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Einladung aufs Kanapee: In seinen Gedichten erweist sich Klaus Merz als Meister in der Kunst der Verknappung
Der flüchtige Staub im Titel der Sammlung hat, wie so vieles bei Klaus Merz, eine doppelte Bedeutung. Es ist der Staub, in den man verschwinden, sich auflösen kann; es ist aber auch der Staub, aus dem neues Leben entsteht. "Er könne es sich / wieder vorstellen / Menschen aus / Staub geformt", heißt es in einem Gedicht, das auf die alten Schöpfungsmythen anspielt und andeutend den Moment schildert, in dem sich ein Ausweg aus hoffnungsloser Gleichförmigkeit zu öffnen scheint. So vorsichtig muss man formulieren, will man sagen, worum es in den neuen Gedichten von Klaus Merz geht.
Schon lange gehören Lakonik und Kürze zu den bevorzugten Stilprinzipien des Schweizer Dichters. In seinen von der Kritik hochgelobten Erzählungen "Jakob schläft" (1997) und "Der Argentinier" (2009) fand er eine knappe, eindringliche Sprache für komplizierte Lebensläufe, die ihre Leser noch lange nach der Lektüre beschäftigen. Doch auch als Lyriker ist Klaus Merz seit langem bekannt.
Die 56 Gedichte seines neuen Bandes erheben die Knappheit zum vorherrschenden Stilprinzip, ohne sich jedoch einem verstehenden Lesen zu verschließen. Es ist die Poetik des Haiku, jenes aus der japanischen Dichtung stammenden Dreizeilers mit genau bemessener Silbenzahl, der viele Miniaturen verpflichtet sind; einmal wird der japanische Lyriker Matsuo Basho sogar direkt zitiert. Obwohl sich Merz in seinen Gedichten manche Freiheiten gegenüber dem Vorbild erlaubt, gelingt es ihm meisterlich, markante Situationen in wenigen Versen zu schildern. So wird das Kunsterlebnis einer Italien-Reise, das den eigenen Körper fremd erscheinen lässt, in einer momenthaften Erkenntnis komprimiert - und allein diese Erläuterung beansprucht mehr Raum als das Gedicht "Rom": "Beim Erwachen fällt / dein erster Blick auf den / eigenen Marmorarm."
Kunsterfahrungen sind ein wiederkehrendes Thema in diesen Gedichten: Malerei, Plastik und Literatur. Die frühe Erfahrung der Verzauberung des Kindes durch die Macht der Fiktionalität spiegelt sich in einer archetypischen Situation, was der martialische Titel "Befehlsgewalt" zunächst nicht vermuten lässt: "Die Wunderschuhe anziehen! befahl / Grossmutter, setzte sich zu uns / aufs Kanapee, begann zu erzählen: / Schon waren wir über alle Berge." An anderer Stelle malt Merz sich die Ausweglosigkeit aus, die Schneewittchen dazu verdammt, "lebenslang" Königin sein zu müssen, ohne zu den Zwergen zurückkehren zu können.
Das Märchenland der Phantasie liegt aber mitten in unserer Realität, und alle Versuche der Weltflucht können nicht von Dauer sein, das weiß Klaus Merz genau. In einem längeren Gedicht, dem dreigeteilten "Wiepersdorf später", tritt er nicht nur mit den romantischen Dichtern in einen poetischen Dialog, sondern auch mit seiner Kollegin Sarah Kirsch, die ebenfalls einen Gedichtzyklus auf das Gut Wiepersdorf verfasst hat, den ehemaligen Wohnsitz von Bettina und Achim von Arnim. Merz spielt mit märchenhaften und historischen Motiven, mit Zwerg und Trabant, womit er den bleichen Mond ebenso meint wie jenen Autotyp, der früher über die brandenburgischen Alleen fuhr. Plötzlich aber bricht die politische Aktualität in die scheinbar zeitenthobene Idylle: "Aber auch damit / hatten wir nicht gerechnet auf / dieses jüngste Jahrtausend hin / dass, Tochter, dein Liebster / zu dir käme aus einem Krieg."
Überhaupt die Liebe. Merz spricht gern von ihr, doch ohne sie direkt zu benennen, wie aus Scheu vor den großen und schnell abgenutzten Worten. Die Geschichte einer jahrelangen Vertrautheit erzählt er in sechs knappen Versen, deren Titel - "Zusammen" - das Entscheidende dieser Verbindung nennt: "Das Brot geteilt, die Nacht / den Blick ins dunkle / Gewässer. // Und wie jeden Morgen / die Einsamkeiten / neu vertäut." Die "Trauerarbeit" einer verwitweten Frau hingegen wird in ihrem aussichtslosen täglichen Kampf gegen das Ungeziefer in ihrem Garten beschrieben, so als könne sie sich kniend einen neuen Lebensinhalt erzwingen. Nur diese Körperhaltung verrät etwas über die Gefühle der Trauernden; der Dichter bleibt diskreter Beobachter.
Satirischer geht es zu, wenn Merz seine Zeitgenossen aufs Korn nimmt. Mitunter fällt er sogar in den Duktus der "Zahmen Xenien", jener Spottgedichte, mit denen Goethe und Schiller den Zorn ihrer Leser auf sich zogen, als sie Hunderte davon in den Druck gaben. Mit einem nahezu klassisch gebauten Hexameter beginnt Merz ein Epigramm über moderne Kommunikationsformen: "Seit gestern besitzt er ein Handy und / gilt vor der Welt als geheilt."
Als wachsenden "Widerstand gegen die Ausführlichkeit" bezeichnet Klaus Merz seine Kunst der Verknappung. Demselben Stilprinzip folgen die Pinselzeichnungen Heinz Eggers, der schon die vorangehenden Bücher des Schweizer Autors illustriert hat. Diesmal entsteht ein besonders harmonisches Zusammenspiel von Wort und Bild, das diesen Band zu einem Geschenk werden lässt, das Klaus Merz seinen Lesern bereitet.
SABINE DOERING
Klaus Merz: "Aus dem Staub". Gedichte.
Mit fünf Pinselzeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 2010. 88 S., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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