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Für ein Quantum Magie im Alltag: Valentin Groebner
sinniert einnehmend
über einige Dinge, mit denen wir uns gerne umgeben.
Von Sonja Asal
Es gibt Bücher, deren Titel neugierig machen, und es gibt solche, die einen ratlos lassen. Die neue Studie von Valentin Groebner gehört zu letzteren. "Aufheben, Wegwerfen", heißt sie vielsagend, um mit einem rätselhaften "Vom Umgang mit schönen Dingen" anzuschließen. Klar gehört zum Umgang mit schönen Dingen, dass wir sie aufbewahren, vielleicht zur Schau stellen oder im Zweifelsfall auch in den Tresor einschließen. Aber wegwerfen, noch dazu in unserer auf Wiederverwendung ausgerichteten schönen neuen Konsumkultur? Das klingt dann doch nicht ganz stimmig. Wenig zusätzlichen Aufschluss gibt das Titelbild, ein Ausschnitt aus Domenico Remps' Gemälde eines Wunderkammer-Kabinetts. Erwartet uns also ein weiterer Beitrag zur Geschichte des Sammelns?
Groebner geht es in seinem Langessay zunächst um etwas anderes, nämlich "um das Hantieren mit dem Schönen - schönen Bildern und schönen Gegenständen". Ihn interessiert, "was am Beginn des 21. Jahrhunderts schöne Dinge in den Augen ihrer Besitzer schön macht". Dazu erzählt Groebner von sich selbst, er berichtet von seinen Beobachtungen, und er hat Stimmen von Freunden und Bekannten gesammelt, die als "die Galeristin", "die Fotografin" oder "der Rechtshistoriker" vorgestellt werden.
Gemäß dem Credo "Das Mittelalter hört nicht auf", wie der Luzerner Historiker eines seiner früheren Bücher betitelt hat, entziffert er mühelos in jedem Gegenstand die Tiefe seiner historischen Herkunft, die ihn mit Bedeutung auflädt. Zum Beispiel in seiner Teetasse, die er seit Jahren jeden Tag in die Hand nimmt und die zum Anlass für eine kleine kulturhistorische Fingerübung wird: wie in China irgendwann zwischen dem vierten und dem achten Jahrhundert das Porzellan erfunden wurde, wie später aus persischen Kobalterzen die blaue Farbe gewonnen wurde, aus der das typische Dekor entstand, wie das blauweiße Porzellan schließlich als "erste globalisierte Luxusware" um die halbe Erdkugel reiste. Und wie das Trinken aus dieser Tasse gleichzeitig Vergnügen bereitet, die eigene Kultiviertheit bestätigt - und vergessen lässt, dass die Herstellung von Tee auch ihre hässlichen Seiten hat.
"Aufgeladene Ich-Dinge" nennt Groebner die Objekte, mit denen wir uns umgeben. Sie müssen gar nicht unbedingt wertvoll sein. Es können Erinnerungsstücke sein, Gegenstände, die nur einem selbst etwas bedeuten. Manchmal sind sie mit einer Formulierung der Fotografin Rosa Schamal zu einem "Privataltar" arrangiert, einer bedeutungsvollen Zusammenstellung alltäglicher Dinge auf einem Sideboard oder einem Fensterbrett, die immer auch etwas über ihre Besitzer verraten. Manchmal machen sie sogar "das Allerpersönlichste" aus. Schon die römischen Legionäre, so Groebner im kulturhistorischen Ausgriff, trugen eine kleine Umhängetasche mit sich, ein "loculus", in der sie ihre privaten Objekte verstauen konnten. Bis heute besitzt jeder Angehörige der Hutterer, einer religiösen Gemeinschaft, die kein Privateigentum kennt, eine sogenannte "Kischte", die persönlichen Gegenständen vorbehalten ist - Dingen, die das eigene Innere offenbar so stark berühren, dass Dritten gegenüber nur ungern offengelegt wird, was sich darin befindet.
Groebner breitet mit offenkundigem Vergnügen, mit Lust sowohl am Erzählen als auch an der Pointe eine Fülle an verschiedensten historischen Zusammenhängen wie auch an alltäglichen Beobachtungen vor den Lesern aus. Allgemein gilt für ihn: Dinge sind mächtig. Ihnen wird "Handlungsmacht" zugeschrieben. Sie "kommandieren uns", wie es an anderer Stelle heißt. "Stark wirksame Dinge", so Groebner, verweisen auf etwas, das über ihre unmittelbaren physischen Eigenschaften hinausgeht. Wir begehren sie, aber vor allem begehren wir das Vergnügen, das sie bereiten. Man übertreibt daher durchaus nicht, wenn man ihnen etwas Magisches zuschreibt, denn Magie ist genau das: "die Aufladung eines Gegenstands mit jener Macht, die sein Benutzer dann selbst wieder aus ihm herausholt". An dieser Magie haben, wie Groebner in einem weiteren historischen Exkurs darlegt, der Rosenkranz und andere Gebetsketten genauso Anteil wie Amulett und Talisman.
"Schön" sind Dinge bei Groebner genau dann, wenn sie solche geradezu magisch starken Wirkungen ausüben. Wäre also das titelgebende "Wegwerfen" ein Weg, um uns von all den machtvollen Gegenständen, die auf unterschiedlichen Wegen an uns gelangt sind, ob wir sie gekauft haben, geschenkt bekommen oder geerbt, wieder zu befreien? "Dinge wegwerfen ist existenziell", zitiert Groebner einen befreundeten Kunsthistoriker, und auf dem städtischen Wertstoffhof meint er beobachtet zu haben, es mache einen leicht und heiter, sich von dem ganzen Zeug zu trennen. Doch wer an dieser Stelle glaubt, von Groebner führe ein unmittelbarer Weg zum aktuellsten Aufräumberater, irrt. Askese, folgert Groebner mit Susan Sontag, ist letztlich auch nichts anderes als ein Zugewinn der Fähigkeit zum Vergnügen. Und dem Einrichtungsminimalismus stellt er die traurige Diagnose, dass er mitnichten ein für alle Mal vom überhitzten Konsumieren befreit, sondern es nur auf eine andere Spur lenkt.
Denn das ist die fatale Dialektik, in die nach Groebner moderne Architektur und Design hineingeraten sind. Was deren Vordenker wie Bruno Taut oder Hannes Meyer propagierten, die ästhetische Aufwertung der Wohnräume durch Reduktion, die Befreiung durch das Weglassen allen überflüssigen Nippes, ist schon längst von der Konsumästhetik eingeholt. Sie macht sich die Tatsache zunutze, dass Dinge umso schöner werden, je mehr Raum sie um sich haben, um darin erstrahlen zu können. Man kennt es aus jedem populären Einrichtungsratgeber: Viele alte Sachen auf engem Raum sehen nach Gerümpel aus, ein einziges Lieblingsobjekt separat aufzustellen lässt es edel wirken. Das wissen auch die Anbieter von Luxusgütern: "Je leerer der Laden", fasst Groebner seine Shopping-Expertise zusammen, "desto teurer die Waren."
Natürlich reflektiert Groebner bei alldem - und er ist selbstironisch genug, das auch zu wissen - die ästhetischen Vorlieben und die Konsumgewohnheiten einer ganz bestimmten akademisch gebildeten, wohlhabenden Schicht, der die meisten potentiellen Leser seines Essays angehören dürften. Nur für diese dürfte sich der gewünschte Lektüre-Effekt einstellen, dass in bester Essay-Manier Bekanntes mit überraschendem Unbekanntem, gegenwärtige Phänomene mit komplexen historischen Zusammenhängen zusammentreffen.
Valentin Groebner: "Aufheben, Wegwerfen". Vom Umgang mit schönen Dingen.
Konstanz University Press, Göttingen 2023. 171 S., geb., 20,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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