Der 26-jährige Aushilfslehrer Hendrik Vankel ist noch nicht wirklich angekommen in dem kleinen Ort in Nordnorwegen. Zwar genießt er bei seinen Schüler:innen durchaus hohes Ansehen, doch bis auf seinen etwa gleichaltrigen Kollegen Henning fühlt er sich die meiste Zeit über einsam. Als er sich in
seine 13-jährige Schülerin Miriam verliebt, gerät sein Leben aus den Fugen - seine ganze Existenz fällt…mehrDer 26-jährige Aushilfslehrer Hendrik Vankel ist noch nicht wirklich angekommen in dem kleinen Ort in Nordnorwegen. Zwar genießt er bei seinen Schüler:innen durchaus hohes Ansehen, doch bis auf seinen etwa gleichaltrigen Kollegen Henning fühlt er sich die meiste Zeit über einsam. Als er sich in seine 13-jährige Schülerin Miriam verliebt, gerät sein Leben aus den Fugen - seine ganze Existenz fällt "aus der Welt". Aus Angst flüchtet er nach Kristiansand, den Ort seiner Jugend. Doch auch dort lassen ihn die Geister der Vergangenheit nicht ruhen...
"Aus der Welt" ist Karl Ove Knausgards Debütroman aus dem Jahre 1998, der im letzten Jahr erstmals als deutsche Übersetzung erschien. Es ist ein gut 900-seitiges Epos über die Irrungen und Wirrungen der Jugend, die sich bei Protagonist Henrik bis ins Erwachsenenalter fortsetzen. In Schweden sorgte die Übersetzung vor gut fünf Jahren für einen Skandal, in dessen Folge der Autor das Land verließ. Ähnlicher Aufregung ist er in Deutschland entgangen.
Gemeinsam mit Jan Kjaerstad ist Knausgard der wohl aufregendste zeitgenössische norwegische Autor. Schon aufgrund der ähnlichen Länge kommt man nicht umhin, "Aus der Welt" mit Kjaerstads "Femina Erecta" zu vergleichen. Auch wenn "Aus der Welt" eigentlich schon 20 Jahre mehr auf dem Buckel hat, sind es nun einmal die jeweils aktuellen Veröffentlichungen der beiden auf dem deutschen Markt.
Während ich bei Kjaerstads gut 800 Seiten nicht ein einziges Mal das Gefühl hatte, "Femina Erecta" wäre an einigen Stellen zu lang geraten, kann ich das "Aus der Welt" leider nicht bescheinigen. Was nicht heißt, dass es sich nicht trotzdem um einen sehr guten Roman handelt.
Aufgeteilt in drei Teile befasst sich der erste Abschnitt mit Henriks Leben und Liebe in der Schule, der kurze mittlere Teil erzählt das Kennenlernen seiner Eltern. Doch gerade der fast 420 Seiten lange letzte Abschnitt gerät an der einen oder anderen Stelle doch sehr "aus der Welt". Wobei der Titel als geflügelter Begriff immer und immer wieder entweder direkt auftaucht oder sich mehrfach metaphorisch aus den Begebenheiten herauslesen lässt.
Henrik erzählt über sich, er habe gewisse Aussetzer, weiß manchmal nicht, was er in bestimmten Stunden gemacht hat oder wo er gewesen ist. Er ist in diesen Momenten "aus der Welt". Auch die Romanhandlung an sich begibt sich aus ihrer Erzählwelt. So kommt es zu seitenlangen literatur-theoretischen Auseinandersetzungen über Flaubert und James Joyce, zu einem Besuch Gottes, der Henrik vom Christentum überzeugen will oder gar zu einer über 60-seitigen Traumexistenz Henriks, in der er ein völlig anderes Leben führt und sich die Kultur und Geschichte ebenso anders entwickelt hat. Das ist manchmal genial, häufig zu lang, aber immer überraschend und durchaus aufregend.
Protagonist Henrik macht es einem grundsätzlich nicht leicht. Er ist kein klassischer Held, eher eine Art Anti-Held. Henrik lügt, betrügt, benutzt, missbraucht. Und dennoch ließ er mich in seiner Einsamkeit und Eigenartigkeit nicht kalt. Zwar erfährt man aus seiner Kindheit so gut wie gar nichts, aus seiner Jugend umso mehr, wobei dennoch Fragezeichen und Lücken bleiben. Wieso schloss sein Vater ihn im Badezimmer ein und geschah dies mehrfach? Ein Fest für Freudianer, die sich zudem an eindeutigen Metaphern wie der Angst vor Schlangen oder anderen diversen sexuellen Anspielungen ergötzen können.
Die stärksten Momente hat der Roman, wenn sich Henrik in der Beschreibung der norwegischen Natur verliert, egal ob im Süden oder Norden des Landes - und darüber selbstvergessen schon einmal einschläft. Grandios auch das bewegende offene Ende, in dem Henrik in einem einzigen Moment wohl alles verliert, aber gleichzeitig so viel gewinnt - oder ist es andersherum?
"Aus der Welt" ist ein insgesamt beeindruckender Roman, dem 200 Seiten und ein paar Abschweifungen weniger sicherlich nicht geschadet hätten. Im direkten Vergleich mit Jan Kjaerstad unterliegt er bei mir jedoch knapp.