Wie kriegt man als Frau die Verrenkung hin, Rap zu lieben und sich dabei permanent beleidigen zu lassen? Antonia Baum ist Schriftstellerin und Eminem gehörte einst zu ihren literarischen Vorbildern. Aber die Welt ist inzwischen eine andere geworden, bestimmte Aspekte der eigenen popkulturellen Biografie lässt man lieber verschwinden. Was also macht Antonia Baum zwanzig Jahre nach dem Rapklassiker »Stan« mit dieser misogynen, homofeindlichen, weißen Eminem-Leiche in ihrem Keller? Ist das Konzept »Leiche im Keller« eine gute Idee? Und kann es sein, dass Eminem trotz allem ein genialer Rapper war?
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Philipp Bovermann liest Antonia Baums Buch als sehr persönliche Beantwortung der Frage, was es bedeutet, als Frau "Ich" zu schreiben. Baum geht zurück zu einem ihrer Idole, dem Rapper Eminem, dessen Kunst sie einst beeindruckte, der sie retrospektiv wegen seiner Frauenfeindlichkeit aber nur noch abturnt. Bovermann erkennt darin Feuilleton-Diskussionen wieder und die Entwicklung eines Musikgenres, in dem es nicht mehr möglich sei, Frauen zu beschimpfen, ohne selbst als Loser dazustehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2020Ufftata
Sie denkt feministisch, sie ist Schriftstellerin, und sie kommt von Eminem:
Antonia Baum über die Liebe zum Rap und Leichen im Keller
VON PHILIPP BOVERMANN
Antonia Baum hat Probleme in der ersten Person Singular. Sie hat ein sehr persönliches Büchlein zu der Frage geschrieben, was es bedeutet, als weibliche Autorin „ich“ zu schreiben. Es geht um den Typen, von dem sie es gelernt hat, bevor die Probleme kamen. Der Typ macht Hip-Hop. Er steht wie vielleicht kein anderer für die Generation von Rap-Musikern, die erstmals in den Mainstream vordrang und sich dort mit vulgären, oft frauenverachtenden und homophoben Texten breit machte – aber das ist inzwischen ein paar Jahre her. Es geht um Eminem.
Baum schreibt, als junge Autorin auf der Suche nach einer eigenen Stimme sei sie beeindruckt gewesen von seiner Breitbeinigkeit beim Verfassen von Texten, von der „Unverschämtheit, mit der er seine Biografie zu Kunst, zu einer fortlaufenden Erzählung“ machte. In dieser Erzählung treten Frauen allerdings nur in der Rolle unfähiger Mütter auf oder als „Unglück bringende, untreue Schlampen, die vergewaltigt/umgebracht werden“.
Wenn Baum sich nun mit dieser „Leiche im Keller“ beschäftigt, wie sie Eminem nennt, um ihren „Ich-Problemen“ auf die Spur zu kommen, dann knüpft sie auch an eine Diskussion in den „sogenannten Feuilletons“ an, die sie selbst mit angestoßen hat. Im Mai 2018 veröffentlichte sie im sogenannten Feuilleton der Zeit einen Essay mit der sprechenden Zeile „Was höre ich da eigentlich?“ über ihre frühere Liebe zu Rap. Sie berichtete darin, dass „Menschen wie ich“ (Frauen und andere Opfer von Rap-Beleidigungen) keine Lust mehr hätten, „sich diesen stumpfen, uninspirierten Schwachsinn anzuhören“. Mit diesen „Menschen wie ich“ schien etwas passiert zu sein seit der Zeit, in der die Ausfälle gegen Minderheiten in Raplyrics mit dem Freifahrtschein der Kunstfreiheit durchgewunken wurden.
Nun lautet die spannende Frage: Wie ging die Entwicklung weiter? Dass sie überhaupt weiterging, wird deutlich, wenn Baum feststellt, dass sie bei Eminem – stellvertretend für viele Rapper seiner Generation – nicht weiterging. Und zwar paradoxerweise deshalb, weil er außer Vorankommen und Kämpfen nichts draufhat. Aus seinen frühen Texten bohrte durch seine nasal-quäkende Stimme ein verbitterter Hunger, der etwas Echtes in ihr anrührte, weil ihm etwas Echtes zugrunde lag: Armut, die Empfindung einer feindlichen Welt, in der die Privilegien bereits verteilt sind und der man folglich den Mittelfinger zu zeigen hat, in der man nur auf sich selbst zählen kann.
Was gäbe es für einen besseren Rat für eine junge Frau, die „ich“ schreiben will, als solche Lektionen, wie man sie auch einem Boxer mit auf den Weg in den Ring geben würde? „Success is my only motherfucking option, failure is not“, rappt Eminem in „Lose yourself“. Baum schreibt, das sei der Sound gewesen, zu dem sie ihr Abitur gemacht hat. Ein Abitur ist natürlich keine allzu schlechte Ausgangssituation, wenn man es zu etwas bringen will. Und so kam es dann ja auch. Denn wird hier gerade das neue Eminem-Album rezensiert? Nein. Und wie heißt das eigentlich?
Eminem sei alt geworden, schreibt Baum. Langweilig. Die Erzählung des Underdogs, der sich rappend und pöbelnd aus dem „White Trash“-Prekariat herausarbeitet, dem er entstammt, funktionierte nur so lange, wie diese Herausarbeitung nicht vollzogen war und in ein Häuschen mit großem Fernseher gemündet hatte. Seine neuen Songs? „Ufftata-Ufftata-Ufftata“. Ständig schreie er beim Rappen herum, „so als wolle er seine Angst davor vertreiben, dass er nicht mehr relevant sein könnte“. Früher sei diese Angst bei ihm anders gewesen, produktiver. Damals lernte sie von ihm, was zu lernen war: wie Druck dabei hilft, Worte durch Wut in Musik zu verwandeln. Ihre Sätze sind heute schnell und lang, wollen viel, manchmal eine gedankliche Drehung zu viel, gerade so, dass ein bisschen Gepose und Performance spürbar wird, aber muss das etwas Schlechtes sein – wenn man hinter den Zeilen den Nach-Vorne-Drang der Angst spürt, dass es vielleicht nicht reicht, was da steht?
„You only get one shot, do not miss your chance to blow/ This opportunity comes once in a lifetime, yo“, rappt Eminem. Das ist keine Gebrauchsanweisung zum Schreiben, sondern attitude. Antonia Baums Kollege bei der Zeit, Lars Weisbrod, sagte in einem Podcast, die Rapper Kanye West und Jay-Z, die für ein Musikvideo einmal ein Maybach-Luxusauto zersägten, weil man sich das verdammt nochmal leisten können muss, wenn man scoren will, diese Haltung brauche er zum Schreiben.
Attitude heißt, dass jeder scoren kann, wenn er kompromisslos zu sich steht. Man könnte auch sagen: Der Hip-Hop hat die Kräfte des freien Wettbewerbs in der Identitätspolitik entfesselt. Genutzt haben sie zuerst Männer wie Eminem, die andere erniedrigten, um selbst größer zu werden. Aber die Erniedrigten, die sie ebenfalls nutzten, Stimmen wie die von Antonia Baum, sind längst darüber hinaus, beleidigt zurückpöbeln zu müssen. Fast zärtlich beerdigt sie nun diese „Leiche im Keller“, den Zombie-Rapper, der routiniert weiter Frauen beleidigt, weil er, im Gegensatz zu ihr, nichts Interessanteres gelernt hat. Der frühe Eminem helfe ihr immer noch, schreibt sie. „Ich denke feministisch, ich bin Schriftstellerin, und ich komme von Eminem.“
Was hat sich also verändert seit 2018? Eine unendliche Fülle neuer Stimmen, die es auch meinen, wenn sie „Ich“ sagen, ist im Rap – und nicht nur dort – hinzugekommen. Sie haben neue Geschichten mitgebracht, nicht immer nur die alte maskuline Leier, die es zwar noch zur Genüge gibt, aber mit jedem Jahr langweiliger, irrelevanter wird, weil der neue heiße Scheiß sich traut, komplizierter zu sein. Vielleicht versöhnt sich deshalb Antonia Baum mit Eminem, und allmählich auch das sogenannte Feuilleton mit Rap: Wer heute noch Frauen beleidigt, ist kein Provokateur, der durch Tja-das-ist-halt-Kunst-Reflexe in Schutz genommen werden müsste; er ist, entsprechend der Marktlogik von Hip-Hop, ganz einfach ein Loser. Ein Opfer.
Antonia Baum: Eminem. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 128 Seiten, 10 Euro.
Hip-Hop hat die Kräfte des
freien Wettbewerbs
in der Identitätspolitik entfesselt
Wenn Antonia Baum von Eminem spricht, meint sie den frühen, den Rapper, der „The Slim Shady LP“ und „The Marshall Mathers LP“ schrieb. Hier ist er 2013 auf einem Konzert in Paris zu sehen.
Foto: PIERRE ANDRIEU / AFP
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Sie denkt feministisch, sie ist Schriftstellerin, und sie kommt von Eminem:
Antonia Baum über die Liebe zum Rap und Leichen im Keller
VON PHILIPP BOVERMANN
Antonia Baum hat Probleme in der ersten Person Singular. Sie hat ein sehr persönliches Büchlein zu der Frage geschrieben, was es bedeutet, als weibliche Autorin „ich“ zu schreiben. Es geht um den Typen, von dem sie es gelernt hat, bevor die Probleme kamen. Der Typ macht Hip-Hop. Er steht wie vielleicht kein anderer für die Generation von Rap-Musikern, die erstmals in den Mainstream vordrang und sich dort mit vulgären, oft frauenverachtenden und homophoben Texten breit machte – aber das ist inzwischen ein paar Jahre her. Es geht um Eminem.
Baum schreibt, als junge Autorin auf der Suche nach einer eigenen Stimme sei sie beeindruckt gewesen von seiner Breitbeinigkeit beim Verfassen von Texten, von der „Unverschämtheit, mit der er seine Biografie zu Kunst, zu einer fortlaufenden Erzählung“ machte. In dieser Erzählung treten Frauen allerdings nur in der Rolle unfähiger Mütter auf oder als „Unglück bringende, untreue Schlampen, die vergewaltigt/umgebracht werden“.
Wenn Baum sich nun mit dieser „Leiche im Keller“ beschäftigt, wie sie Eminem nennt, um ihren „Ich-Problemen“ auf die Spur zu kommen, dann knüpft sie auch an eine Diskussion in den „sogenannten Feuilletons“ an, die sie selbst mit angestoßen hat. Im Mai 2018 veröffentlichte sie im sogenannten Feuilleton der Zeit einen Essay mit der sprechenden Zeile „Was höre ich da eigentlich?“ über ihre frühere Liebe zu Rap. Sie berichtete darin, dass „Menschen wie ich“ (Frauen und andere Opfer von Rap-Beleidigungen) keine Lust mehr hätten, „sich diesen stumpfen, uninspirierten Schwachsinn anzuhören“. Mit diesen „Menschen wie ich“ schien etwas passiert zu sein seit der Zeit, in der die Ausfälle gegen Minderheiten in Raplyrics mit dem Freifahrtschein der Kunstfreiheit durchgewunken wurden.
Nun lautet die spannende Frage: Wie ging die Entwicklung weiter? Dass sie überhaupt weiterging, wird deutlich, wenn Baum feststellt, dass sie bei Eminem – stellvertretend für viele Rapper seiner Generation – nicht weiterging. Und zwar paradoxerweise deshalb, weil er außer Vorankommen und Kämpfen nichts draufhat. Aus seinen frühen Texten bohrte durch seine nasal-quäkende Stimme ein verbitterter Hunger, der etwas Echtes in ihr anrührte, weil ihm etwas Echtes zugrunde lag: Armut, die Empfindung einer feindlichen Welt, in der die Privilegien bereits verteilt sind und der man folglich den Mittelfinger zu zeigen hat, in der man nur auf sich selbst zählen kann.
Was gäbe es für einen besseren Rat für eine junge Frau, die „ich“ schreiben will, als solche Lektionen, wie man sie auch einem Boxer mit auf den Weg in den Ring geben würde? „Success is my only motherfucking option, failure is not“, rappt Eminem in „Lose yourself“. Baum schreibt, das sei der Sound gewesen, zu dem sie ihr Abitur gemacht hat. Ein Abitur ist natürlich keine allzu schlechte Ausgangssituation, wenn man es zu etwas bringen will. Und so kam es dann ja auch. Denn wird hier gerade das neue Eminem-Album rezensiert? Nein. Und wie heißt das eigentlich?
Eminem sei alt geworden, schreibt Baum. Langweilig. Die Erzählung des Underdogs, der sich rappend und pöbelnd aus dem „White Trash“-Prekariat herausarbeitet, dem er entstammt, funktionierte nur so lange, wie diese Herausarbeitung nicht vollzogen war und in ein Häuschen mit großem Fernseher gemündet hatte. Seine neuen Songs? „Ufftata-Ufftata-Ufftata“. Ständig schreie er beim Rappen herum, „so als wolle er seine Angst davor vertreiben, dass er nicht mehr relevant sein könnte“. Früher sei diese Angst bei ihm anders gewesen, produktiver. Damals lernte sie von ihm, was zu lernen war: wie Druck dabei hilft, Worte durch Wut in Musik zu verwandeln. Ihre Sätze sind heute schnell und lang, wollen viel, manchmal eine gedankliche Drehung zu viel, gerade so, dass ein bisschen Gepose und Performance spürbar wird, aber muss das etwas Schlechtes sein – wenn man hinter den Zeilen den Nach-Vorne-Drang der Angst spürt, dass es vielleicht nicht reicht, was da steht?
„You only get one shot, do not miss your chance to blow/ This opportunity comes once in a lifetime, yo“, rappt Eminem. Das ist keine Gebrauchsanweisung zum Schreiben, sondern attitude. Antonia Baums Kollege bei der Zeit, Lars Weisbrod, sagte in einem Podcast, die Rapper Kanye West und Jay-Z, die für ein Musikvideo einmal ein Maybach-Luxusauto zersägten, weil man sich das verdammt nochmal leisten können muss, wenn man scoren will, diese Haltung brauche er zum Schreiben.
Attitude heißt, dass jeder scoren kann, wenn er kompromisslos zu sich steht. Man könnte auch sagen: Der Hip-Hop hat die Kräfte des freien Wettbewerbs in der Identitätspolitik entfesselt. Genutzt haben sie zuerst Männer wie Eminem, die andere erniedrigten, um selbst größer zu werden. Aber die Erniedrigten, die sie ebenfalls nutzten, Stimmen wie die von Antonia Baum, sind längst darüber hinaus, beleidigt zurückpöbeln zu müssen. Fast zärtlich beerdigt sie nun diese „Leiche im Keller“, den Zombie-Rapper, der routiniert weiter Frauen beleidigt, weil er, im Gegensatz zu ihr, nichts Interessanteres gelernt hat. Der frühe Eminem helfe ihr immer noch, schreibt sie. „Ich denke feministisch, ich bin Schriftstellerin, und ich komme von Eminem.“
Was hat sich also verändert seit 2018? Eine unendliche Fülle neuer Stimmen, die es auch meinen, wenn sie „Ich“ sagen, ist im Rap – und nicht nur dort – hinzugekommen. Sie haben neue Geschichten mitgebracht, nicht immer nur die alte maskuline Leier, die es zwar noch zur Genüge gibt, aber mit jedem Jahr langweiliger, irrelevanter wird, weil der neue heiße Scheiß sich traut, komplizierter zu sein. Vielleicht versöhnt sich deshalb Antonia Baum mit Eminem, und allmählich auch das sogenannte Feuilleton mit Rap: Wer heute noch Frauen beleidigt, ist kein Provokateur, der durch Tja-das-ist-halt-Kunst-Reflexe in Schutz genommen werden müsste; er ist, entsprechend der Marktlogik von Hip-Hop, ganz einfach ein Loser. Ein Opfer.
Antonia Baum: Eminem. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 128 Seiten, 10 Euro.
Hip-Hop hat die Kräfte des
freien Wettbewerbs
in der Identitätspolitik entfesselt
Wenn Antonia Baum von Eminem spricht, meint sie den frühen, den Rapper, der „The Slim Shady LP“ und „The Marshall Mathers LP“ schrieb. Hier ist er 2013 auf einem Konzert in Paris zu sehen.
Foto: PIERRE ANDRIEU / AFP
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»Antonia Baums 'Eminem' ist ein Unikum von einem Buch: Coming Of Age Geschichte, Pophit und - gibt's das? - Spiegel-Autobiografie: Die Autorin schaut auf ihr Objekt und sieht sich selbst im Spiegel. Toll.« Klaus Walter SRF Kultur Literatur im Gespräch 20210113