Die junge Imani kümmert sich aufopfernd um ihren Geliebten Germano, der sich schwer versehrt in ein abgelegenes Dorf am Flussufer gerettet hat. Währenddessen tobt der Krieg zwischen der portugiesischen Krone und dem mosambikanischen Herrscher Ngungunyane immer erbarmungsloser: Die schwer bewaffneten, aber entmutigten Portugiesen, die weder die Sprache noch das Land verstehen, auf der einen Seite und das riesige Heer des Ngungunyane, der selbst einen Krieg gegen das eigene Volk führt, auf der anderen. Schließlich fasst Imanis Vater einen verzweifelten Entschluss: Er will Imani dem Herrscher zur Frau anbieten – damit sie ihn tötet. Sprachgewaltig lässt Mia Couto ein einschneidendes Kapitel der mosambikanischen Geschichte und portugiesischen Kolonialzeit wiederauferstehen.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Uwe Stolzmann erzählt von Mia Couto, den er für einen der großen Erzähler der "lusofonen Welt" hält, und dessen Riesenprojekt einer Trilogie über eine Liebe unter Ungleichen im 19. Jahrhundert in Coutos Heimat Mocambique. Die beiden vorliegenden Abschlussbände zeigen laut Stolzmann anhand einer jungen Schwarzen und ihrer Liebe zu einem Soldaten der Kolonialarmee das Ringen der Kulturen miteinander. Was der Autor im Text beschreibt, sind die Mechanismen, aus denen Kriege entstehen, erklärt der Rezensent. Dafür ist Couto tief in die Archive der Kolonialmacht Portugal gestiegen und hat in Mocambique Zeitzeugen befragt, so Stolzmann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2021Der letzte König
Missionierung, Unterdrückung, Disziplinierung: Der Schriftsteller Mia Couto erzählt von der Kolonialisierung Mosambiks
Es ist die Zeit der europäischen Kolonialherrschaft im südöstlichen Afrika. Briten, Deutsche und Portugiesen belauern einander und wetteifern, wer welchen Landstrich einnehmen und ausbeuten kann. Seit dem 16. Jahrhundert hatten die Portugiesen Mosambiks Küste, gegenüber von Madagaskar, besetzt. Jetzt, im ausgehenden 19. Jahrhundert, wollen sie auch das Hinterland beherrschen. Mit seiner Trilogie „Imani“ nimmt sich der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto dieses Themas an, wobei er die historischen Ereignisse als Gerüst für seine Fiktion verwendet.
Er montiert das Geschehen anhand der Stimmen seiner Figuren und einiger Zeugnisse, teils aus der Literatur oder aus Archiven, teils aus dokumentarischer Feldforschung. Dass das nicht ohne Weiteres ging, hatte Gründe: „Die Menschen wollten nicht reden, sie sagten, die Geister wären immer noch präsent, sie wollten sie nicht aufwecken.“ In seinen ersten Büchern hat Couto den grausamen Bürgerkrieg verarbeitet, der das Land bis in die 1990er-Jahre erschütterte und dessen Folgen so bald noch nicht überwunden sein werden. Seine Erzählweise war von einer minimalistischen Konzentration, die ihn auf Anhieb zu einem Autor von Weltrang gemacht hat. Seine Figuren waren Geschlagene des Bürgerkriegs. Neben ihren Psychologien trat immer wieder als irrationales Element die Gegenwart der Toten in die Handlung ein. Den animistischen Anteilen des mosambikanischen Alltags lässt er auch im historischen Zusammenhang ihren Raum. Dass er, Sohn portugiesischer Einwanderer in Mosambik, ein 15-jähriges afrikanisches Mädchen in den Mittelpunkt stellt und berichten lässt, wirft natürlich die aktuell gewordene Frage auf, ob ein Nachfahr europäischer Kolonialherren das Recht habe, aus der Perspektive einer Frau zu erzählen, deren Vorfahren von ebenjenen Einwanderern unterworfen und ausgeplündert wurden. Couto lässt aber einen Chor ganz unterschiedlicher Stimmen sprechen, so stellt sich diese Frage nicht in den Vordergrund.
Seine Heldin Imani lernt als Kind in der Missionsschule der portugiesischen Kolonisatoren deren Sprache. Ihr Dorf Nkokolani liegt an der Grenze zwischen dem Gebiet der Portugiesen und dem des aggressiven Stammeskönigs Ngungunyane. Imanis Volk hat sich zum Schutz mit den Portugiesen verbündet, sie soll Übersetzerdienste leisten. Als einsamer Statthalter wird Sargento Germano de Melo nach Nkokolani abkommandiert, Imani wird für ihn zur unentbehrlichen Hilfe, doch bei einem Gerangel fügt sie Germano eine Verletzung zu. Um seine Wunde zu kurieren, unternehmen sie eine Flussfahrt durch den Dschungel, wo allerwärts Gefahren lauern könnten, zum Lazarett des Schweizer Arztes Georges Liengme. Währenddessen sammeln sich die feindlichen Heerscharen zur Entscheidungsschlacht, angolanische Soldaten der Portugiesen gegen die einheimischen Mosambikaner.
Der jetzt erschienene Roman „Asche und Sand“ enthält die Bände zwei und drei der Trilogie. Imani betreut den verletzten Sargento, und aus der Kombination von Fürsorge und Bedürftigkeit entwickelt sich eine Beziehung. Mia Couto erzählt das allerdings nicht als Geschichte einer unmöglichen Liebe zweier Angehöriger verfeindeter Völker. Eine Magierin des Dorfs heißt sie, beieinander zu schlafen. Couto lässt diese Nacht erzählerisch ohne jede Spur von Liebe, Gefühlen oder Erotik, von Sex oder Gewalt verstreichen, als sei das seiner Heldin ganz fern. Später wird sie aber ein Kind erwarten. Als stünde Imani neben sich, wirkt es auch, als sie einen der Kolonialoffiziere, der sie drangsaliert hatte, kühl mit seinem eigenen Gewehr erschießt. Ebenso wird das Getümmel der Kämpfe nicht unmittelbar, sondern in den Briefen der Militärs geschildert. Mit der Distanz entsteht eine Verlangsamung der Handlung und zugleich eine Verhaltenheit des Tons, die die Übersetzerin im Deutschen erhalten hat.
Das Geschehen in seinen groben Zügen, die beabsichtigt grassierende Alkoholsucht unter den Afrikanern, die Konkurrenz protestantischer Missionare und der Portugiesen sind historisch. König Ngungunyane, Jahrgang 1850, herrschte seit 1885 über das Gaza-Reich nördlich der heutigen Hauptstadt Maputo. Georges Liengme eröffnete 1892 seine Mission mit Lazarett in Ngungunyanes Reich. Mit einer plumpen List konnten die Portugiesen Ngungunyane einfangen und in Lissabon als lebende Trophäe mitsamt seinen Frauen vorführen. Das war 1895. Die Schilderung der Militärs lässt an die wilhelminischen Karikaturen des Simplicissimus denken. Die Fotos von ihnen und ihrer menschlichen Beute finden sich im Anhang. Aufnahmen derer, die dem Autor noch aus dieser Zeit erzählen konnten, hätten die Bilderreihe abgerundet. Mia Couto lässt seine Heldin nach Lissabon mitreisen. Die Portugiesen verachten sie, die Afrikaner hassen sie. Dass es denen nicht gut geht, rührt sie kaum. Erst als Imani ihren und Germanos gemeinsamen Sohn geboren hat, lässt der Autor Emotionen aufkommen. Zunächst hat Germano gar nicht vor, sie wiederzusehen. Seine Mutter, herzlos und machtbewusst, entreißt ihr das Kind. Imani wird auf die Insel São Tomé verfrachtet, während Ngungunyane, im Roman wie in der Wirklichkeit, auf die Azoren abgeschoben wird. Dort starb er 1906.
Die Portugiesen stilisierten ihn zum Helden, auf mosambikanischer Seite feiert man ihn als antikolonialen Widerstandskämpfer. Beides war er wohl eher nicht. Die Trilogie endet mit der Szene der nun 95-jährigen Imani, die von einem Schriftsteller aufgesucht und befragt wird – als öffnete der Autor hier den Blick auf seine Arbeit. Mit seinem „Imani“-Zyklus ist er auf der Linie seiner bisherigen Bücher geblieben. Er will die Menschen seiner Welt, ihre Beweggründe und seelischen Untiefen erforschen, indem er sie nacherzählt. Seine Figuren sind keine strahlenden oder finsteren Helden, und genau das macht sie authentisch.
RUDOLF VON BITTER
In der Missionsschule der
Kolonisatoren lernt die Erzählerin
die portugiesische Sprache
Mia Couto: Asche
und Sand. Roman.
Der Imani-Zyklus,
Band 2 & 3. Aus
dem Portugiesischen
von Karin von
Schweder-Schreiner.
Unionsverlag, Zürich 2021. 544 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Missionierung, Unterdrückung, Disziplinierung: Der Schriftsteller Mia Couto erzählt von der Kolonialisierung Mosambiks
Es ist die Zeit der europäischen Kolonialherrschaft im südöstlichen Afrika. Briten, Deutsche und Portugiesen belauern einander und wetteifern, wer welchen Landstrich einnehmen und ausbeuten kann. Seit dem 16. Jahrhundert hatten die Portugiesen Mosambiks Küste, gegenüber von Madagaskar, besetzt. Jetzt, im ausgehenden 19. Jahrhundert, wollen sie auch das Hinterland beherrschen. Mit seiner Trilogie „Imani“ nimmt sich der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto dieses Themas an, wobei er die historischen Ereignisse als Gerüst für seine Fiktion verwendet.
Er montiert das Geschehen anhand der Stimmen seiner Figuren und einiger Zeugnisse, teils aus der Literatur oder aus Archiven, teils aus dokumentarischer Feldforschung. Dass das nicht ohne Weiteres ging, hatte Gründe: „Die Menschen wollten nicht reden, sie sagten, die Geister wären immer noch präsent, sie wollten sie nicht aufwecken.“ In seinen ersten Büchern hat Couto den grausamen Bürgerkrieg verarbeitet, der das Land bis in die 1990er-Jahre erschütterte und dessen Folgen so bald noch nicht überwunden sein werden. Seine Erzählweise war von einer minimalistischen Konzentration, die ihn auf Anhieb zu einem Autor von Weltrang gemacht hat. Seine Figuren waren Geschlagene des Bürgerkriegs. Neben ihren Psychologien trat immer wieder als irrationales Element die Gegenwart der Toten in die Handlung ein. Den animistischen Anteilen des mosambikanischen Alltags lässt er auch im historischen Zusammenhang ihren Raum. Dass er, Sohn portugiesischer Einwanderer in Mosambik, ein 15-jähriges afrikanisches Mädchen in den Mittelpunkt stellt und berichten lässt, wirft natürlich die aktuell gewordene Frage auf, ob ein Nachfahr europäischer Kolonialherren das Recht habe, aus der Perspektive einer Frau zu erzählen, deren Vorfahren von ebenjenen Einwanderern unterworfen und ausgeplündert wurden. Couto lässt aber einen Chor ganz unterschiedlicher Stimmen sprechen, so stellt sich diese Frage nicht in den Vordergrund.
Seine Heldin Imani lernt als Kind in der Missionsschule der portugiesischen Kolonisatoren deren Sprache. Ihr Dorf Nkokolani liegt an der Grenze zwischen dem Gebiet der Portugiesen und dem des aggressiven Stammeskönigs Ngungunyane. Imanis Volk hat sich zum Schutz mit den Portugiesen verbündet, sie soll Übersetzerdienste leisten. Als einsamer Statthalter wird Sargento Germano de Melo nach Nkokolani abkommandiert, Imani wird für ihn zur unentbehrlichen Hilfe, doch bei einem Gerangel fügt sie Germano eine Verletzung zu. Um seine Wunde zu kurieren, unternehmen sie eine Flussfahrt durch den Dschungel, wo allerwärts Gefahren lauern könnten, zum Lazarett des Schweizer Arztes Georges Liengme. Währenddessen sammeln sich die feindlichen Heerscharen zur Entscheidungsschlacht, angolanische Soldaten der Portugiesen gegen die einheimischen Mosambikaner.
Der jetzt erschienene Roman „Asche und Sand“ enthält die Bände zwei und drei der Trilogie. Imani betreut den verletzten Sargento, und aus der Kombination von Fürsorge und Bedürftigkeit entwickelt sich eine Beziehung. Mia Couto erzählt das allerdings nicht als Geschichte einer unmöglichen Liebe zweier Angehöriger verfeindeter Völker. Eine Magierin des Dorfs heißt sie, beieinander zu schlafen. Couto lässt diese Nacht erzählerisch ohne jede Spur von Liebe, Gefühlen oder Erotik, von Sex oder Gewalt verstreichen, als sei das seiner Heldin ganz fern. Später wird sie aber ein Kind erwarten. Als stünde Imani neben sich, wirkt es auch, als sie einen der Kolonialoffiziere, der sie drangsaliert hatte, kühl mit seinem eigenen Gewehr erschießt. Ebenso wird das Getümmel der Kämpfe nicht unmittelbar, sondern in den Briefen der Militärs geschildert. Mit der Distanz entsteht eine Verlangsamung der Handlung und zugleich eine Verhaltenheit des Tons, die die Übersetzerin im Deutschen erhalten hat.
Das Geschehen in seinen groben Zügen, die beabsichtigt grassierende Alkoholsucht unter den Afrikanern, die Konkurrenz protestantischer Missionare und der Portugiesen sind historisch. König Ngungunyane, Jahrgang 1850, herrschte seit 1885 über das Gaza-Reich nördlich der heutigen Hauptstadt Maputo. Georges Liengme eröffnete 1892 seine Mission mit Lazarett in Ngungunyanes Reich. Mit einer plumpen List konnten die Portugiesen Ngungunyane einfangen und in Lissabon als lebende Trophäe mitsamt seinen Frauen vorführen. Das war 1895. Die Schilderung der Militärs lässt an die wilhelminischen Karikaturen des Simplicissimus denken. Die Fotos von ihnen und ihrer menschlichen Beute finden sich im Anhang. Aufnahmen derer, die dem Autor noch aus dieser Zeit erzählen konnten, hätten die Bilderreihe abgerundet. Mia Couto lässt seine Heldin nach Lissabon mitreisen. Die Portugiesen verachten sie, die Afrikaner hassen sie. Dass es denen nicht gut geht, rührt sie kaum. Erst als Imani ihren und Germanos gemeinsamen Sohn geboren hat, lässt der Autor Emotionen aufkommen. Zunächst hat Germano gar nicht vor, sie wiederzusehen. Seine Mutter, herzlos und machtbewusst, entreißt ihr das Kind. Imani wird auf die Insel São Tomé verfrachtet, während Ngungunyane, im Roman wie in der Wirklichkeit, auf die Azoren abgeschoben wird. Dort starb er 1906.
Die Portugiesen stilisierten ihn zum Helden, auf mosambikanischer Seite feiert man ihn als antikolonialen Widerstandskämpfer. Beides war er wohl eher nicht. Die Trilogie endet mit der Szene der nun 95-jährigen Imani, die von einem Schriftsteller aufgesucht und befragt wird – als öffnete der Autor hier den Blick auf seine Arbeit. Mit seinem „Imani“-Zyklus ist er auf der Linie seiner bisherigen Bücher geblieben. Er will die Menschen seiner Welt, ihre Beweggründe und seelischen Untiefen erforschen, indem er sie nacherzählt. Seine Figuren sind keine strahlenden oder finsteren Helden, und genau das macht sie authentisch.
RUDOLF VON BITTER
In der Missionsschule der
Kolonisatoren lernt die Erzählerin
die portugiesische Sprache
Mia Couto: Asche
und Sand. Roman.
Der Imani-Zyklus,
Band 2 & 3. Aus
dem Portugiesischen
von Karin von
Schweder-Schreiner.
Unionsverlag, Zürich 2021. 544 Seiten, 26 Euro.
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»Asche und Sand ist ein literarisches Meisterstück. Couto entfacht ein erzählerisches Feuerwerk, das zu Recht mit Gabriel Garcia Márquez' Roman Hundert Jahre Einsamkeit verglichen wird. Man spürt darin die mitreißende Erzählfreude und ist beeindruckt, wie Couto mit den Mythen und der Glaubenswelt der Menschen im einstigen Königreich Gaza verwachsen ist. Eine ergreifende, ja niederschmetternde literarische Geschichte der portugiesischen Kolonisationskriege in Mosambik.« Eva Karnofsky SWR Lesenswert