Längst war bekannt, dass Max Frisch (1911-1991) während seiner Berliner Jahre ein tagebuchartiges Journal geführt hatte. Als 2011 die zwanzigjährige Sperrfrist für seinen Nachlass ablief, stellte es also keine allzu große Überraschung dar. Nun liegt also eine Auswahl aus dem „Berliner Journal“ im
Suhrkamp Verlag vor. Dabei konzentrierte man sich auf Passagen von allgemeinen literarischem…mehrLängst war bekannt, dass Max Frisch (1911-1991) während seiner Berliner Jahre ein tagebuchartiges Journal geführt hatte. Als 2011 die zwanzigjährige Sperrfrist für seinen Nachlass ablief, stellte es also keine allzu große Überraschung dar. Nun liegt also eine Auswahl aus dem „Berliner Journal“ im Suhrkamp Verlag vor. Dabei konzentrierte man sich auf Passagen von allgemeinen literarischem Interesse, während private Notizen aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen weggelassen wurden. An Uwe Johnson, der eine Fotokopie von Teilen des Journals aufbewahrte, schrieb Frisch später: „Ich weiß nicht mehr, was darin steht, viel Krudes, viel Selbstgerechtigkeiten“.
Max Frisch war im Februar 1973 mit seiner Frau Marianne von Zürich nach Berlin gezogen, weil es ihn in der Schweiz einfach zu eng wurde und er einen künstlerischen Neuanfang suchte. Vom ersten Tag an machte er persönliche Notizen (vom Warten auf die Handwerker bis zum Einkauf auf dem Wochenmarkt). Dazwischen Anmerkungen über Treffs mit Schriftstellerkollegen ( Günter Grass, Uwe Johnson u.a.) oder erste Eindrücke, die die Stadt auf ihn macht: „Berlin ohne eine einzige Zeitung von Rang.“ Kritisch setzt er sich mit den Ansichten anderer Schriftsteller (Alfred Andersch) auseinander oder vermerkt seine tägliche Lektüre (z.B. Christa Wolf). Häufig trifft er sich auch mit ostdeutschen Schriftstellerkollegen (Wolf, Biermann, Kunert, Becker). Dabei hatte Frisch den Vorteil, die geteilte Stadt als Außenstehender ohne jegliche Befangenheit zu sehen.
Doch bereits nach einigen Tagen bemerkt er, dass er „beim Schreiben schon an den öffentlichen Leser denkt“. Trotzdem wird er seinem Journal noch bis 1980 seine Gedanken, Erfahrungen und Erlebnisse anvertrauen. Neben Betrachtungen zur Literatur und Auseinandersetzungen mit dem eigenen Werk finden sich auch ganz private Äußerungen über seine Frau und die Ehe allgemein: „M. wie jeder Partner, der viele Jahre mit einem Partner lebt und fast alle Tage des Jahres, muss oft anhören, was sie schon kennt.“
Die vorliegende Suhrkamp-Auswahl endet im März 1974, als Frisch zu einer Lesereise in die USA aufbrach. Dies war ein tiefer Schnitt in seiner Biographie, denn hier traf er die 32 Jahre jüngere Amerikanerin Alice Locke-Carey und diese Beziehung verarbeitete er noch im Herbst 1974 in seiner berühmten Novelle “Montauk“.
Eine Sensation ist das „Berliner Journal“ sicher nicht. Wer große philosophische Überlegungen sucht, blättert vergeblich. Die oft selbstkritischen Notizen legen vielmehr den Menschen Max Frisch frei und sind daher äußerst lesenswert - und das nicht nur für Frisch-Fans.