Ich zögere ein wenig damit, dieses Buch einen Thriller zu nennen. Für mich ist es eher ein düster-atmosphärischer Krimi, der sich auszeichnet durch eine eigenwillige Ermittlerin und einen
oft lyrischen, gelegentlich philosophischen Schreibstil. Aber egal, wie man es nun nennen will, Thriller,
Krimi oder Roman mit Spannungselementen, für mich ist es auf jeden Fall ein lohnendes Buch.
Ein…mehrIch zögere ein wenig damit, dieses Buch einen Thriller zu nennen. Für mich ist es eher ein düster-atmosphärischer Krimi, der sich auszeichnet durch eine eigenwillige Ermittlerin und einen
oft lyrischen, gelegentlich philosophischen Schreibstil. Aber egal, wie man es nun nennen will, Thriller, Krimi oder Roman mit Spannungselementen, für mich ist es auf jeden Fall ein lohnendes Buch.
Ein Roman hat bei mir schon halb gewonnen, wenn er mich nach nur wenigen Seiten aufhorchen lässt - wenn ich da bereits sicher bin, dass das Buch noch lange in mir nachhallen wird, weil es einfach etwas ganz Neues, Unverbrauchtes ist, das ich so noch nie gelesen habe. Und das war bei "Aschenkind" definitiv der Fall. Dabei sind es nicht so sehr die harten Fakten, die Eckpunkte der Handlung, die das Buch zu etwas so Eigenem machen, sondern die Art und Weise, wie sie erzählt werden.
Ich habe mich öfter bei dem Gedanken ertappt, dass die Mordfälle nur die Kulisse sind. Dass es eigentlich um grundlegendere Fragen geht: um menschliche Ängste, Zweifel, Wünsche und moralische Dilemmas. Und dennoch liest sich das nicht langweilig und trocken, sondern durchaus sehr spannend. Nicht nur, weil die Mädchen, die sterben, das nun wirklich nicht verdient hatten und man als Leser will, dass der Mörder wenigstens seine gerechte Strafe bekommt, sondern auch, weil man als Leser nie sicher sein kann, woran man eigentlich ist, wem in dieser Geschichte man trauen kann und wem nicht.
Und diese Unsicherheit liegt zum großen Teil in der Protagonistin begründet: der jungen Lehrerin Leonie, die gerade ihre neue Stelle in einem kleinen Dorf angetreten hat, aber direkt in den ersten Tagen ein totes Mädchen im Feld findet. Und weil sonst niemand in der Lage scheint, das aufzuklären, macht sie sich eben selber daran, auf ihre ganz eigene Art.
Meine ersten Notizen zu Leonie waren: "Todessehnsucht?", "sonderbar!", "Schwermut" und "hochintelligent", und diese Eindrücke haben sich im Laufe des Buches noch verstärkt. Je mehr ich über sie las, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass sie vielleicht auf den ersten Blick erscheint wie eine ganz normale junge Frau in einem ganz normalen angesehenen Beruf, dass diese Normalität aber fast schon eine Art Maske ist.
Zitat:
"Ich bin das schwarze Schaf, nur in der Dunkelheit sehe ich aus wie alle anderen. Jeden Tag warte ich auf sie. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist auch anders herum. "
Die meisten Menschen in diesem Buch werden davon angetrieben, was sie nicht haben, aber verzweifelt haben wollen, auch wenn es ihnen selbst nicht bewusst ist. Leonie ist es bewusst, und ihr ist auch bewusst, wie destruktiv dieses verzweifelte Wollen sein kann.
Sie sieht Dinge anders als andere Menschen, sie bemerkt viel mehr. Sie erfasst die Quintessenz einer Situation, einer Sache, eines Menschen, aber man hat das Gefühl, dass sie nur deswegen so viel sieht, weil sie außerhalb steht, alleine und ungebunden, und daher einen unverfälschten Blick hat. Ihre Einsamkeit wirkte auf mich gleichzeitig ungerührt und zutiefst traurig.
Der Schreibstil ist in meinen Augen außergewöhnlich, mit interessant konstruierten Sätzen und originellen Bildern. Nachdenklich, lyrisch, schwermütig, düster, aber immer mit wunderbarer Sprachmelodie und sehr ästhetisch geschrieben - und vor allem unverwechselbar.
Zitat:
"Angst hat viele Gesichter, aber letztlich bedeutet sie immer nur eines: das Ende. Mit einem Wimpernschlag macht es das, was ist, zu dem, was nicht mehr existiert, und reißt es aus uns heraus. Das ist alles, aber es tut am meisten weh. Ich mache einen Schritt auf [ ihren ] reglosen Körper zu, bis wir einander betrachten. Dann greife ich vorsichtig nach ihrer Hand. Lächle [ sie ] an. Könntest du nicht vielleicht etwas sagen? Nur irgendetwas?"