Ist Martin Walser ein "geistiger Brandstifter", sein Roman 'Tod eines Kritikers' ein antisemitischer Text? Was ist überhaupt "literarischer Antisemitismus"? Der Verfasser zeichnet die für das deutsche Selbstverständnis so signifikante Walser-Debatte nach, um davon ausgehend den Blick zurück auf das Gesamtwerk des Autors zu richten. Er setzt akribische Lektüren gegen eine Philologie des Verdachts, aber auch gegen blinde Apologie. Sein Befund: Walsers in den 1990er Jahren offenkundig gewordenen Ressentiments sind selbst in jenen Werken angelegt, die längst zum Kanon der so genannten "Vergangenheitsbewältigung" zählen. Im Anhang ein Interview mit Martin Walser vom 15. Juli 2003. "Die Untersuchung von Matthias N. Lorenz macht der Spekulation und Mutmaßung ein Ende." Wolfgang Benz.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2005Die Kränkung
Matthias N. Lorenz untersucht Martin Walsers Judendarstellung
Der junge Literaturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat eine umfassende Untersuchung zur Judendarstellung und zum Auschwitzdiskurs im Werk Walsers als Dissertation vorgelegt. Sie enthält auch den Versuch, die Hauptlinien der heftig geführten Debatte um Walsers umstrittenen Skandalroman "Tod eines Kritikers" (2002) kritisch nachzuzeichnen. Vor aller Beurteilung handelt es sich um ein mutiges Unterfangen, das hinsichtlich einer akademischen Karriere ziemlich riskant ist. Der Lagerbildung, die der Autor konstatiert, wird seine Abhandlung wohl nicht entkommen. Als Rezensenten verpflichtete zum Beispiel die "Süddeutsche Zeitung" den Germanisten Dieter Borchmeyer, Verfasser und Herausgeber von teilweise polemischen Beiträgen zum Thema, die Lorenz in seinem Buch als apologetisch und fehlerhaft beurteilt. Wie vorherzusehen war, unternahm der kritisierte Borchmeyer den Versuch, die Arbeit seines Kritikers Lorenz vollständig zu verdammen. Anders, aber auch nicht gerade glücklich, steht es mit der "taz", die einen Biographen Walsers mit der Rezension betraute. Jörg Magenaus Biographie hat ihre Meriten, aber den Vorwurf, sie lasse die gebotene Distanz zu ihrem Gegenstand vermissen, kann man ihr nicht ersparen.
Literaturwissenschaftliche Arbeit beruhte traditionell auf einigen Überzeugungen, die dichtungslogisch nicht zureichend zu begründen waren und dennoch galten. Dazu gehörte die ungeschriebene Regel, um der wissenschaftlichen Distanz willen nicht über lebende Autoren zu urteilen, schon gar nicht, wenn die Fragestellung vom öffentlichen Diskurs vorgegeben wird. Dazu zählte auch die taktvolle Unterscheidung zwischen Autor, Erzähler und dargestellten Figuren, obwohl schwer zu bezweifeln ist, daß die Instanz des Erzählers oft als Tarnung oder "Maske des wirklichen Autors" (Paul Ricoeur) fungiert. Diese höflichen Konventionen sind jedenfalls inzwischen von der Literatur wie der Literaturwissenschaft weitgehend aufgelöst worden. Für viele Gegenwartsautoren, von Rainald Goetz bis Herta Müller, ist es gleichsam Ehrensache, mit der eigenen Person und Biographie für das Werk einzustehen. Entsprechend sind als kritisch sich verstehende Literaturwissenschaftler bereit, ihre Hände nicht in der vermeintlichen Unschuld des rein Literarischen zu waschen.
Ohne Unbehagen geht das auch bei Lorenz nicht ab. So betont er eingangs, es sei nicht seine Absicht, Martin Walser "zu beschädigen, herabzusetzen oder zu kränken", aber er weiß natürlich, daß dies bei Walsers Talent zum Gekränktsein unweigerlich der Fall sein wird. So bemüht sich Lorenz gar nicht erst um freundliche Verbrämung seiner Methode. Er möchte "den Autor zu fassen" bekommen, unter der Oberfläche zum "Subtext" und zur "Textintentionalität", zum "eigentlich Gemeinten" vordringen. Das bedeutet, daß sowohl die Rede des Erzählers wie die der Figuren als "Verflechtung von Text und Autor" auf Walser als Schriftsteller und öffentliche Person zurückgeführt wird. Aber nicht auf ihn allein. Lorenz will am Beispiel Walsers vielmehr zeigen, "daß es literarischen Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit und Gegenwart gab beziehungsweise gibt und daß dieser gerade in der auf einen antifaschistischen Konsens gegründeten Gruppe 47 einen Ort hatte".
Umkehr von Täter und Opfer
Einer ironischen Maxime Ruth Klügers folgend, soll dabei von Texten geredet werden, die unerforschliche Seele der Dichter stünde auf einem anderen Blatt. Der Interpret fragt also nicht, ob Walser ein genuiner Antisemit ist, seine Ausgangsfrage lautet vielmehr, ob sich in Walsers Schriften Verfahrensweisen eines "literarischen Antisemitismus" finden lassen. Der Differenzierung dieses Begriffs dient ein Katalog von Typisierungen, Darstellungsweisen und Motiven, die in eindeutig antisemitischer Literatur verwendet worden sind. Das reicht von Stereotypen und Mythen (der häßliche, gefährliche, geldgierige oder der ewige Jude) bis zu affektiv herabsetzenden Stilmitteln und unterbliebenen Kommentaren oder Distanzierungen des Erzählers. Problematisch ist dabei, daß bereits die Wahl einer jüdischen Figur gleichsam einen Anfangsverdacht ergibt, vor allem wenn sie nicht im Kontext motiviert wird. Freilich will Lorenz seine Kriterien weniger als Indikatoren verstehen, sondern deren "Ensemblewirkung" darstellen.
Lorenz verleugnet nicht, daß dies ein Verfahren ist, das den Blick auf die Formenvielfalt literarischer Texte verengt. Entsprechende Vorsicht läßt der Verfasser aber bewußt nicht walten, angesichts der so meinungsstark wie unübersichtlich geratenen Debatte drängt es ihn zu klaren Aussagen. Den Roman "Tod eines Kritikers" beurteilt Lorenz als "geradezu archetypisch antisemitisches Stück Literatur". Ausnahmslos alle dargestellten jüdischen Figuren würden da unhinterfragt mit antisemitischen Klischees beschrieben, um sie "als jüdische auszuweisen und herabzusetzen". Als Ensemble betrachtet, solle dabei der Eindruck entstehen, alle Medienmacht befinde sich in jüdischer Hand. Die geschilderte Beziehung zwischen dem deutschen Autor und dem jüdischen Kritiker bediene "das tradierte Muster einer Täter-Opfer-Umkehr". Es gebe "keinerlei Signale einer Distanzierung des Autors von den von ihm geschaffenen antisemitischen Figurenbildern".
Eindeutig formuliert Lorenz auch seine Analyse von Walsers öffentlichem Umgang mit jüdischen Zeitgenossen wie Marcel Reich-Ranicki, Ignatz Bubis, Jurek Becker oder Ruth Klüger. Immer wieder sei erkennbar, daß Walser deren "Eigenständigkeit als jüdische Deutsche nicht anerkennt" und sie aus seinem regressiven Wunschbild einer selbstbestimmten Nationalkultur ausgrenze. Bis hinein in mißglückte Scherze, wenn zum Beispiel Walser Ignatz Bubis öffentlich zu Weihnachten einen guten Rotwein wünscht, weil der "völkerverbindend" sei, konstatiert Lorenz antijüdische Ressentiments. Der Deutsche jüdischen Glaubens werde da "als Angehöriger eines fremden Volksstamms" betrachtet. Dieses Muster sei in Walsers Äußerungen durchgängig zu beobachten. So, wenn Walser die Frage der Ansprüche von Zwangsarbeitern als "ausländisches Problem" bezeichne, zu dem er sich nicht äußern wolle. In bezeichnender Umkehrung verbitte er sich daher notorisch die Einreden von Juden zu "deutschen Angelegenheiten".
Auch zu einer zentralen Frage der Walser-Biographik, ob sich nämlich Walser in den Achtzigern von einem sozialistischen zu einem nationalkonservativen Autor gewandelt habe, äußert sich Lorenz deutlich. Er sieht dafür in seiner Perspektive "kaum plausible Gründe". Vielmehr konstatiert er gerade hinsichtlich der Judendarstellung und des Auschwitzdiskurses "eine weitgehende Werkkontinuität". Das entspricht seiner Überzeugung, daß der Antisemitismus in Deutschland keine Frage von rechts oder links ist. So ergeben die Analysen früherer Texte Walsers kontinuierliche Befunde. "Seine ressentimentgeladene Auseinandersetzung mit realen Juden und jüdischen Figuren zeigt über Jahrzehnte hinweg, daß er nicht nur in einem einzelnen Roman und nicht nur einem einzelnen Erzfeind gegenüber antisemitisch auffällig wurde."
Lieber noch mal nachschauen
Allerdings habe es eine Radikalisierung Walsers bei gleichzeitigem Rückzug auf eine nicht mehr "rechtfertigungspflichtige" Instanz des Gewissens gegeben, die durch öffentliche Kränkungen befördert worden sei. Gerade von jüdischen Kritikern wie Jurek Becker habe Walser sich bedroht gefühlt: "Die unterstellte moralische Überlegenheit dessen, der Angehörige in Auschwitz verlor, wird ihm zur Kränkung."
Der Roman "Ohne einander" (1993) dient Lorenz als exemplarisches Beispiel dafür, daß Literaturwissenschaft und Kritik zu lange freundlich oder unbedarft über Walsers antisemitische Muster hinweggesehen haben. Die mit antijüdischen Stereotypen ausgestattete Figur des Wolf Koltzsch stehe der Darstellung André Ehrl-Königs in "Tod eines Kritikers" in nichts nach. "Der überdeutlich als Judenkarikatur gezeichnete Koltzsch reglementiert den Diskurs der Deutschen." Die Figur Ernest Müller-Ernst beziehe in dem Roman bereits jene Position zur "Dauerrepräsentation unserer Schande", die Walser dann in der Friedenspreis-Rede geäußert habe. Die Interpretation von "Ohne einander" ist exemplarisch für das Verfahren der Untersuchung. Deren Ergebnisse sind nachvollziehbar und ziemlich verstörend, wenn man die Reden der Figuren wie Lorenz "als literarisch kaum gebrochene Statements des empirischen Autors" liest.
Kontinuität in der Abwehr jüdischer Einrede ist Lorenz zufolge auch in Walsers essayistischem Werk gegeben. Die deutsche Schuld werde da in immer erneuten Anläufen "externalisiert". In Walsers Anstrengungen zur Klärung und Normalisierung einer von Auschwitz belasteten Identität sind Juden die anderen: "Sie gehören nicht dazu." In Walsers intentionalistischem Geschichtsbild erscheine dagegen "die deutsche Bevölkerung als Opfer ihrer eigenen Geschichte". Juden aber mißbrauchten in seiner Sicht "Auschwitz zu gegenwärtigen Zwecken". Ziel seiner Erinnerungsabwehr sei zuletzt die "Konstruktion nationaler Identität über Auschwitz - und gegen die Juden".
Matthias N. Lorenz nimmt schließlich auch in der Beurteilung der Walser-Forschung kein Blatt vor den Mund. Sie habe die problematischen Signale "bislang mit einiger Konsequenz ignoriert". Lorenz provoziert diese Forschung mit Überpointierung, und es wird ihm entgegnet werden, seine Untersuchung sei methodologisch verengt und einseitig inhaltlich fixiert. In der Tat findet der Interpret in vielen Texten zwangsläufig, was er sucht, und wenn er nichts findet, weiß er auch die "Leerstelle" noch im Sinne jener Kontinuität zu deuten. Zurückhaltung liegt Lorenz auch sprachlich nicht. Trotz guter Vorsätze rutscht er oft in den Jargon des eifrigen Anklägers, der sich im Einklang mit dem Sittengesetz weiß.
Entlastende Momente führt er gelegentlich an, läßt sie aber in der Bilanz nicht gelten. Denunziatorisch aber kann man die Arbeit dennoch nicht nennen. Lorenz bleibt in seinen Beurteilungen deutlich unterhalb der Schwelle eines wohlfeilen Alarmismus geschweige denn des diffamierenden Klatschs. Er hält sich an eine freilich erschreckend große Zahl von Belegstellen und bringt dabei nichts an den Tag, was der Leser nicht nachlesen könnte.
Auch die Literaturwissenschaft sollte die Untersuchung trotz der methodologischen Einwände nicht als "indiskutabel" qualifizieren. Zu prägnant treten in den Befunden Verteilung und Funktion antisemitischer Klischees als Formen der Erinnerungsabwehr bei Walser hervor, als daß man sie durch bloßen Verweis auf die mangelnde Berücksichtigung genuin literarischer Verfahrensweisen abtun könnte. Der Zusammenhang von Walsers patriotischem Projekt mit der negativen Charakterisierung von Juden kann nun nicht mehr geleugnet werden, auch wenn deren Funktion in den Texten verschieden beurteilt werden wird.
Jurek Becker hat einmal im Zorn zu Walser gesagt, er habe dessen Bücher "vielleicht doch falsch gelesen". Er müsse "da noch mal nachschauen". Das sollten nun unbedingt auch Walser geneigte Leser wie Literaturwissenschaftler tun.
Matthias N. Lorenz: "Auschwitz drängt uns auf einen Fleck". Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2005. 560 S., geb., 49,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Matthias N. Lorenz untersucht Martin Walsers Judendarstellung
Der junge Literaturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat eine umfassende Untersuchung zur Judendarstellung und zum Auschwitzdiskurs im Werk Walsers als Dissertation vorgelegt. Sie enthält auch den Versuch, die Hauptlinien der heftig geführten Debatte um Walsers umstrittenen Skandalroman "Tod eines Kritikers" (2002) kritisch nachzuzeichnen. Vor aller Beurteilung handelt es sich um ein mutiges Unterfangen, das hinsichtlich einer akademischen Karriere ziemlich riskant ist. Der Lagerbildung, die der Autor konstatiert, wird seine Abhandlung wohl nicht entkommen. Als Rezensenten verpflichtete zum Beispiel die "Süddeutsche Zeitung" den Germanisten Dieter Borchmeyer, Verfasser und Herausgeber von teilweise polemischen Beiträgen zum Thema, die Lorenz in seinem Buch als apologetisch und fehlerhaft beurteilt. Wie vorherzusehen war, unternahm der kritisierte Borchmeyer den Versuch, die Arbeit seines Kritikers Lorenz vollständig zu verdammen. Anders, aber auch nicht gerade glücklich, steht es mit der "taz", die einen Biographen Walsers mit der Rezension betraute. Jörg Magenaus Biographie hat ihre Meriten, aber den Vorwurf, sie lasse die gebotene Distanz zu ihrem Gegenstand vermissen, kann man ihr nicht ersparen.
Literaturwissenschaftliche Arbeit beruhte traditionell auf einigen Überzeugungen, die dichtungslogisch nicht zureichend zu begründen waren und dennoch galten. Dazu gehörte die ungeschriebene Regel, um der wissenschaftlichen Distanz willen nicht über lebende Autoren zu urteilen, schon gar nicht, wenn die Fragestellung vom öffentlichen Diskurs vorgegeben wird. Dazu zählte auch die taktvolle Unterscheidung zwischen Autor, Erzähler und dargestellten Figuren, obwohl schwer zu bezweifeln ist, daß die Instanz des Erzählers oft als Tarnung oder "Maske des wirklichen Autors" (Paul Ricoeur) fungiert. Diese höflichen Konventionen sind jedenfalls inzwischen von der Literatur wie der Literaturwissenschaft weitgehend aufgelöst worden. Für viele Gegenwartsautoren, von Rainald Goetz bis Herta Müller, ist es gleichsam Ehrensache, mit der eigenen Person und Biographie für das Werk einzustehen. Entsprechend sind als kritisch sich verstehende Literaturwissenschaftler bereit, ihre Hände nicht in der vermeintlichen Unschuld des rein Literarischen zu waschen.
Ohne Unbehagen geht das auch bei Lorenz nicht ab. So betont er eingangs, es sei nicht seine Absicht, Martin Walser "zu beschädigen, herabzusetzen oder zu kränken", aber er weiß natürlich, daß dies bei Walsers Talent zum Gekränktsein unweigerlich der Fall sein wird. So bemüht sich Lorenz gar nicht erst um freundliche Verbrämung seiner Methode. Er möchte "den Autor zu fassen" bekommen, unter der Oberfläche zum "Subtext" und zur "Textintentionalität", zum "eigentlich Gemeinten" vordringen. Das bedeutet, daß sowohl die Rede des Erzählers wie die der Figuren als "Verflechtung von Text und Autor" auf Walser als Schriftsteller und öffentliche Person zurückgeführt wird. Aber nicht auf ihn allein. Lorenz will am Beispiel Walsers vielmehr zeigen, "daß es literarischen Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit und Gegenwart gab beziehungsweise gibt und daß dieser gerade in der auf einen antifaschistischen Konsens gegründeten Gruppe 47 einen Ort hatte".
Umkehr von Täter und Opfer
Einer ironischen Maxime Ruth Klügers folgend, soll dabei von Texten geredet werden, die unerforschliche Seele der Dichter stünde auf einem anderen Blatt. Der Interpret fragt also nicht, ob Walser ein genuiner Antisemit ist, seine Ausgangsfrage lautet vielmehr, ob sich in Walsers Schriften Verfahrensweisen eines "literarischen Antisemitismus" finden lassen. Der Differenzierung dieses Begriffs dient ein Katalog von Typisierungen, Darstellungsweisen und Motiven, die in eindeutig antisemitischer Literatur verwendet worden sind. Das reicht von Stereotypen und Mythen (der häßliche, gefährliche, geldgierige oder der ewige Jude) bis zu affektiv herabsetzenden Stilmitteln und unterbliebenen Kommentaren oder Distanzierungen des Erzählers. Problematisch ist dabei, daß bereits die Wahl einer jüdischen Figur gleichsam einen Anfangsverdacht ergibt, vor allem wenn sie nicht im Kontext motiviert wird. Freilich will Lorenz seine Kriterien weniger als Indikatoren verstehen, sondern deren "Ensemblewirkung" darstellen.
Lorenz verleugnet nicht, daß dies ein Verfahren ist, das den Blick auf die Formenvielfalt literarischer Texte verengt. Entsprechende Vorsicht läßt der Verfasser aber bewußt nicht walten, angesichts der so meinungsstark wie unübersichtlich geratenen Debatte drängt es ihn zu klaren Aussagen. Den Roman "Tod eines Kritikers" beurteilt Lorenz als "geradezu archetypisch antisemitisches Stück Literatur". Ausnahmslos alle dargestellten jüdischen Figuren würden da unhinterfragt mit antisemitischen Klischees beschrieben, um sie "als jüdische auszuweisen und herabzusetzen". Als Ensemble betrachtet, solle dabei der Eindruck entstehen, alle Medienmacht befinde sich in jüdischer Hand. Die geschilderte Beziehung zwischen dem deutschen Autor und dem jüdischen Kritiker bediene "das tradierte Muster einer Täter-Opfer-Umkehr". Es gebe "keinerlei Signale einer Distanzierung des Autors von den von ihm geschaffenen antisemitischen Figurenbildern".
Eindeutig formuliert Lorenz auch seine Analyse von Walsers öffentlichem Umgang mit jüdischen Zeitgenossen wie Marcel Reich-Ranicki, Ignatz Bubis, Jurek Becker oder Ruth Klüger. Immer wieder sei erkennbar, daß Walser deren "Eigenständigkeit als jüdische Deutsche nicht anerkennt" und sie aus seinem regressiven Wunschbild einer selbstbestimmten Nationalkultur ausgrenze. Bis hinein in mißglückte Scherze, wenn zum Beispiel Walser Ignatz Bubis öffentlich zu Weihnachten einen guten Rotwein wünscht, weil der "völkerverbindend" sei, konstatiert Lorenz antijüdische Ressentiments. Der Deutsche jüdischen Glaubens werde da "als Angehöriger eines fremden Volksstamms" betrachtet. Dieses Muster sei in Walsers Äußerungen durchgängig zu beobachten. So, wenn Walser die Frage der Ansprüche von Zwangsarbeitern als "ausländisches Problem" bezeichne, zu dem er sich nicht äußern wolle. In bezeichnender Umkehrung verbitte er sich daher notorisch die Einreden von Juden zu "deutschen Angelegenheiten".
Auch zu einer zentralen Frage der Walser-Biographik, ob sich nämlich Walser in den Achtzigern von einem sozialistischen zu einem nationalkonservativen Autor gewandelt habe, äußert sich Lorenz deutlich. Er sieht dafür in seiner Perspektive "kaum plausible Gründe". Vielmehr konstatiert er gerade hinsichtlich der Judendarstellung und des Auschwitzdiskurses "eine weitgehende Werkkontinuität". Das entspricht seiner Überzeugung, daß der Antisemitismus in Deutschland keine Frage von rechts oder links ist. So ergeben die Analysen früherer Texte Walsers kontinuierliche Befunde. "Seine ressentimentgeladene Auseinandersetzung mit realen Juden und jüdischen Figuren zeigt über Jahrzehnte hinweg, daß er nicht nur in einem einzelnen Roman und nicht nur einem einzelnen Erzfeind gegenüber antisemitisch auffällig wurde."
Lieber noch mal nachschauen
Allerdings habe es eine Radikalisierung Walsers bei gleichzeitigem Rückzug auf eine nicht mehr "rechtfertigungspflichtige" Instanz des Gewissens gegeben, die durch öffentliche Kränkungen befördert worden sei. Gerade von jüdischen Kritikern wie Jurek Becker habe Walser sich bedroht gefühlt: "Die unterstellte moralische Überlegenheit dessen, der Angehörige in Auschwitz verlor, wird ihm zur Kränkung."
Der Roman "Ohne einander" (1993) dient Lorenz als exemplarisches Beispiel dafür, daß Literaturwissenschaft und Kritik zu lange freundlich oder unbedarft über Walsers antisemitische Muster hinweggesehen haben. Die mit antijüdischen Stereotypen ausgestattete Figur des Wolf Koltzsch stehe der Darstellung André Ehrl-Königs in "Tod eines Kritikers" in nichts nach. "Der überdeutlich als Judenkarikatur gezeichnete Koltzsch reglementiert den Diskurs der Deutschen." Die Figur Ernest Müller-Ernst beziehe in dem Roman bereits jene Position zur "Dauerrepräsentation unserer Schande", die Walser dann in der Friedenspreis-Rede geäußert habe. Die Interpretation von "Ohne einander" ist exemplarisch für das Verfahren der Untersuchung. Deren Ergebnisse sind nachvollziehbar und ziemlich verstörend, wenn man die Reden der Figuren wie Lorenz "als literarisch kaum gebrochene Statements des empirischen Autors" liest.
Kontinuität in der Abwehr jüdischer Einrede ist Lorenz zufolge auch in Walsers essayistischem Werk gegeben. Die deutsche Schuld werde da in immer erneuten Anläufen "externalisiert". In Walsers Anstrengungen zur Klärung und Normalisierung einer von Auschwitz belasteten Identität sind Juden die anderen: "Sie gehören nicht dazu." In Walsers intentionalistischem Geschichtsbild erscheine dagegen "die deutsche Bevölkerung als Opfer ihrer eigenen Geschichte". Juden aber mißbrauchten in seiner Sicht "Auschwitz zu gegenwärtigen Zwecken". Ziel seiner Erinnerungsabwehr sei zuletzt die "Konstruktion nationaler Identität über Auschwitz - und gegen die Juden".
Matthias N. Lorenz nimmt schließlich auch in der Beurteilung der Walser-Forschung kein Blatt vor den Mund. Sie habe die problematischen Signale "bislang mit einiger Konsequenz ignoriert". Lorenz provoziert diese Forschung mit Überpointierung, und es wird ihm entgegnet werden, seine Untersuchung sei methodologisch verengt und einseitig inhaltlich fixiert. In der Tat findet der Interpret in vielen Texten zwangsläufig, was er sucht, und wenn er nichts findet, weiß er auch die "Leerstelle" noch im Sinne jener Kontinuität zu deuten. Zurückhaltung liegt Lorenz auch sprachlich nicht. Trotz guter Vorsätze rutscht er oft in den Jargon des eifrigen Anklägers, der sich im Einklang mit dem Sittengesetz weiß.
Entlastende Momente führt er gelegentlich an, läßt sie aber in der Bilanz nicht gelten. Denunziatorisch aber kann man die Arbeit dennoch nicht nennen. Lorenz bleibt in seinen Beurteilungen deutlich unterhalb der Schwelle eines wohlfeilen Alarmismus geschweige denn des diffamierenden Klatschs. Er hält sich an eine freilich erschreckend große Zahl von Belegstellen und bringt dabei nichts an den Tag, was der Leser nicht nachlesen könnte.
Auch die Literaturwissenschaft sollte die Untersuchung trotz der methodologischen Einwände nicht als "indiskutabel" qualifizieren. Zu prägnant treten in den Befunden Verteilung und Funktion antisemitischer Klischees als Formen der Erinnerungsabwehr bei Walser hervor, als daß man sie durch bloßen Verweis auf die mangelnde Berücksichtigung genuin literarischer Verfahrensweisen abtun könnte. Der Zusammenhang von Walsers patriotischem Projekt mit der negativen Charakterisierung von Juden kann nun nicht mehr geleugnet werden, auch wenn deren Funktion in den Texten verschieden beurteilt werden wird.
Jurek Becker hat einmal im Zorn zu Walser gesagt, er habe dessen Bücher "vielleicht doch falsch gelesen". Er müsse "da noch mal nachschauen". Das sollten nun unbedingt auch Walser geneigte Leser wie Literaturwissenschaftler tun.
Matthias N. Lorenz: "Auschwitz drängt uns auf einen Fleck". Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 2005. 560 S., geb., 49,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2005Pranger-Philologie
Eine Doktorarbeit zu Martin Walser / Von Dieter Borchmeyer
Als Martin Walser 1995 anlässlich der postumen Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises an Victor Klemperer seine Laudatio auf Klemperer und dessen Tagebücher gehalten hatte (ihre Publikation ist Walser zu verdanken), umarmte Peter Klemperer, der Neffe des Geehrten, den Redner und bekannte: So wie Walser seinen Onkel geschildert habe, sei er wirklich gewesen. Seither stehen Walser und Peter Klemperer in freundschaftlicher Verbindung: der anscheinend nichtsahnende Jude und der neuerdings entlarvte Antisemit. Denn dass Walser ein solcher ist - und zwar nicht erst seit seiner vermeintlichen konservativen Tendenzwende, sondern „subtextuell”, wie man das heute nennt, auch schon in der Zeit seines „linken” Engagements, dafür glaubt der Lüneburger Doktorand Matthias N. Lorenz auf den 560 Seiten seiner Dissertation schlüssige Beweise erbracht zu haben. Und er muss ja recht haben, wenn Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, ein Vorwort zu diesem Buch beisteuert und konstatiert, diese Untersuchung mache „der Spekulation und Mutmaßung ein Ende”.
Im Vorwort von Benz klingt manches freilich ganz anders als in der folgenden Dissertation. Peinlich vermeidet es eine persönliche Schuldzuweisung an Walser, wehrt „pauschale Urteile” gegen ihn ab. Unmissverständlich schreibt Benz: „,Tod eines Kritikers ist ganz sicher kein unproblematischer Roman, gleichwohl ist Walser kein Antisemit.” Daran wird füglich zweifeln müssen, wer Lorenz Glauben schenkt, der „Tod eines Kritikers” (2002) ebenso unmissverständlich als „modernen antisemitischen Roman” brandmarkt, in dem die Ermordung eines unsympathischen Juden „gerechtfertigt” werde.
Im Karussell der Gerüchte
Lorenz Textanalysen wird der vielbeschäftigte Historiker wohl nicht so genau gelesen haben - er scheint den Selbstbekundungen des Autors der Dissertation auf deren ersten hundert Seiten auf den Leim gegangen zu sein. Denn da tritt ein philologischer Biedermann auf, der es vermeiden will, „den Menschen Martin Walser zu beschädigen, herabzusetzen oder zu kränken”, der zu Frank Schirrmachers Polemik gegen den „Tod eines Kritikers” auf Distanz geht, weil sie den Roman nicht als fiktionales literarisches Werk, sondern wie ein Pamphlet behandelt habe, der gegen Kritiker und Wissenschaftler protestiert, denen in ihrem Affekt gegen Walser „das Handwerkszeug abhanden gekommen” sei (wie Klaus Briegleb) und der schließlich fordert, ungeachtet aller Kritik „Walser als einen der wichtigsten deutschen Nachkriegsschriftsteller zu akzeptieren” und eine „Philologie des Verdachts” weit von sich weist.
Doch spätestens nachdem Lorenz den dissertationsüblichen Frondienst der Auseinandersetzung mit der Forschung abgeschlossen hat und sich selbst an die Analyse macht, schlägt er andere Töne an. Nun hagelt es massive moralische Werturteile - von „schamlos” bis „infam” - gegen den Autor Martin Walser. Lorenz wirft seine eigenen methodischen Vorsätze - keine Verdächtigungsphilologie, Unterscheidung zwischen der Person des Autors und seinem Werk, Wertungen nur aufgrund sorgfältiger Beachtung der fiktionalen Strukturen desselben - immer wieder über den Haufen.
Das zeigt sich zumal an Lorenz Umgang mit dem Roman „Tod eines Kritikers”, der im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Lorenz hat selbst in seinem Literaturbericht referiert, dass der ersten Rezeptionsphase - den heftigen Presseattacken auf den Roman - eine von der Öffentlichkeit abgeschirmte Phase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gefolgt sei. Diese ist der Lesart des Romans als eines antisemitischen Schlüsselromans in der Regel nicht gefolgt, sondern hat dem „Tod eines Kritikers” eine judenfeindliche Tendenz abgestritten. Hans Reiss, der in England lehrende emigrierte jüdische Germanist, hat - nicht als Einziger - darauf hingewiesen, das Jude-Sein des Kritikers Ehrl-König sei ja nur ein Gerücht, dem andere Gerüchte im Medien- und Gerüchtekarussell dieses Romans entgegenstehen.
Lakonisch, den Forschungsstand auf den Punkt bringend, konstatierte Stefan Neuhaus 2004: „Kein Schlüsselroman - kein Antisemitismus”. Lorenz macht sich jedoch nicht nur die Schlüsselromanthese entschieden zu eigen, sondern schreibt, der Roman sei partiell ein „manifest antijüdisches Pamphlet”. In seiner Fixierung auf eine 1:1-Relation zwischen Vorbild und Romangestalt - Ehrl-König ist für ihn schlicht und einfach Marcel Reich-Ranicki, den der Autor „auf dem Papier zu vernichten” strebe - wertet er alle Abweichungen der fiktiven Figur von ihrem Modell als Ausfluchtmanöver, Perfidie oder Geschmacklosigkeit Walsers, anstatt einfach einzugestehen, dass Reich-Ranicki zwar das Hauptvorbild für Ehrl-König ist, dieser aber wie jede glaubwürdige literarische Figur auch aus anderen, vor allem erfundenen Elementen zusammengesetzt ist.
Zu welch grotesken Entstellungen solche Verwechslung von Fiktion und Realität führt, zeigt das Beispiel der Verlegergattin Julia Pelz. Weil diese nach dem Willen von Lorenz mit Ulla Berkéwicz, der Witwe von Siegfried Unseld und Suhrkamp-Verlegerin, identisch sein soll, diese aber Jüdin sei (was übrigens nicht zutrifft, auch wenn sie einige jüdische Vorfahren hat), wird ihr angebliches Pendant im Roman auch als Jüdin ausgegeben. Und so wird sie nach allen „Regeln” der Entlarvungsphilologie auf jüdische Klischees hin abgeklopft und als antisemitisch gezeichnete Negativfigur decouvriert. Dabei macht Lorenz kaum je Unterschiede zwischen Figuren- und Erzählerperspektive, ja schreibt diese wie jene immer wieder Walser selber zu - ein Grundfehler, den ein Philologiestudent schon im ersten Semester zu vermeiden lernt.
Unter jüngeren Literaturwissenschaftlern bildet die Entlarvung von „literarischem Antisemitismus” - ein von Martin Gubser stammender, mehr als schiefer Terminus - eine bevorzugte Sportart, deren besonders beliebtes Objekt Thomas Mann geworden ist. Vom „Tod eines Kritikers” aus liest Lorenz nun das gesamte uvre Walsers, Tausende Seiten Prosa und Dramatik, rückwirkend neu. So scheint es auch bei Walser von direkten und indirekten antisemitischen Stereotypen zu wimmeln: Judennasen zuhauf, Fixiertheit auf Geld und Sex - und natürlich die „schöne Jüdin”. Ob der frühe oder späte, der linke oder der rechte Walser - Lorenz will da keinen großen Unterschied sehen: Werkkontinuität, nicht zuletzt gestiftet durch Antisemitismus. Dass Martin Walser als strenger Kafka-Schüler mit einer seinerzeit an einer deutschen Universität wahrhaft bahnbrechenden Dissertation über den jüdischen Autor begonnen hat, zählt für Lorenz nicht: Kafkas Judentum spiele in dieser Dissertation ja gar keine Rolle.
Lorenz betont immer wieder, Walsers „ausgeprägte”, „ressentimentgeladene”, jedenfalls notorische „Judeophobie”, die ihn in die Nähe der „rechtsextremen Szene” bringe, sei keineswegs unbewusst, sondern hochbewusste Konstruktion, die er für sein nationales oder nationalistisches Projekt brauche. Wolfgang Benz spricht in seinem Vorwort von Lorenz These eines „patriotischen Projekts” bei Walser. Doch die schöne Vokabel „patriotisch” (bei der man Dolf Sternbergers „Verfassungspatriotismus” mitdenken darf) kommt bei Lorenz gar nicht vor. Er gebraucht statt dessen den Ausdruck „nationalistisches Projekt”. Seine Seite für Seite wiederholte Hauptthese ist, dass Walser die Täter-Opfer-Relation zwischen Deutschen und Juden nivelliere, wenn nicht umkehre. Damit folge er einem gegenwärtigen Trend, wie er sich auch in Günter Grass „Im Krebsgang” bedenklich manifestiere: das Tätervolk als Opfer. Bei Walser diene diese Tendenz der Absicht, die Deutschen von ihrer negativen Stigmatisierung zu befreien. Walser „neide” den Juden „ihren Status als Opfer und die damit verbundene Überlegenheit”. Die Schuld des deutschen Kollektivs werde auf das jüdische Gegenüber projiziert, um durch die „Beschmutzung” von dessen „Reinheit” der Täter-Opfer-Symbiose zu entgehen.
Die Vereinnahmung als Kehrseite der Ausgrenzung zeigt sich nach Lorenz besonders deutlich in Walsers Verhältnis zu Ruth Klüger und Victor Klemperer. Walser beschrieb vor gut einem Jahrzehnt seine „pfingsthafte Empfindung” (Lorenz, der wohl nie die Bibel gelesen hat, nennt das „völkische Sprache”) beim Sprachwunder von Ruth Klügers Erinnerungsbuch „weiter leben”: „Mir ist das vorgekommen wie ein Wunder, daß sie nach über vierzig Jahren Abwesenheit eine Sprache schreibt, als habe sie den siebten Bezirk nie verlassen.” Dazu Lorenz mit der sauertöpfischen Miene des Inquisitors: „Walser sagt nicht: ,verlassen müssen. Damit betont er ihr Überleben und degradiert die Deportation zum Intermezzo” und: „Sie wird als Deutsche vereinnahmt”. Keine Chance für Walser!
Perfide, aber unbeschädigt
Selbst die bewegenden Auschwitz-Traktate Walsers rücken als „reaktionär” ins völkische Zwielicht. Wenn er seinen Essay von 1965 „Unser Auschwitz” nennt, reserviere er in seinem angeblich ethnischen Denken das erinnernde „Wir” für die deutsche Abstammungsgesellschaft, schließe die Juden aus, beschwöre ein neues nationales Kollektiv: „Definition des Nationalen über Auschwitz”. Und wenn es Walser schmerzt, dass die wahren Handlanger, die eigentlichen Drahtzieher des „Systems” im Auschwitzprozess nicht zu belangen waren, ist für Lorenz auch das nur eine Ablenkung von den Verbrechen des Nationalsozialismus. Was immer Walser sagt, ihm wird ein anderer, ein „perfider” Sinn unterschoben: nichts als „Schamlosigkeit” wird seinem „nationalistisch-partikularistischen Konstrukt” am Ende des Buchs bescheinigt. Aber als „Mensch” soll Walser nicht beschädigt werden, hieß es am Anfang. Doch wie kann Lorenz jemandem, der sein ganzes Werk einem „schamlosen” und „perfiden” nationalistisch-antisemitischen Projekt widmet, zubilligen, noch ein integrer Mensch zu sein?
Diese Dissertation stellt der universitären Institution, die für sie die Verantwortung übernommen hat, kein gutes Zeugnis aus. Das in Aufbau und Umfang monströse, im Gehalt denunziatorische Buch argumentiert in weiten Teilen auf wissenschaftlich indiskutable Weise. Als abschreckendes Beispiel der ideologischen und moralischen Hinrichtung eines bedeutenden Schriftstellers diene es zur Warnung vor einer vermeintlichen Wissenschaft, die Literatur nicht erhellt und erhält, sondern vernichtet.
MATTHIAS N. LORENZ: „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck”. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2005. 560 Seiten, 49,95 Euro.
Dieter Borchmeyer lehrt Germanistik in Heidelberg und ist Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
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Eine Doktorarbeit zu Martin Walser / Von Dieter Borchmeyer
Als Martin Walser 1995 anlässlich der postumen Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises an Victor Klemperer seine Laudatio auf Klemperer und dessen Tagebücher gehalten hatte (ihre Publikation ist Walser zu verdanken), umarmte Peter Klemperer, der Neffe des Geehrten, den Redner und bekannte: So wie Walser seinen Onkel geschildert habe, sei er wirklich gewesen. Seither stehen Walser und Peter Klemperer in freundschaftlicher Verbindung: der anscheinend nichtsahnende Jude und der neuerdings entlarvte Antisemit. Denn dass Walser ein solcher ist - und zwar nicht erst seit seiner vermeintlichen konservativen Tendenzwende, sondern „subtextuell”, wie man das heute nennt, auch schon in der Zeit seines „linken” Engagements, dafür glaubt der Lüneburger Doktorand Matthias N. Lorenz auf den 560 Seiten seiner Dissertation schlüssige Beweise erbracht zu haben. Und er muss ja recht haben, wenn Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, ein Vorwort zu diesem Buch beisteuert und konstatiert, diese Untersuchung mache „der Spekulation und Mutmaßung ein Ende”.
Im Vorwort von Benz klingt manches freilich ganz anders als in der folgenden Dissertation. Peinlich vermeidet es eine persönliche Schuldzuweisung an Walser, wehrt „pauschale Urteile” gegen ihn ab. Unmissverständlich schreibt Benz: „,Tod eines Kritikers ist ganz sicher kein unproblematischer Roman, gleichwohl ist Walser kein Antisemit.” Daran wird füglich zweifeln müssen, wer Lorenz Glauben schenkt, der „Tod eines Kritikers” (2002) ebenso unmissverständlich als „modernen antisemitischen Roman” brandmarkt, in dem die Ermordung eines unsympathischen Juden „gerechtfertigt” werde.
Im Karussell der Gerüchte
Lorenz Textanalysen wird der vielbeschäftigte Historiker wohl nicht so genau gelesen haben - er scheint den Selbstbekundungen des Autors der Dissertation auf deren ersten hundert Seiten auf den Leim gegangen zu sein. Denn da tritt ein philologischer Biedermann auf, der es vermeiden will, „den Menschen Martin Walser zu beschädigen, herabzusetzen oder zu kränken”, der zu Frank Schirrmachers Polemik gegen den „Tod eines Kritikers” auf Distanz geht, weil sie den Roman nicht als fiktionales literarisches Werk, sondern wie ein Pamphlet behandelt habe, der gegen Kritiker und Wissenschaftler protestiert, denen in ihrem Affekt gegen Walser „das Handwerkszeug abhanden gekommen” sei (wie Klaus Briegleb) und der schließlich fordert, ungeachtet aller Kritik „Walser als einen der wichtigsten deutschen Nachkriegsschriftsteller zu akzeptieren” und eine „Philologie des Verdachts” weit von sich weist.
Doch spätestens nachdem Lorenz den dissertationsüblichen Frondienst der Auseinandersetzung mit der Forschung abgeschlossen hat und sich selbst an die Analyse macht, schlägt er andere Töne an. Nun hagelt es massive moralische Werturteile - von „schamlos” bis „infam” - gegen den Autor Martin Walser. Lorenz wirft seine eigenen methodischen Vorsätze - keine Verdächtigungsphilologie, Unterscheidung zwischen der Person des Autors und seinem Werk, Wertungen nur aufgrund sorgfältiger Beachtung der fiktionalen Strukturen desselben - immer wieder über den Haufen.
Das zeigt sich zumal an Lorenz Umgang mit dem Roman „Tod eines Kritikers”, der im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Lorenz hat selbst in seinem Literaturbericht referiert, dass der ersten Rezeptionsphase - den heftigen Presseattacken auf den Roman - eine von der Öffentlichkeit abgeschirmte Phase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gefolgt sei. Diese ist der Lesart des Romans als eines antisemitischen Schlüsselromans in der Regel nicht gefolgt, sondern hat dem „Tod eines Kritikers” eine judenfeindliche Tendenz abgestritten. Hans Reiss, der in England lehrende emigrierte jüdische Germanist, hat - nicht als Einziger - darauf hingewiesen, das Jude-Sein des Kritikers Ehrl-König sei ja nur ein Gerücht, dem andere Gerüchte im Medien- und Gerüchtekarussell dieses Romans entgegenstehen.
Lakonisch, den Forschungsstand auf den Punkt bringend, konstatierte Stefan Neuhaus 2004: „Kein Schlüsselroman - kein Antisemitismus”. Lorenz macht sich jedoch nicht nur die Schlüsselromanthese entschieden zu eigen, sondern schreibt, der Roman sei partiell ein „manifest antijüdisches Pamphlet”. In seiner Fixierung auf eine 1:1-Relation zwischen Vorbild und Romangestalt - Ehrl-König ist für ihn schlicht und einfach Marcel Reich-Ranicki, den der Autor „auf dem Papier zu vernichten” strebe - wertet er alle Abweichungen der fiktiven Figur von ihrem Modell als Ausfluchtmanöver, Perfidie oder Geschmacklosigkeit Walsers, anstatt einfach einzugestehen, dass Reich-Ranicki zwar das Hauptvorbild für Ehrl-König ist, dieser aber wie jede glaubwürdige literarische Figur auch aus anderen, vor allem erfundenen Elementen zusammengesetzt ist.
Zu welch grotesken Entstellungen solche Verwechslung von Fiktion und Realität führt, zeigt das Beispiel der Verlegergattin Julia Pelz. Weil diese nach dem Willen von Lorenz mit Ulla Berkéwicz, der Witwe von Siegfried Unseld und Suhrkamp-Verlegerin, identisch sein soll, diese aber Jüdin sei (was übrigens nicht zutrifft, auch wenn sie einige jüdische Vorfahren hat), wird ihr angebliches Pendant im Roman auch als Jüdin ausgegeben. Und so wird sie nach allen „Regeln” der Entlarvungsphilologie auf jüdische Klischees hin abgeklopft und als antisemitisch gezeichnete Negativfigur decouvriert. Dabei macht Lorenz kaum je Unterschiede zwischen Figuren- und Erzählerperspektive, ja schreibt diese wie jene immer wieder Walser selber zu - ein Grundfehler, den ein Philologiestudent schon im ersten Semester zu vermeiden lernt.
Unter jüngeren Literaturwissenschaftlern bildet die Entlarvung von „literarischem Antisemitismus” - ein von Martin Gubser stammender, mehr als schiefer Terminus - eine bevorzugte Sportart, deren besonders beliebtes Objekt Thomas Mann geworden ist. Vom „Tod eines Kritikers” aus liest Lorenz nun das gesamte uvre Walsers, Tausende Seiten Prosa und Dramatik, rückwirkend neu. So scheint es auch bei Walser von direkten und indirekten antisemitischen Stereotypen zu wimmeln: Judennasen zuhauf, Fixiertheit auf Geld und Sex - und natürlich die „schöne Jüdin”. Ob der frühe oder späte, der linke oder der rechte Walser - Lorenz will da keinen großen Unterschied sehen: Werkkontinuität, nicht zuletzt gestiftet durch Antisemitismus. Dass Martin Walser als strenger Kafka-Schüler mit einer seinerzeit an einer deutschen Universität wahrhaft bahnbrechenden Dissertation über den jüdischen Autor begonnen hat, zählt für Lorenz nicht: Kafkas Judentum spiele in dieser Dissertation ja gar keine Rolle.
Lorenz betont immer wieder, Walsers „ausgeprägte”, „ressentimentgeladene”, jedenfalls notorische „Judeophobie”, die ihn in die Nähe der „rechtsextremen Szene” bringe, sei keineswegs unbewusst, sondern hochbewusste Konstruktion, die er für sein nationales oder nationalistisches Projekt brauche. Wolfgang Benz spricht in seinem Vorwort von Lorenz These eines „patriotischen Projekts” bei Walser. Doch die schöne Vokabel „patriotisch” (bei der man Dolf Sternbergers „Verfassungspatriotismus” mitdenken darf) kommt bei Lorenz gar nicht vor. Er gebraucht statt dessen den Ausdruck „nationalistisches Projekt”. Seine Seite für Seite wiederholte Hauptthese ist, dass Walser die Täter-Opfer-Relation zwischen Deutschen und Juden nivelliere, wenn nicht umkehre. Damit folge er einem gegenwärtigen Trend, wie er sich auch in Günter Grass „Im Krebsgang” bedenklich manifestiere: das Tätervolk als Opfer. Bei Walser diene diese Tendenz der Absicht, die Deutschen von ihrer negativen Stigmatisierung zu befreien. Walser „neide” den Juden „ihren Status als Opfer und die damit verbundene Überlegenheit”. Die Schuld des deutschen Kollektivs werde auf das jüdische Gegenüber projiziert, um durch die „Beschmutzung” von dessen „Reinheit” der Täter-Opfer-Symbiose zu entgehen.
Die Vereinnahmung als Kehrseite der Ausgrenzung zeigt sich nach Lorenz besonders deutlich in Walsers Verhältnis zu Ruth Klüger und Victor Klemperer. Walser beschrieb vor gut einem Jahrzehnt seine „pfingsthafte Empfindung” (Lorenz, der wohl nie die Bibel gelesen hat, nennt das „völkische Sprache”) beim Sprachwunder von Ruth Klügers Erinnerungsbuch „weiter leben”: „Mir ist das vorgekommen wie ein Wunder, daß sie nach über vierzig Jahren Abwesenheit eine Sprache schreibt, als habe sie den siebten Bezirk nie verlassen.” Dazu Lorenz mit der sauertöpfischen Miene des Inquisitors: „Walser sagt nicht: ,verlassen müssen. Damit betont er ihr Überleben und degradiert die Deportation zum Intermezzo” und: „Sie wird als Deutsche vereinnahmt”. Keine Chance für Walser!
Perfide, aber unbeschädigt
Selbst die bewegenden Auschwitz-Traktate Walsers rücken als „reaktionär” ins völkische Zwielicht. Wenn er seinen Essay von 1965 „Unser Auschwitz” nennt, reserviere er in seinem angeblich ethnischen Denken das erinnernde „Wir” für die deutsche Abstammungsgesellschaft, schließe die Juden aus, beschwöre ein neues nationales Kollektiv: „Definition des Nationalen über Auschwitz”. Und wenn es Walser schmerzt, dass die wahren Handlanger, die eigentlichen Drahtzieher des „Systems” im Auschwitzprozess nicht zu belangen waren, ist für Lorenz auch das nur eine Ablenkung von den Verbrechen des Nationalsozialismus. Was immer Walser sagt, ihm wird ein anderer, ein „perfider” Sinn unterschoben: nichts als „Schamlosigkeit” wird seinem „nationalistisch-partikularistischen Konstrukt” am Ende des Buchs bescheinigt. Aber als „Mensch” soll Walser nicht beschädigt werden, hieß es am Anfang. Doch wie kann Lorenz jemandem, der sein ganzes Werk einem „schamlosen” und „perfiden” nationalistisch-antisemitischen Projekt widmet, zubilligen, noch ein integrer Mensch zu sein?
Diese Dissertation stellt der universitären Institution, die für sie die Verantwortung übernommen hat, kein gutes Zeugnis aus. Das in Aufbau und Umfang monströse, im Gehalt denunziatorische Buch argumentiert in weiten Teilen auf wissenschaftlich indiskutable Weise. Als abschreckendes Beispiel der ideologischen und moralischen Hinrichtung eines bedeutenden Schriftstellers diene es zur Warnung vor einer vermeintlichen Wissenschaft, die Literatur nicht erhellt und erhält, sondern vernichtet.
MATTHIAS N. LORENZ: „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck”. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2005. 560 Seiten, 49,95 Euro.
Dieter Borchmeyer lehrt Germanistik in Heidelberg und ist Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
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"Der junge Literaturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat eine umfassende Untersuchung zur Judendarstellung und zum Auschwitzdiskurs im Werk Walsers als Dissertation vorgelegt. Sie enthält auch den Versuch, die Hauptlinien der heftig geführten Debatte um Walsers umstrittenen Skandalroman "Tod eines Kritikers" kritisch nachzuzeichnen..." FAZ
Bestenliste der Süddeutschen Zeitung, Sachbücher des Monats (Oktober 2005): Der Titel "Lorenz, Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" steht im Oktober auf Platz 2 der Empfehlungsliste der Süddeutschen Zeitung.
"Doch, es habe sich um Antisemitismus gehandelt, behauptet jetzt Matthias N. Lorenz in seiner Abhandlung über Walser, und zwar nicht zufällig. Er durchpflügt das gesamte Werk Walsers mit dem Auge des Verdachts und findet überall hässliche Spuren." DIE ZEIT
"Der Kulturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat Walsers Lebenswerk untersucht, denn es beunruhigte ihn die Frage, die tatsächlich nicht nur den Autor betrifft, sondern auch seine Leser: Gibt es in diesem enormen Werk, gibt es in diesen zahlreichen Essays, Theaterstücken und Romanen, die als eine Geschichte des Bürgertums der Bundesrepublik genossen und verstanden worden sind, antisemitische Töne? Lorenz machte es sich nicht leicht. Ohne Pathos, mit glaubwürdiger Schlichtheit und philologischer Akribie forscht hier ein Detektiv im erweiterten Auftrag: Indem er das Werk Martin Walsers erkundet, erkundet er auch die Seelenlage der westdeutschen Republik." DER SPIEGEL
"In dem soeben erschienenen Buch "Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" spürt der Germanist Matthias N. Lorenz den Entwicklungslinien von Martin Walsers literarischen Anfängen bis hin zum umstrittenen 'Tod eines Kritikers' nach." DIE WELT
""Eine geisteswissenschaftliche Dissertation gehört üblicherweise nicht eben zu dem Stoff, der die öffentliche Erregung befördert. Dass dies nun einer umfassenden, in einem angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienenen Arbeit gelungen ist, kann nicht lediglich am Thema liegen..." Frankfurter Rundschau
"Lorenz ist ein sehr guter Kenner von Walsers Gesamtwerk und der Forschung darüber; vor drei Jahren hat er eine umfangreiche Forschungsbibliographie verfaßt. Walser-Themen und -Motive wie Auschwitz, Nation und jüdische Figurendarstellung werden so übergreifend wie nie zuvor abgehandelt." DEUTSCHLANDRADIO KULTUR
"Lorenz beginnt seine auf akribischer Textanalyse beruhende Studie mit einer minuziösen Darlegung aller Umstände des Skandalromans von 2002, in dem Walser mit der fiktiven Ermordung Marcel Reich-Ranickis spielt. Die hier freigelegten antisemitischen Subtexte dienen ihm sodann als Hintergrundfolie für den Gang durch das Gesamtwerk. Bereits für den frühen Roman 'Halbzeit' von 1960 weist Lorenz nach, dass Walser die Opferrolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zulasten der jüdischen Opfer hervorhebt." NZZ
"Die Studie unternimmt also nichts Geringeres als eine Analyse von Walsers Gesamtwerk, um die Antisemitismusvorwürfe zu prüfen. Und es sei vorweggenommen, dass dieser Anspruch bravourös eingelöst wird." H-Soz-u-Kult
Bestenliste der Süddeutschen Zeitung, Sachbücher des Monats (Oktober 2005): Der Titel "Lorenz, Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" steht im Oktober auf Platz 2 der Empfehlungsliste der Süddeutschen Zeitung.
"Doch, es habe sich um Antisemitismus gehandelt, behauptet jetzt Matthias N. Lorenz in seiner Abhandlung über Walser, und zwar nicht zufällig. Er durchpflügt das gesamte Werk Walsers mit dem Auge des Verdachts und findet überall hässliche Spuren." DIE ZEIT
"Der Kulturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat Walsers Lebenswerk untersucht, denn es beunruhigte ihn die Frage, die tatsächlich nicht nur den Autor betrifft, sondern auch seine Leser: Gibt es in diesem enormen Werk, gibt es in diesen zahlreichen Essays, Theaterstücken und Romanen, die als eine Geschichte des Bürgertums der Bundesrepublik genossen und verstanden worden sind, antisemitische Töne? Lorenz machte es sich nicht leicht. Ohne Pathos, mit glaubwürdiger Schlichtheit und philologischer Akribie forscht hier ein Detektiv im erweiterten Auftrag: Indem er das Werk Martin Walsers erkundet, erkundet er auch die Seelenlage der westdeutschen Republik." DER SPIEGEL
"In dem soeben erschienenen Buch "Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" spürt der Germanist Matthias N. Lorenz den Entwicklungslinien von Martin Walsers literarischen Anfängen bis hin zum umstrittenen 'Tod eines Kritikers' nach." DIE WELT
""Eine geisteswissenschaftliche Dissertation gehört üblicherweise nicht eben zu dem Stoff, der die öffentliche Erregung befördert. Dass dies nun einer umfassenden, in einem angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienenen Arbeit gelungen ist, kann nicht lediglich am Thema liegen..." Frankfurter Rundschau
"Lorenz ist ein sehr guter Kenner von Walsers Gesamtwerk und der Forschung darüber; vor drei Jahren hat er eine umfangreiche Forschungsbibliographie verfaßt. Walser-Themen und -Motive wie Auschwitz, Nation und jüdische Figurendarstellung werden so übergreifend wie nie zuvor abgehandelt." DEUTSCHLANDRADIO KULTUR
"Lorenz beginnt seine auf akribischer Textanalyse beruhende Studie mit einer minuziösen Darlegung aller Umstände des Skandalromans von 2002, in dem Walser mit der fiktiven Ermordung Marcel Reich-Ranickis spielt. Die hier freigelegten antisemitischen Subtexte dienen ihm sodann als Hintergrundfolie für den Gang durch das Gesamtwerk. Bereits für den frühen Roman 'Halbzeit' von 1960 weist Lorenz nach, dass Walser die Opferrolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zulasten der jüdischen Opfer hervorhebt." NZZ
"Die Studie unternimmt also nichts Geringeres als eine Analyse von Walsers Gesamtwerk, um die Antisemitismusvorwürfe zu prüfen. Und es sei vorweggenommen, dass dieser Anspruch bravourös eingelöst wird." H-Soz-u-Kult
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Eine nicht gerade beneidenswerte Aufgabe übernimmt der Germanist Friedmar Apel: Matthias N. Lorenz' Dissertation über Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser führte auch in den anderen Feuilletons bereits zu Zähneknirschen. Aber in dieser Zeitung liegt der Fall ja nochmal anders: Sie hatte sich in der Walser-Bubis-Debatte zum alle Kritik empört abwehrenden Herold Walsers gemacht, um in der Debatte um den Roman "Tod eines Kritikers" die Moralkeule in umgekehrter Richtung zu schwingen. Apel zieht sich aus der Affäre, indem er eng resümierend Lorenz' Argumentation nachvollzieht. Eine große Werkkontinuität stelle Lorenz im Laufe der Jahrzehnten in diesen heiklen Fragen fest, und zwar unabhängig davon, wo sich Walser gerade politisch verortete. Trotz mancher Nuancierungen und vor allem des Vorwurfs einer gewissen Fixierung des Autors auf Fundstellen kommt Apel zum erwartbaren Schluss: "Der Zusammenhang von Walsers patriotischem Projekt mit der negativen Charakterisierung von Juden kann nun nicht mehr geleugnet werden, auch wenn deren Funktion in den Texten verschieden beurteilt werden wird."
© Perlentaucher Medien GmbH"
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"Der Titel "Lorenz, Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" stand auf Platz 2 der Empfehlungsliste der Süddeutschen Zeitung. Doch, es habe sich um Antisemitismus gehandelt, behauptet jetzt Matthias N. Lorenz in seiner Abhandlung über Walser, und zwar nicht zufällig. Er durchpflügt das gesamte Werk Walsers mit dem Auge des Verdachts und findet überall hässliche Spuren." (DIE ZEIT)"Der Kulturwissenschaftler Matthias N. Lorenz hat Walsers Lebenswerk untersucht, denn es beunruhigte ihn die Frage, die tatsächlich nicht nur den Autor betrifft, sondern auch seine Leser: Gibt es in diesem enormen Werk, gibt es in diesen zahlreichen Essays, Theaterstücken und Romanen, die als eine Geschichte des Bürgertums der Bundesrepublik genossen und verstanden worden sind, antisemitische Töne? Lorenz machte es sich nicht leicht. Ohne Pathos, mit glaubwürdiger Schlichtheit und philologischer Akribie forscht hier ein Detektivim erweiterten Auftrag: Indem er das Werk Martin Walsers erkundet, erkundet er auch die Seelenlage der westdeutschen Republik." (DER SPIEGEL)"In dem soeben erschienenen Buch "Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" spürt der Germanist Matthias N. Lorenz den Entwicklungslinien von Martin Walsers literarischen Anfängen bis hin zum umstrittenen "Tod eines Kritikers" nach." (DIE WELT)"Eine geisteswissenschaftliche Dissertation gehört üblicherweise nicht eben zu dem Stoff, der die öffentliche Erregung befördert. Dass dies nun einer umfassenden, in einem angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienenen Arbeit gelungen ist, kann nicht lediglich am Thema liegen...""Frankfurter Rundschau)"Lorenz beginnt seine auf akribischer Textanalyse beruhende Studie mit einer minuziösen Darlegung aller Umstände des Skandalromans von 2002, in dem Walser mit der fiktiven Ermordung Marcel Reich-Ranickis spielt. Die hier freigelegten antisemitischen Subtexte dienen ihm sodann als Hintergrundfolie für den Gang durch das Gesamtwerk. Bereits für den frühen Roman "Halbzeit" von 1960 weistLorenz nach, dass Walser die Opferrolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zulasten der jüdischen Opfer hervorhebt." (NZZ)