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"Alle Bewohner der ländlichen Gebiete [...] haben sich innerhalb von acht Tagen in von Truppen besetzten Dörfern einzufinden. Wer nach dieser Frist abseits der Befestigungsanlagen aufgegriffen wird, gilt als Aufständischer und wird als solcher bestraft." Mit diesem Befehl zur Zwangsumsiedlung der Zivilbevölkerung vom 21. Oktober 1896 sollte der Zugang der kubanischen Guerillatruppen zu Waffen, Nahrung, Medizin, Kleidern und militärischen Informationen unterbunden werden; die entvölkerten Landstriche wurden konsequent der Zerstörung anheimgegeben. In über 80 befestigten Städten und Dörfern…mehr

Produktbeschreibung
"Alle Bewohner der ländlichen Gebiete [...] haben sich innerhalb von acht Tagen in von Truppen besetzten Dörfern einzufinden. Wer nach dieser Frist abseits der Befestigungsanlagen aufgegriffen wird, gilt als Aufständischer und wird als solcher bestraft." Mit diesem Befehl zur Zwangsumsiedlung der Zivilbevölkerung vom 21. Oktober 1896 sollte der Zugang der kubanischen Guerillatruppen zu Waffen, Nahrung, Medizin, Kleidern und militärischen Informationen unterbunden werden; die entvölkerten Landstriche wurden konsequent der Zerstörung anheimgegeben. In über 80 befestigten Städten und Dörfern wurden mindestens 400 000 Personen interniert - sie lebten in improvisierten Hütten, Baracken und alten Lagerhäusern. Rund 170 000 Menschen starben an Seuchen und Unterernährung. Andreas Stucki analysiert die Zwangsumsiedlungen im Kontext des kubanischen Guerillakrieges und diskutiert die Frage der strategischen Umsiedlungspolitik als militärische Strategie im Rahmen der Counterinsurgency. Seine komparative empirische Studie zu den sozialen, ökonomischen und politischen Folgen der Zwangsumsiedlungen eröffnet auch Perspektiven für weitere Untersuchungen im Spannungsfeld der Kolonialismus- und vergleichenden Lagerforschung.
Autorenporträt
Andreas Stucki, Dr. phil., geb. 1975, Oberassistent in der Abteilung für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Bern; ab September 2012 Mitarbeiter im Arbeitsbereich "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2014

Schon dieser Krieg war schmutzig
Eine vergessene Episode des ausgehenden 19. Jahrhunderts – Andreas Stucki untersucht Verlauf und Charakter von Kubas Kampf um seine Unabhängigkeit
In der westlichen Öffentlichkeit zählt der kubanische Unabhängigkeitskampf zu den „vergessenen“ Kriegen. In Europa und in Amerika dürfte der Fall Kuba allenfalls Spezialisten auf dem Feld der Dekolonisationsgeschichte ein Begriff sein. Umso größer ist das Verdienst von Andreas Stucki, nun eine klar strukturierte und gut geschriebene Darstellung der drei blutigen kubanischen Jahrzehnte des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorzulegen. Der Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung räumt dabei wohltuend mit Mythen auf, die sich im Laufe der Jahrzehnte nach dem Ende der kubanischen Unabhängigkeitskriege 1898 gebildet hatten.
  So ist heute in den meisten Veröffentlichungen zur Geschichte Kubas im Zusammenhang mit der Deportation der Landbevölkerung in befestigte Städte und Dörfer von „Konzentrationslagern“ die Rede. Dies sieht Stucki nicht zuletzt dem Einfluss der politisch motivierten kubanischen Historiografie geschuldet. Manche Autoren scheuten sich nicht, diese „campos de concentración“ in eine Reihe mit den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zu stellen.
  Eine der Ursachen hierfür dürfte sein, dass bei dieser Begriffsgeschichte die empirische Basis oft nicht genügend berücksichtigt wird. Dabei zeigt Stuckis Analyse der überlieferten Akten, dass in den Quellen der spanischen Kolonialadministration, aber auch in privaten, zeitgenössischen Briefwechseln in der Regel die Insassen als „Concentrados“ oder „Reconcentrados“ bezeichnet wurden – im täglichen Sprachgebrauch war von „Concentrados“ in den Städten die Rede. Doch nur selten, vorwiegend in englischen Dokumenten, fanden sich Bezeichnungen wie „towns of reconcentration“ oder „city of reconcentrados“. Und diese Lager lassen sich weder bezüglich der Funktion noch der Gewalterfahrung mit späteren Ausprägungen wie den NS-Lagern oder den stalinistischen Gulags vergleichen.
  Was geschah also wirklich in Kubas Dreißigjährigem Krieg? „Hiermit wird angeordnet: Alle Bewohner der ländlichen Gebiete sowie alle Ansässigen außerhalb der befestigten militärischen Linien haben sich innerhalb von acht Tagen in von (spanischen) Truppen besetzten Dörfern einzufinden. Wer nach dieser Frist abseits der Befestigungsanlagen aufgegriffen wird, gilt als Aufständischer und wird als solcher bestraft.“ Stucki zitiert aus dem Befehl zur „Reconcentración“ vom 21. Oktober 1896 für die Provinz Pinar del Río im Westen Kubas. Mit dieser Anordnung habe der über Sympathisanten und die Zivilbevölkerung erfolgte Zugang des kubanischen Befreiungsheeres zu Waffen, Nachschub und militärisch wertvollen Informationen gestoppt werden sollen. Ziel sei die Trennung der kubanischen Guerilleros von der Zivilbevölkerung gewesen. Entvölkerte Landstriche seien konsequent der Zerstörung anheimgegeben worden. Damit sollten den Kämpfern für „Cuba libre“ möglichst alle Ressourcen entzogen werden.
  Somit war die Umsiedlungspolitik auf Kuba in erster Linie ein militärisches Mittel gegen einen mobilen, kaum zu fassenden Gegner, der in der Bevölkerung regional großen Rückhalt genoss. Dabei wurden in mehr als achtzig Reconcentrado-Zentren mindestens vierhunderttausend Personen interniert. Dies zielte jedoch nicht auf eine spezifische Bevölkerungsgruppe – die radikale Entvölkerung ganzer Gebiete war das Ziel. So wurden nicht nur weiße wie schwarze Kubaner Opfer der Internierung, sondern sogar Kuba-Spanier und auch Ausländer.
  Stucki schildert, wie die mittellosen „Reconcentrados“ oftmals eine Parzelle der im Umkreis der Befestigungsanlagen angelegten landwirtschaftlichen Anbauzonen zugewiesen bekamen, um sich dort selbst zu versorgen. Der spanische Generalstab ging davon aus, dass die „fruchtbare Erde Kubas“ eine kostenneutrale Durchführung der „Reconcentración“ ermöglichen werde. Doch in Wirklichkeit verschärfte die Zwangsumsiedlung die Versorgungslage hochgradig. In überfüllten Städten und Dörfern starben die unter miserablen hygienischen Verhältnissen in improvisierten Hütten, Baracken und alten Lagerhäusern zusammengepferchten Menschen zu Tausenden an Seuchen und Unterernährung. Zwar ist die Zahl der zivilen Opfer bis heute in der Forschung umstritten , neuere Studien, denen auch Stucki Glauben schenkt, gehen aber von rund 170 000 Toten aus – ungefähr zehn Prozent der damaligen Bevölkerung Kubas.
  Immer noch findet sich auch in aktuellen Darstellungen der Hinweis, die „Reconcentración“ mit ihrer Zwangsumsiedlung und Internierung sei eine neuartige Strategie der Antiguerilla gewesen. Dem hält Stucki zu Recht entgegen, dass sich bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert die britische Aufstandsbekämpfung in Indien ähnlicher Methoden bediente. Als weitere Beispiele – allein für das 19. Jahrhundert – nennt Stucki die Indianerkriege und die Reservatspolitik in den Vereinigten Staaten sowie Entvölkerungen in den Grenzstaaten zur Guerillabekämpfung während des Amerikanischen Bürgerkrieges.
  Obwohl damit auch die Unabhängigkeitskriege auf Kuba in mancher Hinsicht als Vorboten der „dirty wars“ der Dekolonisierung ab 1945 gelten können, sind die sozialen Auswirkungen der Zwangsumsiedlung bis heute kaum untersucht worden. Am Ende des Unabhängigkeitskrieges stand nicht nur Kuba, sondern auch Spanien am Rand des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruchs. Hunger, Entbehrung und Massensterben sollten ganze Generationen prägen.
THOMAS SPECKMANN
     
      
     
Andreas Stucki: Aufstand und Zwangsumsiedlung.
Die kubanischen Unabhängigkeitskriege 1868–1898. Hamburger Edition, Hamburg 2013. 413 Seiten,
28 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Thomas Speckmann begrüßt diese Untersuchung des Hamburger Sozialforschers Andreas Stucki, dem es laut Rezensent gelingt, in seiner klar strukturierten und, wie Speckmann findet, auch gut geschriebenen Studie die drei Jahrzehnte der kubanischen Umsiedlungspolitik und Gewaltherrschaft mythenfrei darzustellen. Angesichts der lange vorherrschenden politisch beeinflussten kubanischen Historiografie kein ganz leichtes Unterfangen, weiß der Rezensent und erläutert, wie der Autor durch genaue Analyse der Akten etwa die Vergleichbarkeit der "campos de concentración" mit den nationalsozialistischen KZs widerlegt oder zeigt, dass es den Spaniern nicht um eine einzelne Bevölkerungsgruppen ging, sondern um die radikale Entvölkerung ganzer Gegenden.

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