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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Mitspieler unter Weltsprachen: Holger Gzella führt auf eindrucksvolle Weise durch die lange Geschichte des Aramäischen
Als Jesus am Kreuz unmittelbar vor seinem Tod an Gott verzweifelte, schrie er "Eloi, Eloi, lema sabachthani" (Markus 15,34), "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Der Evangelist Markus im ersten Jahrhundert schrieb zwar in Griechisch, einer damals rund um das Mittelmeer weit verbreiteten Sprache. Dieses Jesuswort aber gab er in aramäischer Sprache wieder, um dem Höhepunkt der Erzählung Lokalkolorit zu verleihen: In Palästina verwendete man damals im täglichen Umgang das Aramäische, das wahrscheinlich auch die Muttersprache Jesu war. Der Evangelist Matthäus (27,46) zitierte das Kreuzeswort ebenfalls; "mein Gott, mein Gott" lautete bei ihm jedoch hebräisch "Eli, Eli", denn Jesu Ausspruch war Zitat eines jahrhundertealten hebräischen Psalms (22,2).
Diese biblische Episode führt die in ihrer Komplexität für die gesamte Antike charakteristische sprachliche Situation der antiken vorderasiatischen Welt im ersten Jahrhundert vor Augen. Der Alttestamentler, Semitist und Aramaist Holger Gzella schildert sie in seiner grandiosen Geschichte der aramäischen Sprache von den Anfängen bis zum Beginn des Islams im siebten Jahrhundert. Ein solches Buch ist ein Wagnis, schließlich werden die wenigsten Leser das Aramäische und die vielen Sprachen und Schriften, von denen dieses Buch handelt, beherrschen. Das Wagnis gelingt Gzella, indem er mehr eine Kulturgeschichte der aramäischen Sprache als eine linguistisch orientierte Sprachgeschichte bietet. Welche Texte wurden in Aramäisch verfasst? Wer schrieb diese Texte? Wo, wann und zu welchem Zweck sprach und schrieb man Aramäisch? Wie interagierten aramäische Sprache und Schrift mit anderen Sprachen und Schriften derselben Zeit und in derselben Region?
Anhand dieser Leitfragen führt Gzella den Leser durch rund 1200 Jahre Geschichte der aramäischen Sprache im geographischen Raum auf dem Gebiet der heutigen Staaten Syrien, Israel/Palästina und Irak mit gelegentlichen Ausläufern nach Ägypten im Westen, Iran im Osten, der Türkei im Norden und der arabischen Halbinsel im Süden. Selbst Spezialisten stehen staunend vor der Fülle des von Gzella überblickten Materials. Die Aramäer tauchten namentlich erstmals um 1100 v. Chr. in den Inschriften des assyrischen Königs Tiglatpileser I. als Bewohner der Gegend am syrischen Euphrat auf. Seit dem neunten Jahrhundert v. Chr. fanden sich die ersten aramäischen Inschriften in Syrien. Die für die aramäische Sprache verwendete Schrift war das Alphabet, ein Schriftsystem, das nicht von den Aramäern selbst, sondern bereits zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends von mit den Aramäern eng verwandten Völkern entwickelt worden war. Zwischen dem neunten und sechsten Jahrhundert v. Chr. verbreiteten sich die aramäische Sprache und Schrift in den zeitweise ganz Vorderasien beherrschenden Reichen der Assyrer und Babylonier.
Sie stießen dort auf eine andere, noch ältere Weltsprache, das Babylonisch-Assyrische, das mit einem vom Alphabet verschiedenen Schriftsystem, der uralten Keilschrift, geschrieben wurde, und verdrängten im Lauf eines Jahrhunderte dauernden Prozesses beide. Während das Ergebnis dieses Prozesses dem Historiker vor Augen steht, sind die Gründe für den Aufstieg von aramäischer Sprache und Schrift schwieriger zu erfassen: Die Praxis der Assyrer und später der Babylonier, in ihren Reichen die Eroberten, darunter weite Teile der aramäischsprachigen Bevölkerung Syriens und Palästinas, zu deportieren und anderenorts wieder anzusiedeln, dürfte einer der Gründe für die Ausbreitung der aramäischen Sprache gewesen sein. Die aramäische Schrift wiederum mit ihren nur 22 Konsonantenbuchstaben hatte gegenüber der Keilschrift mit ihren mehreren Hundert Zeichen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil; zumindest für Mesopotamien ist Gzellas Versuch, das schrittweise Erlöschen der Keilschrift stattdessen auf eine antiquierte, nur noch an traditionellen literarischen und gelehrten Texten orientierte Schreiberausbildung zurückzuführen, wenig überzeugend, weil die Keilschrift noch wenigstens bis ins beginnende fünfte Jahrhundert v. Chr. hauptsächlich dazu diente, in großem Umfang Alltagstexte wie Briefe, Rechtsurkunden und administrative Texte zu verfassen.
Im riesigen Perserreich des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr. war das Aramäische bereits "lingua franca", die international genutzte Rechts-, Verwaltungs- und Literatursprache. Zu dieser Zeit fiel in Palästina das gesprochene Hebräische dem Aramäischen zum Opfer. In der Folgezeit entstanden die biblischen Bücher Esra und Daniel, von denen jeweils Teile in Aramäisch, dem "Biblisch-Aramäischen", abgefasst waren.
Zwischen dem dritten Jahrhundert v. Chr. und dem dritten Jahrhundert n. Chr. entstanden neue aramäische Schrifttraditionen in verschiedenen Orten Syriens und Mesopotamiens. In Edessa tritt uns das Aramäische erstmals als Sprache des orientalischen Christentums entgegen. Ab dem vierten Jahrhundert entwickelte sich im syrischen Christentum eine reiche aramäischsprachige Literatur, die viele Jahrhunderte währte und analog dem Latein in der katholischen Kirche bis heute in der syrischen Kirche gepflegt wird. Zugleich blühte das Aramäische im rabbinischen Judentum durch den Talmud, Schriften zur Auslegung des Bibeltextes, und der aramäischen Übersetzung der Bibel selbst. So wurde das Aramäische im Orient eine bedeutende Sprache beider monotheistischer Religionen dieser Zeit.
Schließlich bildete das Aramäische auch eine Brücke auf die arabische Halbinsel. Denn die dort im Norden ansässigen Nabatäer- die berühmte Nabatäerstadt Petra in Jordanien ist heute ein Touristenmagnet - schrieben seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. einen aramäischen Dialekt, während auf der Straße Arabisch gesprochen wurde. Die nabatäisch-aramäische Schrift wurde schließlich auch mehr und mehr dazu verwendet, Arabisch zu schreiben, und wurde so zur Mutter der heute über große Teile der islamischen Welt verwendeten arabischen Schrift. Die aramäische Sprache bereicherte die arabische durch Lehnwörter, nicht zuletzt auch im religiösen Vokabular des Korans.
Die Geschichte des Aramäischen endete nicht mit dem Aufkommen des Islams und den arabischen Eroberungszügen im siebten Jahrhundert. Zwar wurde die aramäische Weltsprache durch die arabische abgelöst, dennoch lebte das Aramäische in ihrem Schatten als Sprache von Christen- und Judentum bis heute weiter. Bis heute gibt es zudem noch Dörfer in Syrien, im Nordirak und in Nordwestiran, in denen teilweise Aramäisch im Alltag gesprochen wird. Mit seiner fast dreitausendjährigen Geschichte erweist sich das Aramäische, dem diese Darstellung gewidmet ist, als eine der langlebigsten Sprachen der Welt. MICHAEL P. STRECK
Holger Gzella: "Aramäisch". Weltsprache des Altertums.
C. H. Beck Verlag, München 2023. Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. 480 S., Abb., geb., 36,- Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michael P. Streck
"Holger Gzella gilt als weltweit größter Fachmann für das Aramäische."
WELT am Sonntag
"Eine große Kulturgeschichte des Aramäischen - was es für deutschsprachige Leser verblüffenderweise bisher nicht gab."
Die Presse, Anne-Catherine Simon
"Einer der führenden Aramäisch-Kenner."
Bayern2 Sozusagen, Anna-Elena Knerich
"Zeichnet die Karriere des Aramäischen von einer semitischen Regionalsprache zu einer Lingua franca, die von der Levante bis zum Indus verwendet wurde, nach. ... Vom weltweit wichtigsten Experten für diese Sprache."
WELT am Sonntag, Matthias Heine
"Der Ordinarius für Alttestamentliche Theologie der LMU München formuliert flüssig und anschaulich, sodass wir im Nu im Alltag etwa eines achämenidischen Beamten sind. ... So wie sie Gzella detailliert analysiert und beschrieben hat, ist es ein großer Gewinn - nicht nur für die Forschung, sondern auch für die allgemeine Leserschaft."
Börsenblatt, Stefan Hauck