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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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POLITIKWISSENSCHAFT. Unter den Zetteln, die Martin Heidegger seinem Vorlesungsmanuskript aus dem Sommersemester 1923 beigefügt hat, findet sich eine kleine Notiz: "Hermeneutik der Faktizität: jetzt radikale Faktizität mitnehmen im Zurück zu A." Mit "A." war Aristoteles gemeint. Das Programm, das in diesem einen Satz steckt, sollte die gesamte praktische und politische Philosophie des 20. Jahrhunderts verändern. Heidegger wandte sich der "Nikomachischen Ethik" des Griechen zu, um die Existenz des Menschen im 20. Jahrhundert zu erhellen - ein unerhörtes Unterfangen für die im Neukantianismus erzogene Akademikerwelt. Für seine Schüler aber wurde die Teilhabe an der radikalen De- und Rekonstruktion sowohl der neuzeitlichen als auch der griechischen Philosophie selbst zum existentiellen Erlebnis. Nach Krieg und Nationalsozialismus setzten sie den Denkweg des Lehrers auf ihre Weise fort. Was Heidegger auf die individuelle Existenz beschränkt hatte, wurde von Hannah Arendt, Leo Strauss und Hans-Georg Gadamer ins Politische gewendet. Seither sind einflußreiche Schulen der deutschen und amerikanischen Politikwissenschaft aristotelisch geprägt. Es ist dieser "aristotelische Diskurs", den Thomas Gutschker, Redakteur dieser Zeitung, untersucht hat. Erstmals wird sowohl historisch als auch systematisch herausgearbeitet, welche Spuren Aristoteles im philosophisch-politischen Denken des 20. Jahrhunderts hinterlassen hat. Der Verfasser behandelt neben Heideggers frühen Vorlesungen drei Diskurszusammenhänge: den der nach Amerika emigrierten deutschen Politikwissenschaftler (Arendt, Strauss und Eric Voegelin), die deutschen Ansätze zu einer Rehabilitierung der praktischen Philosophie in den sechziger Jahren (Gadamer, Joachim Ritter und Dolf Sternberger) und schließlich die zeitgenössische amerikanische Debatte zwischen Liberalen und Kommunitaristen (Alasdair MacIntyre, Martha Nussbaum). Die einzelnen Linien treffen sich in den zentralen Themen aller Aristoteles-Interpretationen, dem Glückstreben des Menschen, der Herkunft von Recht und Sitte, der Vermittlung von Handlungsregel und Einzelfall durch Urteilskraft, der Rolle des Staates in der Daseinsfürsorge und der politischen Balance von oligarchischen und demokratischen Ansprüchen. In der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen zeichnet sich das normativ gehaltvolle Modell einer Bürgergesellschaft ab, die die Unterschiede zwischen den Menschen weder aufhebt noch übersteigert, sondern sie einem beschränkten politischen Ausgleich zuführt. (Thomas Gutschker: Aristotelische Diskurse. Aristoteles in der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2002. 532 Seiten, 49,90 Euro.)
F.A.Z.
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