AUSGEZEICHNET MIT DEM DEUTSCHEN KRIMIPREIS 2020 Platz 1 der Krimibestenliste Platz 2 der Bestenliste Litprom, Sommer 2020 Platz 1 Buchkultur: Die besten Krimis der Saison Preis der Hotlist 2020 Tierarzt Byongsu Kim (70) ist »pensionierter« Serienmörder. Er verbringt seine Zeit damit, Klassiker zu lesen und Gedichte zu schreiben. Kurz nachdem er in seinem Viertel einem Mann begegnet, den er als seinesgleichen erkennt, wird bei ihm beginnende Demenz diagnostiziert. Um seine Tochter zu beschützen, plant der alte Mann, mit seinem schwindenden Gedächtnis kämpfend, einen letzten Mord. »Lakonisch, lebensweise, ein Meisterwerk des schwarzen Humors.« Jury Krimibestenliste
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buecher-magazin.deDass der an Alzheimer erkrankte Serienmörder Byongsu Kim zufällig seinesgleichen, einen Psychopathen und unentdeckten Mörder, erkennt und ihn töten möchte, bevor diesem seine eigene Tochter zum Opfer fallen könnte, klingt wie ein schlechter Action-Plot. Doch weit gefehlt. Das schmale Büchlein enthält knappe, teils poetische Tagebuchaufzeichnungen eines alten Mannes, der verzweifelt versucht, seine Erinnerungen festzuhalten. Die zunehmende Demenz bringt ihn in Rage, regt ihn aber auch zum Nachdenken über Identität an. Kim berichtet von einer Zeit, in der er Gedichte schrieb oder seinen Vater tötete, philosophiert über die Gegenwart und Vergangenheit Koreas oder ob es Zukunft ohne Gedächtnis gibt – und nebenbei erfährt der Leser den grausigen Grund, warum man in einem Bambushain nicht rennen darf. Besessen von der Idee eines vermeintlichen Seelenverwandten sucht der Alte den Widerhall eines Ichs, das ihm zu entgleiten droht und auch der Leser muss sich fragen, welche Wirklichkeit gebannt werden soll, Erinnerung oder Einbildung. Es ist dem auf asiatische Literatur spezialisierten Cass Verlag zu verdanken, dass dieses spannende und überraschende Kleinod auf Deutsch erschienen ist.
© BÜCHERmagazin, Meike Dannenberg (md)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2020Ein letztes großes Verbrechen
Gegen das Vergessen: Young-ha Kim überzeugt mit einem an Alzheimer erkrankten Serienmörder
Es ist schon ein schlechter Scherz, wenn das Schicksal ausgerechnet einem Serienmörder Alzheimer beschert. Byongsu Kim ist Tierarzt, siebzig Jahre alt, lebt in einem Dorf in Südkorea. Eines Tages bekommt er die Diagnose - schnell fortschreitende Demenz. "Meinen letzten Mord habe ich vor fünfundzwanzig Jahren begangen. Oder waren es sechsundzwanzig?" Mit diesen Worten beginnen die Aufzeichnungen, mit denen Kim gegen seine Altersdemenz anschreibt. Was passiert mit einem Killer, dessen Gedächtnis schwindet und in dessen Kopf das Durcheinander der Erinnerung jeden Tag stärker wird?
Young-ha Kim, 1968 als Sohn eines Offiziers an der Grenze zum kommunistischen Norden geboren, zählt zu den bekanntesten Autoren Südkoreas. Sein 2013 im Original erschienener Roman folgt der radikalen Idee, einen Serienmörder mit Alzheimer zum Ich-Erzähler zu machen. Sein Serienkiller hebt sich wohltuend von den Figuren ab, die üblicherweise in Kriminalromanen in Serie morden. Mit den "Aufzeichnungen eines Serienmörders" ist ihm ein Buch gelungen, das lakonisch erzählt, bisweilen sogar komisch ist - und auffallend modern in seiner Mischung aus Bericht, Erzählung, Erinnerungsfetzen bis hin zu plötzlichen kurzen Einschüben des dementen Mörders über Nietzsche oder über den Zusammenhang von Zeit, Zerstörung, Mord, Demenz und Ödipus-Mythos.
Was ist wahr an einer Geschichte, wenn ein Demenzkranker sie erzählt? Was ist Wirklichkeit, wenn im Kurzzeitgedächtnis das Durcheinander zunimmt, was ist richtige Erinnerung, was Wahn? Demenzkranke Erzähler lügen schließlich nicht. Sie sind in einem Gefängnis namens Zeit eingekerkert, das für sie immer schneller immer kleiner wird, während das Chaos im Kopf von Tag zu Tag unaufhaltsam größer wird. Demenz verträgt sich im Normalfall nicht mit klarer Erzählstruktur, mit guter Syntax, mit gelungenen Metaphern. Doch wie schreibt der demente Serienmörder selbst, nachdem er einen Lyrikkurs besucht hat, um sich Fertigkeiten anzutrainieren, sein Tagebuch gegen das Vergessen zu schreiben: "Morden ist eher wie Prosa. Jeder, der es einmal probiert hat, weiß das." Der Lyrik-Dozent lacht und lobt ihn für seine Gedichte sogar. "Deshalb ließ ich ihn am Leben."
Eine letzte Aufgabe stellt sich der Serienmörder, bevor seine Erinnerung ganz im Dunkeln versinkt. Er will seine Tochter Unhi vor einem Frauenmörder schützen, der in der Gegend sein Unwesen treibt. Die beiden mordenden Kollegen treffen bei einem Auffahrunfall aufeinander, sie sehen sich in die Augen, erkennen einander. Der Alte ist sich sicher: da ist einer, wie er es war. Hat es der Kerl vielleicht auf Unhi abgesehen?
Von Karma und Fügung schreibt der Alte nun. Er plant seinen letzten Mord. Er muss den jüngeren Kollegen töten, bevor das Gedächtnis ganz verschwindet und "ich vergesse, wer er ist". Doch ist das wirklich so? Wie zuverlässig sind die Sinne? Ist Unhi überhaupt seine Tochter? Unhi kommt plötzlich öfter spät in das Haus des Serienmörders neben dem Bambushain, der raunt und rauscht, wenn der Wind weht. Eines Tages stellt sie ihrem Vater einen neuen Freund vor. Es ist der, den der demente Alte als Gleichgesinnten erkannt hatte. Ist er es wirklich? Warum ist der Kerl plötzlich Polizist? Verstellung gehört für Serienmörder zum Handwerk.
Der Plan, den Killerkollegen umzubringen, wird für Kim zur Rückkehr in das Leben. Die Rückkehr in die Welt des Serienmörders, die für ihn nach seinen Erinnerungen vor Jahren schon nach einem Autounfall endete. Der Autor schafft es, die Spannung zwischen Erwachen der Vergangenheit und Chaos der Gegenwart, die der demente Ich-Erzähler mit seinen Aufzeichnungen bändigen will, bis zum Ende zu steigern. Kim will sich erinnern. Doch woran er sich erinnert, wird von den Leuten als falsch abgetan. Der Demente hat den Eindruck, in einem Paralleluniversum zu sein. Die Ermittlungen der Polizisten, über die er berichtet, beißen sich mit den eigenen Wahrnehmungen.
Während dem Erzähler in seinen Aufzeichnungen alles immer verschwommener scheint, wird deutlich, was wirklich geschah. "Beängstigend ist nicht das Böse, sondern die Zeit. Denn gegen die sind wir alle machtlos", heißt es gegen Ende.
CARSTEN GERMIS
Young-ha Kim: "Aufzeichnungen eines Serienmörders". Roman.
Aus dem Koreanischen von Inwon Park.
Cass Verlag, Bad Berka 2020.
152 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegen das Vergessen: Young-ha Kim überzeugt mit einem an Alzheimer erkrankten Serienmörder
Es ist schon ein schlechter Scherz, wenn das Schicksal ausgerechnet einem Serienmörder Alzheimer beschert. Byongsu Kim ist Tierarzt, siebzig Jahre alt, lebt in einem Dorf in Südkorea. Eines Tages bekommt er die Diagnose - schnell fortschreitende Demenz. "Meinen letzten Mord habe ich vor fünfundzwanzig Jahren begangen. Oder waren es sechsundzwanzig?" Mit diesen Worten beginnen die Aufzeichnungen, mit denen Kim gegen seine Altersdemenz anschreibt. Was passiert mit einem Killer, dessen Gedächtnis schwindet und in dessen Kopf das Durcheinander der Erinnerung jeden Tag stärker wird?
Young-ha Kim, 1968 als Sohn eines Offiziers an der Grenze zum kommunistischen Norden geboren, zählt zu den bekanntesten Autoren Südkoreas. Sein 2013 im Original erschienener Roman folgt der radikalen Idee, einen Serienmörder mit Alzheimer zum Ich-Erzähler zu machen. Sein Serienkiller hebt sich wohltuend von den Figuren ab, die üblicherweise in Kriminalromanen in Serie morden. Mit den "Aufzeichnungen eines Serienmörders" ist ihm ein Buch gelungen, das lakonisch erzählt, bisweilen sogar komisch ist - und auffallend modern in seiner Mischung aus Bericht, Erzählung, Erinnerungsfetzen bis hin zu plötzlichen kurzen Einschüben des dementen Mörders über Nietzsche oder über den Zusammenhang von Zeit, Zerstörung, Mord, Demenz und Ödipus-Mythos.
Was ist wahr an einer Geschichte, wenn ein Demenzkranker sie erzählt? Was ist Wirklichkeit, wenn im Kurzzeitgedächtnis das Durcheinander zunimmt, was ist richtige Erinnerung, was Wahn? Demenzkranke Erzähler lügen schließlich nicht. Sie sind in einem Gefängnis namens Zeit eingekerkert, das für sie immer schneller immer kleiner wird, während das Chaos im Kopf von Tag zu Tag unaufhaltsam größer wird. Demenz verträgt sich im Normalfall nicht mit klarer Erzählstruktur, mit guter Syntax, mit gelungenen Metaphern. Doch wie schreibt der demente Serienmörder selbst, nachdem er einen Lyrikkurs besucht hat, um sich Fertigkeiten anzutrainieren, sein Tagebuch gegen das Vergessen zu schreiben: "Morden ist eher wie Prosa. Jeder, der es einmal probiert hat, weiß das." Der Lyrik-Dozent lacht und lobt ihn für seine Gedichte sogar. "Deshalb ließ ich ihn am Leben."
Eine letzte Aufgabe stellt sich der Serienmörder, bevor seine Erinnerung ganz im Dunkeln versinkt. Er will seine Tochter Unhi vor einem Frauenmörder schützen, der in der Gegend sein Unwesen treibt. Die beiden mordenden Kollegen treffen bei einem Auffahrunfall aufeinander, sie sehen sich in die Augen, erkennen einander. Der Alte ist sich sicher: da ist einer, wie er es war. Hat es der Kerl vielleicht auf Unhi abgesehen?
Von Karma und Fügung schreibt der Alte nun. Er plant seinen letzten Mord. Er muss den jüngeren Kollegen töten, bevor das Gedächtnis ganz verschwindet und "ich vergesse, wer er ist". Doch ist das wirklich so? Wie zuverlässig sind die Sinne? Ist Unhi überhaupt seine Tochter? Unhi kommt plötzlich öfter spät in das Haus des Serienmörders neben dem Bambushain, der raunt und rauscht, wenn der Wind weht. Eines Tages stellt sie ihrem Vater einen neuen Freund vor. Es ist der, den der demente Alte als Gleichgesinnten erkannt hatte. Ist er es wirklich? Warum ist der Kerl plötzlich Polizist? Verstellung gehört für Serienmörder zum Handwerk.
Der Plan, den Killerkollegen umzubringen, wird für Kim zur Rückkehr in das Leben. Die Rückkehr in die Welt des Serienmörders, die für ihn nach seinen Erinnerungen vor Jahren schon nach einem Autounfall endete. Der Autor schafft es, die Spannung zwischen Erwachen der Vergangenheit und Chaos der Gegenwart, die der demente Ich-Erzähler mit seinen Aufzeichnungen bändigen will, bis zum Ende zu steigern. Kim will sich erinnern. Doch woran er sich erinnert, wird von den Leuten als falsch abgetan. Der Demente hat den Eindruck, in einem Paralleluniversum zu sein. Die Ermittlungen der Polizisten, über die er berichtet, beißen sich mit den eigenen Wahrnehmungen.
Während dem Erzähler in seinen Aufzeichnungen alles immer verschwommener scheint, wird deutlich, was wirklich geschah. "Beängstigend ist nicht das Böse, sondern die Zeit. Denn gegen die sind wir alle machtlos", heißt es gegen Ende.
CARSTEN GERMIS
Young-ha Kim: "Aufzeichnungen eines Serienmörders". Roman.
Aus dem Koreanischen von Inwon Park.
Cass Verlag, Bad Berka 2020.
152 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main