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Die Zuwanderung unter dem Hammer des staatlichen Auktionators
Klaus F. Zimmermann/Thomas K. Bauer et al.: Arbeitskräftebedarf bei hoher Arbeitslosigkeit - Ein ökonomisches Zuwanderungskonzept für Deutschland. Springer Verlag, Berlin 2002, 297 Seiten, 44,95 Euro.
Die Zuwanderung nach Deutschland ist eines der kontroversesten Themen dieser Zeit. Erst vor wenigen Tagen hat Bundespräsident Johannes Rau das im März unter großem Tumult vom Bundesrat gebilligte Gesetz paraphiert - und damit der Union den Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet. Doch von Verfahrensfragen abgesehen, ist auf den ersten Blick ohnehin wenig einsichtig, daß ein Land mit offiziell 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit weiteren 1,7 Millionen Menschen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und 1,1 Millionen arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern Zuwanderungsbedarf auf dem Arbeitsmarkt haben soll. Es ist daher wohltuend, wenn unabhängige Arbeitsmarktexperten ohne Polemik Perspektiven zeigen und Antworten formulieren. Klaus Zimmermann und sein Zuwanderungsteam vom Institut Zukunft der Arbeit (IZA) haben diesen Weg beschritten und tragen mit ihrer Studie zur Versachlichung der Debatte bei. Die Forscher legen dar, daß Deutschland nicht jetzt, spätestens aber nach 2010 einen großen Bedarf an Zuwanderern haben wird. Netto 200 000 bis 300 000 Arbeitskräfte aus dem Ausland seien jährlich notwendig, allein um das gegenwärtige Niveau zu halten. Die Bruttozahl ist dramatischer: 700 000 bis 800 000 Zuwanderer seien künftig im Jahr erforderlich. Plastisch heißt das: Jedes Jahr müssen mehr Menschen nach Deutschland kommen, als jetzt in Dresden und Flensburg zusammengenommen leben.
Vor diesem Hintergrund kommt der Frage der Auswahl und Steuerung von Zuwanderung zentrale Bedeutung zu. Die IZA-Forscher schlagen eine Zuwanderungs-Doppelstrategie vor: Zum einen sollen Arbeitskräfte, die dauerhaft im Lande bleiben wollen, durch ein Punktesystem gefiltert werden. Erreicht ein Bewerber eine bestimmte Mindestpunktzahl, so darf er bleiben, mitsamt seiner Familie. Vorbild dieses Punktesystems sind neben Kanada auch Neuseeland und Australien - klassische Einwanderungsländer. Zum anderen sollte für diejenigen, für die nur eine befristete Verwendung und ein begrenztes Arbeitsangebot besteht, ein Auktionsmechanismus greifen. Dabei können Unternehmen eine Lizenz zur befristeten Einwanderung erwerben und diese dann dem jeweiligen Facharbeiter zuweisen. Der "Auktionator Staat" legt dabei fest, wie viele Lizenzen überhaupt unter den Hammer kommen.
Vor allem die Trennung zwischen temporärer und permanenter Aufenthaltsgenehmigung ist innovativ und unterscheidet sich angenehm von den "Entweder-oder-Entwürfen" im Bundestag. Allerdings blenden die Wissenschaftler die europäische Dimension der Zuwanderungsfrage aus. So wird zwar darauf hingewiesen, daß im Zuge der Ost-Erweiterung zunächst 150 000 Menschen jährlich in die "alte" EU strömen dürften. Von größerer Bedeutung ist aber, wie die EU insgesamt die Zuwanderungsfrage lösen will. In fast allen Nachbarstaaten wird die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten schrumpfen, wenn die Zuwanderung nicht deutlich wächst. Damit könnte der "Kampf um die besten Köpfe" in den Mittelpunkt kontroverser Diskussionen rücken. Ist das Zimmermann-Konzept aber EU-ausbaufähig? Hierauf findet sich in der Studie keine Antwort.
Auch einen zweiten Komplex löst Klaus Zimmermann nicht: Wenn tatsächlich der Arbeitskräftebedarf in Deutschland steigt, heißt dies noch nicht, daß die Zielgruppe - junge, qualifizierte Nicht-EU-Bürger - tatsächlich nach Deutschland kommen will. Da sich der Wettbewerb um diese Personengruppe aber noch verschärfen wird, muß Deutschland die Rahmenbedingungen für Ausländer deutlich verbessern. Sonst werden die besten Köpfe in der Mitte dieses Jahrhunderts nicht zwischen Rhein und Oder, sondern am Mississippi oder an der Seine zum Wohlstand der jeweiligen Nation beitragen. Diese Integrationsherausforderung, die politisch bislang nahezu keine Rolle spielt, wird auch vom Zimmermann-Team nicht klar herausgearbeitet. Dabei scheint besonders hier ein Umdenken erforderlich.
ANDREAS GEHLHAAR
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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