Chateaubriand reist 1791 nach Amerika, um der Gewalt der Französischen Revolution zu entgehen. Dort entsteht auch Atala, seine von den klassischen Texten der Antike inspirierte Novelle, die 1801 in Frankreich erschien und zu einem großen Erfolg werden sollte. Atala erzählt die Geschichte zweier Liebender, die verfeindeten Indianerstämmen angehören. Chactas und Atala können zusammen fliehen, und sie finden Zuflucht bei einem alten Einsiedler. Doch ihrer Liebe steht ein Gelübde entgegen, das Atala der Mutter gegeben hat.
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Brüllende Krokodile im letzten Tageslicht
Ein Welterfolg des frühen neunzehnten Jahrhunderts in neuer deutscher Übersetzung: Chateaubriands "Atala"
Chateaubriand, man muss es leider sagen, ist hierzulande eher als Bezeichnung eines Fleischgerichts bekannt denn als Schriftsteller. Dabei ist seine Bedeutung für die französische Literatur kaum zu überschätzen, nicht nur, weil er als Begründer der französischen Romantik gilt (und damit recht eigentlich des europäischen Gesamtphänomens dieser ästhetischen Geisteshaltung), sondern mehr noch, weil er weit übers neunzehnte Jahrhundert hinaus Einfluss ausübte, vor allem durch seine zweitausendseitige Autobiographie "Mémoires d'outre tombe", ohne die etwa Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" schwer zu denken wäre - und damit wiederum die ganze moderne Literatur. Dem Werk hat das in Deutschland nicht viel genutzt; nach einer ersten Übersetzung 1849/50, kurz nach der postumen Publikation des französischen Originals, ist es nie mehr vollständig auf Deutsch erschienen. Die jüngst bei Matthes & Seitz neu aufgelegte Übersetzung durch Sigrid von Massenbach, die aus dem Jahr 1968 stammt, könnte unbedarften Lesern durch ihren eindrucksvollen Umfang anderes suggerieren, aber es handelt sich bestenfalls um ein Drittel des Textes; ausgewiesen sind die konkreten Kürzungen nirgendwo in der Ausgabe. Immerhin sind kürzlich bei Hoffmann und Campe die Anfangskapitel zur bretonischen Jugend Chateaubriands in neuer Übersetzung erschienen (F.A.Z. vom 6. März). Und nun gibt Dörlemann das zu Lebzeiten erfolgreichste Buch des 1768 geborenen Autors in neuer Übersetzung heraus: "Atala", eine 1801 erschienene Indianergeschichte.
Als Deutscher denkt man bei diesem Genre sofort an Karl May und völlig zu Recht. Denn auch May ist nicht denkbar ohne Chateaubriand. "Atala" machte in Frankreich sofort Furore, und noch im selben Jahr wurde es auch erstmals übersetzt und blieb danach auf Deutsch präsent, so dass May es lesen konnte. Der Literaturwissenschaftler Rudolf Beissel hat schon 1978 die Ähnlichkeiten zwischen "Atala" und "Winnetou" analysiert, und vor allem im Motiv der Christianisierung eines Wilden finden sich geradezu verblüffende Parallelen. Oder in den Eremitenfiguren. Wobei es bei Chateaubriand - was man kaum glauben mag - im Wilden Westen noch gefühliger zugeht als bei seinem deutschen Nachfolger. Man möchte Cornelia Hasting, die wunderbare Flaubert-Übersetzerin, um ihre Arbeit an diesem arg zeitgebundenen Stück Prosa nicht beneiden.
Andererseits trifft sie den literarischen Tonfall der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert großartig - es ist ja auch in der deutschen Literatur eine Sattelzeit, und deshalb ist uns so vertraut, was wir lesen, eben nicht nur durch Karl May, sondern auch durch E. T. A. Hoffmann, Novalis oder die Schlegels, wenn auch keinem von ihnen ein Satz wie "In diesem Augenblick begannen die Krokodile im Sonnenuntergang zu brüllen" unterlaufen ist. Chateaubriand war wie May nie an den wichtigsten Schauplätzen seines Romans (Florida, der Mississippi), wobei er immerhin als adeliger Exilant der Französischen Revolution 1791 die Neuenglandstaaten bereist und dabei die Niagarafälle besichtigt hatte, die die Kulisse fürs Finale bieten.
In seinen "Erinnerungen von jenseits des Grabes" suggeriert Chateaubriand allerdings größte persönliche Vertrautheit mit dem Geschehen seines Romans - bis hin zum Kontakt mit schönen eingeborenen Christinnen -, und tatsächlich wurde "Atala" auch als autobiographische Bekenntnisschrift gelesen, denn mit der Figur des René, dem die ganze Geschichte um die junge Indianerin Atala von einem alten Indianer erzählt wird, malte der Verfasser ein literarisches Selbstporträt (sein Vorname war François-René). Dass er dieses partout später noch in den eigenen Memoiren beglaubigen wollte, zeigt nur, wie unbrauchbar die "Erinnerungen" als historische Quelle sind. Aber umso literarisch reizvoller sind sie.
"Atala" selbst dagegen ist ein Kuriosum, das man erst einmal weniger mit Spannung als mit Staunen über seine Antiquiertheit liest. Doch dann auch mit Freude über dramatische Emphase und literarische Reminiszenzen: ",Was?', fuhr ich mit Grauen fort. ,Ein Gift!', sagte der Mönch. ,Es ist in meinem Leib', rief Atala." Mehr "Hamlet" geht kaum. Und das macht dann so viel Spaß in der Kolportage, dass die Unzeitgemäßheit doch keine Rolle mehr spielt. Denn Vergnügen ist zeitlos.
ANDREAS PLATTHAUS
François-René de Chateaubriand: "Atala".
Roman.
Aus dem Französischen
von Cornelia Hasting.
Dörlemann Verlag, Zürich 2018. 192 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Welterfolg des frühen neunzehnten Jahrhunderts in neuer deutscher Übersetzung: Chateaubriands "Atala"
Chateaubriand, man muss es leider sagen, ist hierzulande eher als Bezeichnung eines Fleischgerichts bekannt denn als Schriftsteller. Dabei ist seine Bedeutung für die französische Literatur kaum zu überschätzen, nicht nur, weil er als Begründer der französischen Romantik gilt (und damit recht eigentlich des europäischen Gesamtphänomens dieser ästhetischen Geisteshaltung), sondern mehr noch, weil er weit übers neunzehnte Jahrhundert hinaus Einfluss ausübte, vor allem durch seine zweitausendseitige Autobiographie "Mémoires d'outre tombe", ohne die etwa Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" schwer zu denken wäre - und damit wiederum die ganze moderne Literatur. Dem Werk hat das in Deutschland nicht viel genutzt; nach einer ersten Übersetzung 1849/50, kurz nach der postumen Publikation des französischen Originals, ist es nie mehr vollständig auf Deutsch erschienen. Die jüngst bei Matthes & Seitz neu aufgelegte Übersetzung durch Sigrid von Massenbach, die aus dem Jahr 1968 stammt, könnte unbedarften Lesern durch ihren eindrucksvollen Umfang anderes suggerieren, aber es handelt sich bestenfalls um ein Drittel des Textes; ausgewiesen sind die konkreten Kürzungen nirgendwo in der Ausgabe. Immerhin sind kürzlich bei Hoffmann und Campe die Anfangskapitel zur bretonischen Jugend Chateaubriands in neuer Übersetzung erschienen (F.A.Z. vom 6. März). Und nun gibt Dörlemann das zu Lebzeiten erfolgreichste Buch des 1768 geborenen Autors in neuer Übersetzung heraus: "Atala", eine 1801 erschienene Indianergeschichte.
Als Deutscher denkt man bei diesem Genre sofort an Karl May und völlig zu Recht. Denn auch May ist nicht denkbar ohne Chateaubriand. "Atala" machte in Frankreich sofort Furore, und noch im selben Jahr wurde es auch erstmals übersetzt und blieb danach auf Deutsch präsent, so dass May es lesen konnte. Der Literaturwissenschaftler Rudolf Beissel hat schon 1978 die Ähnlichkeiten zwischen "Atala" und "Winnetou" analysiert, und vor allem im Motiv der Christianisierung eines Wilden finden sich geradezu verblüffende Parallelen. Oder in den Eremitenfiguren. Wobei es bei Chateaubriand - was man kaum glauben mag - im Wilden Westen noch gefühliger zugeht als bei seinem deutschen Nachfolger. Man möchte Cornelia Hasting, die wunderbare Flaubert-Übersetzerin, um ihre Arbeit an diesem arg zeitgebundenen Stück Prosa nicht beneiden.
Andererseits trifft sie den literarischen Tonfall der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert großartig - es ist ja auch in der deutschen Literatur eine Sattelzeit, und deshalb ist uns so vertraut, was wir lesen, eben nicht nur durch Karl May, sondern auch durch E. T. A. Hoffmann, Novalis oder die Schlegels, wenn auch keinem von ihnen ein Satz wie "In diesem Augenblick begannen die Krokodile im Sonnenuntergang zu brüllen" unterlaufen ist. Chateaubriand war wie May nie an den wichtigsten Schauplätzen seines Romans (Florida, der Mississippi), wobei er immerhin als adeliger Exilant der Französischen Revolution 1791 die Neuenglandstaaten bereist und dabei die Niagarafälle besichtigt hatte, die die Kulisse fürs Finale bieten.
In seinen "Erinnerungen von jenseits des Grabes" suggeriert Chateaubriand allerdings größte persönliche Vertrautheit mit dem Geschehen seines Romans - bis hin zum Kontakt mit schönen eingeborenen Christinnen -, und tatsächlich wurde "Atala" auch als autobiographische Bekenntnisschrift gelesen, denn mit der Figur des René, dem die ganze Geschichte um die junge Indianerin Atala von einem alten Indianer erzählt wird, malte der Verfasser ein literarisches Selbstporträt (sein Vorname war François-René). Dass er dieses partout später noch in den eigenen Memoiren beglaubigen wollte, zeigt nur, wie unbrauchbar die "Erinnerungen" als historische Quelle sind. Aber umso literarisch reizvoller sind sie.
"Atala" selbst dagegen ist ein Kuriosum, das man erst einmal weniger mit Spannung als mit Staunen über seine Antiquiertheit liest. Doch dann auch mit Freude über dramatische Emphase und literarische Reminiszenzen: ",Was?', fuhr ich mit Grauen fort. ,Ein Gift!', sagte der Mönch. ,Es ist in meinem Leib', rief Atala." Mehr "Hamlet" geht kaum. Und das macht dann so viel Spaß in der Kolportage, dass die Unzeitgemäßheit doch keine Rolle mehr spielt. Denn Vergnügen ist zeitlos.
ANDREAS PLATTHAUS
François-René de Chateaubriand: "Atala".
Roman.
Aus dem Französischen
von Cornelia Hasting.
Dörlemann Verlag, Zürich 2018. 192 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main