Aus einer abgelegenen Villa in Vermont, USA, wird ein Safe gestohlen, der dummerweise der Russenmafia gehört. Sheriff Wing will das Verbrechen aufklären, bevor die Russen den Dieb erwischen. Das bedeutet eine harte Probe für seine oberste Regel: Im Wettlauf gegen die Zeit ist die wichtigste Fähigkeit Geduld. Deputy Keen, der an Wings Stelle Sheriff werden will, sieht das völlig anders und verspricht, hart durchzugreifen. Erneut zeigt sich Castle Freeman als Meister des Dialogs, des trockenen Humors und der Inszenierung knorriger Provinzcharaktere. In seinem neuen Thriller verbindet er Spannung mit Menschenkenntnis und überzeugender Lebensklugheit.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2017Ein Sheriff muss nicht
der Schlaueste sein
Castle Freeman rettet Vermont „Auf die sanfte Tour“
Bei allem Wettstreit um den „Großen Amerikanischen Roman“ lebt ein guter Teil der Literatur der USA doch aus einer regionalen Beschränkung heraus, wobei Regionalismus durchaus ein Synonym von Realismus sein kann. Die Jagd nach „Moby Dick“ umspannte die ganze Erde, aber Start- und nicht mehr erreichter Zielpunkt der „Pequod“ war Nantuckett. John Steinbecks kalifornische „Cannery Row“-Trilogie schlug den Bogen vom Schelmenroman zum Heldenepos. In Mark Twains „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ gab es einen Muff Potter aber auch einen Indianer-Joe, gab es Provinzkomödie und Country Noir.
So geht es auch in den Romanen des 1944 in Texas geborenen Castle Freeman zu. In Chicago aufgewachsen, zog er mit seiner Frau 1972 nach Vermont. Neben seiner Arbeit als Redakteur und Lektor begann er selbst zu schreiben; unter anderem Beiträge für „The Old Farmer’s Almanac“, von dessen Titel man sich an die Tradition der Kalendergeschichten erinnern lassen darf. Außergewöhnliche, bisweilen groteske Ereignisse werfen hier erhellende Schlaglichter auf das gewöhnliche Leben. Ging es im 2008 erschienenen und 2016 übersetzten Roman „Go With Me“(„Männer mit Erfahrung“) darum, eine junge Frau vor dem finsteren Pendant eines Indianer-Joe zu retten, so muss der Erzähler von „Auf die sanfte Tour“ verhindern, dass die Russenmafia seinen Heimatstaat Vermont in ein zweites Tschetschenien verwandelt. Schuld daran ist der Taugenichts und Herzensbrecher Sean „Superboy“ Duke, der aus einer protzigen Villa einen Tresor mit brisantem Inhalt entwendet hat.
Davon weiß der Leser zunächst nichts, er rätselt darüber, warum der Ich-Erzähler Sheriff Wing annimmt, er könne seine angespannte häusliche Stimmung dadurch aufhellen, dass er sich selbst als „Macker“ bezeichnet. Im amerikanischen Original glaubt die Frau des Sheriffs aus einer rauschenden Funkmeldung den Ausdruck „new male“ herausgehört zu haben und reagiert gewohnt skeptisch, als ihr Mann dies auf sich bezieht. Tatsächlich aber hat der Trooper am anderen Ende der Leitung einen „nude male“ gemeldet, also eine nackte männliche Person, aus der in der Übersetzung ein „Nackter“ geworden ist, um das Wortspiel dann mithilfe des „Mackers“ halbwegs ins Deutsche hinüberzuretten. Solche simplen Ausdrücke wären dem Premium-Polizisten Trooper Timberlake nie über die Lippen gekommen. Und das ist nur der erste von einigen sprachlichen Stolpersteinen, die sich einer Übersetzung ins Deutsche in den Weg stellen.
Freemans Ich-Erzähler gibt sich zwar vordergründig als schlichtes Gemüt, spricht aber auf seine Art durchaus elaboriert und ironisch. Warum er Superboys zeitweilige Favoritin „Schätzchen der Studentenverbindung“ tituliert, obwohl ihr alles Akademische allein schon räumlich fern ist, leuchtet einem erst ein, wenn man weiß, dass „The Sweetheart of Sigma Chi“ einst ein populäres Studentenlied war. Mit ein paar Fußnoten ließen sich solche Steine aus dem Weg räumen und damit an Dirk van Gunsterens glänzende Übersetzung des Vorgängerbandes anknüpfen.
Hinter der provinziellen Gauner- und Ehekomödie nämlich tut sich eine Philosophie des Lebens und Lebenlassens auf, die diesmal nicht, wie im Vorgängerroman, von einem Chor der Alteingesessenen, sondern von Sheriff Wing entfaltet wird. Wing ist der Meisterschüler seines Vorgängers Sheriff Wingate, der in „Männer mit Erfahrung“ eine Konzeption des „Sheriffing“ vertrat, die an das chinesische Prinzip des Handelns durch Nichthandeln erinnert. „Let things happen“, lautet eine seiner Maximen, was angesichts eines drohenden Showdowns zwischen Superboy und Russenmafia strenge Selbstbeherrschung erfordert, womit Wing freilich die exekutive Ungeduld seines ambitionierten Hilfssheriffs Lyle anstachelt. „Sheriffsein“ nämlich ist ein Wahlamt, und Lyle sieht den Russenfall als archimedischen Punkt, von dem aus er den in sich ruhenden Wing aus dem Amt hebeln will.
Wing sieht dessen Ehrgeiz nicht ohne Beunruhigung, doch er ahnt, dass Lyle am Ende gerade über jenen Hebel fallen könnte. Schließlich weiß er, dass die Wähler einen fähigen Sheriff wollen, aber keinen allzu fähigen, der ihnen am Ende gar lästig fallen könnte: „Beim Sheriffsein geht es nicht darum, allen Leuten zu beweisen, dass man der Schlaueste im Raum ist. Man hat einen Job zu erledigen, und manchmal erledigt man ihn besser, wenn man den Eindruck vermittelt, man wäre ein wenig unterbelichteter, als man in Wirklichkeit ist“, lautet eine weitere Maxime.
Auch wenn Wing bisweilen gerade diesen Rat allzu sehr zu beherzigen scheint, darf man „Auf die sanfte Tour“ doch als eines jener kleinen, feinen Bücher empfehlen, in denen am Ende die Weisheit über den Wahn vermeintlich unbegrenzter Möglichkeiten siegt.
ULRICH BARON
Castle Freeman: Auf die sanfte Tour. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2017. 192 Seiten, 19 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Neu oder nackt? Bei der
Übersetzung stehen sprachliche
Stolpersteine im Weg
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der Schlaueste sein
Castle Freeman rettet Vermont „Auf die sanfte Tour“
Bei allem Wettstreit um den „Großen Amerikanischen Roman“ lebt ein guter Teil der Literatur der USA doch aus einer regionalen Beschränkung heraus, wobei Regionalismus durchaus ein Synonym von Realismus sein kann. Die Jagd nach „Moby Dick“ umspannte die ganze Erde, aber Start- und nicht mehr erreichter Zielpunkt der „Pequod“ war Nantuckett. John Steinbecks kalifornische „Cannery Row“-Trilogie schlug den Bogen vom Schelmenroman zum Heldenepos. In Mark Twains „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ gab es einen Muff Potter aber auch einen Indianer-Joe, gab es Provinzkomödie und Country Noir.
So geht es auch in den Romanen des 1944 in Texas geborenen Castle Freeman zu. In Chicago aufgewachsen, zog er mit seiner Frau 1972 nach Vermont. Neben seiner Arbeit als Redakteur und Lektor begann er selbst zu schreiben; unter anderem Beiträge für „The Old Farmer’s Almanac“, von dessen Titel man sich an die Tradition der Kalendergeschichten erinnern lassen darf. Außergewöhnliche, bisweilen groteske Ereignisse werfen hier erhellende Schlaglichter auf das gewöhnliche Leben. Ging es im 2008 erschienenen und 2016 übersetzten Roman „Go With Me“(„Männer mit Erfahrung“) darum, eine junge Frau vor dem finsteren Pendant eines Indianer-Joe zu retten, so muss der Erzähler von „Auf die sanfte Tour“ verhindern, dass die Russenmafia seinen Heimatstaat Vermont in ein zweites Tschetschenien verwandelt. Schuld daran ist der Taugenichts und Herzensbrecher Sean „Superboy“ Duke, der aus einer protzigen Villa einen Tresor mit brisantem Inhalt entwendet hat.
Davon weiß der Leser zunächst nichts, er rätselt darüber, warum der Ich-Erzähler Sheriff Wing annimmt, er könne seine angespannte häusliche Stimmung dadurch aufhellen, dass er sich selbst als „Macker“ bezeichnet. Im amerikanischen Original glaubt die Frau des Sheriffs aus einer rauschenden Funkmeldung den Ausdruck „new male“ herausgehört zu haben und reagiert gewohnt skeptisch, als ihr Mann dies auf sich bezieht. Tatsächlich aber hat der Trooper am anderen Ende der Leitung einen „nude male“ gemeldet, also eine nackte männliche Person, aus der in der Übersetzung ein „Nackter“ geworden ist, um das Wortspiel dann mithilfe des „Mackers“ halbwegs ins Deutsche hinüberzuretten. Solche simplen Ausdrücke wären dem Premium-Polizisten Trooper Timberlake nie über die Lippen gekommen. Und das ist nur der erste von einigen sprachlichen Stolpersteinen, die sich einer Übersetzung ins Deutsche in den Weg stellen.
Freemans Ich-Erzähler gibt sich zwar vordergründig als schlichtes Gemüt, spricht aber auf seine Art durchaus elaboriert und ironisch. Warum er Superboys zeitweilige Favoritin „Schätzchen der Studentenverbindung“ tituliert, obwohl ihr alles Akademische allein schon räumlich fern ist, leuchtet einem erst ein, wenn man weiß, dass „The Sweetheart of Sigma Chi“ einst ein populäres Studentenlied war. Mit ein paar Fußnoten ließen sich solche Steine aus dem Weg räumen und damit an Dirk van Gunsterens glänzende Übersetzung des Vorgängerbandes anknüpfen.
Hinter der provinziellen Gauner- und Ehekomödie nämlich tut sich eine Philosophie des Lebens und Lebenlassens auf, die diesmal nicht, wie im Vorgängerroman, von einem Chor der Alteingesessenen, sondern von Sheriff Wing entfaltet wird. Wing ist der Meisterschüler seines Vorgängers Sheriff Wingate, der in „Männer mit Erfahrung“ eine Konzeption des „Sheriffing“ vertrat, die an das chinesische Prinzip des Handelns durch Nichthandeln erinnert. „Let things happen“, lautet eine seiner Maximen, was angesichts eines drohenden Showdowns zwischen Superboy und Russenmafia strenge Selbstbeherrschung erfordert, womit Wing freilich die exekutive Ungeduld seines ambitionierten Hilfssheriffs Lyle anstachelt. „Sheriffsein“ nämlich ist ein Wahlamt, und Lyle sieht den Russenfall als archimedischen Punkt, von dem aus er den in sich ruhenden Wing aus dem Amt hebeln will.
Wing sieht dessen Ehrgeiz nicht ohne Beunruhigung, doch er ahnt, dass Lyle am Ende gerade über jenen Hebel fallen könnte. Schließlich weiß er, dass die Wähler einen fähigen Sheriff wollen, aber keinen allzu fähigen, der ihnen am Ende gar lästig fallen könnte: „Beim Sheriffsein geht es nicht darum, allen Leuten zu beweisen, dass man der Schlaueste im Raum ist. Man hat einen Job zu erledigen, und manchmal erledigt man ihn besser, wenn man den Eindruck vermittelt, man wäre ein wenig unterbelichteter, als man in Wirklichkeit ist“, lautet eine weitere Maxime.
Auch wenn Wing bisweilen gerade diesen Rat allzu sehr zu beherzigen scheint, darf man „Auf die sanfte Tour“ doch als eines jener kleinen, feinen Bücher empfehlen, in denen am Ende die Weisheit über den Wahn vermeintlich unbegrenzter Möglichkeiten siegt.
ULRICH BARON
Castle Freeman: Auf die sanfte Tour. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2017. 192 Seiten, 19 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Neu oder nackt? Bei der
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Stolpersteine im Weg
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