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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Über die Sitzordnung im Hohen Haus und die Auswirkungen auf die parlamentarische Praxis
In seinem 2014 erschienenen Buch "Klage" beschreibt der Schriftsteller Rainald Goetz, wie man sich auf der Regierungsbank benehmen kann, während andere am Rednerpult stehen. Da gebe es etwa "höfliche Gesichter des inneren Zugeschaltetseins, hinter denen erkennbar autonomes Träumen stattfindet". Es lasse sich aber auch eine "körpersprachliche Gewalttätigkeit" beobachten, die beispielsweise in der Spätphase von Rot-Grün anzutreffen gewesen sei: "gemeinsames Lungern, offensiv, wenn der Gegner redet: Verhöhnungslungern".
Dass solche Verhaltensweisen in einem Plenarsaal im Berliner Fall geradezu demonstrativ wirken, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Regierungsbank im Reichstagsgebäude dem Plenum gegenüber angeordnet ist. Dieses Raumarrangement ist der Einsatzpunkt der Studie "Auf der Bank" von Christoph Schönberger, Professor für Staatsrecht, Staatsphilosophie und Recht der Politik an der Universität zu Köln. Schönberger befasst sich darin mit der Geschichte und Gegenwart der Regierungsbank und verschiedener parlamentarischer Sitzordnungen - und so auch mit politischen Praktiken und demokratischen Kulturen. Der französische Historiker Ernest Lavisse schrieb nach einem Reichstagsbesuch in der Bismarckzeit, dass die Architektur des Plenarsaals eine Einführungsvorlesung in das deutsche Verfassungsrecht sei. Dieser Spur folgt Schönberger: "Die jeweilige Verfassung verdichtet sich vielmehr in diesem Raum und wird dort anschaulich."
Im Plenarsaal mit den leicht elliptisch angeordneten Bänken sitzen die Abgeordneten der Präsidiumsseite gegenüber, auf der auch die Regierung und Vertreterinnen und Vertreter des Bundesrats Platz nehmen. Es gibt freilich viele andere Möglichkeiten, blickt man in die Plenarsäle dieser Welt: Die Plätze können wie im Stuhlkreis oder im Klassenzimmer angeordnet sein, konfrontativ, erhöht oder auch nicht. Dem aus dem Kaiserreich stammenden deutschen Design sei, so Schönbergers zentrale Überlegung, eine Interaktionsschwäche im Verhältnis von Abgeordneten und Regierung eingeschrieben. Beharrlich halte die Bundesrepublik an dieser "überkommenen Plenararchitektur" fest. Die hervorgehobene Randlage der Regierungsmitglieder verhindere einen Dialog mit den Parlamentariern "Auge in Auge", so die unermüdlich vorgetragene These. "Die Topographie der Regierungsplätze ist nicht auf Kommunikation ausgerichtet, sondern allein auf Repräsentation." Ähnlich interaktionsfeindlich sei der Wiener Nationalratssaal. Wer das Rednerpult betritt, um etwa einen Gesetzentwurf zu diskutieren oder die Exekutive zu kritisieren, steht mit dem Rücken zu Präsidium und Regierung. Selbst die hitzigsten Minuten im Deutschen Bundestag sind kein Vergleich zu den Konfrontationen im britischen Unterhaus.
Im ersten Teil "Vom Thron zur Bank" untersucht der Jurist parlamentarische Sitzordnungen und ihre Geschichte in London, Paris, Washington und Berlin. So kann er Entwicklungen darstellen, Vergleiche ziehen, die Spezifika und unterschiedliche Konstellationen von Verfassungssystem und Architektur aufzeigen. Die Regierungsvertreter sitzen gar nicht im Plenarsaal (USA), auf abgesonderten Plätzen (Deutschland) oder unter den Abgeordneten im Plenum (Großbritannien, Frankreich, Spanien, Ungarn). Die Sitzordnung im Halbkreis, die sich am Vorbild von Halbkreistheatern der Antike orientierte, wurde erstmals 1793 in Frankreich erprobt, als die Nationalversammlung ins Théâtre des Tuileries umzog.
Im zweiten Teil "Von Bonn nach Berlin" geht es um die Entwicklung in der Bundesrepublik. "Im Bonner Bundeshaus am Rhein knüpfte man [...] 1949 wie selbstverständlich an das alte Plenardesign des Reichstags an. Auch nach dem Untergang der Monarchie blieb die Regierung so zur Rechten eines unsichtbaren Throns sitzen." Der Plenarsaal im Bonner Bundeshaus "als vermeintliche[m] Provisorium" beherbergte den Bundestag schließlich eine ganze Weile. Die "letzte große Phase der Englandphantasien" hatte in den Sechzigern erneute Debatten über die Sitzordnung hervorgebracht. Der CDU-Politiker Eugen Gerstenmaier, langjähriger Bundestagspräsident, beklagte etwa, dass der Saal "dem Charakter des Hörsaals" folge, "an den wir vom Kindergarten über die Grundschule und die höhere Schule bis zur Universität völlig gewöhnt sind". So habe man eine "echte, gesteigerte Chance der Diskussion" verpasst. Im Sommer 1969 wurde immerhin die Regierungsbank abgesenkt, sodass sie die anderen Plätze nicht mehr zu sehr überragte. 1986 ging es in einen Ersatzplenarsaal, zwei Jahre später begannen die Arbeiten für den sogenannten Behnisch-Bau; dort sollten ab 1992 alle auf einer Höhe im Kreis sitzen. Das blieb ein Intermezzo. 1999 verabschiedete man sich nicht nur von Bonn, sondern auch von der kreisrunden Sitzordnung.
Eindrucksvoll sind besonders Schönbergers Ausführungen über die historische Entwicklung der Sitzordnungen in den verschiedenen Ländern. Denn so erzählt der Autor auch enorm anschaulich von der Geschichte politischer Systeme: Wie verschwand der Thron, wie sortierten sich die anderen Möbelstücke um? Warum war der Platz zur Rechten des Herrschers so bedeutsam? Hier schöpft der Autor aus einer Fülle an Literatur und Quellen, fährt unterhaltsame Anekdoten und aufschlussreiche Querverbindungen auf. Ob nun im Bundestag heftiger diskutiert werden würde, wenn nur die Stühle anders stünden, kann man nicht wissen. Am Ende wirkt die der Sitzordnung zugeschriebene Bedeutung doch überhöht. ISABELL TROMMER
Christoph Schönberger: Auf der Bank. Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments.
C. H. Beck Verlag, München 2022. 282 S., 29,95 Euro.
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"Ein faszinierendes Buch. ... Wenn man dieses Buch gelesen hat, sieht man das Herz der Demokratie mit anderen Augen."
Süddeutsche Zeitung, Johan Schloemann
"Widmet der Regierungsbank ein Buch und hat sich dafür auch die Parlamente anderer Staaten angesehen"
rbb24 Inforadio, Sabina Matthay
"Ein interessanter Ansatz, sich über die Architektur der Gestaltung von Politik zu nähern"
Bayern 2 kulturWelt, Barbara Knopf
"Gründlich recherchiert, klug gedacht, gut lesbar geschrieben"
Deutschlandfunk Kultur, Hans von Trotha
"Wir sollten die Sitzordnung im Bundestag ganz grundsätzlich überdenken, sagt der Staatsrechtler Christoph Schönberger."
WDR 5, Stephanie Rohde
"Erhellendes Buch. ... Seine Untersuchung nähert sich über die räumliche Situation und die physische Position der Parlamentarier und Regierungsvertreter schließlich dem politischen Kern. ... Das Buch von Schönberger erinnert uns nicht zuletzt daran, dass keine Einschaltquote der Welt diese ehrwürdige Institution der Demokratie ersetzen kann."
ZEIT Literaturbeilage, Hannah Bethke
"Eine fundierte Geschichte und Analyse der Bedeutung von Regierungsbänken in den Plenarsälen der Parlamente westlicher Demokratien. ... Spannend zu lesen und zu empfehlen."
Das Parlament, Alexander Weinlein
"Brillante Studie. ... Das Herz der Demokratie jedenfalls sieht man nach der Lektüre dieses Buchs mit anderen Augen"
Süddeutsche Zeitung Die wichtigsten Bücher des Jahres, Robert Probst
"Fährt unterhaltsame Anekdoten und aufschlussreiche Querverbindungen auf."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Isabell Trommer