***Die junge Star-Wissenschaftlerin Anna Frebel: Was die ältesten Sterne über uns und das Universum erzählen*** Mit Mitte zwanzig entdeckte die Astrophysikerin Anna Frebel während ihrer Promotion den ältesten bis dahin bekannten Stern. Seitdem ist sie an den renommiertesten Universitäten als stellare Archäologin den sogenannten metallarmen Sternen auf der Spur. Diese ältesten bekannten Objekte überhaupt geben über die ersten Sterne im Universum und die Entstehung der chemischen Elemente Auskunft - dadurch werden sie ein Schlüssel zum Verständnis des gesamten Universums. In ihrem spannenden Buch gibt Anna Frebel nun klar und verständlich Einblicke in die Wissenschaft der Astronomie und berichtet anschaulich von ihrer konkreten Arbeit mit den Teleskopen in den entlegendsten Gegenden der Welt. Ein faszinierender Blick in die Tiefe des Alls und der Zeit und ein lebensnaher und aktueller Bericht darüber, wie Naturwissenschaft heute betrieben wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2012Der Beat der Sternennächte
Jung, weiblich und ein Star ihrer Zunft: Die deutsche Astronomin Anna Frebel hat einige der ältesten Sterne des Universums entdeckt. In einem Buch zeigt sie nun, wie Wissenschaft heute funktioniert.
Von Jörg Thomann
Es gibt eine Stelle in ihrem Buch, da beschreibt Anna Frebel einen Sonnenuntergang. Einen Sonnenuntergang, wie sie ihn in Chile erlebt hat, am Observatorium Las Campanas, nicht einmal nur, sondern immer wieder. Dann treffen sich die Astronomen, die sonst in den Teleskopgebäuden arbeiten, unter freiem Himmel und verfolgen gemeinsam, wie "sich die ganze Welt langsam, aber sicher erst in gelbes, dann orangefarbenes und schließlich rotes Licht einfärbt", schreibt Frebel; in diesem Moment, einem kurzen Moment nur, "ist jeder von uns ein echter Beobachter". Da klingt ein wenig Wehmut durch.
Denn die Muße, seine Umwelt entspannt zu betrachten, haben im hektischen Alltag nur wenige; und so gern Frebel, wie sie sagt, ihre Umgebung beobachtet - den Himmel, die Natur, die Menschen -, so häufig kommt doch etwas dazwischen. Als Physikprofessorin am Massachusetts Institute of Technology macht Frebel vieles gleichzeitig: Vorlesungen geben, Papiere erstellen, Studenten betreuen; für Kontemplation bleibt wenig Luft. Dass der Satz noch eine zweite Ebene hat, das ahnt, wer Anna Frebels Buch liest. So spürbar leidenschaftlich der laut Verlagsjargon "junge Shooting-Star der Astrophysik" darin seine Arbeit beschreibt, so ernüchternd ist eine Erkenntnis: Selbst die professionellen Erforscher der Sterne sind ganz selten nur noch das, was sich der Laie in seiner wildromantischen Phantasie unter ihnen vorstellen mag - echte Beobachter nämlich.
Weit wichtiger als der Blick gen Himmel ist längst der auf den Computerbildschirm: Hier untersucht Frebel die hochaufgelösten Spektren weit entfernter Sterne und errechnet, in welchen Mengen dort bestimmte chemische Elemente auftauchen. Frebels Arbeitsfelder, die Spektroskopie und die Elementhäufigkeitsanalyse, tragen nicht die prickelndsten Namen, doch sie haben ihr das ermöglicht, wofür sie in ihren Kreisen - und dank ihres Buchs jetzt auch darüber hinaus - bekannt geworden ist: einige der ältesten Sterne im Kosmos entdeckt zu haben. Stellare Archäologin nennt Frebel sich selbst, und das klingt dann wieder ziemlich aufregend.
Um ihr Buch vorzustellen, ist Frebel zurück in ihre Geburtsstadt Berlin gereist; am Abend wird sie einen Vortrag im Naturkundemuseum halten, zuvor empfängt sie den Journalisten im Garten eines noblen Berliner Hotels. Ein wenig nagt der Jetlag an ihr, hungrig aber sei sie nicht, versichert sie der besorgten Frau vom Verlag, und von der Speisekarte des Hotels sage ihr auch gar nichts zu; vielleicht lasse sie sich später hierher eine Pizza liefern, das sollte doch möglich sein?
Konventionen kümmern sie offensichtlich wenig, abgehoben wirkt sie auch nicht; dem Vorschlag der Fotografin, fürs Porträt eine Sternen-Sonnenbrille aufzusetzen, folgt sie begeistert. Fürs Interview setzt sie wieder ihre randlose Brille auf; sie sieht noch jünger aus, als sie es mit ihren 32 Jahren ohnehin ist. Im Gespräch lacht sie viel.
Als fröhliche Wissenschaft begegnet uns auch die Astronomie, wenn Frebel auf den ersten Seiten ihres Buchs das Bildchen einer "Urknall-Limonade" präsentiert, "mit 100 % stellarem H, C und O", wenn das frühe Universum als Suppentopf dargestellt wird und wenn im Weltraum Weiße Zwerge und Rote Riesen auftauchen. Da sieht es so aus, als könne Frebels Plan gelingen, auch Leser ohne astronomische Vorbildung mit auf die Reise durchs All zu nehmen.
Wer aber weiterliest, der droht an seine Grenzen zu stoßen - jedenfalls dann, wenn er einst die Schulfächer Chemie und Physik frühzeitig abwählte. Neben kosmischen Limonadendosen nämlich warten im Buch auf ihn das gefürchtete Periodensystem der Elemente, der CNO-Zyklus, der asymptotische Riesenast, die s-Prozess-Elementsynthese, entartete Neutronen aus der Photodisintegration, die Fraunhofer-K-Linie bei der Wellenlänge von 3933,6 Å, Sterne mit besonderen [[alpha]/Fe]-Überhäufigkeiten, Formeln wie "[A/B] = log10 (NA/NB)Stern - log10 (NA/NB)Sonne" und Sätze wie: "Magnesium besitzt einen wohldefinierten Trend (wenn es auch Ausnahmen gibt), der auf seine immer gleich ablaufende Synthese in Kern-Kollaps-Supernovae zurückgeführt werden kann." Spätestens hier zeigt sich, dass professionell betriebene Astronomie eben nicht jedermanns Sache ist und auch nicht die jeder Frau, sondern dass man schon eine gewisse Neigung, Ausdauer und Talent mitbringen sollte; es muss ja nicht alles gleich in solchem Übermaß vorhanden sein wie bei Anna Frebel.
Dabei hat sie im Grunde nur ihre Hobbys zum Beruf gemacht - als da wären: Physik, Chemie, Kernphysik, Atomphysik, solche Sachen. Nur ein paar ihrer Hobbys, wohlgemerkt, denn in ihrer Schulzeit, die sie in Göttingen verbrachte, interessierte sie sich noch für viele andere Dinge: So entwarf und nähte sie Kleider, und im Rollkunstlaufen wurde sie deutsche Vizemeisterin im Team.
Die Entscheidung für die Astronomie fiel früh. Bei einer Schülertagung hatte sie einen Doktoranden aus Basel kennengelernt, worauf sie an der dortigen Universität ein Praktikum machte, mit 15: "Ich habe das alles aufgesogen wie ein Schwamm." In einem Versuch durfte sie mit Stift und Papier die Hubble-Konstante bestimmen und damit das Alter des Universums, "das fand ich natürlich total toll". Mit 17 schrieb sie in ihrer Schule auf 55 Seiten eine astronomische Facharbeit, Titel: "Auswertung von Farben-Helligkeitsdiagrammen ausgewählter Sternhaufen unter dem Gesichtspunkt der Sternentwicklung". Dank der Hospitanz in Basel "war ich eine der ersten in meiner Schulklasse, die einen E-Mail-Zugang hatten", erzählt sie. Da ihre Klassenkameraden da technologisch nicht mithalten konnten, gab es indes niemanden, dem sie hätte schreiben können.
Die digitale Kluft taugt als Sinnbild dafür, dass es Frebel als Schülerin nicht immer leicht hatte. "Ich habe irgendwann mal den Fehler gemacht und gesagt: Mathe ist doch gar nicht so schwer, man muss es nur richtig erklären", erzählt sie. Das gefiel dem Lehrer nicht, den Mitschülern aber auch nicht. Ein wenig, sagt sie, sei sie damals schon gemobbt worden; sie mag das nicht zu sehr breittreten, es sei ja auch lange her, doch man merkt ihr an, dass sie die Einstellung der anderen noch immer irritiert: "Ich habe das Gefühl, dass man in Deutschland die Sachen zwar sehr gut machen soll, aber dabei sagen soll: ,Ich hab' mich gar nicht angestrengt.' Es wird nicht wirklich wertgeschätzt, dass sich jemand mal richtig reinhängt." Dabei mache es doch Spaß, Dinge gemeinsam anzupacken.
Nur konsequent war es, dass Frebel Deutschland verließ, sobald sie ihr Physikstudium in Freiburg abgeschlossen hatte. Sie promovierte in Australien und ist nach einer Zwischenstation in Texas nun beim renommierten MIT in Cambridge, Massachusetts, gelandet. Von dort reist sie zu den Observatorien dieser Welt, vor allem zu den Magellan-Teleskopen in Chile, wo sie sich bei lauter Musik ("poppige Sachen, die einen schönen Beat haben") die Sternennächte um die Ohren schlägt. Die Plätze am Teleskop sind begehrt, man muss sich lange vorher anmelden und schließlich darauf hoffen, dass es überhaupt etwas zu sehen gibt: "Manchmal reise ich nach Chile, es dauert dreißig Stunden, bis ich auf dem Berg hocke, und dann regnet's. Vier Nächte lang. Dann fahre ich mit leeren Händen wieder nach Hause."
Über mangelnden Erfolg aber kann sich Frebel nicht beklagen. Zwei bemerkenswerte Sterne sind auf immer mit ihrem Namen verbunden, und tatsächlich wird sowohl der eine als auch der andere mitunter als "Frebel-Stern" bezeichnet. Der eine, von ihr entdeckt im Frühjahr 2004, heißt eigentlich HE 1327-2326 und ist der eisenärmste Stern, der bislang gefunden worden ist. Der andere, 2007 datierte Stern namens HE 1523-0901 ist mit seinen 13,2 Milliarden Jahren - das Universum existiert laut Berechnungen seit 13,7 Milliarden Jahren - der älteste bekannte Stern überhaupt.
Jung, weiblich, als Deutsche erfolgreich in Amerika, Entdeckerin des ältesten Sternes: Es ist ein hübscher Haufen von Schlüsselreizen, der bei Frebel zusammenkommt und bei der Vermarktung ihres Buches hilft. Unerwähnt dabei bleibt, weil für Laien wiederum schwer nachzuvollziehen, dass ihr Herz als Wissenschaftlerin gar nicht so sehr für den Sternen-Senior schlägt, sondern mehr für seinen eisenarmen Artgenossen HE 1327-2326: "Der eisenärmste Stern hilft uns, ganz konkret zu gucken: Wie viele Vorgängersterne gab es da? Er ist so eisenarm, dass man im Prinzip weniger als eine Supernova-Explosion braucht, um alle Elemente komplett zu erklären."
Viele von Frebels Kollegen reisen schon gar nicht mehr selbst zu den Teleskopen, sondern lassen sich von den Mitarbeitern dort mit Daten versorgen, die sie dann auswerten. Frebel beobachtet noch selbst, doch auch ihre Hauptarbeit ist die Interpretation von Zahlenwerk - woran sie aber viel Freude hat: "Das ist der Moment, wo Kreativität und Erfahrung ins Spiel kommen: Was macht man mit den ganzen Zahlen, was bedeuten sie für uns?"
Nicht auszuschließen, dass das im Buch ausgebreitete Fachwissen manchen Sternenfreund verschreckt. Darüber hinaus jedoch erzählt Frebel einige Anekdoten aus ihrem Arbeitsleben, um aufzuzeigen, wie Wissenschaft heute gemacht wird. Sie hofft, dass das auf junge Leser inspirierend wirkt. Und selbst wenn sich diese nicht direkt mit den wissenschaftlichen Inhalten auseinandersetzten, glaubt sie, so könnten sie doch aus der Lektüre mitnehmen, "dass sie, wenn sie große Wünsche und Träume haben, auch versuchen sollten, sich diese zu erfüllen".
Anna Frebel ist das gelungen. Sie schwärmt von der Astronomenzunft, die als kleine, glückliche Familie erscheint, welche, obzwar verstreut über die Kontinente, eng zusammenhält, und sie hat sich durchgesetzt in einer extrem von Männern dominierten Branche. Eine Sendung wie "Star Trek", die auch sie als Kind gern sah, sei dagegen schon zu Captain Kirks Zeiten in den Sechzigern "ziemlich fortschrittlich" gewesen, weil mit Lieutenant Uhura eine Frau, noch dazu eine Afroamerikanerin, in wichtiger Position an Bord der Enterprise war: "Eine solche Frauenquote gibt's in den höchsten Rängen der Wissenschaft, glaube ich, bis heute eher selten. Meist ist sie geringer."
Und blickt sie, die Sternendeuterin, auch in normalen Nächten manchmal hoch zum Himmel? Das tut sie, "nur sieht man leider entweder nur Wolken oder Dunst oder Farben von den Straßenlaternen". Die städtische "Lichtverschmutzung" ist für sie "ein großes Problem, nicht nur für Astronomen, sondern zum Beispiel auch für Zugvögel". Sie achtet darauf, nirgendwo unnötiges Licht brennen zu lassen, und sie versteht nicht, wieso sich viele Menschen vor der Dunkelheit fürchten. "Die Dunkelheit ist etwas ganz Tolles, da kann man abschalten, loslassen, tief durchatmen. Die Welt guckt einen ja den ganzen Tag über an."
Nicht wenige Physiker sind in ihren späten Jahren zu Philosophen geworden - nicht zuletzt weil sie erkannten, die großen Fragen des Daseins doch nicht klären zu können. "Wenn ich zu viel über 13 Milliarden Jahre nachdenke, platzt mir auch der Kopf", sagt Frebel, die aber noch fern davon ist, Zuflucht in der Philosophie zu suchen. Die Forschung, ist sie sicher, werde in den kommenden Jahren noch viele Antworten liefern: "Vielleicht bin ich noch nicht ganz bereit dazu, die Antworten woanders zu suchen." Und dann wird sie doch ein bisschen philosophisch: "Was wir alle tun sollten, ist über die Welt zu staunen, darüber, wie sich alles zusammenfügt wie ein Uhrwerk." Mit ihrer Arbeit könne sie vielleicht dazu beitragen, ein paar kleine Teilchen dieser Uhr stärker zu erleuchten, aber "das Universum in seiner ganzen Schönheit" sei auch von ihr nicht leicht zu erfassen, sagt sie. Und fügt hinzu: "Aber ich kann es genießen."
Anna Frebels Buch "Auf der Suche nach den ältesten Sternen" ist erschienen im Verlag S. Fischer. 352 S., geb., 19,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jung, weiblich und ein Star ihrer Zunft: Die deutsche Astronomin Anna Frebel hat einige der ältesten Sterne des Universums entdeckt. In einem Buch zeigt sie nun, wie Wissenschaft heute funktioniert.
Von Jörg Thomann
Es gibt eine Stelle in ihrem Buch, da beschreibt Anna Frebel einen Sonnenuntergang. Einen Sonnenuntergang, wie sie ihn in Chile erlebt hat, am Observatorium Las Campanas, nicht einmal nur, sondern immer wieder. Dann treffen sich die Astronomen, die sonst in den Teleskopgebäuden arbeiten, unter freiem Himmel und verfolgen gemeinsam, wie "sich die ganze Welt langsam, aber sicher erst in gelbes, dann orangefarbenes und schließlich rotes Licht einfärbt", schreibt Frebel; in diesem Moment, einem kurzen Moment nur, "ist jeder von uns ein echter Beobachter". Da klingt ein wenig Wehmut durch.
Denn die Muße, seine Umwelt entspannt zu betrachten, haben im hektischen Alltag nur wenige; und so gern Frebel, wie sie sagt, ihre Umgebung beobachtet - den Himmel, die Natur, die Menschen -, so häufig kommt doch etwas dazwischen. Als Physikprofessorin am Massachusetts Institute of Technology macht Frebel vieles gleichzeitig: Vorlesungen geben, Papiere erstellen, Studenten betreuen; für Kontemplation bleibt wenig Luft. Dass der Satz noch eine zweite Ebene hat, das ahnt, wer Anna Frebels Buch liest. So spürbar leidenschaftlich der laut Verlagsjargon "junge Shooting-Star der Astrophysik" darin seine Arbeit beschreibt, so ernüchternd ist eine Erkenntnis: Selbst die professionellen Erforscher der Sterne sind ganz selten nur noch das, was sich der Laie in seiner wildromantischen Phantasie unter ihnen vorstellen mag - echte Beobachter nämlich.
Weit wichtiger als der Blick gen Himmel ist längst der auf den Computerbildschirm: Hier untersucht Frebel die hochaufgelösten Spektren weit entfernter Sterne und errechnet, in welchen Mengen dort bestimmte chemische Elemente auftauchen. Frebels Arbeitsfelder, die Spektroskopie und die Elementhäufigkeitsanalyse, tragen nicht die prickelndsten Namen, doch sie haben ihr das ermöglicht, wofür sie in ihren Kreisen - und dank ihres Buchs jetzt auch darüber hinaus - bekannt geworden ist: einige der ältesten Sterne im Kosmos entdeckt zu haben. Stellare Archäologin nennt Frebel sich selbst, und das klingt dann wieder ziemlich aufregend.
Um ihr Buch vorzustellen, ist Frebel zurück in ihre Geburtsstadt Berlin gereist; am Abend wird sie einen Vortrag im Naturkundemuseum halten, zuvor empfängt sie den Journalisten im Garten eines noblen Berliner Hotels. Ein wenig nagt der Jetlag an ihr, hungrig aber sei sie nicht, versichert sie der besorgten Frau vom Verlag, und von der Speisekarte des Hotels sage ihr auch gar nichts zu; vielleicht lasse sie sich später hierher eine Pizza liefern, das sollte doch möglich sein?
Konventionen kümmern sie offensichtlich wenig, abgehoben wirkt sie auch nicht; dem Vorschlag der Fotografin, fürs Porträt eine Sternen-Sonnenbrille aufzusetzen, folgt sie begeistert. Fürs Interview setzt sie wieder ihre randlose Brille auf; sie sieht noch jünger aus, als sie es mit ihren 32 Jahren ohnehin ist. Im Gespräch lacht sie viel.
Als fröhliche Wissenschaft begegnet uns auch die Astronomie, wenn Frebel auf den ersten Seiten ihres Buchs das Bildchen einer "Urknall-Limonade" präsentiert, "mit 100 % stellarem H, C und O", wenn das frühe Universum als Suppentopf dargestellt wird und wenn im Weltraum Weiße Zwerge und Rote Riesen auftauchen. Da sieht es so aus, als könne Frebels Plan gelingen, auch Leser ohne astronomische Vorbildung mit auf die Reise durchs All zu nehmen.
Wer aber weiterliest, der droht an seine Grenzen zu stoßen - jedenfalls dann, wenn er einst die Schulfächer Chemie und Physik frühzeitig abwählte. Neben kosmischen Limonadendosen nämlich warten im Buch auf ihn das gefürchtete Periodensystem der Elemente, der CNO-Zyklus, der asymptotische Riesenast, die s-Prozess-Elementsynthese, entartete Neutronen aus der Photodisintegration, die Fraunhofer-K-Linie bei der Wellenlänge von 3933,6 Å, Sterne mit besonderen [[alpha]/Fe]-Überhäufigkeiten, Formeln wie "[A/B] = log10 (NA/NB)Stern - log10 (NA/NB)Sonne" und Sätze wie: "Magnesium besitzt einen wohldefinierten Trend (wenn es auch Ausnahmen gibt), der auf seine immer gleich ablaufende Synthese in Kern-Kollaps-Supernovae zurückgeführt werden kann." Spätestens hier zeigt sich, dass professionell betriebene Astronomie eben nicht jedermanns Sache ist und auch nicht die jeder Frau, sondern dass man schon eine gewisse Neigung, Ausdauer und Talent mitbringen sollte; es muss ja nicht alles gleich in solchem Übermaß vorhanden sein wie bei Anna Frebel.
Dabei hat sie im Grunde nur ihre Hobbys zum Beruf gemacht - als da wären: Physik, Chemie, Kernphysik, Atomphysik, solche Sachen. Nur ein paar ihrer Hobbys, wohlgemerkt, denn in ihrer Schulzeit, die sie in Göttingen verbrachte, interessierte sie sich noch für viele andere Dinge: So entwarf und nähte sie Kleider, und im Rollkunstlaufen wurde sie deutsche Vizemeisterin im Team.
Die Entscheidung für die Astronomie fiel früh. Bei einer Schülertagung hatte sie einen Doktoranden aus Basel kennengelernt, worauf sie an der dortigen Universität ein Praktikum machte, mit 15: "Ich habe das alles aufgesogen wie ein Schwamm." In einem Versuch durfte sie mit Stift und Papier die Hubble-Konstante bestimmen und damit das Alter des Universums, "das fand ich natürlich total toll". Mit 17 schrieb sie in ihrer Schule auf 55 Seiten eine astronomische Facharbeit, Titel: "Auswertung von Farben-Helligkeitsdiagrammen ausgewählter Sternhaufen unter dem Gesichtspunkt der Sternentwicklung". Dank der Hospitanz in Basel "war ich eine der ersten in meiner Schulklasse, die einen E-Mail-Zugang hatten", erzählt sie. Da ihre Klassenkameraden da technologisch nicht mithalten konnten, gab es indes niemanden, dem sie hätte schreiben können.
Die digitale Kluft taugt als Sinnbild dafür, dass es Frebel als Schülerin nicht immer leicht hatte. "Ich habe irgendwann mal den Fehler gemacht und gesagt: Mathe ist doch gar nicht so schwer, man muss es nur richtig erklären", erzählt sie. Das gefiel dem Lehrer nicht, den Mitschülern aber auch nicht. Ein wenig, sagt sie, sei sie damals schon gemobbt worden; sie mag das nicht zu sehr breittreten, es sei ja auch lange her, doch man merkt ihr an, dass sie die Einstellung der anderen noch immer irritiert: "Ich habe das Gefühl, dass man in Deutschland die Sachen zwar sehr gut machen soll, aber dabei sagen soll: ,Ich hab' mich gar nicht angestrengt.' Es wird nicht wirklich wertgeschätzt, dass sich jemand mal richtig reinhängt." Dabei mache es doch Spaß, Dinge gemeinsam anzupacken.
Nur konsequent war es, dass Frebel Deutschland verließ, sobald sie ihr Physikstudium in Freiburg abgeschlossen hatte. Sie promovierte in Australien und ist nach einer Zwischenstation in Texas nun beim renommierten MIT in Cambridge, Massachusetts, gelandet. Von dort reist sie zu den Observatorien dieser Welt, vor allem zu den Magellan-Teleskopen in Chile, wo sie sich bei lauter Musik ("poppige Sachen, die einen schönen Beat haben") die Sternennächte um die Ohren schlägt. Die Plätze am Teleskop sind begehrt, man muss sich lange vorher anmelden und schließlich darauf hoffen, dass es überhaupt etwas zu sehen gibt: "Manchmal reise ich nach Chile, es dauert dreißig Stunden, bis ich auf dem Berg hocke, und dann regnet's. Vier Nächte lang. Dann fahre ich mit leeren Händen wieder nach Hause."
Über mangelnden Erfolg aber kann sich Frebel nicht beklagen. Zwei bemerkenswerte Sterne sind auf immer mit ihrem Namen verbunden, und tatsächlich wird sowohl der eine als auch der andere mitunter als "Frebel-Stern" bezeichnet. Der eine, von ihr entdeckt im Frühjahr 2004, heißt eigentlich HE 1327-2326 und ist der eisenärmste Stern, der bislang gefunden worden ist. Der andere, 2007 datierte Stern namens HE 1523-0901 ist mit seinen 13,2 Milliarden Jahren - das Universum existiert laut Berechnungen seit 13,7 Milliarden Jahren - der älteste bekannte Stern überhaupt.
Jung, weiblich, als Deutsche erfolgreich in Amerika, Entdeckerin des ältesten Sternes: Es ist ein hübscher Haufen von Schlüsselreizen, der bei Frebel zusammenkommt und bei der Vermarktung ihres Buches hilft. Unerwähnt dabei bleibt, weil für Laien wiederum schwer nachzuvollziehen, dass ihr Herz als Wissenschaftlerin gar nicht so sehr für den Sternen-Senior schlägt, sondern mehr für seinen eisenarmen Artgenossen HE 1327-2326: "Der eisenärmste Stern hilft uns, ganz konkret zu gucken: Wie viele Vorgängersterne gab es da? Er ist so eisenarm, dass man im Prinzip weniger als eine Supernova-Explosion braucht, um alle Elemente komplett zu erklären."
Viele von Frebels Kollegen reisen schon gar nicht mehr selbst zu den Teleskopen, sondern lassen sich von den Mitarbeitern dort mit Daten versorgen, die sie dann auswerten. Frebel beobachtet noch selbst, doch auch ihre Hauptarbeit ist die Interpretation von Zahlenwerk - woran sie aber viel Freude hat: "Das ist der Moment, wo Kreativität und Erfahrung ins Spiel kommen: Was macht man mit den ganzen Zahlen, was bedeuten sie für uns?"
Nicht auszuschließen, dass das im Buch ausgebreitete Fachwissen manchen Sternenfreund verschreckt. Darüber hinaus jedoch erzählt Frebel einige Anekdoten aus ihrem Arbeitsleben, um aufzuzeigen, wie Wissenschaft heute gemacht wird. Sie hofft, dass das auf junge Leser inspirierend wirkt. Und selbst wenn sich diese nicht direkt mit den wissenschaftlichen Inhalten auseinandersetzten, glaubt sie, so könnten sie doch aus der Lektüre mitnehmen, "dass sie, wenn sie große Wünsche und Träume haben, auch versuchen sollten, sich diese zu erfüllen".
Anna Frebel ist das gelungen. Sie schwärmt von der Astronomenzunft, die als kleine, glückliche Familie erscheint, welche, obzwar verstreut über die Kontinente, eng zusammenhält, und sie hat sich durchgesetzt in einer extrem von Männern dominierten Branche. Eine Sendung wie "Star Trek", die auch sie als Kind gern sah, sei dagegen schon zu Captain Kirks Zeiten in den Sechzigern "ziemlich fortschrittlich" gewesen, weil mit Lieutenant Uhura eine Frau, noch dazu eine Afroamerikanerin, in wichtiger Position an Bord der Enterprise war: "Eine solche Frauenquote gibt's in den höchsten Rängen der Wissenschaft, glaube ich, bis heute eher selten. Meist ist sie geringer."
Und blickt sie, die Sternendeuterin, auch in normalen Nächten manchmal hoch zum Himmel? Das tut sie, "nur sieht man leider entweder nur Wolken oder Dunst oder Farben von den Straßenlaternen". Die städtische "Lichtverschmutzung" ist für sie "ein großes Problem, nicht nur für Astronomen, sondern zum Beispiel auch für Zugvögel". Sie achtet darauf, nirgendwo unnötiges Licht brennen zu lassen, und sie versteht nicht, wieso sich viele Menschen vor der Dunkelheit fürchten. "Die Dunkelheit ist etwas ganz Tolles, da kann man abschalten, loslassen, tief durchatmen. Die Welt guckt einen ja den ganzen Tag über an."
Nicht wenige Physiker sind in ihren späten Jahren zu Philosophen geworden - nicht zuletzt weil sie erkannten, die großen Fragen des Daseins doch nicht klären zu können. "Wenn ich zu viel über 13 Milliarden Jahre nachdenke, platzt mir auch der Kopf", sagt Frebel, die aber noch fern davon ist, Zuflucht in der Philosophie zu suchen. Die Forschung, ist sie sicher, werde in den kommenden Jahren noch viele Antworten liefern: "Vielleicht bin ich noch nicht ganz bereit dazu, die Antworten woanders zu suchen." Und dann wird sie doch ein bisschen philosophisch: "Was wir alle tun sollten, ist über die Welt zu staunen, darüber, wie sich alles zusammenfügt wie ein Uhrwerk." Mit ihrer Arbeit könne sie vielleicht dazu beitragen, ein paar kleine Teilchen dieser Uhr stärker zu erleuchten, aber "das Universum in seiner ganzen Schönheit" sei auch von ihr nicht leicht zu erfassen, sagt sie. Und fügt hinzu: "Aber ich kann es genießen."
Anna Frebels Buch "Auf der Suche nach den ältesten Sternen" ist erschienen im Verlag S. Fischer. 352 S., geb., 19,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anna Frebel ist nicht nur eine genaue und vorurteilsfreie Beobachterin des Alls, sie weiß darüber auch fesselnd zu schreiben. Deutsche Business Vogue 201210