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Ein Jugendroman rettet weggeworfene Lebensmittel
Es beginnt mit einem Umzug und endet mit einem zweiten: Die Youtuberin Merle zieht in die Dachgeschoss-WG des Hauses, in dem der Schüler Joel wohnt, der der hinreißenden jungen Frau bereitwillig beim Kartonschleppen hilft. Am Schluss des Romans "Auf der Tonnenseite des Lebens" zieht Merle wieder aus. Dass Joel diesmal mit einem breiten Grinsen und, ohne die Finger zu rühren, an Merle und ihren Kartons vorbeigeht, liegt an den Monaten dazwischen: Merle hatte Joel bezirzt, für ihren Videoblog eingespannt und ihn immer weiter manipuliert, bis es zum Knall gekommen war. Dass sie nun das Haus verlässt, bedauert niemand - auch nicht ihre Mitbewohner, die ebenfalls an ihren Videos mitgewirkt hatten.
Diese Konstellation - schillernde Influencerin, idealistischer Schüler, außerdem Aussteiger und Elendsgestalten in vielen Schattierungen - bildet den einen Pol in Antje Lesers Roman, der andere ist die aktuelle Diskussion ums "Containern", das Einsammeln von Lebensmitteln aus den Abfalltonnen der Supermärkte: strafbar, geduldet oder im Sinne der Klimadebatte sogar geboten? Merle schickt Joel los, damit der vor Ort recherchiert, und mit ihm lernt der Leser diejenigen kennen, die aus Überzeugung oder aus Not regelmäßig die Tonnen aufsuchen. Nebenbei erfährt man, welche Aggressionen das auslösen kann, wie ein Supermarktleiter Kopfprämien auf die Elendsgestalten aussetzt oder wie Glasscherben in die Abfälle gemischt werden, damit die Lebensmittel auch wirklich im Müll bleiben.
Von den aktuellen Vorstößen in der Politik, das Containern nicht mehr mit Strafen zu belegen, weiß der Roman noch nichts, aber die Obrigkeiten sind hier überraschend einsichtig. Und wenn das Buch auch angestrengt jugendsprachlich erzählt ist, was es wohl schon in wenigen Jahren ziemlich altmodisch aussehen lassen wird, ist es doch durchaus differenziert, was die Figuren angeht - nur wenige von ihnen sind eindeutig, und die jungen Konsumverweigerer sind darin eher pragmatisch als konsequent.
Vor allem aber lässt die Autorin ihren Icherzähler Joel nicht zum absoluten Parteigänger der einen oder der anderen Seite werden. Insofern lässt die spannende Handlung Raum genug, jede Position zu überdenken, die hier geäußert wird. Dass Joel aus alldem so glänzend herauskommt, wird man der Autorin nicht verdenken. TILMAN SPRECKELSEN
Antje Leser: "Auf der Tonnenseite des Lebens". Roman.
Magellan Verlag, Bamberg 2022. 272 S., geb., 18,- Euro. Ab 12 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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