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Eine instruktive Untersuchung des Antisemitismus innerhalb und außerhalb der Fußballstadien
Der Deutsche Fußball-Bund hat während der Weltmeisterschaft des Jahres 1978 in Argentinien mehrfach unter Beweis gestellt, dass er kein Gespür für Politik und Geschichte besitzt. Hermann Neuberger, der damalige Präsident des Verbands, vertrat die Ansicht, die Militärjunta habe in dem Gastgeberland eine "Wende zum Besseren" angestoßen. Außerdem lud er den ehemaligen Schlachtflieger und Wehrmachtsoffizier Hans-Ulrich Rudel in die Ehrenloge des DFB und ins Mannschaftsquartier ein. Dass der Träger des Ritterkreuzes auch nach 1945 bekennender Nazi geblieben war und mit dem "Kameradenwerk" eine Hilfseinrichtung für nationalsozialistische Kriegsverbrecher gegründet hatte, fand Neuberger nicht weiter problematisch. Stattdessen sorgte er sich um den Ruf seines Gasts: "Ich hoffe doch nicht, dass man ihm seine Kampffliegertätigkeit während des Zweiten Weltkriegs vorwerfen will." Eine Kritik an Rudels Besuch sei eine "Beleidigung aller deutschen Soldaten".
Auch rund 20 Jahre später hatte sich nicht viel geändert. Fans der deutschen Nationalmannschaft stellten 1996 bei einem Spiel in Polen ein Banner zur Schau, auf dem zu lesen war: "Schindler Juden wir grüßen Euch". Der DFB tat daraufhin das, was er jahrelang trainiert hatte - nichts. Wieso ist die Sportarena ein Ort, an dem solche Sätze folgenlos geäußert werden können? War das schon immer so? Ist eine Veränderung zu erwarten? In der Abhandlung "Antisemitismus im Fußball" beschäftigt sich der Politikwissenschaftler Florian Schubert mit den Bedingungen, Ausprägungen und Funktionen judenfeindlicher Hetze im Stadion. Damit leistet er Pionierarbeit, denn wissenschaftliche Analysen fragen in diesem Zusammenhang bislang vor allem nach der Rolle von Gewalt und behandeln Antisemitismus als Form von Rassismus oder Rechtsextremismus. Tatsächlich liegt der Fall komplizierter: "Die Zunahme von Konflikten innerhalb der Fanszene, in der Gewalt von rechts-offenen und neonazistischen Fangruppen gegenüber antirassistischen Fangruppen ausgeübt wird, geht immer einher mit antisemitischen Diffamierungen der Betroffenen."
Solche Thesen klopft der Autor mit den Instrumenten der qualitativen Sozialforschung ab. Will sagen: Er wertet Medienberichte aus, prüft Dokumente und stützt sich auf Gespräche mit Fans und Spezialisten. Gerade die nicht geglätteten Zitate illustrieren, dass das Lexem "Jude" als Allzweckschimpfwort Karriere gemacht hat. Ein Interviewpartner berichtet über ein Fußballspiel in Amsterdam: "Für die war jeder Dunkelhäutige 'n Jude. Also Jude zum Beispiel bei Ajax, wir waren ja in Amsterdam. Deswegen war sogar quasi jeder, der Attacken fuhr gegen Deutsche, ein Jude. Weil es wird immer nach einem Stigma gesucht, nach einer Kategorie, nach einer Schublade."
Dieser unbestimmten Begriffsverwendung begegnet Schubert, indem er kleinteilig und konkret argumentiert. So grenzt er beispielsweise verbal artikulierten gegen visuell vermittelten Antisemitismus ab, um davon ausgehend weitere Unterscheidungen vorzunehmen, etwa diejenige zwischen der Strategie des Sprechers und der Wirkung des Gesagten. Die theoretisch ambitionierten Passagen flankiert er mit akademischer Fleißarbeit zur Forschungslage und Methode - das Literatur- und Quellenverzeichnis umfasst knapp 50 Seiten. Anschaulicher sind jene Kapitel, in denen Schubert historische Entwicklungen und aktuelle Probleme skizziert. So vermitteln die Ausführungen über den Antisemitismus im Fußball zwischen den achtziger Jahren und heute ein verheerendes Bild. Zwar hätten die erstarkenden Ultrastrukturen am Ende der Neunziger zu einem Rückgang antisemitischer Vorfälle in der Bundesliga geführt. Dafür spielten sich die hässlichen Szenen nun vor allem in den unteren Ligen ab. Das Stadion bleibe ein Raum, in dem Männlichkeitsbilder geformt und Frust sowie Hass rituell herausgelassen würden.
Außerhalb des Stadions haben sich Fußballanhänger bis Mitte der neunziger Jahre in Fanzines informiert und ausgetauscht. Mit einer Auflage von 7000 Exemplaren war der "Fantreff" besonders populär. Das Heft lag in Bahnhofsbuchhandlungen aus und erschien zwischen Januar 1986 und Mai 1995 insgesamt 92 Mal. In der zweiten Ausgabe wünscht Franz Beckenbauer dem Journal alles Gute für die Zukunft, was nicht viel geholfen hat, denn der "Fantreff" ist nach und nach zu einem Organ für rechtsradikale und antisemitische Umtriebe verkommen. Zum einen waren auf den ausgewählten Bildern immer häufiger die Reichskriegsflagge und der Hitlergruß zu sehen. Zum anderen druckte die Redaktion ausländerfeindliche Leserbriefe und Beiträge aus der rechtsextremen "Deutschen Wochen-Zeitung". Heute kommunizieren Fußballfans vor allem im Internet. Auf Youtube klingt das mitunter so: "lieber nazi und stolz auf deutschland als ein drecks kanacke, ein jude oder ein hruensohn ... lutscher sge.. nachm spiel wohl keine eier gehabt, hä?"
Ein beliebtes Ziel von Anfeindungen waren immer schon die jüdischen Makkabi-Vereine. Allerdings zeichnet sich hier eine Veränderung ab: Während die Aggressionen früher meistens von Deutschen ausgingen, "kommt es heute hauptsächlich zu antisemitischen Übergriffen durch Spieler und Fans, die ihren muslimischen Glauben mit einer antijüdischen Einstellung verbinden". Spätestens an diesem Punkt wundert sich der Leser, dass Schubert die Definition von "Antisemitismus" zu Beginn der Untersuchung auf gerade einmal zwei Seiten abhandelt. Eine tiefgehendere Auseinandersetzung, welche sich an religiösen, rassistischen, sozialen, historischen und ideologischen Gründen judenfeindlicher Denkformen abarbeitet, wäre nicht nur sinnvoll, sondern nötig gewesen. Denn dass Antisemitismus nicht gleich Antisemitismus ist, daran wird nach der Lektüre dieses instruktiven Buchs niemand mehr zweifeln.
KAI SPANKE
Florian Schubert: Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 488 S., 39,90 [Euro].
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