A NEW YORK TIMES BESTSELLER
LONGLISTED FOR THE BOOKER PRIZE
SHORTLISTED FOR THE DUBLIN LITERARY AWARD
SHORTLISTED FOR THE PRIX FEMINA AND THE PRIX MEDICIS
SHORTLISTED FOR THE GOLDSBORO BOOKS GLASS BELL AWARD
WINNER OF THE PRIX DU MEILLEUR LIVRES ETRANGER
WINNER OF THE 2020 NATIONAL JEWISH BOOK AWARDS
CHOSEN AS A BOOK OF 2020 BY THE SUNDAY TIMES, OBSERVER, GUARDIAN, i PAPER, FINANCIAL TIMES, NEW STATESMAN, SCOTSMAN, IRISH TIMES, BBC.COM, WATERSTONES.COM
'A wondrous book. It left me hopeful; this is its gift' Elizabeth Strout
'An empathy engine ... It is, itself, an agent of change' New York Times Book Review
'A quite extraordinary novel' Kamila Shamsie
______________________
How do we continue living once we have lost our reason to live?
Rami and Bassam live in the city of Jerusalem - but exist worlds apart, divided by an age-old conflict. And yet they have one thing in common. Both are fathers; both are fathers of daughters - and both daughters are now lost.
When Rami and Bassam meet, and tell one another the story of their grief, the most unexpected thing of all happens: they become best of friends. And their stories become one story, a story with the power to heal - and the power to change the world.
______________________
'The book goes anywhere and everywhere. It is a delirious and thrilling improvisation, a jazz solo spun out of that meeting ... A spectacular structure of stories about everything' Bryan Appleyard, Sunday Times
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'A wondrous book. It left me hopeful; this is its gift' Elizabeth Strout
'An empathy engine ... It is, itself, an agent of change' New York Times Book Review
'A quite extraordinary novel' Kamila Shamsie
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How do we continue living once we have lost our reason to live?
Rami and Bassam live in the city of Jerusalem - but exist worlds apart, divided by an age-old conflict. And yet they have one thing in common. Both are fathers; both are fathers of daughters - and both daughters are now lost.
When Rami and Bassam meet, and tell one another the story of their grief, the most unexpected thing of all happens: they become best of friends. And their stories become one story, a story with the power to heal - and the power to change the world.
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'The book goes anywhere and everywhere. It is a delirious and thrilling improvisation, a jazz solo spun out of that meeting ... A spectacular structure of stories about everything' Bryan Appleyard, Sunday Times
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2020Das Chaos ist der Motor dieser Kunst
Ein Roman wie ein Kaleidoskop und wie von zwei verrückten Dichtern geschrieben: Colum McCann erzählt in "Apeirogon" vom Nahost-Konflikt.
Von Hubert Spiegel
Acht Jahrhunderte hat Saladins Minbar in der Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg überdauert. Dann reiste ein geistig verwirrter Fanatiker von Australien nach Jerusalem, übergoss die hölzerne Gebetskanzel mit Benzin und zündete sie an. Ein einzigartiges Kunstwerk, das vielen Menschen in der islamischen Welt als heilig galt, war vernichtet.
Die kunstvolle Konstruktion aus dem zwölften Jahrhundert hatte ohne Nägel, Schrauben oder Leim das Gewicht vieler Generationen von Predigern getragen, aber niemand wusste, wie die sechzehntausend Einzelteile des Minbar ineinandergefügt waren. Handwerker aus aller Welt mussten sich zusammentun, damit in einer 37 Jahre währenden Anstrengung die Kanzel originalgetreu rekonstruiert werden konnte. Entscheidend dabei war ein beduinischer Bauingenieur, der herausgefunden hatte, dass "die vielen tausend Holzteile nicht von einem Rahmen, sondern allein durch ihre harmonische Anordnung zusammengehalten wurden".
Dem irischen Schriftsteller Colum McCann dient die Geschichte von Saladins Minbar als einer von zahllosen kleinen und kleinsten Splittern, aus denen er seinen jüngsten Roman zusammengesetzt hat. Er folgt dabei der titelgebenden geometrischen Figur namens Apeirogon und erschafft auf sechshundert Seiten eine Erzählstruktur, die ihrerseits streng geometrisch aufgebaut ist: Auf fünfhundert Kapitel mit aufsteigender Numerierung folgen fünfhundert Kapitel mit abnehmender Numerierung. Getrennt sind sie durch eine Art Nullpunkt, ein nicht beziffertes Kapitel, das exakt in der Mitte des Romans angesiedelt ist, so dass die Summe aller Kapitel die Zahl 1001 ergibt. Sie verweist vor allem auf die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, die im Roman in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt werden. Ein Beispiel von vielen: Als der Mossad 1973 in Rom einen palästinensischen Dichter liquidiert, der in das Attentat während der Olympischen Spiele von München verwickelt gewesen sein soll, dringen zwölf Kugeln in den Körper des Mannes ein. Das dreizehnte Projektil bleibt in dem Buch stecken, das der Dichter in der Brusttasche seines Jacketts trug. Es war eine Ausgabe der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, die er ins Italienische übertragen wollte.
McCann webt ein raffiniertes Geflecht aus Leitmotiven, Assoziationen, Wiederholungen und Parallelismen, das indes nur auf den ersten Blick einem höheren Konstruktionsprinzip unterworfen ist. Die äußere, spiegelbildlich aufgebaute Struktur der Kapitelabfolge scheint die Detailfülle zu bändigen und tatsächlich in eine harmonische Anordnung zu überführen, wie sie dem Minbar des Saladin zugrunde lag. Aber im Inneren des Romans, auf der Handlungsebene, herrschen ganz andere Kräfte: die des Zufalls und des Chaos. Das ist nur folgerichtig, denn die Geschichte, die McCann erzählen will, ist eine Geschichte, in der Schmerz und Leid willkürlich und unvorhersehbar über die Menschen kommen, in der Opfer sich in Täter verwandeln und Täter zu Opfern werden. Das Chaos sei der Motor Israels, heißt es an einer Stelle des Romans. Deshalb muss das Chaos auch der Motor dieses Buches sein.
Im Zentrum von "Apeirogon" stehen zwei ungleiche Zwillinge: Rami ist Israeli, als Grafikdesigner erfolgreich und Vater von Smadar, die als Dreizehnjährige ums Leben kommt, als palästinensische Selbstmordattentäter sich in einer Einkaufsstraße in die Luft sprengen. Bassam lebt mit seiner palästinensischen Familie in den besetzten Gebieten und ist der Vater der kleinen Abir, die vor ihrer Schule vom Gummigeschoss eines israelischen Grenzpolizisten tödlich am Kopf getroffen wird, als sie zehn Jahre alt ist. Zwei tote Kinder stehen zwischen den Vätern und ein Konflikt, der einen Teil der Welt in ein Pulverfass verwandelt hat. Was der Israeli und der Palästinenser gemeinsam haben, sind Schmerz, Ohnmacht, Hass, Rachedurst, Verzweiflung. Darüber werden Bassam und Rami zu Freunden, zu Brüdern.
Nein, realistisch klingt das nicht, aber es ist eine wahre Geschichte. "Apeirogon" ist ein Hybrid-Roman, wie sein Autor sagt: Er handelt von realen Figuren, die in historischen Situationen agieren, fügt aber Fiktives und Spekulatives hinzu. McCann beschreibt, was war, und erfindet hinzu, was hätte sein können. Er hat nicht nur die wahre Geschichte der trauernden Väter recherchiert, die gemeinsam bei Friedensorganisationen wie "Combatants for Peace" für Versöhnung eintraten, sondern greift zahlreiche Aspekte des Nahost-Konflikts auf. Dieser großartige Roman lebt von Schlagzeilen, Wikipedia-Einträgen, Augenzeugenberichten, absurden, kaum glaubhaften Alltagsdetails, dem Wissen aus Geschichtsbüchern und aus Archiven. Vor allem aber lebt er von dem Willen, Schmerz in Trost, Verzweiflung in Hoffnung und Hass in Freundschaft zu verwandeln.
McCann löst die Chronologie des Geschehens auf, wechselt die Perspektiven, arbeitet mit zahllosen Rückblenden und lässt fast keine sich anbietende Abzweigung unbeachtet. "Apeirogon" ist ein Roman wie ein Kaleidoskop: erschaffen, um durcheinandergeschüttelt zu werden. Man kann sich dieses Buch wie ein Epos vorstellen, das ein verzweifelter Dichter mit einem Vorschlaghammer zertrümmert hat. Dann kam ein anderer, nicht weniger verrückter Dichter und schuf aus den 1001 Scherben einen Roman. Er nannte ihn "Apeirogon": eine zweidimensionale geometrische Form mit einer gegen unendlich gehenden Zahl von Seiten. Beide Dichter heißen Colum McCann. Jorge Luis Borges, der blinde Dichter, der in den siebziger Jahren mit einem Fes auf dem Kopf aus dem muslimischen Teil Jerusalems durch den jüdischen Teil der Stadt spazierte, hat einmal gesagt, dass zwei einander gegenüberstehende Spiegel genügten, um ein Labyrinth zu erschaffen. Mit Vernunft allein ist ihm nicht zu entkommen.
Colum McCann: "Apeirogon". Roman.
Aus dem Englischen von Volker Oldenburg.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 608 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Roman wie ein Kaleidoskop und wie von zwei verrückten Dichtern geschrieben: Colum McCann erzählt in "Apeirogon" vom Nahost-Konflikt.
Von Hubert Spiegel
Acht Jahrhunderte hat Saladins Minbar in der Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg überdauert. Dann reiste ein geistig verwirrter Fanatiker von Australien nach Jerusalem, übergoss die hölzerne Gebetskanzel mit Benzin und zündete sie an. Ein einzigartiges Kunstwerk, das vielen Menschen in der islamischen Welt als heilig galt, war vernichtet.
Die kunstvolle Konstruktion aus dem zwölften Jahrhundert hatte ohne Nägel, Schrauben oder Leim das Gewicht vieler Generationen von Predigern getragen, aber niemand wusste, wie die sechzehntausend Einzelteile des Minbar ineinandergefügt waren. Handwerker aus aller Welt mussten sich zusammentun, damit in einer 37 Jahre währenden Anstrengung die Kanzel originalgetreu rekonstruiert werden konnte. Entscheidend dabei war ein beduinischer Bauingenieur, der herausgefunden hatte, dass "die vielen tausend Holzteile nicht von einem Rahmen, sondern allein durch ihre harmonische Anordnung zusammengehalten wurden".
Dem irischen Schriftsteller Colum McCann dient die Geschichte von Saladins Minbar als einer von zahllosen kleinen und kleinsten Splittern, aus denen er seinen jüngsten Roman zusammengesetzt hat. Er folgt dabei der titelgebenden geometrischen Figur namens Apeirogon und erschafft auf sechshundert Seiten eine Erzählstruktur, die ihrerseits streng geometrisch aufgebaut ist: Auf fünfhundert Kapitel mit aufsteigender Numerierung folgen fünfhundert Kapitel mit abnehmender Numerierung. Getrennt sind sie durch eine Art Nullpunkt, ein nicht beziffertes Kapitel, das exakt in der Mitte des Romans angesiedelt ist, so dass die Summe aller Kapitel die Zahl 1001 ergibt. Sie verweist vor allem auf die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, die im Roman in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt werden. Ein Beispiel von vielen: Als der Mossad 1973 in Rom einen palästinensischen Dichter liquidiert, der in das Attentat während der Olympischen Spiele von München verwickelt gewesen sein soll, dringen zwölf Kugeln in den Körper des Mannes ein. Das dreizehnte Projektil bleibt in dem Buch stecken, das der Dichter in der Brusttasche seines Jacketts trug. Es war eine Ausgabe der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, die er ins Italienische übertragen wollte.
McCann webt ein raffiniertes Geflecht aus Leitmotiven, Assoziationen, Wiederholungen und Parallelismen, das indes nur auf den ersten Blick einem höheren Konstruktionsprinzip unterworfen ist. Die äußere, spiegelbildlich aufgebaute Struktur der Kapitelabfolge scheint die Detailfülle zu bändigen und tatsächlich in eine harmonische Anordnung zu überführen, wie sie dem Minbar des Saladin zugrunde lag. Aber im Inneren des Romans, auf der Handlungsebene, herrschen ganz andere Kräfte: die des Zufalls und des Chaos. Das ist nur folgerichtig, denn die Geschichte, die McCann erzählen will, ist eine Geschichte, in der Schmerz und Leid willkürlich und unvorhersehbar über die Menschen kommen, in der Opfer sich in Täter verwandeln und Täter zu Opfern werden. Das Chaos sei der Motor Israels, heißt es an einer Stelle des Romans. Deshalb muss das Chaos auch der Motor dieses Buches sein.
Im Zentrum von "Apeirogon" stehen zwei ungleiche Zwillinge: Rami ist Israeli, als Grafikdesigner erfolgreich und Vater von Smadar, die als Dreizehnjährige ums Leben kommt, als palästinensische Selbstmordattentäter sich in einer Einkaufsstraße in die Luft sprengen. Bassam lebt mit seiner palästinensischen Familie in den besetzten Gebieten und ist der Vater der kleinen Abir, die vor ihrer Schule vom Gummigeschoss eines israelischen Grenzpolizisten tödlich am Kopf getroffen wird, als sie zehn Jahre alt ist. Zwei tote Kinder stehen zwischen den Vätern und ein Konflikt, der einen Teil der Welt in ein Pulverfass verwandelt hat. Was der Israeli und der Palästinenser gemeinsam haben, sind Schmerz, Ohnmacht, Hass, Rachedurst, Verzweiflung. Darüber werden Bassam und Rami zu Freunden, zu Brüdern.
Nein, realistisch klingt das nicht, aber es ist eine wahre Geschichte. "Apeirogon" ist ein Hybrid-Roman, wie sein Autor sagt: Er handelt von realen Figuren, die in historischen Situationen agieren, fügt aber Fiktives und Spekulatives hinzu. McCann beschreibt, was war, und erfindet hinzu, was hätte sein können. Er hat nicht nur die wahre Geschichte der trauernden Väter recherchiert, die gemeinsam bei Friedensorganisationen wie "Combatants for Peace" für Versöhnung eintraten, sondern greift zahlreiche Aspekte des Nahost-Konflikts auf. Dieser großartige Roman lebt von Schlagzeilen, Wikipedia-Einträgen, Augenzeugenberichten, absurden, kaum glaubhaften Alltagsdetails, dem Wissen aus Geschichtsbüchern und aus Archiven. Vor allem aber lebt er von dem Willen, Schmerz in Trost, Verzweiflung in Hoffnung und Hass in Freundschaft zu verwandeln.
McCann löst die Chronologie des Geschehens auf, wechselt die Perspektiven, arbeitet mit zahllosen Rückblenden und lässt fast keine sich anbietende Abzweigung unbeachtet. "Apeirogon" ist ein Roman wie ein Kaleidoskop: erschaffen, um durcheinandergeschüttelt zu werden. Man kann sich dieses Buch wie ein Epos vorstellen, das ein verzweifelter Dichter mit einem Vorschlaghammer zertrümmert hat. Dann kam ein anderer, nicht weniger verrückter Dichter und schuf aus den 1001 Scherben einen Roman. Er nannte ihn "Apeirogon": eine zweidimensionale geometrische Form mit einer gegen unendlich gehenden Zahl von Seiten. Beide Dichter heißen Colum McCann. Jorge Luis Borges, der blinde Dichter, der in den siebziger Jahren mit einem Fes auf dem Kopf aus dem muslimischen Teil Jerusalems durch den jüdischen Teil der Stadt spazierte, hat einmal gesagt, dass zwei einander gegenüberstehende Spiegel genügten, um ein Labyrinth zu erschaffen. Mit Vernunft allein ist ihm nicht zu entkommen.
Colum McCann: "Apeirogon". Roman.
Aus dem Englischen von Volker Oldenburg.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 608 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.01.2021John Kerry lächelt
Colum McCann erzählt in dem Roman „Apeirogon“ die Geschichte eines Palästinensers und eines Israelis, die für Frieden werben
Zwei Väter: Der Israeli Rami entwirft als Designer Wahlplakate; der Palästinenser Bassam hat als junger Mann wegen eines Angriffs auf israelische Truppen sieben Jahre im Gefängnis gesessen. Beide Väter haben eine Tochter: die 13-jährige Smadar, Tochter Ramis, und die 10-jährige Abir, Tochter Bassams. Smadar stirbt, als ein palästinensischer Attentäter sich auf einer belebten Straße in die Luft sprengt; Abir, als ein Gummigeschoss aus einem vorbeifahrenden Jeep der israelischen Armee ihr den Schädel zertrümmert.
Zwei parallele Schicksale, die dazu veranlassen, über die Zustände in jenem verschlungenen Doppelgebilde nachzudenken, das aus dem Staat Israel und den palästinensischen Gebieten besteht und das seit mehr als fünfzig Jahren nicht zusammen-, aber auch nicht auseinanderkommt.
Bassam und Rami durchlaufen jeweils dasselbe Fegefeuer der Emotionen: Fassungslosigkeit, Schmerz, Hass – und gelangen schließlich zur Erkenntnis, dass Hass mehr als den Gehassten den Hassenden selbst zerstört. Sie schließen sich einer Organisation an, die „Parents Circle“ heißt und deren Mitglieder Eltern sind, die in diesem ewigen Konflikt Kinder verloren haben, Israelis und Palästinenser.
Ansonsten gibt es kaum echte Kontakte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Bassam und Rami werden die Stars dieser Initiative, sie gehen miteinander auf internationale Vortragsreisen und sprechen vor Zuhörern, die ihnen teils freundlich, teils feindlich gesinnt sind, aber immer heftig reagieren.
Den längeren Weg legt dabei Bassam zurück, der verurteilte Terrorist, der sogar ein Stipendium erhält, um ein Jahr lang in Großbritannien den Holocaust zu studieren, während in Ramis Familie schon vor dem tödlichen Anschlag eine gewisse Skepsis gegen die israelische Politik herrschte. Kaum überraschend, werden beide vom je eigenen Lager als Verräter geschmäht und mit Morddrohungen überhäuft; aber Angst haben sie nach dem, was ihnen passiert ist, endgültig nicht mehr.
Ein durch und durch sympathisches Projekt also, von dem Colum McCann in seinem Roman „Apeirogon“ spricht. Und dennoch ist daraus kein gutes Buch geworden. Das hat zwei Gründe.
Zum einen hat sich McCann für eine Form entschieden, die er selbst als „Hybrid-Roman“ bezeichnet: Die Personen Bassam Aramin und Rami Elhanan gibt es wirklich, ihre aufrüttelnde Mission ist ausführlich von den Medien dokumentiert worden. Was könnte der Schriftsteller dem noch hinzufügen? Nur was seine Imagination über die verbürgten Tatsachen hinaus zuwege bringt.
Das meint wohlgemerkt nicht den bekannten Vorwurf, dass ein westlicher Autor oder Reporter am Feuer des fremden Elends sein eigenes Süppchen kocht, sich also parasitär zu seinem Gegenstand verhielte. Vielmehr muss die Erfindung, die bei einem Roman unentbehrlicherweise hinzutritt, deswegen der schwächste Teil der Erzählung sein, weil deren Kraft eben darin besteht, dass sich alles wirklich so und nicht anders ereignet hat.
McCann hat lange Gespräche mit seinen beiden Protagonisten geführt und die Erlaubnis bekommen, mit ihren Worten und Lebensgeschichten frei umzugehen oder sie zu verändern. Er hoffe, sagt er, ihre Erfahrungen trotzdem „wahrheitsgetreu wiederzugeben“.
Doch was ist Wahrheit? Diese Frage wurde in Jerusalem, dem Ort, der im Mittelpunkt von McCanns Roman steht, vor zweitausend Jahren schon einmal gestellt. Ganz gewiss gehört zur Wahrheit in diesem Fall eine starke Affektlage. Doch stützt sie sich auf einen Sachverhalt, in den man nicht beliebig mit Stimmungsbildern und erfundener Figurenrede hineinschnörkeln darf, wenn er seine Wucht bewahren soll.
Noch aus einem zweiten Grund muss man die Entscheidung für die Form des Romans als verfehlt bezeichnen. Ein Roman muss seiner Anlage nach immer die privaten Verhältnisse ins Zentrum stellen, während sein Personal sich zur Politik nur reaktiv und leidend verhalten kann. Die Lage in Israel-Palästina aber ist eine primär politische, so tief sie auch ins Privatleben der Bewohner einwirkt.
Was die beiden Väter tun, ist mutig, vielleicht sogar vorbildlich. Aber vorbildlich für wen? Sie ehren den gewaltlosen Widerstand Gandhis, analysieren jedoch niemals, in welcher Situation er zum Erfolg geführt hat, nämlich als eine winzige herrschende Elite, zusätzlich geschwächt durch zwei Weltkriege, ohnehin schon mit einem Fuß draußen war; sie konnte einfach gehen.
Die zwei verwaisten Väter beeindrucken durch die Authentizität ihres Auftritts. Aber wenn ihre Botschaft lautet, Gewalt sei sinnlos, dann ist sie falsch. Gewalt ist niemals sinnlos. Gewalt hat immer Sinn für den, der sie verübt, sonst täte er es nicht. Dass sie sich dabei über privaten Verlustschmerz hinwegsetzt und ebenso über private Reue die Achseln zuckt, stellt keinen Einwand dar, sondern ihre Voraussetzung.
Wer die Gewalt kritisieren will, sollte sich schon ein bisschen mehr anstrengen, als indem er bloß die Hände ringt und Bilder von Picassos Friedenstaube zeigt. (Das Buch tut es auf Seite 204.) Der Zusammenhang des Politischen und des Privaten sieht so aus, dass die Politik sich des Mittels der Gewalt bedient und dazu die privaten Energien des Hasses einsetzt, der Hass aber stets reiche Nahrung an den Taten der Politik findet.
Bassam (das ist der Höhepunkt seiner Missionsreise) wird von John Kerry empfangen, US-Senator und demokratischer Präsidentschafts-Kandidat. Er schleudert ihm entgegen: Sie haben meine Tochter getötet! Kerry lächelt und erwidert, er wisse genau, was Bassam meine. Dann nimmt er ein Foto der getöteten Smadar entgegen und stellt es auf seinen Schreibtisch. Das Politische vermag das ihm scheinbar widerstreitende Private in sich zu integrieren, während umgekehrt das Private vor dem Politischen in Ohnmacht verharrt.
Welche Aufgabe also erfüllt das Buch, mit oder wohl mehr noch gegen den Willen seines Autors? Man tut ihm kein Unrecht, wenn man antwortet: die des Alibis. In einer zum Stillstand verkeilten politischen Situation, deren gefährliche Unhaltbarkeit gleichwohl jeder spürt, bietet es Teilhabe an einem Wunschbild der Harmonie, wie nur Menschen als Menschen sie bewirken können.
Friede den Menschen guten Willens! Aber Friede ist ein Zustand, der nur dann eintritt, wenn er für alle gilt, ob guten Willens oder nicht, und sich darum niemals durch Gesinnungen allein erreichen lässt, sondern entweder durch einen Sieg oder durch Ausgleich der Interessen.
Die gerührte Hervorhebung des Exemplarischen soll bemänteln, wie schmal der Rücken der wenigen ist, hinter dem eine breite Mehrheit weniger zur Gefolgschaft antritt, als vielmehr ein Versteck und eine Ausrede sucht. „Apeirogon“ heißt das Buch nach einer geometrischen Figur, die eine „abzählbar unendliche“ Menge von Facetten aufweist, was nichts als einen verschrobenen Ausdruck bedeutet für: Jeder hat ja so recht! Und wenn man ihm bloß zuhören wollte, wäre alles halb so schlimm.
Man mag an dieser Rezension vermissen, dass sie auf die Kritik von Stil, Figurenzeichnung etc. verzichtet. Das wäre aber fehl am Platz bei einem Buch, dem man letztlich nur bescheinigen kann, dass es besser und ehrlicher unterblieben wäre. McCann sagt es nicht, aber er weiß es. Sein letztes Wort (nach einer Danksagungsliste, die sich liest wie der Abspann der „Titanic“) besteht darin, dass er die Spendenadressen für den Parents Circle und einige ähnliche Organisationen angibt. Wer spenden will, darf gern die vorangegangenen 600 Seiten überspringen.
BURKHARD MÜLLER
Wer die Gewalt kritisieren will,
sollte schon mehr tun, als bloß
Picassos Friedenstaube zu zeigen
Colum McCann:
Apeirogon. Roman.
Aus dem Englischen
von Volker Oldenburg. Rowohlt, Hamburg 2020. 603 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Colum McCann erzählt in dem Roman „Apeirogon“ die Geschichte eines Palästinensers und eines Israelis, die für Frieden werben
Zwei Väter: Der Israeli Rami entwirft als Designer Wahlplakate; der Palästinenser Bassam hat als junger Mann wegen eines Angriffs auf israelische Truppen sieben Jahre im Gefängnis gesessen. Beide Väter haben eine Tochter: die 13-jährige Smadar, Tochter Ramis, und die 10-jährige Abir, Tochter Bassams. Smadar stirbt, als ein palästinensischer Attentäter sich auf einer belebten Straße in die Luft sprengt; Abir, als ein Gummigeschoss aus einem vorbeifahrenden Jeep der israelischen Armee ihr den Schädel zertrümmert.
Zwei parallele Schicksale, die dazu veranlassen, über die Zustände in jenem verschlungenen Doppelgebilde nachzudenken, das aus dem Staat Israel und den palästinensischen Gebieten besteht und das seit mehr als fünfzig Jahren nicht zusammen-, aber auch nicht auseinanderkommt.
Bassam und Rami durchlaufen jeweils dasselbe Fegefeuer der Emotionen: Fassungslosigkeit, Schmerz, Hass – und gelangen schließlich zur Erkenntnis, dass Hass mehr als den Gehassten den Hassenden selbst zerstört. Sie schließen sich einer Organisation an, die „Parents Circle“ heißt und deren Mitglieder Eltern sind, die in diesem ewigen Konflikt Kinder verloren haben, Israelis und Palästinenser.
Ansonsten gibt es kaum echte Kontakte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Bassam und Rami werden die Stars dieser Initiative, sie gehen miteinander auf internationale Vortragsreisen und sprechen vor Zuhörern, die ihnen teils freundlich, teils feindlich gesinnt sind, aber immer heftig reagieren.
Den längeren Weg legt dabei Bassam zurück, der verurteilte Terrorist, der sogar ein Stipendium erhält, um ein Jahr lang in Großbritannien den Holocaust zu studieren, während in Ramis Familie schon vor dem tödlichen Anschlag eine gewisse Skepsis gegen die israelische Politik herrschte. Kaum überraschend, werden beide vom je eigenen Lager als Verräter geschmäht und mit Morddrohungen überhäuft; aber Angst haben sie nach dem, was ihnen passiert ist, endgültig nicht mehr.
Ein durch und durch sympathisches Projekt also, von dem Colum McCann in seinem Roman „Apeirogon“ spricht. Und dennoch ist daraus kein gutes Buch geworden. Das hat zwei Gründe.
Zum einen hat sich McCann für eine Form entschieden, die er selbst als „Hybrid-Roman“ bezeichnet: Die Personen Bassam Aramin und Rami Elhanan gibt es wirklich, ihre aufrüttelnde Mission ist ausführlich von den Medien dokumentiert worden. Was könnte der Schriftsteller dem noch hinzufügen? Nur was seine Imagination über die verbürgten Tatsachen hinaus zuwege bringt.
Das meint wohlgemerkt nicht den bekannten Vorwurf, dass ein westlicher Autor oder Reporter am Feuer des fremden Elends sein eigenes Süppchen kocht, sich also parasitär zu seinem Gegenstand verhielte. Vielmehr muss die Erfindung, die bei einem Roman unentbehrlicherweise hinzutritt, deswegen der schwächste Teil der Erzählung sein, weil deren Kraft eben darin besteht, dass sich alles wirklich so und nicht anders ereignet hat.
McCann hat lange Gespräche mit seinen beiden Protagonisten geführt und die Erlaubnis bekommen, mit ihren Worten und Lebensgeschichten frei umzugehen oder sie zu verändern. Er hoffe, sagt er, ihre Erfahrungen trotzdem „wahrheitsgetreu wiederzugeben“.
Doch was ist Wahrheit? Diese Frage wurde in Jerusalem, dem Ort, der im Mittelpunkt von McCanns Roman steht, vor zweitausend Jahren schon einmal gestellt. Ganz gewiss gehört zur Wahrheit in diesem Fall eine starke Affektlage. Doch stützt sie sich auf einen Sachverhalt, in den man nicht beliebig mit Stimmungsbildern und erfundener Figurenrede hineinschnörkeln darf, wenn er seine Wucht bewahren soll.
Noch aus einem zweiten Grund muss man die Entscheidung für die Form des Romans als verfehlt bezeichnen. Ein Roman muss seiner Anlage nach immer die privaten Verhältnisse ins Zentrum stellen, während sein Personal sich zur Politik nur reaktiv und leidend verhalten kann. Die Lage in Israel-Palästina aber ist eine primär politische, so tief sie auch ins Privatleben der Bewohner einwirkt.
Was die beiden Väter tun, ist mutig, vielleicht sogar vorbildlich. Aber vorbildlich für wen? Sie ehren den gewaltlosen Widerstand Gandhis, analysieren jedoch niemals, in welcher Situation er zum Erfolg geführt hat, nämlich als eine winzige herrschende Elite, zusätzlich geschwächt durch zwei Weltkriege, ohnehin schon mit einem Fuß draußen war; sie konnte einfach gehen.
Die zwei verwaisten Väter beeindrucken durch die Authentizität ihres Auftritts. Aber wenn ihre Botschaft lautet, Gewalt sei sinnlos, dann ist sie falsch. Gewalt ist niemals sinnlos. Gewalt hat immer Sinn für den, der sie verübt, sonst täte er es nicht. Dass sie sich dabei über privaten Verlustschmerz hinwegsetzt und ebenso über private Reue die Achseln zuckt, stellt keinen Einwand dar, sondern ihre Voraussetzung.
Wer die Gewalt kritisieren will, sollte sich schon ein bisschen mehr anstrengen, als indem er bloß die Hände ringt und Bilder von Picassos Friedenstaube zeigt. (Das Buch tut es auf Seite 204.) Der Zusammenhang des Politischen und des Privaten sieht so aus, dass die Politik sich des Mittels der Gewalt bedient und dazu die privaten Energien des Hasses einsetzt, der Hass aber stets reiche Nahrung an den Taten der Politik findet.
Bassam (das ist der Höhepunkt seiner Missionsreise) wird von John Kerry empfangen, US-Senator und demokratischer Präsidentschafts-Kandidat. Er schleudert ihm entgegen: Sie haben meine Tochter getötet! Kerry lächelt und erwidert, er wisse genau, was Bassam meine. Dann nimmt er ein Foto der getöteten Smadar entgegen und stellt es auf seinen Schreibtisch. Das Politische vermag das ihm scheinbar widerstreitende Private in sich zu integrieren, während umgekehrt das Private vor dem Politischen in Ohnmacht verharrt.
Welche Aufgabe also erfüllt das Buch, mit oder wohl mehr noch gegen den Willen seines Autors? Man tut ihm kein Unrecht, wenn man antwortet: die des Alibis. In einer zum Stillstand verkeilten politischen Situation, deren gefährliche Unhaltbarkeit gleichwohl jeder spürt, bietet es Teilhabe an einem Wunschbild der Harmonie, wie nur Menschen als Menschen sie bewirken können.
Friede den Menschen guten Willens! Aber Friede ist ein Zustand, der nur dann eintritt, wenn er für alle gilt, ob guten Willens oder nicht, und sich darum niemals durch Gesinnungen allein erreichen lässt, sondern entweder durch einen Sieg oder durch Ausgleich der Interessen.
Die gerührte Hervorhebung des Exemplarischen soll bemänteln, wie schmal der Rücken der wenigen ist, hinter dem eine breite Mehrheit weniger zur Gefolgschaft antritt, als vielmehr ein Versteck und eine Ausrede sucht. „Apeirogon“ heißt das Buch nach einer geometrischen Figur, die eine „abzählbar unendliche“ Menge von Facetten aufweist, was nichts als einen verschrobenen Ausdruck bedeutet für: Jeder hat ja so recht! Und wenn man ihm bloß zuhören wollte, wäre alles halb so schlimm.
Man mag an dieser Rezension vermissen, dass sie auf die Kritik von Stil, Figurenzeichnung etc. verzichtet. Das wäre aber fehl am Platz bei einem Buch, dem man letztlich nur bescheinigen kann, dass es besser und ehrlicher unterblieben wäre. McCann sagt es nicht, aber er weiß es. Sein letztes Wort (nach einer Danksagungsliste, die sich liest wie der Abspann der „Titanic“) besteht darin, dass er die Spendenadressen für den Parents Circle und einige ähnliche Organisationen angibt. Wer spenden will, darf gern die vorangegangenen 600 Seiten überspringen.
BURKHARD MÜLLER
Wer die Gewalt kritisieren will,
sollte schon mehr tun, als bloß
Picassos Friedenstaube zu zeigen
Colum McCann:
Apeirogon. Roman.
Aus dem Englischen
von Volker Oldenburg. Rowohlt, Hamburg 2020. 603 Seiten, 25 Euro.
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