen häufig anderen Zwecken als dem Zweck einer eigentlich religiösen Erziehung."

Als Zwischenrufer diese Verleumdung mit Pfui-Rufen und der Einrede "In einzelnen Fällen!" zurückwiesen, antwortete der Redner: "Es sind einzelne Fälle vorgekommen, aber diese Fälle liegen in der Natur dieser Organisation." Virchow sprach damit eine Überzeugung aus, die der liberale Antiklerikalismus von der Kirchenkritik der radikalen Aufklärung übernommen hatte. Manuel Borutta weist in seiner Berliner historischen Dissertation über den Antikatholizismus des neunzehnten Jahrhunderts eine Konstanz, ja fast eine Invarianz der Gesichtspunkte nach, die in einer diskursgeschichtlichen Untersuchung frappiert. Dass der Zölibat die Priester verleite, sich durch geheime und unnatürliche Befriedigung des Sexualtriebs Entlastung zu verschaffen, ist ein seit mehr als zweihundert Jahren vertrautes Argument. Es ist eines der Verdienste von Boruttas Studie, dass sie die Überzeugungskraft des Arguments historisch erklärt.

Jürgen Kocka hat die Arbeit betreut, die die Kirche der antikatholischen Polemik als Gegenbild zum liberalen Ideal der bürgerlichen Gesellschaft deutet. Die Natur der kirchlichen Organisation im Sinne Virchows war ihre Naturwidrigkeit: Die Kirche hielt die Menschen davon ab, die bürgerlichen Naturzwecke der Selbstbestimmung, Tätigkeit und Fortpflanzung zu erfüllen. Virchow brachte seine Autorität als Arzt und Naturwissenschaftler in die Auseinandersetzung ein, für die er den Begriff des Kulturkampfs prägte. Schon 1848 hatte er die Typhusepidemie in Oberschlesien damit erklärt, dass der arme, ungebildete polnische Katholik lieber den Priester als den Arzt rufe. "Die Konstruktion eines kausalen Nexus zwischen kirchlicher Macht, kollektiver Ignoranz und der Verbreitung ansteckender Krankheiten ließ die Trennung von Staat und Kirche als sozialhygienische Maßnahme erscheinen."

Wie Borutta mit einer erschreckenden Fülle an Beispielen dokumentieren kann, brachte dieses sozialhygienische Denken eine exterminatorische Phantasie hervor: Priester wurden als Ungeziefer beschrieben; insbesondere die Jesuiten, die 1872 aus dem Deutschen Reich ausgewiesen wurden, galten als Volksschädlinge. Dem "objektiven" Selbstbild des wissenschaftlichen Liberalismus setzt Borutta die These der Empirieresistenz der sittenpolizeilichen Ordenskritik entgegen. Er spricht sogar von einer Fiktionalisierung der Politik, weil es sich bei dem allgemein bekannten Wissen über die Zustände hinter den Klostermauern um medial endlos vervielfältigte Schauergeschichten gehandelt habe.

Virchow behauptete 1873, auch er habe die Sittlichkeitsverbrechen im katholischen Erziehungswesen zunächst "für solitäre Erscheinungen gehalten", doch davon könne keine Rede mehr sein, "wenn sich das von Jahr zu Jahr in steigendem Maße wiederholt, in dem Maße, als die öffentliche Aufmerksamkeit sich diesen Dingen zuwendet". Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, so Virchows klassisch liberale Vorstellung, steigen die Chancen der Aufdeckung. Die "erregte Aufklärung" (Katharina Rutschky) kommt nicht auf den Gedanken, die eigene erhöhte Temperatur für das Symptom einer mentalen Gleichgewichtsstörung zu halten, weil sie die Dunkelziffer beliebig hoch ansetzt.

Die Zentrumspartei war 1870 unter dem Eindruck des Moabiter Klostersturms gegründet worden. Im August 1869 hatte ein Mob im Berliner Arbeiterviertel Moabit eine Dominikaner-Kapelle und ein von Franziskanern geführtes Waisenhaus belagert und angegriffen. Ein Lehrer berichtete, die zudringlichen Schaulustigen hätten "nach den unterirdischen Gängen, nach den Nonnen, nach den Klostergeheimnissen" gefragt. Geheimgänge verbanden in der volkstümlichen Einbildung Mönchs- und Nonnenklöster. Eine Woche vor der Zusammenrottung hatte in den Zeitungen die Sensation gestanden, dass in einem Konvent in Krakau ein "nacktes, verwildertes, halb wahnsinniges Weib" befreit worden sei, eine von ihren Mitschwestern einundzwanzig Jahre lang eingemauerte Nonne.

Borutta wirft liberalen Historikern des Liberalismus wie dem verstorbenen italienischen Ministerpräsidenten Giovanni Spadolini vor, den Gewaltanteil in der liberalen Geschichte heruntergespielt zu haben, und fasst antijesuitische Ausschreitungen eines von vornehm gekleideten Herren angeführten Pöbels und gesetzliche Zwangmaßnahmen in einem Kapitel über antiklerikale Gewalt als Medienprodukt zusammen.

Die provokanten Thesen über den "fundamentalistischen Antikatholizismus fortschrittsfreundlicher, männlicher Eliten" regen immer wieder dazu an, den synchronen Vergleich der Gründerzeiten Deutschlands und Italiens um den diachronen Vergleich mit dem heutigen Kulturkampf gegen den Islam zu erweitern. Die Dominikaner in Moabit wurden mit dem Hinweis schikaniert, sie hätten für ihre Kapelle keine Baugenehmigung. Der öffentlich zur Schau gestellte Nonnenhabit beleidigte das liberale Auge; keine Frau, wussten die Männer, trug ihn freiwillig. Schlagend belegt Borutta, dass der Anblick römischer Rituale orientalistische Angstbilder hervorrief. In der Abwehr dieser abergläubischen, barbarischen, schmutzigen Gegenwelt schlossen sich Demokraten und Liberale zusammen. Gustavo Cavour, der Bruder des Gründers des liberalen Italien, war in der Minderheit mit seiner Definition des wahren Liberalismus als der Duldung von Lebensformen, die man ablehnt.

PATRICK BAHNERS

Manuel Borutta: "Antikatholizismus". Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. Bürgertum, Neue Folge, Band 7. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. 488 S., Abb., geb., 60,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2010

Mehr Dreck am Stecken
Eine Studie erhellt das Weltbild des Antikatholizismus
Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat wurden im 19. und 20. Jahrhundert immer spannungsvoller. Staat, Wissenschaft, Kultur, Religion und Recht differenzierten sich als eigene Subsysteme in der Gesellschaft aus. Die Reaktion der beiden christlichen Großkirchen war in sich gespalten. In beiden Kirchen kam es zu scharfen Kämpfen zwischen denjenigen, die in der Entwicklung seit der Französischen Revolution Vorteile und Anknüpfungspunkte sahen, und denjenigen, die sich strikt dagegen stellten. In beiden christlichen Großkirchen – übrigens auch im Judentum – gab diese Debatte den Konservativen Auftrieb. Der Pendelausschlag hin zum Konservatismus war im katholischen Ultramontanismus mit seinen scharfen Feinderklärungen an die Adresse von Modernismus, Liberalismus, Indifferentismus und anderem „Teufelszeug“ am größten. Entsprechend scharf fielen die Gegenreaktionen aus.
Die Berliner Dissertation von Manuel Borutta wendet sich der Außensicht dieser Vorgänge zu. Sie untersucht den liberalen Antikatholizismus, dessen Kritik an der Durchsetzung der konservativen Strengkirchlichen im Katholizismus. Boruttas Studie rekonstruiert für Deutschland und Italien eine geschlossene antikatholische Weltanschauung mit massiven Verdammungsurteilen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Nationalstaatsgründung und der Kulturkämpfe. Drei weltbildgenerierende Perspektiven arbeitet Borutta am Antikatholizismus heraus.
Die erste Perspektive war die des Orientalismus. Für Liberale war der Katholizismus kein Bestandteil der modernen Welt, kein bürgerlicher Lebensentwurf, sondern orientalisch und kulturell irgendwo zwischen den ägyptischen Fellachen und den eigenen Kolonien mit ihren Naturreligionen anzusiedeln. So verglich Heinrich von Treitschke in seiner „Deutschen Geschichte“ den Katholizismus des Konvertiten Zacharias Werner mit derselben „rätselhaften Verbindung von Glaubenswut, Wollust und Blutdurst, die uns in den Naturreligionen unreifer Völker anwidert“. Auch die Rede von der Religion als „geistigem Opium“ (Heinrich Heine) oder „Opium des Volkes“ (Karl Marx) hatte für die Zeitgenossen einen orientalischen Beiklang.
Borutta analysiert den antikatholischen Diskurs im Anschluss an Edward Said. Katholiken waren „Kinder des Orients“, unmündig, der Despotie ergeben und somit der Obhut und Erziehung europäischer weißer Liberaler anempfohlen. Der Pathologe Rudolph Virchow gab diesen exotischen Phantasien über die Katholiken mit seinem Bericht über die Zustände in Oberschlesien 1848 neue Nahrung. Was den deutschen Liberalen Oberschlesien war, fanden ihre italienischen Gesinnungsgenossen südlich von Rom: Unterwürfigkeit, mangelnder aufrechter Gang und unsägliche hygienische Verhältnisse. Für den Topos von den schmutzigen Katholiken suchten sie so oft neue Beispiele, bis er schließlich in den Zitatenschatz einging. Noch Heinrich Böll bevorzugte deshalb – freilich mit anderer Pointe - das „Katholische“ gegenüber dem „Christlichen“: „Katholisch ist schmutziger, hat mehr Dreck am Stecken“.
Eine unerschöpfliche Quelle des Antikatholizismus waren zweitens sexuelle Phantasien und Geschlechter-Zuordnungen. Der Staat galt für Johann Caspar Bluntschli in den Konflikten zwischen Staat und Kirche im 19. Jahrhundert als Mann und die Kirche als Frau, was Borutta auf die Erfahrung im sogenannten Zürich-Putsch 1839 zurückführt, in dem die ländlichen Protestanten gegen die städtischen Liberalen rebellierten. Noch deutlicher wurden die sexuellen Tagträume der Liberalen beim Thema Missbrauch von Frauen durch Priester. Was geschieht eigentlich hinter den Klostermauern? Die Antwort darauf bot die landauf landab kolportierte Nachricht von einer „nackten, verwilderten und halb wahnsinnigen Nonne“ im Kerker eines Konvents in Krakau, die von ihren Mitschwestern 21 Jahre lang eingemauert worden war. Seit 1869 sorgte diese Geschichte für unablässigen Gesprächsstoff und motivierte Berliner Arbeiter, das Moabiter Dominikanerkloster zu stürmen.
Klausur, Kloster und Zölibat stachelten die Phantasie der Liberalen an. Diese spezifisch katholischen Lebensformen mussten zur Begründung für die meisten Übel der Gegenwart herhalten, allen voran für sexuellen Missbrauch. Der Zölibat machte aus Klerikern „lüsterne Priester“, faule Mönche und unglückliche Nonnen. Er war schuld an Sexualpraktiken wie Onanie, Homosexualität, Pädophilie und Sodomie. Mönche waren asexuelle, verweiblichte und weltfremde Asketen, faule Müßiggänger, Pädophile und Sodomiten, mindestens aber Alkoholiker und Onanisten. Den Nonnen erging es nicht besser: Ihre Opferrolle zog die sexuelle Phantasie der Liberalen besonders an. Novizinnen galten als melancholische Heterosexuelle. Ihr Keuschheitsgelübde unterdrückte ihre natürlichen Triebe, im Kloster litten sie unter seelischen Qualen und sexueller Gewalt, wodurch sie frigide, hysterisch und wahnsinnig wurden. Und natürlich waren die Oberinnen Lesbierinnen und sadistische Dominas. Der Haushalt liberaler Sexualphantasien war so unerschöpflich wie vorhersehbar. Er sagte mehr über die Ängste und Allmachtsphantasien ihrer Träger als über den Katholizismus aus.
Über das Ziel hinaus schießt der Autor mit seiner dritten These: Die Vorstellung der „Säkularisierung“, über Max Weber bis heute einflussreich, sei nicht die Ursache, sondern das Ergebnis, zumindest aber aktiver Teil der europäischen Kulturkämpfe. Borutta führt Stimmen liberaler Kulturkämpfer in Deutschland und Italien an, die ihren aggressiven Antikatholizismus mit der objektiven Wahrheit der Säkularisierung begründeten. Säkularisierung sei eine Ermächtigungsformel der Säkularisierer gewesen. Der Begriff ist notorisch unscharf und inzwischen mit Recht umstritten. Wir tun besser daran, von Individualisierung und Privatisierung der Religion zu reden. Jedoch rechtfertigt sein Missbrauch durch liberale Kulturkämpfer noch nicht seine Reduktion auf antikatholische Motive. So viel Verständnis hat die katholische Rechte bisher nur aus den eigenen Reihen erfahren. In der Sache beschreibt der Begriff der Säkularisierung einen Prozess, der älter war als der Kulturkampf.
Worüber aber gibt der Antikatholizismus eigentlich Auskunft? Der Antikatholizismus ist ein Beziehungsbegriff, ein Teil der Wechselblicke und „wiederholten Spiegelungen“ (Goethe) zwischen Katholizismus und Liberalismus. Sein Gegenüber ist der katholische Antiliberalismus, seine Vorgeschichte sind die Ur-Verwerfungen zwischen Kirche und Liberalismus in Aufklärung und Französischer Revolution. Borutta hält es mit Foucault und erblickt den Gegenstand Antikatholizismus in seiner sprachlichen Diskursivierung, nicht aber als Partner in einer zunehmend verkrachten Beziehung, die er selbst aufzulösen hilft. Die Frage nach dem Gegenstand der Diskurse wird nicht mehr gestellt, eine Geschichte nicht mehr wirklich erzählt. Die Gegenstände, um die es geht, haben ihre Vetomacht verloren. So bleibt offen, wie viele Priester nun tatsächlich pädophil, wie viele Nonnen tatsächlich eingesperrt waren. Borutta sieht im Liberalismus Vernichtungsphantasien gegen Katholiken am Werk. Dabei sahen Liberale in mancher Hinsicht scharf, etwa wo Katholiken durch ihren Klerus zu Stimmvieh gemacht wurden. Vor allem aber war der liberale Antikatholizismus eine Reaktion auf die Modernitätsverweigerung der katholischen Kirche. Den liberalen Antikatholizismus wird man vom katholischen Antiliberalismus nicht trennen können.
Der Antikatholizismus, wie er hier beschrieben wird, sagt viel über die Selbstverständigung der Liberalen, mehr noch über die bürgerliche Kritik an den Unterschichten aus. Als moralische Selbstermächtigung des Bürgertums über andere Gruppen ist er ein Beitrag zur Bürgertumsgeschichte. Die Vorstellung der zutiefst verkommenen Amoralität der Unterschichten beherrschte den Liberalismus seit dem 18. Jahrhundert, bevor sie Ende des 19. Jahrhunderts auf die proletarischen und atheistischen Sozialisten übertragen wurde.
In einer erneuten Spiegelung dieses Zusammenhanges meinte der irische Schriftsteller Oscar Wilde, die katholische Kirche sei ausschließlich für große Heilige und schwere Sünder da. Für den normalen Rest genüge der anständige und bürgerliche Anglikanismus. Er hätte auch Liberalismus sagen können. Sich selbst beschrieb er übrigens in einem seiner berühmten Paradoxa so: „Ich bin kein Katholik, ich bin nur ein fanatischer Papist.“
SIEGFRIED WEICHLEIN
MANUEL BORUTTA: Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. 488 Seiten, 60 Euro.
Katholizismus, die rätselhafte
Verbindung von Glaubenswut,
Wollust und Blutdurst
Otto von Bismarck und Pius IX. spielen Schach, der eine mit Gesetzen und Paragraphen, der andere mit Enzykliken, Interdikten und dem Syllabus. Abb.: Scherl
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dem Rezensenten Patrick Bahners kommt dieses Buch des Berliner Historikers Manuel Borutta gerade recht, liefert es ihm doch einige gute Argumente gegen den vielbeschworenen "Fundamentalismus der Aufklärung" und andere Formen der liberalen Militanz. Borutta untersucht darin, welches Gewaltpotenzial der Antiklerikalismus während des Kulturkampfs in Deutschland und Italien entwickelte. Geradezu frappierend findet Bahners die Parallelen zu heutigen Debatten: Missbrauchsvorwürfe gegen Priesterseminare und Knabenkonvikte oder Demonstrationen gegen verschleierte Frauen (in diesem Fall Nonnen). Die Frage ist nun allerdings nicht, auf welcher Grundlage diese Vorwürfe basierten; Bahners und Borutta geht es eher darum zu zeigen, dass bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Religion und ihr Klerus zum Feindbild "fortschrittsfreundlicher, männlicher Eliten" werden konnte. Geradezu "exterminatorische Phantasie" sieht Bahners hier gegen den Katholizismus entwickelt. Und wenn Borutta dann auch noch zeigen kann, dass sich dieser Antikatholizismus bereist aus einer Abwehr "orientalistischer Angstbilder" speiste, ist das Rezensentenglück vollkommen.

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