Ungewöhnlicher Roman
Zu Beginn von Matias Faldbakkens Roman "Armes Ding" wähnt man sich in einem Märchen. Oskar, ein Waisenjunge, der sich auf dem Hof der Blums in der Abgeschiedenheit Norwegens verdingt, entdeckt im Wald ein Mädchen. Das ist wild, klein, stinkt bestialisch und kann nicht
sprechen. Oskar fängt es ein und nimmt die Kreatur, ein im wahrsten Sinne des Wortes armes Ding, mit nach…mehrUngewöhnlicher Roman
Zu Beginn von Matias Faldbakkens Roman "Armes Ding" wähnt man sich in einem Märchen. Oskar, ein Waisenjunge, der sich auf dem Hof der Blums in der Abgeschiedenheit Norwegens verdingt, entdeckt im Wald ein Mädchen. Das ist wild, klein, stinkt bestialisch und kann nicht sprechen. Oskar fängt es ein und nimmt die Kreatur, ein im wahrsten Sinne des Wortes armes Ding, mit nach Hause. Dort wird es den Alltag auf dem Hof gehörig durcheinanderwirbeln. Als das Mädchen sich mit Oskars Hilfe zu einer zivilisierten jungen Frau entwickelt, gehen beide fort: In die Stadt. Doch diese Entscheidung wird Oskar bereuen ...
Der Roman "Armes Ding" (erschienen am 11. September 2024 bei btb/Penguin Random House) lässt sich ebenso schwer einordnen wie seine seltsame Hauptdarstellerin. Die Zeit auf dem Hof wird von Matias Faldbakken in einer einfachen Sprache dargestellt - so einfach wie das Leben selbst, das Oskar dort führt, gepaart mit rohen und expliziten Ausdrücken - so barbarisch wie das Mädchen, das Oskar im Wald findet. Ins Deutsche übersetzt wurde der norwegische Originaltitel "Stakkar" von Maximilian Stadler.
In welcher Zeit der Roman spielt, lässt sich nicht ausmachen. Vielleicht in den Neunzehnhundertzwanzigern, vielleicht aber auch in den Sechzigern. Über allem liegt die Atmosphäre vergangener Zeiten, als das Leben scheinbar noch simpel war und noch nicht durchdigitalisiert.
Als Oskar und das Mädchen dann in die Stadt gehen, wirken die beiden wie aus der Zeit gefallen, denn die Stadt ist modern und belebt: Ein spürbarer Bruch in der Geschichte. Und auch das Mädchen verändert sich. Oskar hingegen verelendet zusehends, er fühlt sich nicht mehr gebraucht.
Zum Schluss driftet Faldbakken zu sehr ins Philsophische, Künstlerische ab. Aber das ist wohl nicht verwunderlich, schließlich hat der Autor in Bergen und Frankfurt am Main Kunst studiert. Das Ende des Romans empfand ich als unbefriedigend.
Auf dem Weg dorthin liest man sich allerdings durch ein ganz und gar ungewöhnliches Stück Literatur, auf das man sich einlassen muss.
Was Faldbakken fantastisch kann, ist Atmosphäre. Poetisch beschreibt er eine Szene, in der Oskar und das Mädchen über einen See rudern, nur vom Mond beschienen. Die Stille, das Mondlicht, das Wasser, das gegen den den Bootsrumpf schwappt: Davon erzählt der Autor mit grandioser Sinnlichkeit.
"Armes Ding" ist ein ungewöhnliches Märchen über zwei einsame Seelen, die sich nicht gesucht haben, aber gegenseitig brauchen.